2.60.1 (bru1p): 1. Bericht über den Entwurf eines Standardisierungsgesetzes.

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1. Bericht über den Entwurf eines Standardisierungsgesetzes.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft begründete den Entwurf. Der Zweck der Handelsklassen sei die Förderung der Qualitätsware, in der das Ausland den deutschen Bauern überlegen sei1.

1

Der erste Abschnitt des GesEntw. zur Verbesserung der Marktverhältnisse für dt. landwirtschaftliche Erzeugnisse ermächtigte die RReg., mit Zustimmung des RR Bestimmungen über Handelsklassen für landwirtschaftliche Erzeugnisse einschließlich der Erzeugnisse des Garten- und des Weinbaus, der Imkerei und der Fischerei zu erlassen. Vor der Einführung der Handelsklassen sollten Sachverständige gehört werden. Bei der Überwachung sollten Gutachterstellen helfen (GesEntw. des REM mit Anschreiben vom 1.7.30 in R 43 I /2544 , Bl. 10–12).

Ein Lagerscheingesetz werde nicht rechtzeitig verabschiedet werden können; deswegen sei eine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen vorgesehen. Sie sollten bereits bei der neuen Ernte in Wirksamkeit treten2.

2

Der zweite Abschnitt (§ 7) des GesEntw. ermächtigte die RReg., zur Erleichterung der Kreditbeschaffung Vorschriften über Lagerscheine für landwirtschaftliche Erzeugnisse zu erlassen (R 43 I /2544 , Bl. 14); die Lagerscheine konnten von den Landwirten den Banken als Kreditunterlagen vorgelegt werden.

Zwangszusammenschlüsse sollten zunächst auf Zucker- und Kartoffelerzeugung beschränkt werden. Weitere Ausdehnung solle möglich sein3.

3

Der dritte Abschnitt regelte im § 8 den Zusammenschluß von Zuckerfabriken und von kartoffelverarbeitenden Betrieben (R 43 I /2544 , Bl. 14).

Die schriftliche Begründung zum Entwurfe werde folgen, dann könne das Kabinett entscheiden4.

4

Der REM lieferte die Begründung zum GesEntw. am 4.7.30 nach (R 43 I /2544 , Bl. 36–45).

Auf eine Frage des Reichskanzlers ob die rechtzeitige Verabschiedung des Handelsklassengesetzes gesichert sei, erklärte der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft daß das Brotgesetz5 bereits im Plenum vorliege, das Milchgesetz im Ausschuß verhandelt werde mit einem Zusatz, der ebenfalls den Zwangszusammenschluß der Erzeuger ermögliche6, das Weingesetz[248] werde in den nächsten Tagen verabschiedet werden7, dann könne das Handelsklassengesetz und das Gesetz über den Vermahlungszwang8 noch rechtzeitig zur Erledigung kommen.

5

Die zweite und dritte Beratung des BrotGes. fanden am 5. 7., 9. 7. und 10.7.30 im RT statt (RT-Bd. 428, S. 6173 –6181, S. 6263–6264, S. 6275–6276). Text des BrotGes. im RGBl. 1930 I, S. 299 .

6

Die 2. und 3. Beratung des MilchGes. fand am 17.7.30 statt: RT-Bd. 428, S. 6464 . Das MilchGes. wurde im RGBl. 1930 I, S. 421  veröffentlicht.

7

Das WeinGes. wurde am 15.7.30 in 2. und 3. Lesung verabschiedet (RT-Bd. 428, S. 6370 –6373); Text im RGBl. 1930 I, S. 356 .

8

Das Ges. über Vermahlungszwang von Inlandsweizen wurde am 14.7.30 vom RT verabschiedet (RT-Bd. 428, S. 6358 ) und im RGBl. 1930 I, S. 355  veröffentlicht.

Der Reichsminister der Finanzen hatte Bedenken, weil schwierigste Materien in dem einen Gesetzentwurfe zusammenfassend behandelt würden. Er wollte sich aber damit abfinden, wenn die endgültige Fassung und die Begründung vorlägen.

Auch Staatssekretär Dr. Trendelenburg hatte Bedenken. Rechtsverordnungen wegen des Vermahlungszwangs würden einem Gesetz hierüber nicht gleichwertig sein. Schließlich müsse das Kabinett sich aber damit abfinden.

