2.155.1 (ma11p): 1. Micum-Verträge.

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1. Micum-Verträge.

Staatssekretär Müller erstattete Bericht über die gegenwärtige Lage bezüglich der Micum-Verträge des Kohlenbergbaus und wies insbesondere auf die Bedenken einer reichsseitigen Mitwirkung bei einer Verlängerung sowie auf die innerpolitische Gefahr eines Ablaufs dieser Verträge hin.

Der Reichsminister der Finanzen teilte mit, daß eine Kreditbeschaffung1 durch die Golddiskontbank nicht in Frage komme; dies sei englischerseits als Voraussetzung für die Unterstützung bei Gründung dieser Bank ausdrücklich ausbedungen worden.

1

Gemeint ist: die Beschaffung von Krediten für den Ruhrkohlenbergbau, um diesem die Fortführung der Reparationslieferungen auf Grund des Micum-Vertrages über den 15. 4. hinaus zu ermöglichen. Vgl. das Schreiben Klöckners an Stresemann vom 17. 3. (Dok. Nr. 150, Anm. 4).

Die gegenwärtige Frage sei nicht wirtschaftlicher oder finanzieller, sondern rein politischer Natur. Was die wirtschaftliche Seite anbelange, so ergebe sich aus den bereits im Kabinett mehrfach erörterten Zahlen, daß der Kohlenbergbau durch die gegenwärtigen hohen Preise in der Lage sei, zum mindesten einen erheblichen Teil der durch die Zwangslieferungen an die Micum erwachsenen Verluste von sich abzuwälzen. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache bleibe nur ein vergleichsweise geringer Betrag als absoluter Verlust, welchen gegebenenfalls auf den Reichssäckel zu übernehmen, nicht unmöglich sei und der insbesondere nicht notwendigerweise zu einer sofortigen Zerrüttung der Währung führen müsse.

Es beständen jedoch die allerschwersten Bedenken dagegen, ein solches Verfahren einzuschlagen. Außenpolitisch sei die Lage so, daß die Franzosen[492] in letzter Zeit in der Frage der Micum-Verträge eine erhebliche Unsicherheit an den Tag legten. Es würde den schwersten Fehler deutscherseits bedeuten, durch eine Verlängerung der Micum-Verträge ihnen aus dieser Verlegenheit herauszuhelfen und gewissermaßen die Voraussetzung für einen Erfolg der Poincaréschen Spezialpfänderpolitik zu schaffen. England andererseits habe von Anfang an die Micum-Verträge als eine unrechtmäßige Begünstigung Frankreichs und Belgiens betrachtet und würde selbstverständlich jede Verlängerung dieser Verträge unter Mitwirkung des Reichs als einen Vertragsbruch ansehen. Innerpolitisch sei aber bei der gegenwärtigen Einstellung der deutschen öffentlichen Meinung, insbesondere mit Rücksicht auf den Wahlkampf, eine Politik, die auf Verlängerung der Verträge hinausliefe, schwer zu ertragen, um so mehr, als mit unmittelbaren katastrophalen Folgen mit dem Ablauf der Verträge nicht zu rechnen, sondern zu erwarten sei, daß der Kohlenbergbau zum mindesten für einige Zeit den Betrieb weiter aufrechterhalten werde.

Der Reichsminister des Auswärtigen stimmte dem Vorredner zu und wies darauf hin, daß nach der bisherigen Haltung der Reichsregierung und ihren wiederholten Erklärungen dem Ausland gegenüber es unmöglich sei, bei einer Verlängerung der Micum-Verträge mitzuwirken. Selbst Poincaré habe anerkannt, daß das Reich als solches diese Last nicht mehr tragen könne. Auch sei zu bedenken, daß die Verlängerung der Verträge einen erheblichen Teil des Druckes der gegenwärtigen Situation beseitige und damit dem Sachverständigenausschuß und der Reparationskommission eine Entschuldigung dafür bieten würde, ihre Entschließungen weiterhin dilatorisch hinzuziehen.

