2.17.6 (sch1p): VI. Steuervorschläge.

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Das Kabinett ScheidemannReichsministerpraesident  Philipp Scheidemann Bild 146-1970-051-17Erste Kabinettssitzung der neuen deutschen Reichsregierung am 13.2.1919 in Weimar Bild 183-R08282Versailles: die deutschen Friedensunterhändler Bild 183-R11112Die Sozialisierung marschiert! Plak 002-005-026

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RTF

VI. Steuervorschläge.

Schiffer erläutert eine überreichte Aufstellung20. Hauptlast direkte Steuern. Von den indirekten Steuern die reformierte Umsatzsteuer, die 2 Milliarden mehr bringen soll. 4 große Teile: direkte, indirekte, Monopole und Sozialisierungsangelegenheiten. Mit Kriegsabgabe und Vermögenszuwachsabgabe wird der Oberbau der neuen Vermögen abgetragen. Dann kommt die neue, nie geahnte Maßnahme der Vermögensabgabe. Wir brechen darunter zusammen, wenn nicht das große Resultat erreicht wird, daß gleichzeitig die Preise gewaltig heruntergedrückt werden.

20

Der dem RKab. vorgelegte Katalog umfaßte folgende Steuervorschläge: Einmalige Abgaben: Kriegsabgabe 1919, Vermögensabgabe und Rayonsteuer mit einem geschätzten Gesamtvolumen von 51,6 Mrd. M; Laufende Abgaben: Erbschaftssteuer, Besitzsteuer, Einkommensteuer, Kapitalertragssteuer, Betriebsmehrertragssteuer, Anzeigensteuer, Vergnügungssteuer, Dienstbotensteuer, Vereinssteuer, Versicherungssteuer, Verkehrsabgaben aus dem Eisenbahnverkehr, Umsatzsteuer, Grundwechselsteuer, Kraftfahrzeugsteuer, Urkundensteuer, Tabaksteuer, Zuckersteuer, Zündwarensteuer und Spielkartensteuer, zusammen mit einem Volumen von 7,893 Mrd. M; das bedeutete einen Mehrertrag gegenüber dem letzten Friedensetat von 6,284 Mrd. M. Hinzukamen die bereits während des Krieges genehmigten Abgaben von insgesamt 2,330 Mrd. M. Diese Angaben waren geschätzt und bezogen sich auf das bisherige Reichsgebiet (R 43 I /1348 , S. 101-105).

Laufende Abgaben: An die Ergänzungssteuer will das Reich nicht heran. Aber an die Quellen stärker herangehen: Kapitalertragsteuer21. Ferner Betriebsertragsteuer22; diese ist erst in der Ausarbeitung. Erbschaftssteuer23 soll 850 Millionen, also 800 Millionen mehr als früher geben. Stark besteuert wird der Tabak24. Reform der Umsatzsteuer25; dabei zu erörtern, ob auch aus[57] Getreide und Fleisch etwas herausgeholt werden kann. Monopole bringen wenig, wird allgemein überschätzt. – Sozialisierung kann so erfolgen, daß kein fiskalischer Erfolg oder gar fiskalischer Zuschuß – wogegen ich widersprechen würde. Umgekehrt denkbar eine fiskalische Sozialisierung. Die jetzige Sozialisierung des Reichswirtschaftsamts ist nicht fiskalisch, aber wir müssen Hand in Hand arbeiten, um den fiskalischen Gesichtspunkt möglichst zu berücksichtigen. – Über Zölle noch nichts zu sagen.

21

Der Entwurf eines Kapitalsteuerertragsgesetzes sah eine 10%ige Abgabe auf alle Kapitalerträge vor (ohne Anschreiben in: R 43 I /2393 , Bl. 43-45); das RFMin. schätzte einen sich daraus ergebenden jährlichen Gesamtertrag von 1,3 Mrd. M, s. Anm. 20.

22

Ein entsprechendes Gesetz wurde im Zeitraum des Kabinetts Scheidemann dem RKab. nicht vorgelegt.

23

Das geplante Erbschaftssteuergesetz dehnte die bestehende Erbschaftssteuer auf Kinder und Ehegatten aus und erhöhte die Steuersätze der anderen Erwerber; hinzukam nach dem Muster des engl. estate duty eine letzte Besteuerung des Vermögens des Erblassers (ohne Anschreiben in: R 43 I /2409 ).

24

GesEntw. in: R 43 I /2409 , Bl. 14-24; der geschätzte Mehrertrag gegenüber dem letzten Friedensaufkommen betrug 578 Mio M, s. Katalog des RFM in der Anlage zum Kabinettsprotokoll (R 43 I /1348 , S. 101-105, hier: S. 103).

