2.25 (vsc1p): Nr. 25 Rundfunkrede des Reichskanzlers vom 15. Dezember 1932

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Nr. 25
Rundfunkrede des Reichskanzlers vom 15. Dezember 1932

R 43 I /1504 , Bl. 96–1011

1

Der Abdruck der über alle dt. Rundfunksender verbreiteten Rede (Tonaufnahme im Dt. Rundfunkarchiv, Frankfurt a. M., Nr. C 869) folgt dem zu den Akten genommenen WTB-Bericht Nr. 2679 vom 15.12.1932; eine andere Überlieferungsform existiert in den Akten der Rkei nicht. Zeitgenössische Wiedergaben in der Tagespresse bzw. als Sonderdruck der Reichszentrale für Heimatdienst: Das Programm der Regierung Schleicher. Berlin 1932; spätere Nachdrucke an verschiedenen Orten, meist nur auszugsweise, z. B. Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1931.

[Regierungsprogramm2.]

2

Entgegen seiner Ankündigung in der Ministerbesprechung vom 3. 12. (Dok. Nr. 1) unterbreitete RK v. Schleicher dem neugewählten RT keine Regierungserklärung. Angesichts der für ihn noch nicht endgültig entschiedenen Frage der Zusammensetzung der RReg. und ihrer eventuellen parlamentarischen Absicherung vermied er es, sich selbst dem RT zu stellen oder einzelne Regierungsmitglieder der ersten RT-Sitzungsperiode vom 6. bis 9. 12. beiwohnen zu lassen. Die Anträge des kommunistischen Abg. Torgler, der „Schleicher-Regierung (als) eine(r) neue(n) verschärfte(n) Form der faschistischen Diktatur gegen die Arbeiterklasse“ das Mißtrauen auszusprechen, und des sozialdemokr. Abg. Breitscheid, die RReg. zur sofortigen Abgabe einer Regierungserklärung zu veranlassen, scheiterten bereits im parlamentarischen Vorfeld, indem sich der RT mehrheitlich weigerte, diese Anträge auf die TO zu setzen (RT-Bd. 455, S. 17 ). Nachdem das Problem einer Konfrontation RTRReg. durch die unbefristete Vertagung des RT vorerst suspendiert worden war, hatte der RK die Kabinettsmitglieder aufgefordert, ihm bis zum Nachmittag des 10. 12. Ressortbeiträge für eine in Aussicht genommene Programmrede zuzustellen (R 43 I /1504 , Bl. 6). Sammlung der Beiträge ebd., passim; weitere Materialien dazu in: Nachl. v. Schleicher , Nr. 23, darunter Teile eines mehrfach redigierten Rede-Entwurfs, S. 13–33.

Reichskanzler von Schleicher hielt heute im Rundfunk eine programmatische Rede, die über alle deutschen Sender verbreitet wurde. Der Reichskanzler führte aus:

[102] Meine Damen und Herren,

gestatten Sie mir zunächst einige persönliche Bemerkungen:

Der General Litzmann hat als Alterspräsident im Reichstage, also in einem Augenblick, in dem er nur seiner eigenen Disziplin, seinem eigenen Gewissen unterstand, Bemerkungen über den Herrn Reichspräsidenten gemacht, die auf das Schärfste zurückgewiesen werden müssen3. Wenn auch die historische Persönlichkeit des Herrn Reichspräsidenten weit über derartigen Angriffen steht, so bleibt es doch tief bedauerlich, daß ein angesehener General des Weltkrieges mit diesen Angriffen nicht nur gegen das Staatsoberhaupt, sondern auch gegen den alten Kameraden und seinen großen Führer im Weltkriege Stellung genommen hat. Dies hier zum Ausdruck zu bringen, ist mir Pflicht und Bedürfnis, sowohl als Reichskanzler wie als Soldat.

3

Der Nationalsozialist Gen. a.D. Litzmann unterstellte in seiner Eröffnungsrede, daß Hindenburg den Feldmarschallstab in erster Linie dem erfolgreichen Einsatz der von Litzmann geführten 3. Garde-Infanteriedivision bei der Schlacht um Lodz im November 1914 verdanke, und kritisierte, daß der RPräs. in einem „Scheingefecht“ durch Aufstellung unerfüllbarer Bedingungen Hitler „als Führer der stärksten politischen Bewegung“ von der Übernahme der Regierungsgeschäfte ferngehalten habe (RT-Bd. 455, S. 1  f.).

Ich habe gegen die Annahme des Kanzleramtes die allerschwersten Bedenken gehabt. Einmal, weil ich nicht der Nachfolger meines Freundes Papen, dieses Ritters ohne Furcht und Tadel, sein wollte4, dessen vom reinsten Wollen und hoher Vaterlandsliebe getragenes Wirken erst eine spätere Zeit voll anerkennen wird, vor allen Dingen aber deshalb, weil der Wehrminister als Reichskanzler nach Militär-Diktatur riecht, und weil die Gefahr nicht von der Hand zu weisen ist, daß durch eine Verbindung dieser beiden Ämter die Wehrmacht zu stark in die Politik gezogen werden könnte. Nur die Überlegung, daß eine solche Maßnahme den Ernst der Situation so scharf kennzeichnen und auf gewisse Unruhestifter so abkühlend wirken würde, daß dadurch der tatsächliche Einsatz der Wehrmacht verhindert werden kann, hat mich zur Zurückstellung meiner Bedenken veranlaßt.5 Ich möchte deshalb heute auch an alle Volksgenossen die Bitte richten, in mir nicht nur den Soldaten, sondern den überparteilichen Sachwalter der Interessen aller Bevölkerungsschichten für eine hoffentlich nur kurze Notzeit zu sehen, der nicht gekommen ist, das Schwert zu bringen, sondern den Frieden. Ich glaube das hier um so mehr sagen zu dürfen, als meine Ansichten über Militär-Diktatur nicht erst von heute sind[103] und allgemein bekannt sein dürften. Ich habe es schon verschiedentlich zum Ausdruck gebracht und wiederhole es heute: Es sitzt sich schlecht auf der Spitze der Bajonette, d. h. man kann auf die Dauer nicht ohne eine breite Volksstimmung hinter sich regieren. Diese Stimmung in den breiten Schichten der Bevölkerung wird sich aber gerade eine Regierung wie die von mir geführte erst durch ihre Taten erwerben müssen, und ich gebe mich über die Schwere dieser Aufgabe keiner Illusion hin. Zunächst werde ich schon zufrieden sein, wenn die Volksvertretung, der ich für diese Zeit gern eine starke Dosis gesunden Mißtrauens zubillige, <der Regierung ohne Hineinreden und ohne die hinlänglich bekannten parlamentarischen Methoden>6 Gelegenheit gibt, ihr Programm durchzuführen. Dieses Programm besteht aus einem einzigen Punkt: „Arbeit schaffen!“ Alle Maßnahmen, die die Reichsregierung in den nächsten Monaten durchführen wird, werden mehr oder weniger diesem einen Ziel dienen. Ich habe mich in den letzten Wochen auf Fahrten durch die deutschen Lande davon überzeugen können, daß den Deutschen aller Stände ausschließlich der eine Gedanke beherrscht: „Gebt uns Arbeit und damit die Hoffnung zum wirtschaftlichen Wiederaufstieg!“ Alles andere interessiert uns nicht, am wenigsten Verfassungsänderungen und sonstige schöne Dinge, von denen wir nicht satt werden. In unserem Volke lebt ein Schaffensdrang, der durch keine Enttäuschungen umzubringen ist, und in allen Bevölkerungsschichten kämpft man mit demselben Mut und derselben verbissenen Zähigkeit wie im Kriege heute gegen die schweren wirtschaftlichen Nöte unserer Zeit. Das ist höchster Bewunderung wert, und gerade deshalb muß es unabhängig von allen wirtschaftlichen und sonstigen Gründen oberstes Gesetz jeder Staatsführung sein, diesen Kampf und dieses Streben zu unterstützen und einer Verzweiflungs- und Katastrophen-Stimmung vorzubeugen. Das aber ist nur zu erreichen, wenn man bei der Arbeitsbeschaffung neben den wirtschaftlichen auch psychologische Gesichtspunkte zur Geltung kommen läßt. Sicher ist zum Beispiel der Gesichtspunkt richtig, daß die Arbeitslosigkeit auf die Dauer nur durch die Wiederbelebung der Wirtschaft bekämpft werden kann. Aber Menschen, die der Verzweiflung nahe sind, kann man mit Auseinandersetzungen darüber nicht trösten, daß nach den Gesetzen wirtschaftlicher Vernunft auf jedes wirtschaftliche Tief ein Hoch zu folgen pflege. Sie wollen alsbaldige tatsächliche Hilfe sehen. Deshalb muß man rechtzeitig Dämme einbauen, damit die Fluten nicht über uns weggegangen sind, bevor die wirtschaftliche Erholung sichtbar wird, auch wenn diese Dämme nicht 100-prozentig den strengsten Gesetzen der wirtschaftlichen Vernunft entsprechen. Ich habe deswegen dem Herrn Reichspräsidenten die Ernennung eines Reichskommissars für Arbeitsbeschaffung vorgeschlagen7. Seine Aufgabe wird es sein, jeder Arbeitsmöglichkeit nachzuspüren, ein großzügiges Arbeitsbeschaffungsprogramm aufzustellen und seine Durchführung zu überwachen, wobei er bürokratischen und sonstigen Hemmungen gegenüber die Rolle des Schäferhundes übernehmen muß. Fraglos ist eine solche Arbeitsbeschaffung[104] volkswirtschaftlich betrachtet mit größeren Risiken behaftet, als eine auf natürlichem Wege eintretende Arbeitsvermehrung. Luxus-Aufwendungen scheiden daher aus dem Arbeitsbeschaffungsprogramm vollkommen aus. Das Programm muß in erster Linie auf die Instandsetzung der vorhandenen Produktionsgüter und auf ihre Verbesserung abgestellt werden, und die Vergebung der Arbeiten an Unternehmer ist der Ausführung in eigener Regie vorzuziehen. Außerdem wird sichergestellt werden, daß die bereitgestellten Geldmittel ausschließlich für die Finanzierung dieser Arbeiten verwendet werden. Entscheidend wichtig war es, daß für diese Finanzierung eine Lösung gefunden wurde, die jede Inflation vollkommen ausschließt. Dafür bietet die Mitarbeit des Reichsbankpräsidenten Luther, den man wohl als den Gralshüter der Währung bezeichnen darf, die sicherste Garantie, ebenso wie es für eine allmähliche Besserung der immer noch recht gespannten Finanzlage des Reiches keine bessere Garantie gibt, als das berechtigte Vertrauen, das dem derzeitigen Reichsfinanzminister aus allen Kreisen des In- und Auslandes entgegen gebracht wird. In kurzen Sätzen kann man diese Finanzlage folgendermaßen charakterisieren:

4

Am 14. 12. hatte StS Meissner im Auftrag des RPräs. bei StS Planck angeregt, daß der RK „in seiner morgigen Rundfunkrede von sich aus gegen die Behauptung, er sei gegen Herrn von Papen und seine Maßnahmen, Stellung nimmt“. Beigefügt waren die Titelseiten des „Völkischen Beobachter“ vom 14.12.1932 mit einer Notiz u.d.T. „Schleicher baut Papen ab“ sowie der „Berliner Börsenzeitung“ vom gleichen Tag mit einem ungezeichneten Leitartikel u.d.T. „Was wird Schleicher tun?“, in dem der RK aufgefordert wurde, sich zu keiner bestimmten Wirtschaftsform zu bekennen, da man mit Plänen und Theorien bereits genug überschwemmt worden sei (R 43 I /1504 , Bl. 93–95).

5

In dem in Anm. 2 zit. Rede-Entw. folgt hier: „Ich beabsichtige aber, das Kanzleramt in die Hände des Herrn Reichspräsidenten zurückzulegen, sowie wir in Deutschland wieder in einigermaßen normale Bahnen einlenken.“ Dazu folgender Randvermerk – wahrscheinlich von Marcks –: „Oho! Das würde ich nicht sagen. Es wirkt beunruhigend auf alle, die uns wohlwollen und etwas von uns erhoffen. Der Ausblick ins Ungewisse kann m.E. nur schaden.“ (A.a.O., S. 13).

6

Der durch <…> gekennzeichnete Zusatz ist vom RK hschr. als Randvermerk in das in Anm. 2 zit. Konzept eingefügt worden (a.a.O., S. 14).

7

RKom. Gereke. – Einzelheiten dazu s. Dok. Nr. 15.

1. Wir werden im laufenden Etatsjahr im Reiche ohne neue Steuern und ohne weitere Kürzungen der Personalausgaben durchkommen, was immerhin einen erheblichen Fortschritt gegen die beiden letzten Krisenjahre bedeutet.

2. Das Reich hilft Ländern und Gemeinden, deren finanzielle Verhältnisse zum Teil sehr schwierig liegen, durch organisatorische und finanzielle Maßnahmen.

Mit der Frage der Arbeitsbeschaffung hängt die Siedlung eng zusammen. Über die Notwendigkeit zu siedeln, und zwar so schnell und so viel wie möglich, sind wir uns alle einig. Aber wir wollen uns nichts vormachen. Mit dem Vollbringen des Guten hat es bislang arg gehapert. Ich will die Gründe dafür nicht untersuchen; aber die vielen, die den verlorenen Krieg dafür verantwortlich machen wollen, möchte ich doch darauf hinweisen, daß der große König nach einem siebenjährigen Kriege, der an Preußen beispiellose wirtschaftliche Anforderungen gestellt hatte, in kurzer Zeit blühende Provinzen durch Siedlung geschaffen hat. Gerade auch als Wehrminister muß ich auf die Besiedlung unserer Ostmark den größten Wert legen. Denn letzten Endes sind es noch immer die Menschen auf eigener Scholle gewesen, die den besten Grenzwall gegen das Vordringen fremden Volkstums abgeben. Um in der Siedlungsfrage zukünftig schneller vorwärts zu kommen, ist innerhalb des Reichskabinetts dem Reichskanzler und in seiner Vertretung dem Reichskommissar für die Arbeitsbeschaffung, ein besonderer Einfluß auf das Siedlungswesen eingeräumt8.

8

Einzelheiten dazu s. Dok. Nr. 24, Anm. 16 und Dok. Nr. 40.

Für das Jahr 1933 sind zunächst 50 Millionen RM für die Siedlungen im Haushaltsplan bereitgestellt worden und weitere 50 Millionen werden unter Mitwirkung der Reichsbank vorfinanziert. In den Landbezirken Ostpreußen, Grenzmark, Pommern und Mecklenburg wird der Siedlung folgendes Land zugeführt werden:

in Ostpreußen etwa

800 000 Morgen9

in der Grenzmark etwa

100 000 Morgen

in Pommern etwa

280 000 Morgen

in beiden Mecklenburg etwa

120 000 Morgen.

9

Zahlenangabe fehlerhaft. Der Redetext folgt unter starker Verkürzung sinngemäß einer Vorlage des MinDir. Reichard über Siedlungsfragen, in der es hierzu heißt: „Die Überführung der Güter, die im Osthilfeverfahren nicht zu entschulden sind, in die landwirtschaftliche Siedlung ist sichergestellt. In den Landstellenbezirken […] werden zunächst der Siedlung zugeführt werden: in Ostpreußen etwa 80.000 Mrg. […].“ (R 43 I /1504 , Bl. 67–86). – Gegen die irrtümlich überzeichnete Ankündigung des RK, große Gebiete aus den Osthilfeverfahren als nicht sanierungsfähig zu entlassen, protestierte der Dt. Landwirtschaftsrat in einem Schreiben an den RK vom 21.12.1932 in scharfer Form (R 43 I /1287 , Bl. 347–352).

Es ist damit zu rechnen, daß sich diese Zahlen in der weiteren Abwicklung des Osthilfeverfahrens, die aufs äußerste beschleunigt werden wird, noch sehr erheblich erhöhen werden. Das sind gewiß erfreuliche Zahlen, aber man darf nicht die Augen davor verschließen, daß jeder Siedlung, der alten wie der neuen, durch die Entwicklung der deutschen Agrarwirtschaft, insbesondere durch den Tiefstand der Preise der Veredelungsprodukte ernste Gefahren drohen. Die Reichsregierung hat bereits durch den Rentensenkungserlaß10 geholfen und wird durch weitere Maßnahmen die Notlage der Siedler zu lindern versuchen.

10

Nach eingehenden Ressortberatungen und zwei Ministerbesprechungen vom 23. 9. hatte REM Frhr. v. Braun am 7.10.1932 in Breslau öffentlich angekündigt, daß die RReg. beabsichtige, die Jahreszinsleistungen sämtlicher mit Reichskrediten oder mit Drittmitteln auf Veranlassung des Reichs oder Preußens angesetzter landwirtschaftlicher Siedler für die Dauer von zwei Jahren von 5 auf 3,5% herabzusetzen. Ein entsprechender Erlaß des REM war am 6.12.1932 in Kraft gesetzt worden (R 43 I /1287 , Bl. 319–322). – Weitere Materialien dazu in: R 2  /13645  und 13646 .

<Der tiefere Grund für die Not Deutschlands und der Welt liegt darin, daß zuviel Menschen die Verbindung mit dem Boden verloren haben, in Großstädten zusammengeballt leben und damit von jeder Wirtschaftsveränderung stärker getroffen werden als der Mann auf eigener Scholle. Es wird der Arbeit einer Generation bedürfen, die Fehler dieser Entwicklung auszugleichen.

Aber gerade deshalb muß schon heute die Wirtschaftspolitik über die augenblicklichen Notmaßnahmen hinaus die Grundlagen für eine solche Entwicklung schaffen und festhalten.

