1.122.1 (ma12p): Regierungsbildung.

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Regierungsbildung.

Der Reichskanzler Nach dem letzten Zentrumsbeschluß hätten die Fraktionsführer der Koalitionsparteien ihre Ansicht dahin ausgesprochen, daß die Reichsregierung jetzt Beschlüsse fassen müsse1.

1

S. Dok. Nr. 333.

Der Reichsminister des Auswärtigen fragt, wie die Demokraten zur Frage der Neutralität ständen.

Der Reichskanzler Er habe heute mit ihnen darüber nicht gesprochen.

Der Reichsminister des Innern Ihm sei mitgeteilt worden, die Demokraten würden sich neutral verhalten, da die bisherige Außenpolitik fortgesetzt werden würde.

Der Reichskanzler und Minister Luther äußern ihre Ansicht dahin, daß keinesfalls das jetzige Kabinett vor den Reichstag treten könne.

Der Reichsminister der Finanzen führt ferner aus: Eine Auflösung sei äußerst bedenklich, besonders auch von seinem Ressortstandpunkt aus. Es frage sich daher, ob alle anderen Möglichkeiten erschöpft seien. Die zu unternehmenden Schritte hingen natürlich von der Entscheidung des Kanzlers ab. Am prägnantesten schiene ihm in der jetzigen Lage die Tatsache, daß drei Posten im Kabinett nicht besetzt seien2. Hier sehe er einen möglichen Weg, das Kabinett zu erweitern, indem der Reichspräsident auf Vorschlag des Kanzlers drei Minister ohne Verhandlung mit den Fraktionen ernenne. Das so ergänzte Kabinett könne dann vor den Reichstag treten und ohne Erschütterung weiter regieren.

2

Unbesetzt sind die Posten des RJM, des RVM und des RMbesGeb.

Der Reichskanzler Diese Frage sei oft erörtert worden, getan habe er in dieser Richtung nichts. Gegen diesen Weg spräche, daß der Zweck doch wäre, eine Mehrheit von Parteien hinter die Regierung zu bekommen, es aber fraglich sei, ob das auf dem vom Minister Luther vorgeschlagenen Weg möglich sei. Solche Versuche seien früher stets mißlungen. Es würde doch unvermeidbar sein, mit den Fraktionen über bestimmte Personen zu sprechen. Er wolle nicht unbedingt ablehnen, diesen Weg zu gehen, aber unter allen Umständen müsse die Sache bis Ende der Woche entschieden sein.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft Die Fragestellung sei seines Erachtens: Auflösung oder nicht. Er sei unter allen Umständen[1123] gegen eine Auflösung; denn sie würde eine Verschlechterung in jeder Beziehung bringen. Käme ein Kabinett mit den Deutschnationalen nicht zustande, und würde dann aufgelöst, so würden die Deutschnationalen scharf nach rechts gedrängt und der in der Entwicklung befindliche Gesundungsprozeß der Partei zerstört. Die Wahlparole würde auch nicht überzeugend wirken. Er habe Grund zu der Annahme, daß auch die Demokraten eine Auflösung nicht wünschen, wie eigentlich alle Parteien. Er würde es am richtigsten finden, wenn der Kanzler die Fraktionen vor vollendete Tatsachen stellte. Er halte sich für verpflichtet mitzuteilen, daß einige Parteien eine energische Führung vermißten. Er bemerke ausdrücklich, daß er sich dieses Urteil in keiner Weise zu eigen mache. An vielen Stellen herrsche der Eindruck, daß der Reichspräsident und der Kanzler selbst an die Erweiterung nach rechts nur ungern herangingen. Er bitte dringend, daß der Kanzler nochmals den Versuch einer Erweiterung nach rechts mache.

Der Reichskanzler führt aus, daß er nicht anders hätte handeln können als er es getan habe. Er fürchte, es werde ein Vabanquespiel, wenn man ohne Befragen der Parteien einige Herren neu ins Kabinett aufnehme und dann vor den Reichstag trete. Er wolle zugeben, daß dieser Weg jetzt vielleicht möglich sei. Hätte man ihn aber vor der Erschöpfung aller anderen Möglichkeiten beschritten, so wäre die Sache sicher gescheitert.

Der Reichsarbeitsminister Er sehe folgende theoretische Möglichkeiten:

1.

das alte Kabinett bleibe. Das ginge aber nur, wenn die Volkspartei dem zustimme, und das scheine sie nicht mehr zu können,

2.

der vom Reichsfinanzminister vorgeschlagene Weg. An sein Gelingen glaube er nicht;

3.

eine Koalition mit den Deutschnationalen.

Dies sei in der Weise möglich, daß der Reichspräsident und der Kanzler zusammen von neuem die Initiative in dieser Richtung ergriffen. Für dringend nötig halte er dabei, daß alle Kräfte daran gesetzt würden, Minister Geßler dem Kabinett zu erhalten. Er würde dann bleiben können und die Demokraten sich neutral verhalten müssen.