Zwangszusammenschlüsse paßten wenig in die große handelspolitische Linie der Regierung, die grundsätzlich eher gegen die Macht der wirtschaftlichen Organisationen eingestellt sei. Bei der besonderen Lage der Zuckerindustrie und der Kartoffelverwertung könne aber wohl dieses Bedenken zurückgestellt werden. Dagegen möchte der Absatz 2 des § 8 wegfallen, nach dem weitere Zwangszusammenschlüsse möglich wären9. Er könnte als Sozialisierungsgesetz ausgelegt werden, weil etwa die Hälfte der deutschen Produktion auf landwirtschaftliche Grundstoffe aufbaue.

9

Abs. 2 des § 8 lautete: „Zusammenschlüsse gemäß Abs. 1 können mit Zustimmung eines Ausschusses des Reichstags auch für andere Betriebe, die landwirtschaftliche Erzeugnisse verarbeiten, angeordnet werden, wenn es zur Sicherung einer angemessenen Verwertung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse notwendig ist“ (R 43 I /2544 , Bl. 14).

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft hatte keine Bedenken gegen die vorgeschlagene Ermächtigung, wenn die Voraussetzungen sachlich und zeitlich ausreichend festgelegt wären.

Dagegen hielt der Reichspostminister die Änderung und den Ausbau des Handelsrechts hinsichtlich der Lagerscheinfrage im Wege der Rechtsverordnung für unerwünscht. Ebenso wandte er sich gegen die weitere Schaffung von Zwangssyndikaten und Kartellen. Die Macht dieser Organisationen müsse beschränkt werden. Der Regierung würde dies schwerfallen, wenn sie selbst in der Gründung von Kartellen und Syndikaten vorgehe.

Staatssekretär Zweigert hielt den Entwurf nicht für verfassungsändernd. Ermächtigungsgesetze könnten der Regierung die Gesetzgebung zwar nicht allgemein, aber für spezialisierte Zwecke übertragen. Fraglich sei bloß, wie sich die Zwangskartelle zu Art. 156 Absatz 2 der Reichsverfassung verhielten10.

10

Art. 156 Abs. 2 RV: „Das Reich kann ferner im Falle dringenden Bedürfnisses zum Zwecke der Gemeinwirtschaft durch Gesetz wirtschaftliche Unternehmungen und Verbände auf der Grundlage der Selbstverwaltung zusammenschließen mit dem Ziele, die Mitwirkung aller schaffenden Volksteile zu sichern, Arbeitgeber und Arbeitnehmer an der Verwaltung zu beteiligen und Erzeugung, Herstellung, Verteilung, Verwendung, Preisgestaltung sowie Ein- und Ausfuhr der Wirtschaftsgüter nach gemeinwirtschaftlichen Grundsätzen zu regeln.“

Hierzu erklärte Ministerialrat Schuster, daß es sich um einen allgemeinen wirtschaftspolitischen Gesetzentwurf und nicht um gemeinwirtschaftliche Maßnahmen handelte.

[249] Der Reichsminister des Auswärtigen hielt die Streichung von § 8 Absatz 2 für möglich, wenn er auch den Standpunkt vertrat, daß die wirtschaftliche Entwicklung zu weiteren Zwangszusammenschlüssen drängen werde. Nach seiner Ansicht werde der Reichstag die Vorlage annehmen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erklärte sich damit einverstanden, daß § 8 Absatz 2 des Entwurfs gestrichen und § 9 entsprechend dem Ergebnis der Verhandlungen abgeändert wird11. Wirtschaftspolitische Bedenken gegen Zwangszusammenschlüsse seien bisher in den Verhandlungen mit den Fraktionen nicht in die Erscheinung getreten. Die Desorganisation des Marktes mache Maßnahmen dieser Art erforderlich.

11

Nach § 9 konnte die RReg. RechtsVOen zur Durchführung des § 8 erlassen (R 43 I /2544 , Bl. 14).

Der Reichskanzler stellte nach einer Aussprache fest, daß § 8 Absatz 2 des Gesetzentwurfs gestrichen und § 9 entsprechend dem Ergebnis der Verhandlungen abgeändert werden soll. Der abgeänderte Entwurf und die Begründung werden bis zur nächsten Kabinettssitzung rechtzeitig vorgelegt werden. Dann soll die Abstimmung erfolgen12.

12

Vgl. Dok. Nr. 64, P. 1.

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