Eine andere Frage sei natürlich die Belastungsfähigkeit der Industrie, hinsichtlich derer er geneigt sei, den Angaben der industriellen Führer Glauben zu schenken.

Der Vizekanzler äußerte die Meinung, daß man über die Verteilung der Lasten der jetzigen Micum-Verträge erst urteilen könne, wenn man den Sechser-Ausschuß2 gehört habe. Der Sechser-Ausschuß habe drei Anträge gestellt: 1) finanzielle Hilfe des Reichs; dies komme zweifellos nicht in Frage. 2) Verschaffung von Krediten; die hier bestehenden Möglichkeiten seien nicht völlig zu übersehen, insbesondere, da ein Beschluß der Rentenbank noch nicht vorliege. 3) Verhandlungen mit der Micum; solche kämen, soweit das Reich in Frage stände, selbstverständlich nicht in Betracht. In gleicher Weise sei der Gedanke der großzügigen wirtschaftlichen Verständigung mit Frankreich abzulehnen3.

2

Sechserkommission des Bergbaulichen Vereins.

3

Vgl. dazu Dok. Nr. 121, P. 4 und Dok. Nr. 146.

Der Reichsminister der Finanzen führte zu der Frage etwaiger Rentenmarkkredite aus, daß es aus Währungsgründen nicht erwünscht sein würde, wenn die Eintragung der Rentenmarkverordnung im besetzten Gebiet betrieben würde4. Gegenwärtig sei die Rentenmark die Währung des unbesetzten Gebiets, die Papiermark die des besetzten Gebiets. Im Auslande zeige man mehr[493] Vertrauen zur Papiermark, wahrscheinlich, weil sie als Spekulationsobjekt sich besser eigne. Im übrigen habe aber auch das besetzte Gebiet von jeher eine starke Tendenz zur Spekulation gezeigt; auch jetzt stellten die Devisenanforderungen des besetzten Gebiets etwa 50% des Gesamtbedarfs dar, obgleich dies in dem Umfange und dem Bedürfnis der dortigen Industrie keineswegs begründet sei. Würden nun Rentenmarkkredite für das besetzte Gebiet verfügbar, so sei zu befürchten, daß sie im größten Ausmaße beansprucht und großenteils auch zu Spekulationszwecken verwendet würden. Dies würde aber eine Gefahr für die Rentenmark bedeuten. Schließlich sei zu erwägen, daß jede Vermehrung des Rentenmarkumlaufs eine Erschwerung der Rückkehr zur Goldwährung bedeute.

4

Vgl. hierzu die diesbezüglichen Ausführungen Luthers in der Sitzung des Rheinruhr-Ausschusses vom 19. 3. (Dok. Nr. 150, P. 9).

Der Reichswirtschaftsminister stimmte dem Reichsminister der Finanzen sowohl hinsichtlich der Frage der Micum-Verträge als auch hinsichtlich der Beurteilung der Währungslage zu. Im übrigen wies er darauf hin, daß von dem gegenwärtig von der Industrie mit 8,30 M pro Tonne berechneten Verluste infolge der Zwangslieferungen an die MicumM die rückständige Kohlensteuer darstellten und mit Ende Mai fortfallen würden. Bezüglich dieser Last sowie bezüglich der 1,60 M pro Tonne betragenden laufenden Steuer5 sei es doch denkbar, daß die Zechen durch Verhandlungen mit der Micum Erleichterungen sich verschafften. Im übrigen seien die Zechen aber auch in der Lage, einen Teil der verbleibenden Belastung auf die Abnehmer abzuwälzen.

5

Die Verpflichtung des Kohlenbergbaus zur Zahlung von Kohlensteuern und -abgaben ist festgelegt in Art. II und III des Micum-Abkommens vom 23.11.23 (abgedr. in: Ursachen und Folgen, Bd. V, Dok. Nr. 1102; auch als Anlage 14 zur Denkschrift des RFM vom 16.2.25, RT-Drucks. Nr. 568, Bd. 398 ).

