2.5.1 (ma11p): 1. Reichstag.

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1. Reichstag.

Der Reichskanzler berichtete über das Ergebnis seiner Fühlungnahme mit den Parteiführern. Er habe aus den Ausführungen aller Führer entnommen, daß eine Auflösung des Reichstags als verhängnisvoll angesehen werde und nach Möglichkeit vermieden werden müsse. Gleichzeitig aber seien alle der Auffassung, daß das von der Regierung vorgeschlagene Ermächtigungsgesetz1 eine Verfassungsänderung bedeute und daher einer Zweidrittelmehrheit bedürfe. Diese zu erlangen müsse jedoch als aussichtslos erscheinen. Jedenfalls hätten die sozialdemokratischen Führer erklärt, daß es ihrer Partei nicht gut möglich sei, da sie an der Regierung nicht beteiligt seien, einem so umfangreichen Ermächtigungsgesetz zuzustimmen. Die Deutschnationalen hätten sich weniger ablehnend verhalten und die Vermutung ausgesprochen, daß eine wohlwollende Haltung der Parteien sich dadurch erzielen lassen könne, daß die Regierung die Auflösung für den Februar in Aussicht stelle, jedoch erst nach erfolgter Neuwahl, so daß die Kontinuität des Reichstags gewahrt und die Durchführung der Wahl ohne Auflösung gewährleistet sei.

1

S. Dok. Nr. 2 am Schluß.

Das Ergebnis der Besprechung lasse sich wohl dahin zusammenfassen, daß die Parteien übereinstimmend eine Auflösung ablehnten, die Annahme des Ermächtigungsgesetzes[28] mit der erforderlichen Majorität für nicht möglich hielten und infolgedessen als einzig gangbaren Mittelweg ein Verfahren ansähen, wonach die Erklärung der Regierung entgegengenommen, das Ermächtigungsgesetz in einem Ausschuß des Reichstags unter vertraulicher Darlegung der Lage durch den Reichsminister der Finanzen beraten würde und der Reichstag sich bis etwa zum Februar vertage.

Der Reichsminister der Finanzen wies auf die schweren Bedenken hin, welche ein Zwischenzustand der geschilderten Art mit sich bringen würde: d. h. Regierung mit Artikel 48 unter Fortbestand des Reichstags. Andererseits sei nicht zu verkennen, daß die Auflösung des Reichstags mit Rücksicht auf die in den nächsten Wochen zu erwartenden schwerwiegenden Entscheidungen, namentlich in außenpolitischer Hinsicht, ebenfalls einen recht bedenklichen Zustand schaffen würde. Daher sei wohl die Kompromißfassung anzustreben, wobei jedoch die Regierung den Parteien gegenüber mit aller Festigkeit zum Ausdruck bringen müsse, daß sie im Falle der Nichteinigung an der Alternative „Ermächtigungsgesetz oder Auflösung“ unbedingt festhalten werde.

Der Reichskanzler stimmte den Ausführungen des Reichsministers der Finanzen zu, meinte jedoch, daß es fraglich sei, ob der Reichstag sich bei der jetzigen Aussprache diejenige Zurückhaltung auferlegen werden könne, die mit Rücksicht auf die erforderliche Beschleunigung der Beschlußfassung und auf das Ansehen der Regierung unerläßlich sei.

Der Reichspostminister äußerte Bedenken dagegen, bei Fortbestand des Reichstags auf Grund von Art. 48 zu regieren, hielt dieses Verfahren aber gegebenenfalls für die einzig mögliche Lösung der Lage.

Auf den Einwand des Reichsverkehrsministers, daß bei einer etwaigen Vertagung die Sozialdemokratische Partei jederzeit in der Lage sein werde, einen Zusammentritt des Reichstags zu erzwingen, erwiderte der Reichskanzler daß die fragliche Vorschrift nur bei einer Schließung des Reichstags zur Anwendung komme; demnach seien die vom Reichsverkehrsminister gehegten Bedenken unbegründet.

Es wurde ferner die von den Parteiführern aufgeworfene Frage der Durchführbarkeit von Neuwahlen im besetzten Gebiet erörtert und festgestellt, daß bei einer etwaigen Behinderung der Wahl im besetzten Gebiet höchstens 25% der Wähler, nicht dagegen, wie von einigen Parteiführern behauptet, 40% ausgeschaltet sein würden, daß aber im übrigen der gleiche Einwand hinsichtlich jeder Neuwahl innerhalb der nächsten Jahre erhoben werden könne, und daß schließlich es keinesfalls angehe, daß die Reichsregierung von sich aus die Durchführbarkeit von Neuwahl[en] im besetzten Gebiet als fraglich hinstelle.

Der Reichsminister der Finanzen nahm Bezug auf den Beschluß des Kabinetts, gewisse steuerliche Anordnungen auf Grund des Artikel 48 sofort zu erlassen2 und teilte mit, daß die Parteiführer in Aussicht gestellt hätten, die erforderliche gesetzliche Ermächtigung im Wege des Initiativantrages mit größter Beschleunigung zu erwirken. Er halte es jedoch für bedenklich, auf dieses[29] Anerbieten einzugehen, da bei parlamentarischer Behandlung die völlige Ausschaltung von Verzögerungen sich nicht mit Bestimmtheit gewährleisten lasse, im übrigen aber bei der bekannten Stellungnahme des Herrn Reichspräsidenten der Weg des Artikel 48 abgeschnitten sein würde, wenn erst einmal der Reichstag mit dem Gesetzentwurf befaßt sei. Auch aus psychologischen Gründen schlage er daher vor, bei dem Beschluß auf Grund des Art. 48 zu verbleiben.

2

Vgl. Dok. Nr. 4, P. 3.

Der Reichskanzler stellte fest, daß das Kabinett dieser Auffassung zustimme, und bat den Staatssekretär Meissner, dem Herrn Reichspräsidenten die dahingehende einstimmige Auffassung des Kabinetts zu übermitteln.

Der Reichskanzler stellte alsdann die von ihm zu haltende Rede im Reichstag zur Erörterung. Er wies darauf hin, daß die Parteiführer eine gewisse programmatische Erklärung für erforderlich bezeichnet hätten, daß jedoch nach Lage der Sache eine programmatische Bindung der Regierung nicht möglich sei. Er beabsichtige daher, sich kurz zu fassen und im wesentlichen nur drei Fragen, nämlich das Verhältnis des Reichs zu den Ländern, den Ausnahmezustand und die Rhein-Ruhrfrage kurz zu streifen3.

3

Vgl. die Regierungserklärung in der Sitzung des RT vom 4. 12. (RT-Bd. 361, S. 12295 –12298).

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