2.203.1 (ma31p): 1. Finanzlage des Reichs und Reichshaushalt 1927.

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1. Finanzlage des Reichs und Reichshaushalt 1927.

Der Reichsminister der Finanzen knüpfte an die Beratungen über den gleichen Gegenstand in der Sitzung des Reichskabinetts vom 14. März1 sowie an die Aussprache der Kabinettsmitglieder mit den Regierungsparteien am 16. März2 an und erklärte, daß er inzwischen Vorschläge für einen Ausgleich des Defizits im Reichshaushalt 1927 habe ausarbeiten lassen. Er legte folgende als Anlage beiliegende 4 Übersichten vor3:

1

Dok. Nr. 200, P. 1.

2

Dok. Nr. 202, P. 1.

3

R 43 I /1419 , Bl. 232–235 (auch in R 43 I /878 , Bl. 75–78).

1) Übersicht über diejenigen vom Haushaltsausschuß angenommenen Anträge auf Ausgabenerhöhungen, deren Streichung vorgeschlagen wird [Anlage 1];

2) Übersicht über die vorgeschlagenen Streichungen bzw. Minderungen im Haushaltsentwurf für 1927 [Anlage 2];

[641] 3) Übersicht über schwebende Mehranforderungen, deren Bewilligung nicht zugestanden werden kann [Anlage 3];

4) Übersicht über die zuzugestehenden Mehrausgaben und ihre Deckung [Anlage 4].

Die einzelnen Positionen dieser Übersichten wurden von ihm näher erläutert. Er bat, sich mit den Vorschlägen möglichst einverstanden zu erklären, wobei es jedoch den einzelnen Ministerien freigestellt sein könne, ihrerseits andere Vorstellungen für Streichungen in ihren Etats zu machen, wenn diese Vorschläge nur die gleiche finanzielle Entlastung des Gesamthaushalts erbrächten.

In der folgenden Aussprache wurde Einverständnis des Kabinetts über die in Anlage 1 vorgesehenen Streichungen erzielt4, wobei allerdings vorausgesetzt wurde, daß der durch die Verhandlungen über den Haushalt seines Ministeriums im Reichstage unabkömmliche Reichsminister des Innern nicht noch nachträglich unverzüglich besondere Einwendungen erheben werde.

4

Die in Anlage 1 vorgeschlagenen Streichungen ergaben eine Ersparnis von insgesamt 10,25 Mio RM.

Ebenso war das Kabinett mit dem Vorschlage auf Anlage 2 grundsätzlich einverstanden5. Einzelne der Herren Minister behielten sich vor, im Einvernehmen mit dem Reichsminister der Finanzen für ihre Haushalte andere Kürzungsvorschläge mit dem gleichen zahlenmäßigen Ergebnis zu machen.

5

Die in Anlage 2 vorgeschlagenen Streichungen bzw. Ausgabenminderungen ergaben eine Ersparnis von 21,535 Mio RM im ordentlichen Haushalt und von 27,5 Mio RM im außerordentlichen Haushalt. Von den Streichungen im außerordentlichen Haushalt waren ausschließlich Ausgaben für Kanalbauten betroffen.

Der Reichsminister des Auswärtigen erklärte, daß der Haushaltsausschuß bei seinem Personaletat einen Betrag von 2 Millionen Reichsmark nur vorläufig abgesetzt habe, vorbehaltlich einer endgültigen Entscheidung bei der dritten Lesung. Von diesem Betrage müsse mindestens 1 Million Reichsmark wieder zugesetzt werden. Hierüber wurde eine Einigung herbeigeführt.

Bezüglich der für den Wehretat vorgesehenen Streichung von 15 Millionen Reichsmark kam es noch zu keiner abschließenden Regelung, weil der Reichswehrminister nicht persönlich anwesend sein und sein Vertreter General von Haack keine endgültigen Erklärungen abgeben konnte.

Es wurde beschlossen, daß das Reichswehrministerium und das Reichsfinanzministerium am 18. März unter dem Vorsitz des Reichssparkommissars zu einer Sitzung zusammentreten sollten zwecks Prüfung, ob und in welcher Weise sich bei dem Wehretat Streichungen im Gesamtbetrage von 15 Millionen Reichsmark ermöglichen lassen6.

6

Zur Kürzung des Wehretats siehe Dok. Nr. 206, P. 4.

Mit den Vorschlägen auf Anlage 3 war das Kabinett einverstanden7.

7

Die in Anlage 3 aufgeführten Mehranforderungen, „deren Bewilligung nicht zugestanden werden kann“, beliefen sich auf insgesamt 145 Mio RM.

Zu der Position „Liquidationsgeschädigte“ bestand Einverständnis darüber, daß der Posten nur deshalb abgesetzt werden könne, weil die Frage, in welcher Form den Liquidationsgeschädigten zu helfen sei, bis zur Verabschiedung des Reichshaushalts 1927 noch nicht geklärt sein werde8.

8

Zur Abgeltung von Liquidationsschäden vgl. Dok. Nr. 193, P. 3.

[642] Zu der Position „Verstärkung der Vorzugsrenten“9 erklärte der Reichsminister der Finanzen, daß die Finanzierung dieser Angelegenheit aus anderen Fonds möglich sei, so daß der vorgesehene Betrag von 20 Millionen Reichsmark hier abgesetzt werden könne.

9

Vorzugsrenten für bedürftige Anleihebesitzer gemäß §§ 18 ff. des Anleiheablösungsgesetzes vom 16.7.25 (RGBl. I, S. 137 ).

