2.24.6 (vsc1p): 6. Werkjahr der Abiturienten.

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6. Werkjahr der Abiturienten17.

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Vor dem Hintergrund einer drohenden Überfüllung der Universitäten und dem zunehmenden Konkurrenzkampf auf dem akademischen Stellenmarkt beschäftigten sich seit Januar 1932 zwei vom RIM eingesetzte Ausschüsse mit Lösungsmöglichkeiten. RK v. Papen hatte in einer programmatischen Rede in Münster am 28.8.1932 die Absicht der RReg. bekanntgegeben, für Abiturienten „die Zwischenschaltung eines praktischen Jahres zwischen höherer Schule und Hochschule anzuregen und durchzuführen“ (R 43 I /1457 , Bl. 373; vgl. diese Edition: Das Kabinett v. Papen, Ministerbesprechung vom 27.8.1932, P. 2). Die in ihrer Zielsetzung weiterreichende zeitgenössische Diskussion wurde vor allem von Ideen der bündischen Jugend und der sog. Arbeits- und Volkslagerbewegung bestimmt. Konkrete Durchführungsvorschläge, die über die im Juli 1932 eingeleitete Durchführung studentischer Arbeitslager im Rahmen des FAD hinausgingen, waren seit Ende 1931 von dem Geschäftsführer des Dt. Studentenwerks, Reinhold Schairer, publiziert worden. Die Dt. Studentenschaft, die seit dem Auszug der Korporationen unter nationalsozialistischer Führung stand, hatte sich erst relativ spät in die öffentliche Auseinandersetzung eingeschaltet. Mit einer dem RK am 12. 10. übersandten Denkschrift, in der sie ein studentisches Werkjahr als Vorstufe für ein allgemein obligatorisches Arbeitsdienstjahr forderte, versuchte auch sie Einfluß auf die Regierungsplanung zu nehmen (R 43 I /2086 , Bl. 24–42). – Eine übersichtliche Darstellung des Gesamtkomplexes findet sich bei Henning Köhler: Arbeitsdienst in Deutschland. S. 229–237.

Der Reichsminister des Innern trug den Inhalt der Kabinettsvorlage – Rk. 1151618, Rk. 1190019 – vor. Er betonte, daß ein baldiger Beschluß des Reichskabinetts[94] über das Werkjahr erforderlich sei, wenn es zum 1. April 1933 eingeführt werden solle. Er, der Reichsminister des Innern, wolle möglichst bald mit den in Betracht kommenden Organisationen über die Frage des Werkjahres verhandeln. Auch aus diesem Grunde sei ihm ein baldiger Kabinettsbeschluß dringend erwünscht.

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Vorlage RIM Frhr. v. Gayls vom 24.11.1932 (R 43 I /776 , Bl. 116–125). In ihr wird der Papensche Leitgedanke, den Hochschulzugang vorübergehend zu beschränken, nicht unwesentlich erweitert. Verantwortlich dafür dürfte sein, daß der RIM sich, wie er in einem Begleitschreiben an den StSRkei bekundete, aus der öffentlichen Erörterung des Werkjahr-Planes „bewußt“ herausgehalten habe, um „den weiteren Entschließungen das klare und unverfälschte Bild der öffentlichen Stellungnahme zu Grunde“ zu legen. In der Zwischenzeit hatte er nicht nur mit den für Hochschulfragen zuständigen LandesRegg. Gespräche geführt, sondern auch vertrauliche Kontakte mit Vertretern von Industrie und Handel in dieser Angelegenheit gepflegt (Materialien dazu in: R 11 /412 ). Den Planungsstand faßte er danach wie folgt zusammen: „1. Die Bedeutung des Werkjahres liegt nicht in den Erleichterungen, die es in einem immerhin beachtlichen Maße gegenüber der Überfüllung der Hochschulen und der Verengung des akademischen Lebensraumes bringen wird. Sie liegt vielmehr in seiner Bedeutung für die menschliche und nationale Ertüchtigung unserer studierenden Jugend durch eine Erziehung im Geiste volksverbundener Gemeinschaft, in Zucht und Kameradschaftlichkeit. Das Werkjahr wird daher so anzulegen sein, daß es diese Ziele erreicht.

2. Die Gestaltung des Sommerabschnitts des Werkjahres wird allgemein als verhältnismäßig einfach erkannt, da für diese Zeit der Einsatz der Werkabiturienten im Freiwilligen Arbeitsdienst, im Erntedienst und im Geländesport erprobte und jugendgemäße Beschäftigungsmöglichkeiten gibt.

