1.1 (vsc1p): Das Kabinett v. Schleicher und das Ende der Weimarer Republik

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Das Kabinett v. Schleicher und das Ende der Weimarer Republik

Am 2. Dezember 1932 war der fünfzigjährige Kurt von Schleicher als 12. Regierungschef mit der Bildung der 20. Regierung der Weimarer Republik von Reichspräsident v. Hindenburg beauftragt worden. Am folgenden Tag stand der mittelgroße Offizier auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Mit ihm war – nach Caprivi im Jahr 1890 – zum zweiten Mal in der Geschichte des Deutschen Reiches ein General zum Reichskanzler ernannt worden1. In seiner Hand konzentrierte er eine Machtfülle, die selbst derjenigen Bismarcks formal weit überlegen war. Als bisheriger und jetzt geschäftsführender Reichswehrminister blieb der aus dem aktiven Dienst ausgeschiedene General Herr im Haus einer festgefügten Institution, auf deren Personalpolitik er über Jahre hinweg entscheidenden Einfluß in seinem Sinne ausgeübt hatte und deren militärpolitische Gesamtkonzeption er auch weiterhin zu bestimmen gedachte. Als Reichskommissar für Preußen verfügte er über weitgehende exekutive und legislative Anordnungsbefugnisse im größten deutschen Teilstaat, dessen Schutzpolizei vor der Absetzung der geschäftsführenden Regierung Braun am 20. Juli 1932 noch ein von der Reichsregierung gefürchteter Faktor im danach aufgehobenen Kräftedualismus zwischen Preußen und dem Reich gewesen war. Als Reichskanzler war er der verantwortliche Leiter der Reichspolitik, der gegenüber eigenwilligen politischen Bestrebungen einzelner Kabinettskollegen soviel Autorität besaß, daß er diese mit dem Ziel einer von ihm gewünschten Einigung über Angelegenheiten, die zwischen den Ressorts strittig waren, zu einem Aufsehen erregenden „Konklave“ zusammenschließen konnte. In wehr- und außenpolitischen Grundsatzfragen nahm er für sich in Anspruch, ohne Befragen des Kabinetts Weisungen zu erteilen. Darüberhinaus räumte ihm die Tatsache, daß er einem Präsidialkabinett vorstand, prinzipiell die Möglichkeit ein, auf zeitraubende Rückfragen bei Parteigremien zu verzichten und ohne Rücksicht auf Parlamentsmehrheiten, lediglich gestützt auf Artikel 48 der Reichsverfassung sowie die Sympathie und das Vertrauen des Reichspräsidenten, mit Notverordnungen anstelle von Gesetzen zu regieren. Aufhebungsbegehren und Mißtrauensvoten des neugewählten 7. Reichstages konnte er mit der Androhung der von keiner Partei zu diesem Zeitpunkt gewünschten Parlamentsauflösung wirksam entgegentreten. Schließlich war er als Reichskanzler für den nicht mehr auszuschließenden Fall einer Vakanz an der obersten Staatsspitze[XX] derjenige Vertreter, dem nach der Verfassung zunächst alle Präsidialbefugnisse zufallen würden2.

1

Beglaubigte Abschrift der Ernennungsurkunde im Bd. 1593, Bl. 2 des Bestandes R 43 II der „Akten der Reichskanzlei“ im Bundesarchiv Koblenz (nachfolgend zit. ohne Angabe des Archivs als R 43 I bzw. II).

2

Der von der nationalsozialistischen Fraktion des 7. Weimarer RT eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Stellvertretung des RPräs. war u. a. auch ein gezielter Affront gegen die Stellung RK v. Schleichers. Der Entw. wird noch in der konstituierenden RT-Sitzung am 7.12.1932 vorrangig behandelt. Unter Verzicht auf Ausschußberatungen nimmt der RT das Ges. am 9. 12. in dritter Lesung an, wobei die erforderliche Zweidrittelmehrheit weit überschritten wird. Der RR erhebt keinen Einspruch, so daß der RPräs. das Ges. zur Änderung des Art. 51 RV am 17.12.1932 in Kraft setzt (RGBl. I, S. 547 ).