25

Der GesEntw. für die Umsatzsteuer sah vor allem eine erhöhte Steuerabgabe auf die Lieferung von Luxusgegenständen durch den Hersteller und im Kleinhandel in Höhe von 15% sowie eine erhöhte Steuer auf bestimmte Leistungen, wie Gasthaussteuer, Verwahrungssteuer u. a. in Höhe von 10% (ohne Anschreiben in: R 43 I /2409 , Bl. 26-59). Der geschätzte Mehrertrag gegen den letzten Friedensetat belief sich auf 2 Mrd. M (R 43 I /1348 , S. 101-105, hier: S. 103).

Erzberger: Bier?

Schiffer: Schon so hoch belastet, daß kaum noch zu fassen.

Was ich hier gesagt habe, ist so nicht für Öffentlichkeit geeignet.

Erzberger: In welcher Reihenfolge einbringen?

Schiffer: Alles Fertige sofort an den Staatenausschuß. Kapitalrentensteuer ist fertig, Erbschaftssteuer in der nächsten Zeit. Hauptsächlich fehlt noch Vermögenssteuer26. Möglichst alles zugleich herausbringen. Die Größe des Gesamtwerks erleichtert die Durchbringung im einzelnen. – Schwierigkeit bei der Vermögenssteuer, daß nicht nur Frist, sondern auch Überführung in natura geregelt werden muß, um Déroute durch Verkauf zu verhindern. Das bedarf genauester Prüfung. – Gefahr, daß die Alliierten alles für sich fordern. Gut, wenn Frieden vorher unter Dach. Bis dahin wird auch Vermögenssteuer-Entwurf fertig sein.

26

Ein entsprechendes Gesetz wurde im Zeitraum des Kabinetts Scheidemann dem RKab. nicht vorgelegt.

Erzberger: Vielleicht erst Grundgesetz, dann Ausführung.

Moesle: Solche Teilung kaum möglich. Hauptsache ist Ausführung.

Die Steuern hängen zusammen. Z. B. kann man einen Erbfall gleich nach der Vermögensabgabe27 nicht so hoch besteuern, weil sonst Zertrümmerung des Vermögens. Auch darauf Bedacht nehmen, daß Steuerorganisationen nicht zusammenbrechen.

27

Der GesEntw. bez. einer einmaligen Kriegsabgabe vom Vermögenszuwachs betraf den Zuwachs an jedem steuerbaren Vermögen, soweit es 5000 M überstieg; die Höhe der Abgabe war nach der Höhe des Vermögens gestaffelt und reichte von 10% bis 100% (ohne Anschreiben in: R 43 I /2393 , Bl. 25-36). Das RFMin. rechnete mit einem Ertrag von 10 Mrd. M (R 43 I /1348 , S. 101-105, hier: S. 101 ).

Landsberg: Das Beste, wenn ganzes Steuerbündel zusammen vorgelegt wird. Die direkten müßten sonst vor den indirekteren gebracht werden.

Schiffer: Der Nationalversammlung wollen wir möglichst alles zusammen vorlegen.

Giesberts: Im Staatenausschuß müssen wir dann aber ein Exposé geben, wie etwa heute.

Erzberger: Nach Einbringung im Staatenausschuß bleibt nichts mehr geheim.

Schiffer: Exposé habe ich dem Staatenausschuß gegeben. Auch außerhalb nichts mehr neu.

Erzberger: Schlagwort wird sein: 4 direkte, 20 indirekte. Nummern hier möglichst vermeiden!

[58] Schiffer: Ja. Vielleicht durch Mantelgesetze.

Bauer: Lieber etwas warten und zusammen einbringen.

Schiffer: Wir wollen ja in erster Reihe mit großen direkten Steuern kommen. – Kapitalertragssteuer werde ich gleich veröffentlichen, Erbschaftssteuer ankündigen.

Ich bitte, daß das Kabinett mich ermächtigt, die Vorlagen einzubringen. Nähere Durchsprache nicht nötig; alle Ressorts waren bei Vorbesprechungen vertreten.

Redner gibt einige Erläuterungen.

Erzberger: Genügen 10% Kapitalertragssteuer?

Schiffer: 10% ist doch sehr viel. Allenfalls später etwas mehr. Aber auch die kleinsten Vermögen werden getroffen, anders als in England.

Landsberg, Erzberger: Das ist doch unbillig. Lieber wie in England kleine Vermögen frei lassen oder zurückerstatten, und bei höheren über 10%.

Schiffer, Moesle: Unerträgliche Schiebungen, falsche eidesstattliche Versicherungen usw. Wir würden über 1 Million Erstattungsanträge bekommen; technisch nicht zu bewerkstelligen. – Künftig übrigens wohl Erhöhung des Zinsfußes (Verteuerung des Kredits) zu erwarten28.

28

Der Bankdiskontsatz behielt über das ganze Jahr 1919 hinweg die Höhe von 5% bei (Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, hrsg. v. Statistischen Reichsamt, 41. Jg. 1920, S. 116).