3. Die Gestaltung des Winterabschnitts wird als sehr viel schwieriger angesehen. Die Möglichkeiten des Sommers fehlen im zweiten Halbjahr. Andere geeignete Beschäftigungen sind jedenfalls in dem erforderten Umfange zunächst nicht vorhanden. Der freie Arbeitsmarkt darf unter den heutigen Verhältnissen nicht aufgesucht werden.“ Als Grundlage für weitere Verhandlungen beantrage er, im Rechnungsjahr 1933 einen Betrag von 11 Mio RM für das Werkjahr bereitzustellen. Bei einer Beschränkung des Planes auf das Sommerhalbjahr seien 4,5 Mio RM erforderlich.

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Gegenüber der Vorlage seines Amtsvorgängers gekürzter und veränderter Entw. RIM Brachts vom 9.12.1932 (R 43 I /776 , Bl. 126 f.). Danach sollte das „Werkjahr“ auf das Sommerhalbjahr beschränkt werden (1. 5. bis 1. 10.). Die Werkabiturienten sollten zunächst in Heimgemeinschaften in den Sinn des Werkjahres eingeführt werden sowie eine „staatspolitische Grundschulung, Berufskunde, Vorgewöhnung für Arbeitsdienst und Wehrsport durch lagermäßige und kameradschaftliche Ordnungsformen, Sport (nicht Wehrsport) und Handarbeit mit einfachem Gerät“ erfahren. Anschließend könnte entweder sofort oder erst nach 6–8wöchiger Absolvierung eines Wehrsportlagers der Übertritt in Lager des FAD für den Rest der Zeit erfolgen. Da es sich bei den Werkjahrspflichtigen nicht um Dienstwillige handele, müßten „die Lager sorgsam ausgewählt und mit festen zielbewußten und geschickten Führern besetzt sein.“ Die Art der Arbeit müsse „so offenbar gemeinnützig sein, daß die Erwartung des Volksdienstes klar und eindeutig dadurch gerechtfertigt“ sei. Körperlich für das Werkjahr untaugliche Abiturienten müßten in öffentlichen oder gemeinnützigen Einrichtungen der Verwaltung oder der Wohlfahrtspflege so beschäftigt werden, „daß dem sozialerzieherischen Sinn des Werkjahres entsprochen“ werde.

Die Einführung eines Werkhalbjahres würde er der Einführung eines ganzen Werkjahres vorziehen. Die Kosten für das Werkhalbjahr beliefen sich auf 4½ Millionen RM. Allerdings sei es schwer möglich, genaue Angaben über die Kosten zu machen, weil greifbare Unterlagen fehlten. Er könne infolgedessen sich nicht dafür verbürgen, daß der Betrag von 4,5 Millionen eingehalten werde.

Im allgemeinen sei der Gedanke eines Werkjahres bzw. Werkhalbjahres in der Öffentlichkeit, insbesondere von den Studenten und den Hochschullehrern, lebhaft begrüßt worden. Wesentliche Bedenken seien im wesentlichen nur von katholischer Seite geäußert worden20.

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Anfang Oktober waren von katholischer Seite „Besorgnisse wegen der Wahrung weltanschaulicher und konfessioneller Belange in der Gestaltung der Arbeitslager“ angemeldet worden. Daher hatte man darum gebeten, „vor der Einführung des Werkjahres auch mit den berufenen Vertretern der Elternschaft und den in Frage kommenden Kreisen der Pädagogik Fühlung zu nehmen“ (Die Katholische Schulorganisation Deutschlands an den RK, 5.10.1932; R 43 I /2086 , Bl. 17 f.). Die Bedenken waren im wesentlichen die gleichen, die man auch gegen konfessionell gemischte Lager des FAD erhoben hatte. Dieser Mitteilung folgte am 11.11.1932 ein auch im Druck verbreiteter Protest der „Freien Reichsarbeitsgemeinschaft von Elternbeiräten an höheren Schulen“. Sie beschwerte sich wegen „ungerechtfertigter Sondermaßnahmen gegen einen Teil der deutschen Jugend“ und gegen die damit verbundene Verlängerung und Verteuerung des Studiums“, die zudem noch eine „überflüssige und gefährliche Unterbrechung der geistigen Ausbildung“ bedeute. Im wesentlichen aber wandte man sich gegen die mit dem Werkjahr verbundenen politisch-pädagogischen Absichten (mit Anschreiben vom 12.11.1932 dem RK übersandt; R 43 I /2086 , Bl. 128–130).

[95] Der Reichsminister der Finanzen wies darauf hin, daß die Frage eines Werkhalbjahres noch viel zu wenig geklärt sei. Es sei nach seiner Ansicht nicht zu verantworten, in dem vielleicht schwersten Etatsjahr 1933 Geld für einen derartigen Versuch auszugeben. Für besonders schwierig halte er die Frage der Beschäftigung der Studenten im Rahmen des Werkjahres.

Nach seiner Ansicht solle man jedenfalls zunächst auf die Einführung eines Werkjahres verzichten und dafür vielleicht den Versuch machen, die Studenten stärker als bisher in den freiwilligen Arbeitsdienst einzubeziehen.

