2.41 (vpa1p): Nr. 41 Der Reichsminister des Innern an die Landesregierungen. 28. Juni 1932

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 5). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett von Papen Band 1Das Kabinett von Papen Bild 183-R1230-505Wahllokal in Berlin Bild 102-03497AGöring, Esser und Rauch B 145 Bild-P046294Ausnahmezustand in Berlin während des „Preußenschlages“.Bild 102-13679

Extras:

 

Text

RTF

Nr. 41
Der Reichsminister des Innern an die Landesregierungen. 28. Juni 1932

BayHStArch. MA 103 468 Umdruck

Betrifft: Bekämpfung politischer Ausschreitungen.

Anbei übersende ich ergebenst Abdruck der heute von dem Herrn Reichspräsidenten vollzogenen Zweiten Verordnung gegen politische Ausschreitungen. Diese Verordnung, die mit ihrer Verkündung in Kraft tritt, wird in der am[154] 29. Juni d. J. erscheinenden Nr. 40 des Reichsgesetzblattes Teil I verkündet werden469.

469

RGBl. I, S. 399. Zur diesbezügl. Kabinettsberatung vgl. Dok. Nr. 40, P. 4. – Mit Telegramm an den RIM vom 28. 6. hatte MinPräs. Held noch einmal die Bedenken der Bayer. StReg. gegen eine derartige VO vorgetragen: „Als unerträglicher Eingriff in die Polizeihoheit der Länder müßte erachtet werden, wenn etwa der Reichsminister des Innern als Beschwerdeinstanz für Beschwerden über Entscheidungen der obersten Landesbehörden bestimmt würde. Weiter müßte als nicht im Einklang stehend mit den gegebenen Zusicherungen [Vgl. Anm. 37 zu Dok. Nr. 40] erachtet werden, wenn den Ländern lediglich die Möglichkeit belassen würde, in bestimmten einzelnen Fällen Anordnungen über Uniformtragen und Umzüge zu treffen. Den gegebenen Zusicherungen könnte es nur entsprechen, wenn den Ländern auch die Möglichkeit belassen wird, für einzelne im voraus generaliter von den Landesbehörden zu bezeichnende Fälle, Anlässe und Orte mit besonderem Charakter (Kurorte) beschränkende Anordnungen über Uniformtragen und Umzüge zu treffen. Außerdem muß unter allen Umständen die Möglichkeit erhalten bleiben, darüber hinaus erforderlichenfalls für einzelne bestimmte Anlässe allgemeine, wenn auch zeitlich beschränkte Uniform- und Umzugsverbote zu erlassen.“ (BayHStArch. Ges. Berlin 1581). – Die VO des RPräs. wurde nach ihrer Verkündung (29. 6.) im bayer. Ministerrat am 30. 6. eingehend behandelt. Dabei erklärte Innenminister Stützel u. a.: Sie „erfülle die schlimmsten Befürchtungen. Zum erstenmal sei der Reichsinnenminister als Aufsichtsorgan eingesetzt (§ 1 Abs. 3). Staatsrechtlich sei dies die bedenklichste Bestimmung.“ (Ebd., MA 99 524).

Durch die neue Verordnung wird eine klare Regelung der Zuständigkeit vorgenommen. Allgemeine Verbote gehören hinfort zur Zuständigkeit des Reichs mit Ausnahme der im § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung für bestimmt abgegrenzte Ortsteile zugelassenen Demonstrationsverbote. Diese Maßregel soll zum Schutze bestimmter Teile von Bade- und Kurorten und von Hafenstädten sowie für besondere Verkehrsmittelpunkte dienen, an denen häufige Demonstrationen die Sicherheit des Verkehrs gefährden. Im übrigen wird an dem Recht und der Pflicht der Landesregierungen, nach Maßgabe der Verordnung die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlichen Maßnahmen zu treffen, nichts geändert.

Auf Grund des § 1 Abs. 3 der Verordnung470 beabsichtige ich so wenig wie möglich in die Anordnungen der Länder einzugreifen. Die Möglichkeit, im Interesse einer einheitlichen Handhabung im Einzelfalle eingreifen zu können, mußte mir jedoch vorbehalten bleiben. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß auch bei Meinungsverschiedenheiten ein freundschaftlicher Ausgleich mit den Landesregierungen mich der Notwendigkeit einer Aufhebung von Verboten entheben wird.

470

§ 1 Abs. 3: Hat der RIM „gegen ein Verbot nach Abs. 1 Nr. 1 Bedenken, so kann er die oberste Landesbehörde um Änderung oder Aufhebung ersuchen. Entspricht die oberste Landesbehörde dem Ersuchen nicht, so kann er das Verbot aufheben.“

Im übrigen darf ich zur Durchführung der beiden Verordnungen gegen politische Ausschreitungen471 die besondere Aufmerksamkeit der Landesregierungen auf folgende Punkte richten:

471

Neben der oben erwähnten VO ist außerdem gemeint die VO des RPräs. vom 14.6.32 (RGBl. I, S. 297 ).

1. Häufig erfolgen Überfälle auf politisch Andersdenkende dann, wenn nach Schluß einer Versammlung die Teilnehmer einzeln nach Hause gehen, während Ausschreitungen unterbleiben, wenn die Versammlungsteilnehmer sich in geschlossenen Gruppen nach Hause begeben. Es wird nun darüber Klage geführt, daß die Polizei vielfach das geschlossene Verlassen einer Versammlung oder eines Lokals deshalb verhindert, weil darin nach ihrer Auffassung ein unzulässiger[155] Aufzug zu sehen sei. Der Begriff des Aufzugs ist aber nur dann erfüllt, wenn eine zu bestimmten Zwecken vereinigte Menschenmenge sich über öffentliche Straßen und Plätze in der Absicht bewegt, die Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen. Wenn kleinere Gruppen von Personen geschlossen ein Versammlungslokal verlassen, um zusammen nach Hause zu gehen und sich gerade durch ihr gemeinsames Auftreten vor Angriffen zu schützen, kann daher nicht von einem Aufzuge gesprochen werden, es sei denn, daß diese Personen durch Singen, Sprechchöre oder in ähnlicher Weise ihrem Auftreten den Charakter einer Demonstration geben. Ich darf bitten, die Polizeibehörden auf diesen Gesichtspunkt aufmerksam zu machen.

2. Mit besonderem Nachdruck bitte ich gegen solche Druckschriften vorzugehen, die zu Gewalttätigkeiten gegen Andersdenkende auffordern. Soweit es sich hierbei um Plakate, Flugblätter und Flugschriften handelt, gibt § 3 der Zweiten Verordnung des Reichspräsidenten gegen politische Ausschreitungen die Möglichkeit ihrer polizeilichen Beschlagnahme und Einziehung. Die Verteiler solcher Druckschriften sind gemäß § 11 der Verordnung des Reichspräsidenten gegen politische Ausschreitungen vom 14. Juni 1932 strafbar472. Soweit es sich um periodische Druckschriften handelt, ist ein Verbot gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung vom 14. Juni 1932 oder gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4, § 13 des Gesetzes zum Schutze der Republik473 möglich.

472

§ 11 dieser VO (vgl. oben Anm. 3) sah hierfür Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten, bei mildernden Umständen nicht unter einem Monat vor.

473

Gesetz vom 25.3.30 (RGBl. I, S. 91 ).

Frhr. v. Gayl

Extras (Fußzeile):