2.45 (vsc1p): Nr. 45 Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft an den Reichskanzler. 5. Januar 1933

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Nr. 45
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft an den Reichskanzler. 5. Januar 1933

R 43 II /192 , Bl. 16–22

[Kontingentierungspolitik, Beschwerden über den Reichswirtschaftsminister, Rücktrittsdrohung.]

Hochverehrter Herr Reichskanzler!

Mit Ablauf des niederländischen Handelsvertrages am 31. Dezember 1932 konnten gewisse Zollerhöhungen für landwirtschaftliche und gärtnerische Produkte vorgenommen werden1, die in Deutschland überreichlich vorhanden sind und deren Preise durch ausländische Schleuderkonkurrenz bereits auf einen bisher nie dagewesenen Tiefstand herabgedrückt wurden2. Ich hatte daher noch[187] vor Weihnachten eine Zollverordnung vorgelegt, die den Handelspolitischen Ausschuß passiert hatte und die zu ihrer Veröffentlichung nur noch der Unterschrift des Herrn Reichswirtschaftsministers Dr. Warmbold bedurfte3. Herr Warmbold hat seine Unterschrift von der Offenlegung eines Gesamt-Agrarprogramms namentlich hinsichtlich der Zölle abhängig gemacht, das im „Konklave“4 niemals verlangt ist. Er hat die Verordnung, auf die naturgemäß die ganze Landwirtschaft gespannt wartete, bisher nicht gezeichnet. In der unmittelbar vor Weihnachten stattfindenden Kabinettssitzung5 wurde von mir die Vorlage eines Gesamtprogramms für unzweckmäßig erklärt und auch Sie, Herr Reichskanzler, haben dieser Auffassung zugestimmt. Ich mußte daraufhin annehmen, daß die Zeichnung der Vorlage durch Herrn Warmbold erfolgen würde. Sofort nach meiner Rückkehr6 habe ich mir erlaubt, bei Ihnen, Herr Reichskanzler, Vortrag über die Angelegenheit zu halten und ging in dem Glauben fort, die Vorlage werde auf Betreiben der Reichskanzlei von Herrn Dr. Warmbold gezeichnet werden. Nur unter dieser Voraussetzung hatte ich mich auch bereiterklärt, die Kontingentierung der Hartkäseeinfuhr, durch die hauptsächlich Holland und Finnland betroffen werden, auf der Basis von 40% der Vorjahreseinfuhr auf dem Verhandlungswege, also nicht autonom, zu regeln. Dabei hatte ich ausdrücklich hinzugesetzt, daß diese Verhandlungen binnen kürzester Zeit, und nicht etwa erst nach Wochen, beendet sein müßten. Mit dem Angebot, die Kontingentierung der Käseeinfuhr im Verhandlungswege zu versuchen, habe ich mich loyal an das sogenannte Konklave-Abkommen gehalten. Die katastrophale Lage auf dem Buttermarkte gestattet ein Hinzögern dieser Angelegenheit nicht. Ich hatte Sie, Herr Reichskanzler, in dieser Besprechung so verstanden, daß Sie die nötigen Anweisungen zur sofortigen Inangriffnahme dieser Verhandlungen auf der von mir erwähnten Kontingentsbasis erteilen und auch auf die sofortige Unterzeichnung der Zollverordnung hinwirken würden.

1

Nach dem Auslaufen des dt.-niederländischen Zoll- und Kreditvertrages vom 26.11.1925 traten an die Stelle der vereinbarten Vertragszölle die autonomen Sätze des dt. Zolltarifs, die von der RReg. in den letzten Wochen bereits erhöht worden waren bzw., wie nachfolgend ausgeführt, erhöht werden sollten.