Der Reichsarbeitsminister führte aus, daß er nur die Einführung eines Werkhalbjahres für möglich halte. Wenn allerdings das Werkhalbjahr nicht beschlossen würde, würde die Studentenschaft sehr enttäuscht sein.

Der Reichskanzler führte aus, daß die Jugend die Einführung eines Werkjahres bzw. Werkhalbjahres unbedingt wünsche. Die mit dem Werkjahr in Zusammenhang stehenden Fragen seien jedoch noch nicht restlos geklärt. Am besten sei es, ein Gremium zur Klärung dieser Fragen zu bilden.

Als Ideallösung betrachte er nach wie vor die Einführung eines Milizdienstjahres21.

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Vgl. in diesem Zusammenhang die Einflußnahme des RWeMin. auf die Einrichtung eines „Reichskuratoriums für Jugendertüchtigung“ durch das RIMin. (s. diese Edition: Das Kabinett v. Papen, Ministerbesprechung vom 12.9.1932, P. 5) und das Schreiben des RWeM an den RK vom 17.10.1932, in dem v. Schleicher einen „zwingenden Zusammenhang“ zwischen der „Erziehung der heranwachsenden Jugend“ und „der Sicherstellung der Landesverteidigung durch eine gesunde, leistungsfähige und einsatzbereite junge Mannschaft“ herstellte (R 43 II /519 , Bl. 112–125). Seine Pläne hinsichtlich einer künftigen deutschen Miliz ordnet der RK anläßlich des Neujahrsempfangs der RReg. durch den RPräs. in das Gesamtkonzept seiner Politik wie folgt ein: „In der Abrüstungsfrage ist der Grundsatz der Gleichberechtigung von den Großmächten ausdrücklich anerkannt und der Abrüstungskonferenz die Aufgabe gestellt worden, diesen Grundsatz zu verwirklichen. Wir kehren auf die Konferenz zurück, um eine wahre allgemeine Abrüstung durchzusetzen und uns die gleiche Sicherheit zu verschaffen, die jedes andere Land genießt. Wenn es hierbei gelingt, der deutschen Jugend im Rahmen der Miliz das Recht zu wehrhaftem Staatsdienst wiederzugeben, so wird zugleich ein großer Schritt zum Ausgleich der inneren Gegensätze und zur Herstellung des Friedens in unserem Vaterlande getan sein. Diesen inneren Frieden in Deutschland zu fördern, ist unser vornehmstes Ziel.“ (Entw. der Rede in: Nachl. v. Schleicher , Nr. 23, Bl. 64–67; auszugsweiser Nachdruck u. a. bei Schultheß 1933, S. 1 f.) Er erläutert seine Vorstellungen auch auf einem „Bierabend“, zu dem ihn Studentenschaft und Studentenwerk Anfang 1933 einladen: Die angehenden Akademiker würden als Führer-Kader beim Aufbau der Miliz benötigt. „Der mit den Arbeitslagern verbundene ‚Wehrsport‘ sollte hier eine vormilitärische Ausbildung vermitteln.“ (Reinhold Schairer: Das erste Jahrzehnt des Dt. Studentenwerks 1921–1932. In: Dt. Studentenwerk. Festschrift zum 40jährigen Bestehen. Bonn 1961, S. 61 ff.).

Reichsminister Dr. Popitz machte darauf aufmerksam, daß die Länder in finanzielle Schwierigkeiten geraten würden, wenn sie im nächsten Etatsjahr durch Einführung eines Werkjahres einen Teil der Kolleggelder verlieren würden. Sie gebrauchten diese Gelder für die Unterhaltung der Universitäten.

Das Reichskabinett faßte folgenden Beschluß:

1. Von der Einführung eines Pflichtwerkjahres bzw. Werkhalbjahres für Abiturienten zu Ostern 1933 wird Abstand genommen, da die Voraussetzungen bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht genügend geklärt werden können.

[96] 2. Der Reichsminister des Innern und der Reichsarbeitsminister werden beauftragt, die Frage eines stärkeren Einsatzes der Abiturienten im freiwilligen Arbeitsdienst zusammen mit den beteiligten Stellen weiter zu klären.22

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Entsprechende Verhandlungen werden bis Ende Januar 1933 unter der Leitung des stellvertretenden RKom. für den FAD, Kälin, abgeschlossen. Danach wird es allen Ostern 1933 zur Entlassung kommenden Abiturienten freigestellt, vor ihrem Eintritt in Studium oder Beruf, im Rahmen eines Werkhalbjahres an Arbeitslagern des FAD und Geländesportlehrgängen des Reichskuratoriums für Jugendertüchtigung teilzunehmen (Merkblatt für Abiturienten, hrsg. vom RIM und vom RKom. für den FAD am 28.1.1933; R 43 II /516 , Bl. 10 f.).

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