Das bedeutet in erster Linie die stärkere Ausnutzung unseres dünn bevölkerten Ostens im Sinne der inneren Kolonisation Friedrichs des Großen.

In zweiter Linie erfordert es ein Auflockern der Großstädte und ein Seßhaftmachen eines möglichst großen Teiles auch der städtischen Arbeiterschaft im Sinne südwestdeutscher Bevölkerungsstruktur.>11

11

Der durch <…> gekennzeichnete Teil ist noch am 15. 12. auf Antrag Holtzendorffs unverändert in den in Anm. 2 zit. Rede-Entw. eingefügt worden (s. dazu Nachl. v. Schleicher , Nr. 23, S. 15).

Es liegt auf der Hand, daß alle diese Probleme aufs engste mit der Frage unserer Gesamt-Wirtschaftsführung verbunden sind, ein Gebiet, auf dem die Meinungen sogenannter Sachverständiger und Wirtschaftler besonders scharf aufeinanderprallen. Für den Chef einer Regierung wird es nicht immer ganz[106] leicht sein, aus dem Wirrwarr der verschiedenen Ansichten eine Lösung zu finden, die nach Möglichkeit allen Berufsständen gerecht wird. Ich habe dazu das Mittel angewandt, den Herren Reichswirtschafts- und Reichsernährungsminister – die Herren mögen mir diese Indiskretion verzeihen –, die beide ganz hervorragende Sachkenner und Verfechter ihrer Ansichten sind, in ein Konklave zu schließen, um die richtige Mittellinie zu finden12. Aus der Tatsache, daß die beiden Herren heute friedlich und arbeitsfreudig im Kabinett zusammensitzen, können sie den Erfolg dieses Verfahrens ersehen. Worin liegen eigentlich die Hauptschwierigkeiten, zu vernünftigen Lösungen zu kommen? <Nicht so sehr in der gegensätzlichen Meinung über die zu ergreifenden Mittel, sondern in dem Nichtwegkommen von gewissen Dogmen und Glaubensbekenntnissen. Ich bin ketzerisch genug, einzugestehen, daß ich weder ein Anhänger des Kapitalismus noch des Sozialismus bin, daß für mich Begriffe wie „Privat- oder Planwirtschaft“ ihre Schrecken verloren haben, ganz einfach, weil es diese Begriffe in absoluter Reinheit im Wirtschaftsleben gar nicht mehr gibt, auch gar nicht mehr geben kann. Und deshalb vertrete ich den Standpunkt, man soll in der Wirtschaft das tun, was im gegebenen Moment vernünftig ist und aller Wahrscheinlichkeit nach zu den besten Resultaten für Volk und Land führt, und sich nicht eines Dogmas wegen die Köpfe einschlagen.>13 In diesem Sinne hält die Reichsregierung zur Zeit folgende wirtschaftlichen Richtlinien für vernünftig, was nicht ausschließt, daß nach Jahr und Tag die Situation andere Maßnahmen erfordert. Es gilt, den erfreulich hohen Stand der Erzeugung an Nahrungsmitteln zu erhalten und der Landwirtschaft gesunde Erzeugungsbedingungen zu verschaffen. Die Arbeitslosigkeit kann auf die Dauer nur vermindert werden, wenn es gelingt, den Umfang der gewerblichen und industriellen Tätigkeit erheblich zu verbreitern. Die Regierung wird daher nach wie vor ihr Augenmerk in erster Linie auf eine Belebung des Binnenmarktes richten, der die stärksten Schrumpfungen aufweist. Sie ist sich aber darüber klar, daß auch die größte Belebung des Binnenmarktes nicht ausreicht, um für Brot und Arbeit zu sorgen. Vom Binnenmarkt allein aus wird es nicht möglich sein, im eigenen Lande genügend Arbeitsmöglichkeiten bereitzustellen. Wir müssen vielmehr für einen erheblichen Teil unserer Bevölkerung Beschäftigung dadurch schaffen, daß wir Waren für das Ausland erzeugen. Unsere Wirtschaft kann nur gedeihen, wenn wir nebeneinander sowohl die Nutzung des heimischen Bodens wie auch die gewerbliche Tätigkeit für den Inlandsmarkt und schließlich den Warenaustausch mit dem Auslande im zweckmäßigen Verhältnis zueinander pflegen. Von dieser Grundeinstellung aus hat die frühere Regierung ihr bekanntes Wirtschaftsprogramm aufgebaut. Dieses Wirtschaftsprogramm hält auch[107] die gegenwärtige Regierung in seinen wesentlichen Teilen für eine geeignete Grundlage zur Lösung der wirtschaftlichen Entwicklung. Sie ist davon überzeugt, daß dieses Programm dazu beigetragen hat, die wenn auch zunächst noch bescheidene Verbesserung unserer wirtschaftlichen Lage herbeizuführen, wie sie sich in den Ziffern über die Belebung der gewerblichen Produktion, die Zunahme des Verkehrs und den relativen Rückgang der Arbeitslosigkeit kennzeichnet. Sie ist sich aber ebenso darüber klar, daß es noch einer größeren Zeitspanne als der bisher vergangenen bedarf, um die vollen Auswirkungen jenes Programms festzustellen. Das gilt umso mehr, als wichtige Teile dieses Programms wie z. B. die Steuergutscheine und die Beschäftigungsprämien erst zu einem geringen Bruchteil oder noch gar nicht in Wirkung treten konnten. Auch die Durchführung der öffentlichen Arbeitsbeschaffung, jenes Programms von etwa 1 Milliarde Reichsmark, hat zwar begonnen, doch wird sie in ihrer vollen Wirkung erst nach mehreren Monaten in Erscheinung treten. Darüber hinaus wird die Reichsregierung die öffentliche Arbeitsbeschaffung noch erheblich erweitern, wie ich schon des näheren ausgeführt habe.

12

Einzelheiten dazu s. Dok. Nr. 1, Anm. 5.

13

Der in <…> gesetzte Teil basiert ebenso wie der folgende Abschnitt auf dem Beitrag des RWiM zur Kanzlerrede, geht aber inhaltlich durch seine Akzentuierung und Zuspitzung über die Vorlage hinaus. Die Vorlage lautet im ersten Abschnitt: „Auch in der praktischen Wirtschaftspolitik kann ich mir keinen Nutzen davon versprechen, wenn in der Öffentlichkeit die Probleme nach dogmatischen Auffassungen behandelt werden. Auch hier gilt es, frei von allen vorgefaßten Meinungen und ungehindert durch Schlagworte das zu tun, was in der gegebenen Lage das Nützlichste ist und dem Wohl des Ganzen am meisten dient.“ (R 43 I /1504 , Bl. 41–43).

Traditionsgemäß besteht zwischen den Soldaten und der landwirtschaftlichen Bevölkerung ein ganz besonderes Verhältnis, und sie werden es deshalb verstehen, wenn ich auch als Reichskanzler bemüht sein werde, den Nöten der Landwirtschaft so weit als möglich abzuhelfen.

<Nach wie vor besteht ein Mißverhältnis zwischen den überhöhten Produktionskosten der Landwirtschaft und den Preisen der landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Hier muß ein Ausgleich geschaffen werden.

Zu diesem Zwecke ist es unerläßlich, dem vom Weltmarkt ausgehenden Druck auf die Preise der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, insbesondere der Vieh- und Milchwirtschaft, des Gartenbaues und der Forstwirtschaft, möglichst schnell und wirksam entgegenzutreten.

Die Reichsregierung wird bei dem Aufbau dieses Schutzes die von den vorhergehenden Regierungen eingeleiteten Maßnahmen fortsetzen und ausbauen. Sobald hier die handelspolitischen Schwierigkeiten fortfallen und wesentliche Erleichterungen eintreten, wird die Reichsregierung von ihrer Zollautonomie im Interesse der Landwirtschaft in dem erforderlichen Ausmaße Gebrauch machen. Außerdem wird sie der übermäßigen Einfuhr einzelner Waren auf dem handelspolitisch jeweils geeigneten Wege entgegenwirken.