2

Auf diese Lage, von der die Holland benachbarte Rheinprovinz anscheinend besonders betroffen war, hatte der Präs. der Vereinigung des Rheinischen Bauernvereins und des Rheinischen Landbundes, v. Lüninck, den RK in einem längeren Schreiben aufmerksam gemacht. Aus ihm ergibt sich, daß die holländische Reg. das ohnehin gespannte Verhältnis zur RReg. offensichtlich zu einer Forcierung der holländischen Agrarausfuhr nach Deutschland benutzte. Lüninck berichtete vor allem von außerordentlichen staatlichen Subventionen für die holländische Landwirtschaft, die in den Stand gesetzt wurde, zu Dumpingpreisen zu exportieren, weil sie die Differenz zwischen hohen Inlandspreisen und niedrigen Exportpreisen aus Haushaltsmitteln und aus dem Aufkommen besonderer Steuern ersetzt bekam. Solche Ausgleichszahlungen werden vor allem für den Schweineexport und die Milchwirtschaft genannt. Lüninck forderte daher mit Nachdruck, „daß am 31. Dezember 1932 die Fesseln des deutsch-niederländischen Handelsvertrages als endgültig gelöst zu betrachten sind“ und eine Vertragsverlängerung „unter keinen Umständen in Betracht gezogen werden darf“ (v. Lüninck an RK, 2.12.1932; R 43 I /1095 , Bl. 63–67).

3

Der REM hatte am 16. 12. beim Handelspolitischen Ausschuß der RReg. die Erhöhung der Zölle für schwächeres Rundholz, Herbstkartoffeln, Weißkohl, Räucherfische und Kasein beantragt. In der Ausschußsitzung vom 21. 12. hatten die Vertreter des AA und des RFMin. diesen Anträgen zugestimmt und der Vertreter des RWiMin. keine grundsätzlichen Bedenken gegen Zollerhöhungen im Interesse der Landwirtschaft erhoben, sich lediglich zu den Zollerhöhungsanträgen für Rundholz, Kartoffeln und Weißkohl die Stellungnahme seines Min. vorbehalten (Mitteilung des REM, i.V. StS Mussehl, an den StSRkei vom 27.12.1932; R 43 I /2427 , Bl. 388–390).

4

Gemeint ist die vom RK in der Ministerbesprechung vom 3.12.1932 angeregte Aussprache zwischen dem REM und dem RWiM, die zu einer Einigung in der Kontingentierungsfrage führen sollte (vgl. Dok. Nr. 1, Anm. 5).

5

Einzelheiten s. Dok. Nr. 33, P. 2.

6

Frhr. v. Braun war am 29.12.1932 vorzeitig aus seinem Weihnachtsurlaub nach Berlin zurückgekehrt.

Soeben erhalte ich von Herrn Ministerialdirektor Streil, Mitglied des Handelspolitischen Ausschusses, die aus der Anlage ersichtliche Aktennotiz über die Sitzung des Handelspolitischen Ausschusses vom 3. Januar d.J.

Die darin durch Herrn Posse zum Ausdruck gebrachten Anschauungen des Herrn Reichsministers Dr. Warmbold, insbesondere daß dieser sich <an das Konklave nicht mehr gebunden halte>7, werfen alle bisherigen Verabredungen[188] über den Haufen und zerstören auch jede Möglichkeit, in einem solchen hinhaltenden Verfahren die Interessen der Landwirtschaft genügend zu wahren. Es ist dasselbe hinhaltende Verfahren, das die Landwirtschaft in den letzten Monaten immer tiefer in das Unglück hineingebracht hat, ein Verfahren, das ich nicht mit meiner Verantwortung decken zu können glaube.

7

<…> Unterstreichung und Ausrufungszeichen am Rand in grün, d. h. von der Hand des RK.

Bei den Kontingentierungsverhandlungen ist die Landwirtschaft seinerzeit auf autonome Zölle vertröstet8 und wenn nun die Möglichkeit gegeben wird, solche Zölle in ausreichendem Maße festzusetzen, sollen ganze Gebiete der Landwirtschaft von diesen Vorteilen ausgeschlossen und den Interessen der Exportindustrie zum Opfer gebracht werden. Das gilt nicht etwa nur von gärtnerischen Produkten, sondern wird im Laufe der Verhandlungen zweifellos auch auf die jenigen Produkte ausgedehnt werden, die das Rückgrat der kleinbäuerlichen Landwirtschaft sind.

8

Zum Gesamtzusammenhang vgl. Dok. Nr. 20.