Von einer Auflösung befürchte er das schlimmste. Vielleicht sei es zweckmäßig, wenn das Kabinett über diese Fragen in Gegenwart des Reichspräsidenten berate. Natürlich müsse man den Reichspräsidenten erst fragen, ob er hiermit einverstanden sei.

Der Reichsminister des Auswärtigen Das Verbleiben des jetzigen Kabinetts würde zu einer Dauerkrise führen. Er stimme den Ausführungen des Grafen Kanitz über die Gefährdung des Gesundungsprozesses bei den Deutschnationalen zu. Auch er sei Gegner der Auflösung, wenn er auch nicht so schwarz sehe wie Graf Kanitz. Er komme zu dem gleichen Ergebnis wie Minister Brauns: Der Versuch der Einbeziehung der Deutschnationalen müsse erneuert werden. Minister Geßler müsse im Kabinett bleiben, was durch eine Mahnung des Reichspräsidenten an die Demokraten erreichbar sei. Die Demokraten würden sich seines Erachtens neutral verhalten können; wenn unter diesen Voraussetzungen der Kanzler die Deutschnationalen zum Eintritt auffordere, so könne man seines Erachtens in der Personenfrage stark auftreten.[1124] Sehr zweifelhaft schiene ihm, ob es möglich sei, nach einem Wahlkampf mit den Deutschnationalen zusammenzukommen. Erweise sich dieser von ihm vorgeschlagene Weg als ungangbar, dann sehe er nur die Auflösung.

Reichsminister des Innern sieht keine sehr große Differenz zwischen den Vorschlägen der Minister Luther und Brauns. Mit dem Vorschlage über eine Beteiligung des Reichspräsidenten an diesen Fragen sei er einverstanden, er glaube jedoch, daß sie nicht zum Ziel führen würde, da der Präsident gefühlsmäßig dagegen sei. Unbedingt erforderlich schiene auch ihm das Verbleiben Geßlers im Kabinett. Wenn der Kanzler jetzt in dieser Richtung die Führung übernähme, so würden die Fraktionen das als eine Wohltat empfinden.

Der Reichskanzler Ihm sei fraglich, ob er die Vollmacht habe, nach den bekannten Voten des Zentrums und der Demokraten den Versuch nach rechts nochmals zu machen. Er müsse ferner aussprechen, daß er selbst dadurch auch in einen inneren Konflikt kommen könnte. Er habe nun einmal die schwersten Befürchtungen gegen einen Rechtsblock, denn ein Einhalten einer Mittellinie der Politik würde dann nicht mehr möglich sein. Wenn die Demokraten im Kabinett säßen, so wäre die Sache vielleicht erträglich. Auch der Reichspräsident würde dann keine Bedenken haben. Ohne die Demokraten ein Kabinett mit der Rechten zu bilden, halte er nicht für möglich und habe dies auch in seiner Fraktion deutlich zum Ausdruck gebracht.

Reichsminister der Finanzen erläutert seinen Vorschlag dahin, daß der Reichspräsident auf Vorschlag des Kanzlers die Minister ernennen solle, ohne daß die Fraktionen offiziell ihren Eintritt in die Koalition erklärten.

Der Reichspostminister Er sehe nur die Möglichkeit, den Versuch zu machen, die Deutschnationalen hineinzunehmen. Daß die Demokraten keine Schwierigkeiten machten, halte er für erreichbar. Sie müßten auf Befragen des Kanzlers Neutralität zusagen. Den vom Minister Luther vorgeschlagenen Weg würden die Deutschnationalen ablehnen.

Der Reichswirtschaftsminister spricht sich gegen die Auflösung aus, da sie eine Sanierung im Innern für lange Zeit verhindern würde. Gegen die Besorgnisse des Kanzlers über das Verlassen einer Mittelpolitik gäbe es mögliche Kautelen. Der Vorschlag des Reichsministers Luther würde aber seines Erachtens kaum zum Ziele führen.

Der Reichskanzler stellt den Wunsch des Kabinetts fest, daß er den Reichspräsidenten frage, ob er einer Kabinettssitzung über diese Fragen beiwohnen wolle.

Der Kanzler verläßt die Sitzung.

Der Reichswehrminister Er glaube, daß die Demokraten es eher zum Bruch kommen ließen, als daß sie mit den Deutschnationalen gingen. Er persönlich halte ein Zusammengehen mit ihnen im Interesse der Entgiftung für nötig. Was seine Person anlange, so fürchte er, daß sein Verbleiben im Kabinett die Haltung der Demokraten verschärfen würde. Für ihn gäbe es nur die Möglichkeiten: entweder Parteidisziplin zu halten oder aus der Partei auszuscheiden. Dies sei eine Gewissensentscheidung, über die er sich zur Zeit nicht äußern könne.

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