Bei Anlage 410 wurde der Posten 4 b) „Invalidenversicherung“ von 45 Millionen auf 70 Millionen RM erhöht, weil der Reichsarbeitsminister diese Maßnahme für eine zwingende Notwendigkeit erklärte. Dagegen wurde im Einverständnis mit dem Reichsarbeitsminister beschlossen, beim Etat des Reichsarbeitsministeriums den Ansatz bei Kapitel VII 12 Titel 32 der fortdauernden Ausgaben – Erwerbslosenfürsorge (produktive) – um 50 Millionen RM zu kürzen.

10

Die „zuzugestehenden Mehrausgaben“, die in Anlage 4 aufgeführt sind, betragen insgesamt 650,7 Mio RM.

Die Position 12 „Ruhrhilfe“ wurde von 10 Millionen Reichsmark auf 30 Millionen RM erhöht.

Zu der Position 13 „Grenzprogramm“11 wurde die über den Haushaltsansatz von 15 Millionen RM hinausgehende Erhöhung von 10 Millionen RM genehmigt mit dem Bemerken, daß es Sache der zuständigen Ausschüsse sei, sich über die Verteilung der bewilligten Mittel auf den Westen und Osten zu einigen.

11

Es handelt sich um „Beihilfen für wirtschaftlich oder kulturell besonders bedrängte Grenzgebiete“, für die im Regierungsentwurf des Haushaltsplans ursprünglich 15 Mio RM vorgesehen waren; siehe Dok. Nr. 154, P. 1.

[…]

Im übrigen wurden die anderen Vorschläge auf Anlage 4 genehmigt.

Auch bezüglich der Deckungsvorschläge des Reichsministers der Finanzen erklärte sich das Kabinett grundsätzlich einverstanden12.

12

Die „zuzugestehenden Mehrausgaben“ von 650,7 Mio RM (Anm. 10) sollten nach Anlage 4 gedeckt werden durch: 270 Mio RM Mehreinnahmen aus der Einkommen- und Körperschaftssteuer, 200 Mio RM Überschüsse aus dem Jahr 1926, 150 Mio RM aus dem Betriebsmittelfonds des Reichs; ungedeckt blieb ein Ausgabenbetrag von 30,7 Mio RM.

Im Verlauf der Aussprache wurde die Frage einer Erhöhung der Umsatzsteuer gestreift13. Das Kabinett einigte sich dahin, daß eine Erhöhung nicht vorgenommen werden solle. Ferner wurden die Möglichkeiten einer Kürzung der vorgesehenen Überweisungen an die Länder erörtert mit dem Ergebnis, daß das Kabinett bei dem jetzigen Stande der Verhandlungen eine Korrektur des Finanzausgleichs für nicht mehr durchführbar hielt.

13

Durch das „Gesetz über Steuermilderungen zur Erleichterung der Wirtschaftslage“ vom 31.3.26 (RGBl. I, S. 185 ) war die Umsatzsteuer von 1% auf 0,75 gesenkt worden.

Bezüglich der weiteren Behandlung der Angelegenheit beschloß das Kabinett, für den 18. März 1927 eine Aussprache mit den Regierungsparteien herbeizuführen mit dem Ziele, sie zu einer unbedingten Annahme und parlamentarischen Vertretung der beschlossenen Maßnahmen zu verpflichten14.

14

Siehe Dok. Nr. 206.

Im Anschluß an Punkt 1 der Tagesordnung brachte der Reichskanzler zur Sprache, daß im Rechtsausschuß am 18. März die Generaldebatte über die Änderung[643] der Aufwertungsbestimmungen auf der Tagesordnung stehe15 und erinnerte daran, daß im Interfraktionellen Ausschuß kürzlich die Anregung gegeben worden sei, daß der Reichskanzler vor Beginn der Debatte im Namen der Reichsregierung eine Erklärung abgeben solle16.

15

Dem Rechtsausschuß des RT lag der Regierungsentwurf eines „Gesetzes über die Verzinsung aufgewerteter Hypotheken und ihre Umwandlung in Grundschulden“ vor; siehe Dok. Nr. 196, Anm. 14.

16

In der Sitzung des Interfraktionellen Ausschusses der Regierungsparteien vom 11.3.27 sprach der Ausschuß „einmütig den Wunsch aus, daß alles, was das Reich zur Verbesserung der bestehenden Aufwertungsgesetzgebung zu tun gedenke, sorgsam zusammengestellt und durch den Herrn Reichskanzler ‚in einer großzügig angelegten Rede‘ dem Rechtsausschuß am 18. März bei Beginn der Aufwertungsdebatte vorgetragen werden möge“ (Aufzeichnung von MinR Vogels vom 12. 3. in R 43 I /1028 , Bl. 170–172; vgl. auch Bl. 173). Daraufhin wurde von der Rkei, dem RFMin., dem RWiMin. und dem RArbMin. Material für die beabsichtigte – dann aber nicht gehaltene – Rede des RK vor dem Rechtsausschuß zusammengestellt (in R 43 I /2458 , Bl. 242, 251–258, 281–284).

Das Kabinett war der Meinung, daß es zweckmäßiger sei, wenn zunächst der als Ressortminister in erster Linie beteiligte Reichsminister der Justiz im Rechtsausschuß im Namen der Reichsregierung spreche17.

17

Die Ausführungen des RJM zur Aufwertungsfrage in der Sitzung des Rechtsausschusses vom 18. 3. sind wiedergegeben in: RT-Bd. 417 , Drucks. Nr. 3604 , S. 9 f. – Der Standpunkt der RReg. hinsichtlich der Behandlung des Aufwertungsproblems ergibt sich auch aus dem Schreiben des RK vom 10. 4. an Kardinal Bertram: Dok. Nr. 222.

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