Der Schutz der Landwirtschaft gegen Störungen vom Weltmarkte muß durch innerwirtschaftliche Maßnahmen ergänzt werden. Es muß insbesondere dem für die Vieh- und Milchwirtschaft entscheidenden Fettproblem besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.>14

14

Die in <…> gesetzten Abschnitte sind ursprünglich einem längeren Beitrag des REM zur Kanzlerrede entnommen. Der Text hatte auf Veranlassung des StSRkei auch dem RWiM vorgelegen, der gerade die ausgewählten Abschnitte eigenhändig mehreren Korrekturen unterzog, die allesamt in der Rede berücksichtigt wurden: Neben stilistischen Glättungen ging es um die Streichung eines „sachlich unzutreffenden“ Satzes im zweiten Abschnitt, die Neufassung des dritten Abschnitts, da „die Originalfassung die Gefahr mit sich bringt, die gegenwärtig in Berlin stattfindenden handelspolitischen Verhandlungen mit Frankreich erheblich zu erschweren“, sowie die Abschwächung des vierten Abschnitts, weil bislang ungeklärt sei, wie man das Fettproblem lösen wolle (Der RWiM an den RK, 14.12.1932; R 43 I /1504 , Bl. 44–47). – Grundsätzlich hatte sich v. Braun, nachdem er durch Vermittlung von RJM Gürtner mit den vom bayer. StR Schäffer vorgetragenen Sorgen der bayer. Landwirtschaft und dem Vorschlag einer Subventionierungsaktion analog zum Osthilfeprogramm konfrontiert worden war (Schäffer an Gürtner, 6.12.1932; R 22 /4133 ), wie folgt geäußert: „Nach den Erfahrungen, die wir bisher gemacht haben, würde ich niemals wieder eine individuelle Umschuldung in Form der Osthilfe wiederholen. Sie erfordert einen außerordentlichen Behördenapparat, unterliegt daher der Gefahr einer Verbürokratisierung, kostet sehr viel Geld und kann so lange niemals das Richtige treffen, als die Grundlage der Landwirtschaft, nämlich die sichere Rentabilität des Betriebes an sich nicht gewährleistet ist. Jede solche Osthilfe baut daher so lange auf Sand, als das Gleichgewicht zwischen der Getreidewirtschaft und der Veredelungsproduktion nicht hergestellt ist. Die sogenannten Zinsleistungsgrenzen werden auf Grund von Taxen und Rentabilitätsberechnungen des Betriebes aufgestellt, die in dem Augenblick über den Haufen geworfen werden, in dem die Vieh- oder Getreidepreise unter eine bestimmte Grenze absacken. Also Hand fort von einer solchen Südhilfe. Ich kann immer nur das wiederholen, was ich schon so oft gesagt habe, wir müssen uns in der Vieh- und Holzwirtschaft von dem Auslande in ähnlicher Weise lösen, wie das beim Getreide geschehen ist. Daß man das eine vor dem anderen und nicht gleichzeitig gemacht hat, ist der große Fehler, an dem wir kranken und der nunmehr dazu führt, daß durch Überproduktion beim Vieh die Rückkehr zur Getreidewirtschaft erfolgt. Geht die Entwicklung so weiter, so ist eine Überproduktion an Getreide nur noch eine Frage der Zeit.“ (v. Braun an Gürtner, 12.12.1932; ebd.)

[108] Die Reichsregierung wird sich noch vor Weihnachten mit den zur Durchführung dieser Grundsätze nötigen Maßnahmen beschäftigen, weil ich der Auffassung bin, daß alle noch so schönen wirtschaftlichen Aufbaupläne zunichte werden müssen, wenn es nicht gelingt, in Deutschland wieder eine gesunde Landwirtschaft herzustellen.

Ihr ganz besonderes Augenmerk wird die Reichsregierung auf die Beseitigung der Vermischung von Staats- und Privatwirtschaft richten. Es geht nicht an, daß gerade Unternehmungen alle Vorteile der Privatwirtschaft genießen wollen, alle Nachteile aber, vor allen Dingen also das Risiko, auf den Staat abwälzen. Für Betriebe, die in irgendeiner Form mit Staatsgeldern arbeiten, dürfen in Zukunft nur die Grundsätze für Staatsbetriebe Geltung haben. Jede andere Regelung bedeutet eine nicht zu rechtfertigende Bevorzugung Einzelner auf Kosten der Allgemeinheit. Mit besonderer Freude habe ich festgestellt, daß der Vorsitzende des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, Dr. Krupp von Bohlen und Halbach, in seiner gestrigen programmatischen Rede15 die gleichen Gedankengänge zum Ausdruck bringt, wenn er u. a. sagt: „Wir müssen alle einen Strich ziehen unter das böse Kapitel der Subventions-Wirtschaft. Der Reichsverband hat wiederholt in eingehender Form gegen die Fortsetzung der Subventions-Wirtschaft, gegen jede „Sozialisierung der Verluste“ Stellung genommen und ich möchte diese Stellungnahme hier aufs neue mit aller Entschiedenheit unterstreichen.“ Und weiter sagt er über die in der Öffentlichkeit besonders viel kritisierte Frage der Bezüge leitender Beamter in Industrie und Wirtschaft: „Ein jeder, der für das von ihm geleitete Werk in der Notzeit um staatliche Subvention eingekommen ist, sollte der Erste sein, der sich in seinen Ansprüchen an das Werk freiwillig und aus eigener Überzeugung weitestgehend bescheidet. Aber auch ein jeder, der ein Werk leitet, das mit Verlust arbeitet, sollte sich hinsichtlich seiner Ansprüche auf feste Bezüge die größte Zurückhaltung auferlegen.“ Das sind goldene Worte, deren Beachtung das beabsichtigte Vorgehen der Reichsregierung ganz wesentlich erleichtern würde.

15

Vgl. Dok. Nr. 23, Anm. 2.

[109] Alle diese Maßnahmen, Arbeitsbeschaffung, Siedlung und Ankurbelung der Wirtschaft müssen aber erfolglos verpuffen, wenn das Vertrauen auf stabile Verhältnisse und der Glauben an eine bessere Zukunft fehlen. Wie ist dieses Vertrauen und dieser Glaube zu schaffen? Nur durch freudige Mitarbeit aller Bevölkerungsschichten und durch möglichst weitgehende Ausschaltung von Reibungen und absichtlichen Störungen. Es ist etwas viel verlangt, in dieser schweren Krisenzeit freudige – ich unterstreiche das Wort „freudige“ – Mitarbeit zu verlangen und doch weiß ich, daß beim deutschen Volke auch dies möglich ist, wenn bei allen notwendigen Anordnungen der soziale Gesichtspunkt berücksichtigt wird. Also ein sozialer General, höre ich manchen meiner Zuhörer mit zweifelndem oder sogar spöttischem Achselzucken sagen. Ja, meine Damen und Herren, es hat in der Tat nichts Sozialeres gegeben als die Armee der allgemeinen Wehrpflicht, in der Arm und Reich, Offizier und Mann in Reih und Glied zusammenstanden und in den Wundertaten des Weltkrieges eine Kameradschaft und ein Zusammengehörigkeitsgefühl bewiesen haben, wie es die Geschichte nicht seinesgleichen kennt. Vor einigen Tagen ist mir eine Ausarbeitung vorgelegt worden, die sich mit der inneren Disziplin der Truppe im Weltkriege befaßt und die ein besonders eindrucksvolles Bild davon gibt, von welch’ ausschlaggebender Bedeutung für Disziplin und Geist der Truppe die soziale Einstellung der Führer aller Grade gewesen ist16. Damals wie heute das Gefühl: Wir wollen für Volk und Land die größten und schwersten Opfer bringen, aber nur wenn diese Opfer allen Bevölkerungskreisen gleichmäßig auferlegt werden! Das ist die Zauberformel. Ich betrachte es daher im Sinne der Neudecker Botschaft des Herrn Reichspräsidenten17, der erst kürzlich wieder bei einer Unterredung mit den Führern der Christlichen Gewerkschaften18 seine Volksverbundenheit zum Ausdruck gebracht hat, als eine meiner Hauptaufgaben, den sozialen Gesichtspunkt bei allen Regierungsmaßnahmen zur Geltung zu bringen.

16

Nach den „Kurzorientierungen“ v. Bredows für den RWeM vom 6. und 10.12.1932 könnte es sich hier um eine von Oberarchivrat Volkmann und Gen. Muff im Auftrag Groeners angefertigte Ausarbeitung über „soziale und psychologische Lehren des Weltkrieges für ein Volksaufgebot“ handeln, gegen deren Inhalt der jetzige RK einige nicht näher zu ermittelnde „Bedenken“ wegen eventueller Reaktionen v. Hindenburgs geäußert hatte (Nachl. v. Bredow , Nr. 2, Bl. 148 und 156).

17

Vgl. Dok. Nr. 36, Anm. 2.

18

Vgl. Dok. Nr. 9.

<Auf dem Gebiete des Sozialrechts ist eine gewisse Entspannung schon dadurch eingetreten, daß der Reichstag die Aufhebung der weitgehenden Ermächtigung der Reichsregierung aus dem zweiten Teil der Verordnung vom 4. September 1932 beschlossen hat. Ich nehme an, daß dieser Beschluß nach entsprechender Stellungnahme des Reichsrats schon in den nächsten Tagen Gesetzeskraft erlangen wird. Die auf dieser Ermächtigung beruhende Verordnung zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit vom 5. September 1932, die starke Eingriffe in den Tarifvertrag gebracht hatte, ohne die in sie gesetzten Erwartungen auf dem Gebiete des Arbeitsmarktes zu erfüllen, hat die Reichsregierung gestern bereits aufgehoben. Dabei mußte sie eine kurzfristige[110] Übergangsregelung vorsehen, um Betriebe, die von der Verordnung Gebrauch gemacht haben, und die in ihnen beschäftigten Arbeitnehmer vor Schaden zu bewahren.