Der gegenwärtige hohe Kohlenpreis sei hauptsächlich bedingt durch die erhöhten Materialkosten, durch die höheren Frachten und durch die Schwierigkeiten des Absatzes.

Staatssekretär Müller teilte mit Bezug auf den letzteren Faktor mit, daß die Franzosen mit einem erneuten Verbot der Kohlenausfuhr zum 1. April gedroht hätten.

Der Reichswirtschaftsminister faßte sein Votum dahin zusammen: das Reich solle nicht eingreifen und insbesondere auch nicht dadurch den Zechen zu helfen versuchen, daß die Micum-Lasten durch eine Preissteigerung auf die gesamte verbrauchende Wirtschaft abgewälzt würden. Tatsächlich sei nichts dagegen einzuwenden, daß Arbeitgeber und gegebenenfalls auch Arbeitnehmer in selbständigen Verhandlungen mit der Micum danach trachteten, sich Erleichterungen zu verschaffen.

Der Reichsarbeitsminister teilte mit, daß in letzter Zeit zwar eine Besserung der Arbeitslage auch im besetzten Gebiet eingetreten sei, daß jedoch im Kohlenbergbau noch immer zahlreiche Schichten ausfielen und daß insbesondere die Löhne der Bergarbeiter erheblich unter Friedensniveau ständen. Eine demnächstige Erhöhung dieser Löhne werde sich nicht vermeiden lassen. Die Leistungen bewegten sich großenteils schon auf dem Friedensniveau, ein Rückgang sei in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Er halte es für schwer tragbar, wenn die Reichsregierung gegenüber dem jetzigen Ablauf der Micum-Verträge sich passiv verhalte; trotz aller unbedingt zu würdigenden außenpolitischen Bedenken[494] müsse er, der Reichsarbeitsminister, daher darum bitten, daß in irgendeiner möglichen Form die Reichsregierung für die Vermeidung eines Stillstandes der ganzen Zechen zum 15. April eintrete.

Der Reichsminister der Finanzen regte an, um diesem Erfordernis zu entsprechen, den Gedanken des Staatssekretärs Trendelenburg aufzunehmen, d. h. an die Reparationskommission bzw. den Sachverständigenausschuß heranzutreten und um Zusicherungen hinsichtlich der Finanzierung der Sachleistungen zu bitten, die eine Vorausdiskontierung der für die Sachleistungen zu erwartenden Auslandskredite ermöglichten6.

6

Vgl. den entsprechenden Vorschlag Trendelenburgs in der Sitzung des Rhein-Ruhr-Ausschusses vom 19. 3. (Dok. Nr. 150, P. 9).

Der Reichsminister des Auswärtigen äußerte starke Bedenken gegen ein derartiges Herantreten an die Reparationskommission, da dadurch das Reich die Frage der Sachleistungen während des Moratoriums präjudiziere und im übrigen die Poincarésche Spezialpfänderpolitik unterstütze.

Der Reichswirtschaftsminister stimmte dem Vorredner zu, meinte jedoch, daß es wohl tragbar sei, wenn der Trendelenburgsche Gedanke von anderer Seite an die Reparationskommission herangetragen werde.

Nach einer weiteren Aussprache stellte der Reichskanzler folgende Richtlinien für die Verhandlungen mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern7 fest: Die Arbeitnehmer seien über ihre Beschwerden und Befürchtungen zu hören; alsdann seien sie auf die bestehenden Schwierigkeiten finanzieller und außenpolitischer Natur hinzuweisen; Entschließungen oder Zusicherungen seien jedoch vorzubehalten bis nach Anhörung der Arbeitgeber.

7

Die Protokolle dieser Verhandlungen, die am Nachmittag desselben Tages stattfinden, sind als Dok. Nr. 156 und Nr. 157 abgedruckt.

Die Arbeitgeber seien ebenfalls zu hören und auf die bestehenden Schwierigkeiten hinzuweisen; alsdann sei der Trendelenburgsche Gedanke in unverbindlicher Weise zur Erörterung zu stellen; Zusicherungen und Entschließungen seien vorzubehalten.

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