Damit dürfte der außergewöhnlich große Kreis der diesem Mann übertragenen Machtmittel abgeschritten sein. Daß er bereits Ende Januar 1933 scheiterte, muß demgegenüber erstaunen und verweist – zumindest vordergründig – auf die strukturellen Determinanten der späten Krisenjahre des Weimarer Staates. Demokratiemüdigkeit und nationaler Fanatismus, materielle Not und soziales Ressentiment gehörten neben anderen zu ihren Kennzeichen. Bei ihnen sollte man jedoch im Rahmen der immer wieder neu belebten Suche nach den Ursachen und Umständen des Scheiterns der ersten deutschen Demokratie nicht stehenbleiben3. Die Diskrepanz zwischen den Schleicher eingeräumten Möglichkeiten und seinem für viele überraschend schnell erfolgenden glanzlosen politischen Ende fordert die Überlegung geradezu heraus, ob sich mit dem Amtsantritt des Kabinetts v. Schleicher Anfang Dezember 1932 nach personellen Möglichkeiten, programmatischem Anspruch und faktischer Tragfähigkeit überhaupt noch eine zeitgerecht zu realisierende Alternative zum tragischen Ausgang dieses Kapitels der deutschen Geschichte eröffnete.

3

Vgl. dazu im vorliegenden Zusammenhang Theodor Eschenburg: „Die Rolle der Persönlichkeit in der Krise der Weimarer Republik: Hindenburg, Brüning, Broener, Schleicher“ und Karl Dietrich Erdmann, Hagen Schulze (Hrsg.): Weimar – Selbstpreisgabe einer Demokratie: Eine Bilanz heute.

Über die politischen Vorstellungen Schleichers und die Bemühungen seines Kabinetts, diese in die Tat umzusetzen, können die in dem vorliegenden Band zum Abdruck gelangenden 79 Dokumente nur in dem für diese Edition durch das Fondsprinzip abgesteckten Rahmen Auskunft geben. Durch marginale Überschreitungen dieser Grenzen, durch Rückgriffe auf Nachlässe und Memoiren sowie Sachakten der Ministerien und Verbände legt der zahlenmäßig geringere Teil der Dokumentation die aus der Projektion militärischer Erfahrungen des 1. Weltkriegs4 resultierende Wurzel der von Schleicher angestrebten Verbindung von Militärgewalt und in Gewerkschaften, Wehr- und Jugendverbänden sowie dem Straßer-Flügel der NSDAP organisierter Massenbewegung dar. Diese Dokumente werfen zugleich ein aufhellendes Licht auf das unentschlossene und zuletzt sogar illusionäre Vorgehen des Reichskanzlers bei dem Versuch, das als „Querfront“-Plan bekannt gewordene Konzept umzusetzen5.[XXI] Der gewichtigere Anteil der Dokumentation erstreckt sich auf das im Ansatz von „realpolitischem Pragmatismus“ (Huber6) gekennzeichnete Krisenmanagement der dabei interessenmäßig in sich gespaltenen Reichsregierung7 sowie auf die diesbezüglich zunehmend aggressiver werdenden Reaktionen seiner Widersacher – jedoch nur soweit sich deren Handlungsweisen in den herangezogenen Überlieferungen widerspiegeln und Einfluß auf die Entscheidungsfindung des Kabinetts und seines Kanzlers ausgeübt haben8. In diesem Sinne liefert der vorliegende Band nur einen Baustein zur Geschichte des Endes der Weimarer Republik; er kann nicht das Ende als Ganzes dokumentieren.

4

Vgl. dazu Dok. Nr. 25, insbesondere Anm. 16.

5

Dok. Nr. 5, P. 2; 22; 35; 54; 56. – Vgl. Ursula Hüllbüsch: Gewerkschaften und Staat. Ein Beitrag zur Geschichte der Gewerkschaften zu Anfang und Ende der Weimarer Republik. S. 139 ff., 177 ff.; Heinrich Muth: „Schleicher und die Gewerkschaften 1932. Ein Quellenproblem“; Axel Schildt: Militärdiktatur mit Massenbasis. Die Querfrontkonzeption der Reichswehrführung um General v. Schleicher am Ende der Weimarer Republik.

6

Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. VII, S. 1181 f.

7

Vor allem Dok. Nr. 1; 3; 13; 24; 25; 26; 32; 33; 34; 36; 45; 57; 59; 61.

8

Vor allem Dok. Nr. 8; 11; 18; 47; 48; 505358; 62; 64; 69; 70; 73; 77; 79.

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