Die schwierige Lage unserer Wirtschaft und die weitverbreitete Kurzarbeit hat die Arbeitseinkommen tief herabgedrückt. Eine weitere allgemeine Senkung ist weder sozial erträglich noch wirtschaftlich zweckmäßig.>19

19

Die in <…> gesetzten Abschnitte sind – im wesentlichen unverändert – zusammengefügt aus längeren Einzelbeiträgen des RArbM vom 10. und 14.12.1932 (R 43 I /1504 , Bl. 48–52).

Die Reichsregierung bekennt sich zur Sozialversicherung. Sie wird alles tun, um die Versicherungsträger leistungsfähig zu erhalten. Dem Zwang zur Einfachheit und Sparsamkeit wird sich auch die Sozialversicherung nicht entziehen. Die Organisation der Arbeitslosenhilfe, wie sie jetzt ist, kann nicht befriedigen. Die Reichsregierung will die Spannungen, die hier bestehen, beseitigen, die Beitragszahler zu ihrem Recht kommen lassen und die vertrauensvolle Zusammenarbeit aller beteiligten Körperschaften herbeiführen20.

20

Der RK konkretisiert in diesem Abschnitt einen vom RArbM nur als „leitenden Gesichtspunkt“ angesprochenen Gedanken (R 43 I /1504 , Bl. 52). Vgl. hierzu sowie zum Folgenden Nachl. v. Schleicher , Nr. 23, S. 23.

Ich weiß sehr wohl, welche Not heute unter den Millionen von Arbeitslosen, Sozialrentnern, Kleinrentnern und Kriegsopfern herrscht. Auch beim besten Willen wird es uns nicht gelingen, diese Not in den nächsten Monaten völlig zu beseitigen. Ich werde aber alle meine Kräfte einsetzen, um die Not im Rahmen des wirtschaftlich Möglichen zu mildern und namentlich unbillige Härten zu beseitigen.

Ich hoffe dabei auf die Mithilfe und die Opferbereitschaft aller, die vor der schlimmsten Not bewahrt geblieben sind.

Als besondere Winterhilfe wird von der Regierung folgendes veranlaßt werden. Sie wird vor allem die Frischfleischverbilligung verstärken und, wie im Vorjahre, über die Hilfsmaßnahmen der Kohlenerzeuger und der Reichsbahn hinaus eine weitere Verbilligung der Hausbrandkohle für die notleidende Bevölkerung auf Reichskosten vornehmen. Ferner wird sie den Kreis der Empfänger auch auf die alleinstehenden Unterstützungsberechtigten, zu denen auch die Kleinrentner gehören, ausdehnen. Ob es möglich ist, die Hilfsmaßnahmen noch über diesen Rahmen hinaus zu erweitern, vor allen Dingen in der Verbilligung von Milch und Brot, hängt von dem Ergebnis der Verhandlungen ab, die in diesen Tagen gepflogen werden21.

21

Zum Ergebnis s. Dok. Nr. 33, P. 1.

In diesem Zusammenhang muß ich aber ein Wort ernster Mahnung an die Reichstagsausschüsse richten. Ich verstehe durchaus, daß die Volksvertretung sich mit allen Kräften um die Besserung der wirtschaftlichen Lage ihrer Wähler bemüht. Ich kann es aber nicht mehr als verantwortungsbewußt bezeichnen, wenn man Entschlüsse faßt, die dem Reich viele hunderte von Millionen kosten würden, von denen man also genau weiß, daß sie bei der ernsten Lage der Reichsfinanzen niemals durchgeführt werden können. Durch derartige papierene[111] Beschlüsse werden in der Bevölkerung Hoffnungen erweckt, auf deren Nichterfüllung eine umso größere Enttäuschung folgen muß22.

22

Gemeint sind die Beschlüsse des RT-Haushaltsausschusses vom 12., 13. und 14.12.1932, in denen auf der Grundlage eines SPD-Plenarantrages mit Unterstützung der KPD und der NSDAP ein Winterhilfsprogramm aufgestellt wurde, dessen Finanzierung ca. 400 Mio RM erfordert hätte (vgl. dazu Dok. Nr. 24, P. 10); darüberhinaus sollte das Reich zu weiteren sozialpolitischen Maßnahmen veranlaßt werden, so daß der geplante Mehraufwand insgesamt 1,5 Mrd. RM ausgemacht hätte (Protokolle des 5. RT-Ausschusses – Reichshaushalt – 1932, S. 3–56). – Eine Warnung vor allzu großen Erwartungen an übermäßige, im Haushalt nicht zu deckende Ausgaben für Winterhilfsmaßnahmen und Erwerbslosenunterstützungen hatte der RFM dem StSRkei am 13. 12. zukommen lassen. Auf dem Anschreiben findet sich, mit Sichtvermerk des RK, eine Notiz Plancks: „Krosigk legt großen Wert auf die Aufnahme eines derartigen Passus’.“ (R 43 I /1504 , Bl. 33–39).

Die zur wirtschaftlichen Beruhigung notwendige Ausschaltung aller absichtlichen Störungen hat in der Vergangenheit leider eine große Zahl von Ausnahmebedingungen nötig gemacht. Ich gestehe offen, daß ich es für verhängnisvoll halten würde, wenn wir in Deutschland auf die Dauer nicht ohne diese scharfen Bestimmungen auskommen könnten. Ich habe deshalb den Herrn Reichspräsidenten gebeten, die zweifellos eingetretene Beruhigung zum Anlaß zu nehmen, um derartige Ausnahmebestimmungen aufzuheben, um endlich einmal wieder zu normalen Rechtsverhältnissen zurückzukehren23. Der Herr Reichspräsident will diesem Vorschlag im Vertrauen auf den gesunden Sinn der ordnungsliebenden Bevölkerung entsprechen, hat dabei aber zum Ausdruck gebracht, daß er nicht zögern würde, eine scharfe Verordnung zum Schutze des deutschen Volkes zu erlassen, falls er sich in seinen Erwartungen getäuscht sieht. Den gewerbsmäßigen Unruhestiftern ebenso wie einer gewissen aufreizenden, die Atmosphäre vergiftenden Presse darf ich in diesem Zusammenhang warnend zur Kenntnis bringen, daß eine solche Verordnung fertig im Schubkasten liegt24 und in der Tat in ihrer Lückenlosigkeit eine ausgezeichnete Arbeit25 darstellt.[112] Ich hoffe, daß ihre Anwendung ebensowenig nötig werden wird, wie der Einsatz der Wehrmacht. Ich möchte aber auch die staatsfeindliche kommunistische Bewegung nicht im Zweifel darüber lassen, daß die Reichsregierung auch vor drakonischen Ausnahme-Bestimmungen gegen die kommunistische Partei nicht zurückschrecken wird, falls sie die Lockerung der Zügel zur vermehrten Verhetzung der Bevölkerung mißbrauchen sollte26.

23

Einzelheiten s. Dok. Nr. 1, 24, P. 3 und 26, P. 3 und 4. – Eine Ankündigung der Aufhebung der Ausnahmebestimmungen war in dem Redebeitrag des RIMin. vom 10. 12. vorgeschlagen worden (R 43 I /1504 , Bl. 17–21). Die nachfolgenden Einschränkungen sind in diesem Beitrag nicht enthalten.

24

Hierbei handelt es sich wahrscheinlich um eine von der Reg. v. Papen unter dem Eindruck des Berliner Verkehrsstreiks im November 1932 in Aussicht genommene, aber bislang nicht verabschiedete VO betr. Maßnahmen zum „Schutz lebenswichtiger Betriebe“, zur „Einschränkung der Pressefreiheit“ und zur „Einführung der Schutzhaft“ (s. dazu diese Edition: Das Kabinett v. Papen, Ministerbesprechung vom 25.11.1932, P. 5; vgl. in diesem Bd., Dok. Nr. 26, Anm. 15). In seiner „Kurzorientierung“ vom 6.12.1932 hatte Oberst v. Bredow den RWeM darauf hingewiesen, daß er von verschiedenen Besuchern gehört habe, „daß die Bedenken, die im Kabinett bezüglich der Schwierigkeiten beim Ausnahmezustand zur Sprache gekommen sind [vgl. diese Edition: Das Kabinett v. Papen, Ministerbesprechung vom 2.12.1932], die Meinung habe aufkommen lassen, daß die Reichswehr bei einem Ausnahmezustand nicht mehr sicher sei, ferner, daß es notwendig sei, den Stahlhelm jetzt vermehrt heranzuziehen, damit die Reichswehr sofort eine starke Reserve habe!!“ (Nachl. v. Bredow , Nr. 2, Bl. 150). Am 10. 12. hieß es in der gleichen Angelegenheit: „Es sind noch einige Fragen über Ausnahmezustand im Hause, innerhalb der Wehrmacht und innerhalb der Zivilressorts zu klären. Näheres geht aus Vortragsnotiz hervor. Beigefügt ist auch ein Schreiben an die verschiedenen Reichsressorts, worin diese zu einer Besprechung beim Rw.M. aufgefordert sind.“ (Ebd., Bl. 156; die genannten Anlagen fehlen). – Das Kab. Hitler greift auf die vorbereitete „Schubkastenverordnung“ bereits am 1.2.1933 zurück (Einzelheiten s. diese Edition: Die Regierung Hitler, I/1, Dok. Nr. 3, P. 1).