Während der ganzen Dauer meiner Zugehörigkeit zum Reichskabinett habe ich es als meine Hauptaufgabe betrachtet, gerade der bisher vernachlässigten kleinbäuerlichen Veredlungswirtschaft zu helfen. Ich bin mir dabei stets völlig bewußt gewesen, und habe dies auch öffentlich bei jeder Gelegenheit betont, daß die Kaufkraft der stätischen Bevölkerung von entscheidender Wirkung auf die Absatzmöglichkeiten und die Preise der landwirtschaftlichen Produkte sei. „Arbeiternot ist Bauerntod“. Aber es ist ebenso sicher, daß die Verringerung der Kaufkraft der Bauern das gesamte Handwerk sowie einen erheblichen Teil der Industrie und damit auch der städtischen Bevölkerung in Not bringt. „Hat der Bauer Geld, hat’s die ganze Welt“. Die Kaufkrafttheorie hat daher eine doppelte Seite.

Ich behaupte ferner, daß alle Siedlungspläne solange Spiegelfechterei bleiben, wie man den Siedlern keine Verdienstmöglichkeiten gibt, die bekanntlich in der Erzeugung der Veredlungsprodukte liegen. Alle im Arbeitsbeschaffungsprogramm vorgesehenen Meliorationen werden sinnlos. Die ungeheuren Summen, die für die Erhaltung des Ostens ausgegeben sind, die für die Genossenschaftssanierung noch notwendig werden, sie alle wären unnütz vertan. – Die Verzweiflung in der Landwirtschaft sucht sich in radikalistischen Strömungen aller Art Luft zu schaffen.

Man ist, wie sich aus den Ausführungen des Ministerialdirektors Posse in anliegender Aktennotiz ergibt, bereit, ganze Zweige der Landwirtschaft für die Exportindustrie zu opfern und berührt mit keinem Wort z. B. die Tatsache, daß eine Verminderung des Milchpreises um 1 Pfg. pro Liter eine Mindereinnahme der deutschen Landwirtschaft von 230 Millionen RM im Jahre ausmacht. Der Sturz der Butterpreise in den Weihnachtstagen, der nicht zuletzt auf die Absperrung anderer Länder gegen Buttereinfuhren zurückzuführen ist (Ottawa)9, bedeutet auf das ganze Jahr und die gesamte Milcherzeugung umgerechnet, eine[189] Mindereinnahme der deutschen Landwirtschaft von rd. 268 Millionen RM. Legt man den Vorkriegspreis zugrunde, so ergibt sich eine Mindereinnahme von über 500 Millionen RM, das sind etwa 5/6 der gesamten Zinslast, die zurzeit auf der Landwirtschaft ruht.

9

Auf der Empire-Konferenz in Ottawa (21. 7. – 20.8.1932) waren den Dominien generelle Präferenzzölle im Handelsverkehr mit Großbritannien zugestanden worden, die für den Handel nach beiden Seiten gelten sollten. Gleichzeitig war ihnen gestattet worden, für Einfuhren aus Drittländern das Zollniveau anzuheben (Schultheß 1932, S. 373).

Wenn die einmal getroffenen Vereinbarungen von der Gegenseite nicht eingehalten werden und die Landwirtschaft nicht in die Lage versetzt wird, von den jetzigen Möglichkeiten eines Schutzes vor der Überflutung aus dem Auslande genügenden Gebrauch zu machen, bin ich, Herr Reichskanzler, zu meinem Bedauern nicht in der Lage, die Verantwortung weiter zu tragen. Ich würde mich im anderen Falle mitschuldig machen an einer Entwicklung, die ich klar vor mir sehe und die ins Unglück führen muß.

Ich bitte daher, unverzüglich eine volle Klärung der Lage persönlich herbeizuführen. Sollte eine solche nicht zustandekommen, so stelle ich für diesen Fall schon jetzt mein Amt zur Verfügung.10

10

Am Rand doppeltes Ausrufungszeichen in grün und am Kopf des Briefes hschr. Vermerk des RK vom 6.1.1933: „Besprechung mit beiden Ministern“, darunter von gleicher Hand: „erl[edigt]“. Über Inhalt und Ergebnis dieser Besprechung konnten Einzelheiten nicht ermittelt werden. – Zur weiteren Behandlung der Angelegenheit s. Dok. Nr. 59, P. 2.

Mit dem Ausdruck meiner besonderen Hochachtung bin ich, hochverehrter Herr Reichskanzler,

Ihr

Ihnen sehr ergebener

Frhr. Braun

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