2.250 (mu21p): Nr. 250 Reichsminister a. D. Hermes an Reichsminister Wirth. 7. Juli 1929

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[813] Nr. 250
Reichsminister a. D. Hermes an Reichsminister Wirth. 7. Juli 19291

1

Das Datum befindet sich handschriftlich neben der Unterschrift.

R 43 I /1108 , Bl. 223-226 Abschrift in Durchschrift

[Betrifft: Deutsch-polnische Handelsvertragsverhandlungen.]

Sehr verehrter Herr Minister!

Im Verfolg der letzten Aussprache im Kabinett über die Führung der deutsch-polnischen Handelsvertragsverhandlungen2 und im Hinblick auf die in der morgigen Kabinettssitzung in Aussicht genommene Fortsetzung dieser Aussprache erlaube ich mir, Ihnen zu Ihrer sachlichen Unterrichtung folgende Tatsachen mitzuteilen:

2

Siehe Dok. Nr. 239, P. 1.

1. Das Kabinett hat mir weder auf dem Gebiete der in der letzten Kabinettssitzung erörterten Zölle für lebende Schweine noch in der Frage der Zölle für andere tierische Erzeugnisse bisher irgendwelche bindenden Instruktionen erteilt3.

3

Diese Ansicht war vom REM ebenfalls vertreten worden in einer undatierten Aufzeichnung, die dem RK wahrscheinlich nach der Ministerbesprechung vom 2. 7. vorgelegen hat (R 43 I /1108 , Bl. 214-216).

Ich hebe diese Tatsache besonders hervor, da aus den Ausführungen des Herrn Ministerialdirektors Dr. Ritter in der letzten Kabinettssitzung leicht ein gegenteiliger Eindruck hätte entstehen können. Der Sachverhalt ist folgender: Der Handelspolitische Ausschuß der Reichsregierung hat sich im November v. Js. eingehend mit der polnischen Wunschliste beschäftigt, und es wurde dabei eine Einigung zwischen den im Handelspolitischen Ausschuß vertretenen vier Reichsressorts über eine Reihe von landwirtschaftlichen Erzeugnissen erzielt. Für eine Reihe anderer Erzeugnisse wurde aber keine Einigung erzielt, so zum Beispiel nicht hinsichtlich der Bindung der Zölle für Rindvieh, Schafe, Schweine, Schweinefleisch und anderes sowie Butter. Es ist üblich, daß im Falle von Meinungsübereinstimmung im Handelspolitischen Ausschuß das Kabinett mit den behandelten Fragen nicht mehr befaßt wird, daß dies jedoch immer dann geschieht, wenn eine solche Übereinstimmung nicht erzielt worden ist. Trotz der für die genannten Erzeugnisse fehlenden Übereinstimmung hat aber das Kabinett bisher noch nicht zu diesen Fragen Stellung genommen.

2. Die letzten Beschlüsse des Reichstages machen eine erneute Nachprüfung innerhalb der Reichsregierung auch für einen Teil derjenigen Erzeugnisse erforderlich, über die der Handelspolitische Ausschuß der Reichsregierung früher zu einer übereinstimmenden Auffassung gelangt ist. Ich weise in diesem Zusammenhange nur auf die Tatsache hin, daß der Handelspolitische Ausschuß zum Beispiel im November v. Js. einmütig war in dem Beschluß, der polnischen Seite die Bindung des Roggenzolles auf der Basis des bisherigen[814] Zwischenzolles von 5,– RM anzubieten. Ähnliches gilt für andere Erzeugnisse. Nachdem nun aber die Reichsregierung den Handelsvertrag mit Schweden zu dem ausdrücklichen Zwecke gekündigt hat, die in diesem Vertrage enthaltene Bindung der Getreidezölle zu beseitigen, liegt es auf der Hand, daß der frühere Beschluß des Handelspolitischen Ausschusses auf eine Bindung des Roggen- und Haferzolls in dem abzuschließenden deutsch-polnischen Handelsvertrage nicht aufrecht erhalten werden kann.

Wollte die Reichsregierung das doch tun, dann hätte sie den deutsch-schwedischen Handelsvertrag nicht zu kündigen brauchen4. Eine solche Bindung für Roggen und andere Erzeugnisse würde die letzten Beschlüsse des Reichstags illusorisch machen, deren Zweck doch darin bestand, der Landwirtschaft durch einen stärkeren Schutz die Möglichkeit zur Wiederherstellung ihrer Rentabilität zu geben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Reichsregierung eine solche Politik betreiben will, und halte daher eine eingehende Nachprüfung der seinerzeit gefaßten Beschlüsse des Handelspolitischen Ausschusses für unerläßlich.

4

Vgl. hierzu Dok. Nr. 229, P. 2.

Ich habe diese Ansicht auch bereits Herrn Ministerialdirektor Dr. Ritter nach der letzten Kabinettssitzung mitgeteilt, worauf er eine solche Nachprüfung in Aussicht stellte.

3. Ich habe als Verhandlungsführer bisher der polnischen Seite keinerlei Bindung der Zölle von Rindvieh, lebenden Schweinen, oder Schweinefleisch oder anderem Fleisch in Aussicht gestellt, so daß die Reichsregierung noch in keiner Weise offiziell festgelegt ist.

Ich hebe auch diese Tatsache hervor, weil aus den Mitteilungen des Herrn Ministerialdirektor Dr. Ritter in der letzten Kabinettssitzung etwas anderes hätte entnommen werden können.

Aus den vorstehend angeführten unanfechtbaren Tatsachen ergibt sich, daß meine Stellungnahme in der letzten Kabinettssitzung konsequent und einwandfrei war. Da nach einer gestrigen telefonischen Mitteilung von Herrn Ministerialdirektor Dr. Ritter das Kabinett sich bereits morgen erneut mit der Angelegenheit befassen wird, halte ich mich für verpflichtet, Ihnen durch Mitteilung der vorstehenden Tatsachen die Möglichkeit einer ausreichenden sachlichen Unterrichtung zu geben. Ich brauche nicht zu versichern, daß es sich dabei nicht um die Verteidigung irgendeines persönlichen Standpunktes handelt. Ich habe der Reichsregierung wiederholt zu mehreren Malen erklärt, daß meine Person niemals ein Hindernis für die von ihr als notwendig erachteten sachlichen Entscheidungen sein würde. Es liegt mir auch heute selbstverständlich vollkommen fern, die Reichsregierung irgendwie in ihrer Entscheidung über die Person des deutschen Delegationsführers beeinflussen zu wollen und meine gegenwärtigen Zeilen berühren daher die persönliche Seite der Frage nicht.

Worauf es mir nur ankommt, ist, Ihnen als Mitglied des Reichskabinetts nochmals die außerordentliche Tragweite der vom Kabinett zu treffenden sachlichen Entscheidungen darzulegen. Sollte die Reichsregierung sich tatsächlich[815] entschließen, einen Weg zu gehen, der nach der jetzt vom Reichstag beschlossenen landwirtschaftlichen Teilaktion dazu führen müßte, diese Teilaktion wiederum zu durchlöchern und gleichzeitig den Weg für eine wirkliche umfassende Rettung der deutschen Landwirtschaft zu verbauen, so müßte das die verhängnisvollsten Erschütterungen in der deutschen Landwirtschaft auslösen.

gez. Hermes.

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