25

In dem in Anm. 2 zit. Entw. heißt es statt „Arbeit“ „Generalstabsarbeit“. Dazu hschr. Randvermerk: „Die Dummen werden sagen: was geht das den Generalstab an? (Die meisten sind dumm.)“

26

In den „Kurzorientierungen“ v. Bredows finden sich wiederholt Hinweise auf kommunistische Propagandaaktionen und gegen die Reichswehr gerichtete „Zersetzungsschriften“. Am 15. 12. informiert er den RWeM: „Von W[ehrmachtsabteilung] ausgearbeitete Ausnahmebestimmung gegen KPD. Die Arbeit ist vorsorglich ausgeführt. Die weitere Entwicklung der Lage bleibt abzuwarten. Dann wird sich zeigen, welche Maßnahmen zu treffen sind.“ (Nachl. v. Bredow , Nr. 2, Bl. 162).

Ein Wort zur Preußenfrage. Ich weiß sehr wohl, daß die Beseitigung des Dualismus Reich–Preußen de jure heute nicht zu erreichen ist. Ich weiß aber ebenso gut, daß die Gefahrenlage noch auf längere Zeit hinaus vorhanden ist, die die Einsetzung eines Reichskommissars in Preußen notwendig gemacht hat. Eine Aufhebung des Reichskommissariats kann also nur in Frage kommen, wenn diese Gefahrenlage nicht mehr besteht, oder wenn anstelle des Reichskommissars andere ausreichende Garantien für eine übereinstimmende politische Führung in Reich und Preußen geschaffen sind.27

27

Zur Materialsammlung für die Rundfunkrede des RK ist eine Ausarbeitung StS Zweigerts vom 12. 12. genommen, in der er den „Umfang der Befugnisse der Preußischen Kommissariatsregierung“ und die „Rechtslage bei Neubildung einer Preußischen Regierung“ beschreibt (R 43 I /1504 , Bl. 30–32). Wesentliche Übernahmen in das vorliegende Manuskript scheinen nicht erfolgt zu sein. Der Redetext folgt hier dem in Anm. 2 zit. Entw. – Zum Gesamtzusammenhang vgl. Dok. Nr. 4.

Eine Frage, die dem Wehrminister besonders am Herzen liegen muß, ist die körperliche und geistige Ertüchtigung der Jugend28. Ich gehöre allerdings nicht zu den Leuten, die der Jugend jeden Tag einmal erzählen, daß sie das Salz der Erde und die Blüte der Nation sei. Das führt nur zu einer Überheblichkeit[113] und zu einer äußerlichen und innerlichen Disziplinlosigkeit, die uns in den vergangenen Jahren die Jugend manchmal ungenießbar machte. Wieviel Väter, Mütter und Erzieher haben in diesen Zeiten sorgenvolle Briefe an den Wehrminister gerichtet mit der dringenden Bitte, die allgemeine Wehrpflicht wieder einzuführen. Und in der Tat gibt es keine bessere Schule für die Jugend, um Selbstdisziplin, äußere und innere Bescheidenheit und Kameradschaft zu lernen. Das ist auch ein Hauptgrund, warum ich mich wieder und wieder für die allgemeine Wehrpflicht im Rahmen einer Miliz einsetze29. Solange das Diktat von Versailles uns diese wirkliche Lösung unmöglich machte, mußten andere Mittel gefunden werden. Zunächst erschienen die verschiedenen Bünde auf dem Plan und nahmen sich der Erziehung der Jugend an. Dafür soll man ihnen Dank wissen, auch wenn man Auswüchse bekämpfen mußte. Dann hat sich der Staat der Dinge selbst angenommen. Das Kuratorium für Jugendertüchtigung und die Organisation des freiwilligen Arbeitsdienstes sind neben den staatlich unterstützten Sportvereinen aller Art die Früchte dieser Bemühungen. Das Erfeuliche an diesen Einrichtungen ist die Überwindung des Parteigeistes in einem Maße, daß Parteihäupter und Verbandsgrößen schon anfangen, unruhig zu werden und um die Seelen ihrer Schäfchen zu fürchten.

28

„Die Erziehung der heranwachsenden Jugend zu tätiger Staatsgesinnung“ hatte RWeM v. Schleicher in einem Schreiben an RK v. Papen vom 17.10.1932 als „eine die wichtigsten Voraussetzungen nationaler Gesundung und unabhängiger Staatsführung“ bezeichnet und die Einsetzung eines Sonderausschusses der RReg. für Jugendfragen vorgeschlagen. In einem beigefügten Überblick über die sich der Reg. bietenden „Gelegenheiten, der Jugend neue Wege zum Staat zu erschließen“, waren der Ausbau der Grenz- und Landesschutzorganisation, die Errichtung des Reichskuratoriums für Jugendertüchtigung, der FAD, die Technische Nothilfe, die Umbildung der staatlichen Jugendpflege in Preußen, das akademische Werkjahr und die freiwillige Bauernhilfe genannt worden (R 43 II /519 , Bl. 112–125). Über die Umsetzung dieser in ein größeres Auf- und Umrüstungskonzept einzuordnenden Vorschläge zur „Wehrhaftmachung“ der Jugend unterrichtete der Chef des Ministeramts, Oberst v. Bredow, den RWeM wiederholt, ausführlichst in einer „Kurzorientierung“ vom 25.11.1932 (Nachl. v. Bredow , Nr. 2, Bl. 136 f.). Kurz vor der Rundfunkrede erlaubte er sich die Stellungnahme: „Für notwendig halte ich einen Hinweis bei den Verbänden, daß mil[itärische] Aufgaben nicht Sache der Jugend und Verbände, sondern einzig u. allein der Wehrmacht sind.“ (Kurzorientierung vom 11.12.1932; a.a.O., Bl. 160) – Zur Materialsammlung für die vorliegende Rede ist eine ungezeichnete, vom RK auf der Durchschrift mit einem Vidimierungsstrich versehene Ausarbeitung über die „Heranführung der Jugend an den Staat“ genommen, auf der die nachfolgenden drei Abschnitte z.T. wortgetreu basieren. Hinweise auf Wehrpflicht und Milizsystem sind darin allerdings nicht enthalten (R 43 I /1504 , Bl. 22–25). Auch in dem Redebeitrag des RIM vom 10.12.1932 wird das Interesse der RReg. an der Erziehung der Jugend „zu willensstarken und wehrhaften deutschen Männern“ ausführlich bekundet (ebd., Bl. 19 f.); wesentliche Übernahmen in das vorliegende Manuskript scheinen aber nicht erfolgt zu sein.

29

Vgl. dazu Dok. Nr. 24, Anm. 21. – Zum Fortgang s. Dok. Nr. 46, Anm. 4.

Die Winternot der erwerbslosen Jugend stellt uns vor eine neue Aufgabe von weittragendster Bedeutung. Keine Kampfmaßnahme gegen die Arbeitslosigkeit kann verhindern, daß mit dem Anbruch des Winters erneut eine erschütternde Zahl junger Deutscher mit dem Schicksal der Erwerbslosigkeit zu ringen hat. Um ihretwillen ruft die Reichsregierung zum Notwerk der deutschen Jugend auf30. Die Reichsregierung wird allen geeigneten Einrichtungen, insbesondere auch freiwilligen Kameradschaften jugendlicher Erwerbsloser öffentliche Mittel zur Verfügung stellen, wenn sie gewillt sind, den Teilnehmern gemeinsame Verpflegung, körperliche Übungen und geistige Fortbildung zu verschaffen. Die Unterstützung soll ein Anreiz zur Hilfe aller Schichten des Volkes sein und den Verbänden und Bünden ein großes Feld segenbringenden Dienstes in Verbindung mit Staat und Selbstverwaltung eröffnen. Die Erfahrungen[114] von Bünden und Stadtverwaltungen beweisen, daß das Notwerk in großem Ausmaße erfolgreich gestaltet werden kann31.

30

Der Vorschlag, „ein allgemeines ‚Notwerk deutscher Jugend‘ als Winterhilfe für die erwerbslose Jugend ins Leben zu rufen, das unter Bereitstellung öffentlicher Mittel in ähnlichen Formen wie beim freiwilligen Arbeitsdienst und bei dem Reichskuratorium für Jugendertüchtigung die Selbsttätigkeit der Bünde und Verbände unter staatlicher Aufsicht im Dienste einer gemeinsamen Aufgabe zusammenfaßt“, war bereits in dem in Anm. 28 zit. Schreiben des RWeM an den RK vom 17.10.1932 enthalten; ein entsprechender VOEntw. der RReg. war dem Schreiben beigefügt. – Über die Ausgestaltung der vom RK formulierten Grundsätze findet am 16. 12. unter Vorsitz des RArbM eine Besprechung mit Vertretern des RWeMin., von Jugend- und berufsständischen Verbänden – auch dem ADGB, statt (Aufzeichnung und Materialien dazu in: R 2 /18537 ). RPräs. und RK rufen am 24.12.1932 zur „Förderung des Notwerks der deutschen Jugend“ auf, das auf Anordnung des RArbM durch die Reichsanstalt für Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung durchgeführt werden soll. Aus Reichsmitteln stehen dafür Trägern, die sich mit eigenen Mitteln an der Verpflegung und Betreuung jugendlicher Erwerbsloser beteiligen, 9 Mio RM als Beihilfen zur Verfügung (Aufruf, Erlaß und Durchführungsbestimmungen vom 24.12.1932 in: R 43 I /2044 , Bl. 99–101).