Erzberger: Gewiß große Mehrarbeit. Aber täuschen wir uns nicht; Nationalversammlung wird’s beschließen, Minderertrag durch Erhöhung auf 20% auszugleichen29. Volkswirtschaftlich gut: Kriegsanleihe statt 5% nur 4%.

29

Das Kapitalertragssteuergesetz vom 29.3.1920 (RGBl. 1920, S. 345 ) entsprach, was die Höhe der Abgabe anbetrifft, dem GesEntw. (s. Anm. 21).

Schiffer: Lassen wir es bei dem Entwurf, wenn Änderung im Staatenausschuß verlangt, dann unserseits Erhöhung auf 20% zur Bedingung.

Moesle: Praktische Durchführbarkeit ist die Hauptsache.

Ministerpräsident: Wir wollen ja ev. doch nachgeben. Da mit Sicherheit zu erwarten, daß die Forderung kommt, dann lieber gleich.

Schiffer: Bedenken wegen der Schwierigkeit der Durchführung halte ich aufrecht. – Bis jetzt sind Einsprüche in der Öffentlichkeit nicht gekommen. Am Entwurf festhalten! Falschdeklarationen ziemlich ausgeschlossen.

Erzberger: Falsche Taktik!

Schiffer: Mit 2000-Mark-Grenze kommt man nicht durch. Wer bei 5000 M mehrere Kinder in höhere Schule schickt, ist mindestens so schlimm daran. Allenfalls Härteparagraphen.

Erzberger, Landsberg stimmen zu.

Moesle: Dann bekommen wir Millionen Anträge. – 10% sind Maximum des Erträglichen.

Schiffer: Wir wollen es mit Härteparagraphen versuchen „In außergewöhnlichen Fällen usw.30.

30

Das Kapitalertragssteuergesetz vom 29.3.1920 (RGBl. 1920, S. 345 ) enthielt keinen Härteparagraphen.

Allgemeine Zustimmung.

[59] Vergnügungssteuer31.

31

Im Zusammenhang mit der Luxussteuer im Rahmen der Umsatzsteuer (s. Anm. 25) wurde dem RKab. der GesEntw. für eine Vergnügungssteuer vorgelegt, der Theatervorstellungen, weitere Darstellungen, Volksbelustigungen, Konzerte, Ausstellungen u. a. unterlagen; die Höhe der Abgabe war gestaffelt und betrug zwischen ca. 20 und ca. 40% (ohne Anschreiben in: R 43 I /2393 , Bl. 17-24). Der geschätzte jährliche Gesamtbetrag belief sich auf 30 Mio M (R 43 I /1348 , S. 101-105, hier: S. 101 ).

Landsberg: Sie trifft den weniger Wohlhabenden, der außerhalb des Hauses sein Vergnügen suchen muß. Man müßte auch das Vergnügen im Hause besteuern. Etwa bei Festen von gewisser Personenzahl an.

Schiffer: Technisch nicht durchführbar. Abgrenzung, Denunziationen.

Giesberts: Überlassen wir die Vergnügungssteuer doch ganz den Kommunen.

Schiffer: Die Gemeinden sollen die Hälfte bekommen.

Zündwarensteuer, Zuckersteuer32.

32

Der Entwurf eines Zündwarensteuergesetzes brachte neben Erhöhung der Zollsätze eine Verdoppelung der Steuersätze auf die betroffenen Waren und erweiterte deren Kreis (ohne Anschreiben in: R 43 I /2393 , Bl. 46-54); es sollte einen geschätzten Mehrertrag gegenüber dem letzten Friedensetat von 28 Mio M bringen (R 43 I /1348 , S. 101-105, hier: S. 103). Der Entwurf eines Zuckersteuergesetzes enthielt eine Verdoppelung der Abgabe (ohne Anschreiben in: R 43 I /2393 , Bl. 55); der geschätzte jährliche Mehrertrag gegenüber dem letzten Friedensetat betrug 180 Mio M (R 43 I /1348 , S. 101-105, hier: S. 103).

Landsberg: Diese beiden zurückstellen.

Meuschel: Bis zum Oktober muß die Zündwarensteuer herauskommen.

Beschlossen: Beide bis zur Erbschaftssteuer zurückstellen.

Spielkartensteuer33.

33

Der Entwurf eines Spielkartensteuergesetzes trug den Charakter eines Luxussteuergesetzes; er sah eine Verdoppelung der bisher geltenden Abgabesätze vor. Der Abschnitt über die Strafvorschriften umfaßt 18 Paragraphen; die von Landsberg bemängelte Vorschrift ist nicht zu ermitteln (ohne Anschreiben in: R 43 I /2393 , Bl. 56-62). Der geschätzte jährliche Mehrertrag gegenüber dem letzten Friedensetat betrug 10,5 Mio M (R 43 I /1348 , S. 101-105, hier: S. 103).

Landsberg bemängelt eine Strafbestimmung.

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