31

Vgl. dazu den Bericht der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 23.6.1932 über die im Jahre 1931 durchgeführten vergleichbaren Maßnahmen in: R 36 /1536 .

Zwei weitere Dinge gedenkt die Reichsregierung im kommenden Frühjahr in Angriff zu nehmen: das freiwillige Werkhalbjahr der Abiturienten32 und die freiwillige Bauernhilfe33. Das freiwillige Werkhalbjahr der Abiturienten soll dem Nachwuchs aller überfüllten Hochschulen Gelegenheit geben, im Zusammenhang mit dem Freiwilligen Arbeitsdienst, der Erntehilfe, dem Geländesport und dem Notwerk der deutschen Jugend gemeinsam mit Altersgenossen aller Volkskreise diese in praktischer Tätigkeit zu schulen und einen beispielhaften Volksdienst abzuleisten. Die Freiwillige Bauernhilfe soll jugendliche städtische Erwerbslose auf dem Lande in solchen Bauernwirtschaften, die sich bezahlte Arbeitskräfte nicht halten können, als mitarbeitende Haus- und Familiengenossen unterbringen. Der Gesamtplan der Reichsregierung zur Heranführung der Jugend an den Staat wird durch die geschilderten Maßnahmen umso sicherer gelingen, wenn die Jugend auf der Schule in dieser Richtung eingestellt und vorgebildet wird. Die Reichsregierung bittet deshalb die Landesregierungen, mit allen ihren Kräften mitzuwirken, das ganze öffentliche Erziehungswesen zu überprüfen, ob es die Jugend im Geiste der Heimatliebe und der Verbundenheit mit Volk und Staat zu erziehen geeignet ist.

32

Einzelheiten s. Dok. Nr. 24, P. 6.

33

Ob hier eine bestimmte Organisation(sform) gemeint ist, läßt sich aus den Akten der Rkei nicht feststellen. Der nachfolgend geschilderte Plan war bereits in dem in Anm. 28 zit. Schreiben des RWeM an den RK vom 17.10.1932 skizziert worden. Vgl. dazu auch die Ausführungen von Oberstlt. Ott vor den Gruppen- und Wehrbefehlshabern Mitte Dezember 1932 im RWeMin. (hschr. Aufzeichnungen des GenLt. Liebmann; Abdruck bei Thilo Vogelsang: Neue Dokumente zur Geschichte der Reichswehr 1930–1933. In: VJZG 2 (1954), S. 429).

Ich will hier keine schönen Worte über die Grundsätze der Kulturpolitik machen.34 Wir wissen, daß die Mittel überall knapp sind und daß wir auch weiterhin nur das Notwendigste aufwenden können, damit Kirche, Schule und Wissenschaft ihre Aufgaben für die Erziehung der Nation und für die Geltung unseres Volkes in der Welt weiterhin erfüllen können. Auch in diesem Rahmen[115] gibt es allerdings eine Menge dringender Fragen, z. B. die drohende Überalterung und Vergreisung unseres Lehrerstandes, die Unübersichtlichkeit, ja Planlosigkeit der Organisation des mittleren und höheren Schulwesens, der Unfug des überspitzten und deshalb wertlosen Berechtigungswesens. Die geistige und materielle Not des akademischen Nachwuchses hat das Reich zu den schon berührten Maßnahmen veranlaßt. Daneben bleibt die Aufgabe der Hochschulen außer der Pflege der Wissenschaft, die Erziehung ihrer Jugend zum Staat. Aber so wichtig Bildung und Lehre für den Geist unseres Volkes sind, so warne ich doch vor der Überschätzung des Intellektuellen. Die geistige Erneuerung der Nation, die das Ergebnis der Krisenzeit sein muß, in der wir stehen, wird mehr von unten als von oben geleistet werden müssen. Ich glaube daher, ihre besonderen Stätten werden die freiwilligen Organisationen sein, in denen heute die Volksgemeinschaft neu erlebt wird: der Arbeitsdienst, die Verbände der Jugendertüchtigung, die berufsständischen Genossenschaften und ähnliche Zellen, die zu einer Gemeinschaft streben. Ich sehe die besondere Aufgabe des Reiches darin, diese Ansätze zu fördern und hier einen Rahmen zu schaffen, in dem die Kräfte der Nation von selbst heranwachsen können.

34

Der Redetext folgt hier weitgehend dem in Anm. 2 zit. Entw. – Der RIM hatte in diesem Zusammenhang folgenden Redebeitrag vorgeschlagen: Durchdrungen von dem Bewußtsein, daß in dem Kampf um den inneren und äußeren Bestand des Reiches vor allem die Besinnung auf die wertvollen Güter der deutschen Kultur nottut, wird die Regierung deutschem Kulturstreben auf allen Gebieten, in Religion und Kunst, in Wissenschaft und Volksbildung jede nur mögliche Förderung angedeihen lassen. Sie wird bei aller Notwendigkeit, der angespannten Finanzlage Rechnung zu tragen, sorgfältig darüber wachen, daß nicht durch einen Schematismus kultureller Sparmaßnahmen lebenswichtige Interessen des Volkes gefährdet werden. Dies gilt auch für das deutsche Schulwesen. Niemand wird hier einen Rückschritt wünschen oder Einschränkungen verantworten wollen, die die Leistungsfähigkeit der pädagogischen Arbeit mindern. Die Reichsregierung wird auf diesem wie auf allen kulturellen Gebieten die Zuständigkeit der Länder achten. Andererseits kann aber nicht übersehen werden, daß infolge der Verschiedenheiten in der landesrechtlichen Regelung eine Zerrissenheit in unserem Schulaufbau besteht, die neben vielen äußeren Unzuträglichkeiten auch die Leistungsfähigkeit der deutschen Schule vermindert hat. Die Reichsregierung wird sich angelegen sein lassen, in gemeinsamer Arbeit mit den Ländern diejenigen Verständigungen zu fördern und herbeizuführen, die die Schäden der heutigen Uneinheitlichkeit des Schulwesens beheben und seine Leistungsfähigkeit steigern.“ (R 43 I /1504 , Bl. 20).

Ich habe oben von der allgemeinen Wehrpflicht gesprochen. Das führt mich zu unserer Stellung in der Abrüstungsfrage35. Unser Standpunkt war und ist so einfach, einleuchtend und unangreifbar, daß ich nicht nochmals darauf einzugehen brauche. Nur mit meinen Kritikern muß ich mich mit einigen Worten auseinandersetzen. Man hat mir im Auslande und, allerdings nur ganz vereinzelt, auch im Inlande vorgeworfen, daß ich in groben Militärstiefeln marschiere und damit viel diplomatisches Porzellan zerschlagen hätte und daß ich von Aufrüstung gesprochen hätte. Was die grobe Methode anbetrifft, so hat sie einzig und allein darin bestanden, daß ich die Wahrheit offen herausgesagt habe, weil ich das immer noch für die beste Art halte, um zu einer Verständigung zu kommen. Was die Aufrüstung anbetrifft, so habe ich immer wieder betont und tue das auch heute, daß wir bereit sind, unsere Wehrmacht nur noch mit Messer und Pappschild auszurüsten, wenn unsere Nachbarn desgleichen täten. Das sieht nicht gerade nach Aufrüstung aus. Ich habe allerdings auch mit aller Deutlichkeit ausgesprochen, daß das deutsche Volk nicht gewillt sei, sich wehrlos den Hals abschneiden zu lassen, daß seine Wehrmacht ihm also dieselbe Sicherheit garantieren müßte wie jedem anderen36. Ein Volk, das[116] in der Wehrfrage unter Ausnahmerecht steht, ist nicht souverän, und der italienische Regierungschef, <der unseren Anspruch auf Gleichberechtigung in jeder Verhandlungsphase wärmstens unterstützt hat, wofür ihm das deutsche Volk Dank weiß,>37 hat ganz recht, wenn er in diesem Zusammenhang einmal äußerte, daß das Gewehr für den Deutschen ein Symbol bedeute, das Symbol des freien Mannes auf freier Scholle. Ich bin überzeugt, daß wir durch die Genfer Vereinbarung einen großen Schritt vorwärts gemacht haben und daß wir dem Herrn Reichsaußenminister dankbar sein müssen für die zähe und erfolgreiche Verteidigung deutscher Interessen. Ich möchte dabei aber auch dankbar der Verdienste des Reichskanzlers Brüning gedenken, der es verstanden hat, ebenso wie in der Reparationsfrage, in der Abrüstungsfrage in der Welt Verständnis für den deutschen Standpunkt zu wecken <und ebenso auch meines Herrn Amtsvorgängers, der in Lausanne die Reparationen zum Abschluß brachte und die Gleichberechtigungsfrage mutig und energisch anpackte und vorwärtstrieb>38.

35

Einen entsprechenden Redebeitrag hatte StS v. Bülow dem StSRkei mit Anschreiben vom 10.12.1932 zukommen lassen. Darin hieß es u. a.: „In der Rede sind zwei Härten, die aber in gewohnter Weise in dicke Watte gepackt sind. Es wird gesagt, wir seien friedlich gesinnt, wenn die anderen vernünftig seien, wir könnten aber auch anders. An einer anderen Stelle wird angedeutet, daß wir, wenn uns der Völkerbund in der Abrüstungssache enttäusche, eventuell austreten würden. Beides sind Punkte, die im Auslande viel erörtert werden und deshalb möchte ich nicht, daß sie in der Schlußredaktion in nackter Bloßheit herausgestellt oder unnötig vergröbert werden.“ Er behalte sich vor, nach dem eventuellen Abschluß der laufenden Genfer Verhandlungen (vgl. dazu Dok. Nr. 5, P. 1) auf die Angelegenheit zurückzukommen (R 43 I /1504 , Bl. 6 f., 9–15). Am 13. 12. übersendet v. Bülow ein neues Teilmanuskript, in dem die Ergebnisse der Genfer Verhandlungen über die Gleichberechtigungsfrage (vgl. Dok. Nr. 24, P. 4) berücksichtigt sind (R 43 I /1504 , Bl. 16, 7 f.).

36

Zum Gesamtzusammenhang vgl. u. a. Wilhelm Deist: „Schleicher und die deutsche Abrüstungspolitik im Juni/Juli 1932.“ In: VJZG, 7. Jg. (1959), S. 163–176 sowie in dieser Edition: Das Kabinett v. Papen, passim.

37

Der durch <…> gekennzeichnete Einschub ist vom RK hschr. in den in Anm. 2 zit. Entw. eingefügt worden (Nachl. v. Schleicher , Nr. 23, S. 27).

38

Der in Anm. 2 zit. Entw. endete in diesem Zusammenhang ursprünglich ohne die Erwähnung v. Papens. Dazu war, wahrscheinlich von Marcks, am Rande hschr. vermerkt worden: „Und Fränzchen? Auf seine Erwähnung an dieser Stelle wird der RPräs. bestimmt Wert legen!“ (Nachl. v. Schleicher , Nr. 23, S. 28).

Das Schicksal der Abrüstungsfrage wird, darüber ist sich alle Welt einig, auch für das Schicksal des Völkerbundes und damit für unsere weitere Mitarbeit im Völkerbund von maßgebender Bedeutung sein. Gelingt es dem Völkerbund, den Gedanken der allgemeinen Abrüstung wirklich in die Tat umzusetzen, so wird auch auf anderen Gebieten ein neuer Ausgangspunkt, eine neue Grundlage für seine Betätigung gegeben sein, die im vergangenen Jahre in so hohem Maße Anlaß zur Skepsis und Kritik gegeben hat. Vor allem wird es notwendig sein, daß die im Völkerbund vertretenen Regierungen die Genfer Einrichtung über die einmalige geschichtliche Konstellation, wie sie zur Zeit ihrer Gründung gegeben war, hinauswachsen lassen und sie nicht benutzen, um auch an denjenigen aus der Vergangenheit herrührenden Positionen festzuhalten, die mit einer fortschreitenden, vernünftigen Entwicklung nicht mehr vereinbar sind. Eine Politik, die sich den auf eine solche Entwicklung hindrängenden lebendigen Kräften der Völker entgegenstellt, anstatt sie zu einem friedlichen und organischen Ausgleich zu bringen, wird in Genf und außerhalb Genfs auf die Dauer zum Scheitern verurteilt sein. Im übrigen sind sich über die Ziele, die wir in der Außenpolitik zu verfolgen haben, im Grunde alle Deutschen einig. Das deutsche Volk will als freie, gleichberechtigte und geachtete Nation im Kreise der Völker den Platz einnehmen, auf den es nach seiner Größe, seiner Vergangenheit und seiner Leistungsfähigkeit Anspruch hat. Um diesen Anspruch zu verwirklichen, wird die Reichsregierung in ruhiger Entschlossenheit und Stetigkeit an die großen Aufgaben herangehen, die sich aus der augenblicklichen Lage ergeben. Sie weiß, daß den deutschen Lebensinteressen, die hierbei auf dem Spiele stehen, nicht mit gewagten politischen Experimenten,[117] nicht mit abenteuerlichen politischen Kombinationen gedient sein kann. In nüchterner Würdigung der politischen Realitäten, zugleich aber auch im Vertrauen auf die gesunde innere Kraft unseres Volkes sind wir bereit zur aufrichtigen freundlichen Zusammenarbeit mit allen den Regierungen, die auch ihrerseits gewillt sind, eine Lösung der offenen internationalen Probleme auf dem Wege gerechter und billiger Verständigung zu suchen.

Wenn ich an dieser Stelle im Gefühl engster kameradschaftlicher Verbundenheit mit herzlichem Danke der Wehrmacht gedenke, so wird man das dem Wehrminister nicht verübeln, zumal, wenn er an diesen Dank die Mahnung anknüpft, nie den überparteilichen Standpunkt zu verlassen und gerade in dieser Notzeit ein Freund und Helfer aller Bevölkerungskreise zu sein. Dann wird die Wehrmacht immer mehr zum Symbol deutscher Kraft und Einigkeit werden, der deutschen Einigkeit, die so bitter not tut und die so schwer zu erreichen ist, aber erreicht werden muß, wenn Deutschland in seiner alten Größe wieder erstehen soll. In gleicher Richtung liegen die großen Aufgaben des deutschen Beamtenstandes, der seit den Tagen Friedrich Wilhelms I. bis auf den heutigen Tag eine der Hauptstützen des Staates ist, für seine hingebende Tätigkeit aber namentlich in den letzten Jahren nur wenig Dank in der Öffentlichkeit gefunden hat39. Ich werde nicht aufhören, an dem Zusammenschluß aller gutwilligen Kräfte zu arbeiten, die gerade einem Präsidial-Kabinett für seine Arbeit den Rückhalt und Widerhall im Volke geben müssen.

39

Die Anregung, der Beamtenschaft für „treue Pflichterfüllung“ zu danken und ihr „den Schutz der Regierung“ in Aussicht zu stellen, hatte der RT-Abg. Morath dem RK noch am 15. 12. schriftlich zukommen lassen. Er hatte auf entsprechende Unterlassungen in den Regierungserklärungen Brünings und v. Papens hingewiesen und das gegenwärtige „Mißtrauen“ und die „politische Radikalisierung der Beamten“ damit zu erklären versucht (R 43 I /1504 , Bl. 90). Der entsprechende Passus ist nachträglich in den in Anm. 2 zit. Entw. eingefügt worden (Nachl. v. Schleicher , Nr. 23, S. 29).

An Verbände, Gruppen und Parteien möchte ich aber in dieser Stunde die Mahnung richten, daran zu denken, daß sie nicht Selbstzweck sind und ihre Daseinsberechtigung verlieren, wenn sie sich der Mitarbeit am Staate entziehen. Das deutsche Volk hat ein sehr feines Gefühl für ein Versagen auf diesem Gebiet und wird sich enttäuscht von denjenigen abwenden, denen es im reichsten Maße sein Vertrauen geschenkt hat, weil es große positive Leistungen von ihnen erwartete und nicht Taktik und Negation. Denen aber, die da meinen, eine autoritäre Staatsführung könne des Rückhalts im Volke40 entbehren, die darüber hinaus sogar jede Zusammenarbeit mit einem Parlament ablehnen41, möchte ich entgegenhalten, <daß Wille und Mut allein zum Regieren nicht genügen,>42 daß auch Verständnis für das Empfinden des Volkes und das Erkennen des psychologischen Momentes dazu gehören. Deshalb wird die von mir geführte Reichsregierung für ihre Arbeit den besten Moltke-Spruch „Erst wägen, dann wagen“ zur Richtschnur nehmen.

40

Hiernach in dem in Anm. 2 zit. Entw. gestrichen: „und in der Volksvertretung“ (Nachl. v. Schleicher , Nr. 23, S. 30).

41

Hiernach in dem in Anm. 2 zit. Entw. hschr. Zusatz, wahrscheinlich von Marcks: „und die Regierung in einen Konflikt hineintreiben wollen“.

42

Der durch <…> gekennzeichnete Passus ist in dem in Anm. 2 zit. Entw. hschr. eingeklammert und mit dem Randvermerk: „Kritik an Papen“ versehen.

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