2.76 (str1p): Nr. 76 Besprechung mit Vertretern der 5 Parteien und Vertretern des besetzten Gebiets. 24. September 1923, 12 Uhr

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[334] Nr. 76
Besprechung mit Vertretern der 5 Parteien und Vertretern des besetzten Gebiets. 24. September 1923, 12 Uhr

R 43 I /215 , Bl. 181–184 Durchschrift

Anwesend1: Stresemann, Fuchs, Hilferding, Sollmann, von Raumer, Brauns, Geßler, Oeser, Luther, Höfle; StS von Rheinbaben, Meister, von Maltzan; Generalkom. Schmid; Stinnes Vögler, Erkelenz, Falk, Jarres, Meyer-Düsseldorf, Zapf, van den Kerkhoff, Külb, Hofmann-Ludwigshafen, Hoffmann-Kaiserslautern, Mönnig, Meerfeld, Moldenhauer, Imbusch, Rippel, Scholl, Dingeldey, Adelung; Protokoll: RegR von Stockhausen.

1

Dem Protokoll ist eine Anwesenheitsliste nicht beigefügt. Sie wurde rekonstruiert nach dem Einladungsvorschlag des RMinbesGeb. (s. Anm. 11 zu Dok. Nr. 71) und der Parallelüberlieferung dieser Besprechung in einer Aufzeichnung von Erkelenz (hs. Original im BA: NL Erkelenz  125, Bl. 75–77; maschinenschriftl. in einer Ausarbeitung aus dem Jahr 1931, die für die Arbeit von P. Wentzckes über den „Ruhrkampf“ angefertigt wurde; BA: NL Erkelenz 57, Bl. 31–33).

Der Herr Reichskanzler eröffnet die Sitzung und trägt etwa Folgendes vor2:

2

Erkelenz hatte lediglich notiert: „Stresemann schildert Lage: Aufhebung pass. Widerstand, Erklärung an Volk, Zustimmung besetzten Gebiets.“

Die Grundfrage, die zunächst zu erörtern sei, sei die, ob der passive Widerstand weiter fortgesetzt werden solle. Das hänge davon ab, ob man ihn tatsächlich weiter fortsetzen könne. Dies wieder könne nur beantwortet werden, wenn man sich die Frage stelle: dient die Fortsetzung des passiven Widerstandes den nationalen Interessen oder schädigt sie dieselben?

Ehe er in die nähere Erörterung dieser Fragen eintrete, halte er sich für verpflichtet, zu betonen, daß die scharfe Kritik an dem passiven Widerstand, die in letzter Zeit vielfach geübt werde, nicht angebracht sei3. Der passive Widerstand habe Deutschlands Stellung in der Welt gestärkt. Prachtvoll sei die Opferfreudigkeit der Bevölkerung, die hierbei in die Erscheinung getreten wäre. Als Erfolg des passiven Widerstandes sei zu buchen, daß es den Franzosen bisher kaum gelungen sei, das Ruhrpfand irgendwie produktiv zu gestalten4.

3

Vgl. dazu auch Dok. Nr. 64.

4

Nach einer Ausarbeitung des Statistischen Reichsamts über die Ruhrschäden vom 22.11.23 wurden auf den Bahn- und Wasserwegen bis Ende September 1923 rund 2 294 000 t Kohle und Koks abtransportiert. In den Vergleichsmonaten Januar bis September 1922 waren als Reparationsleistung an Frankreich, Belgien und Luxemburg 10,3 Mio t Kohle und Koks geliefert worden. Durch Beschlagnahme von Reichsbankgeldern, Erhebung von Zöllen, Steuern und Strafgeldern hatten die Besatzungstruppen der Franzosen und Belgier 60 Mio GM erhalten (R 43 I /224 , Bl. 374).

Wenn er nun auf die eingangs aufgeführten Fragen eingehe, so müsse er betonen, daß entscheidend für deren Beantwortung die finanzielle Lage des Reiches sei. Die Ausgaben für den passiven Widerstand seien stark angewachsen. Allein in der Woche vom 16. bis 22. September seien 3448 Billionen Papiermark für den passiven Widerstand ausgegeben worden. Völliger Markzerfall sei die[335] Folge. Stützungsaktionen der Reichsbank könnten nicht mehr unternommen werden, da der Goldbestand der Reichsbank auf einen Betrag geschwunden sei, der unbedingt erhalten werden müßte. Die Papiermark verhalte sich zur Zeit etwa gegenüber dem Sowjetrubel wie 1 : 3. Wenn die Papiermark unter den Stand des Sowjetrubels sinke, so müsse dies vernichtende Folgen für die Wirtschaft und die Bevölkerung zeitigen5. Es sei daher notwendig, ernsthaft die Frage zu erwägen, ob sich die Waffe des passiven Widerstandes heute nicht gegen uns selbst kehre? Ist die Aufgabe des passiven Widerstandes nicht geboten, um Deutschland vor dem endgültigen Zusammenbruch zu retten6?

5

Ein offizieller Kurs für Rubel bestand in Dtld nicht, da durch Gesetz vom 15.3.19 (RGBl., S. 321 ) der Verkehr mit russ. Zahlungsmitteln verboten worden war. Am 23.9.23 berichtete die Russische Telegrafen-Agentur von Verhandlungen des sowjetischen Volkskommissars für Finanzen Sokolnikow in Berlin zur Aufhebung des Verbots („Die Zeit“, Nr. 222 vom 26.9.23). Der RFM hob durch VO vom 3.10.23 das Gesetz von 1919 auf (RGBl. I, S. 932 ).

6

Zur Situation im besetzten Gebiet hatte Vortr.LegR von Friedberg dem StS von Maltzan als Stellungnahme am 21.9.23 unterbreitet: 1. Die Form des passiven Widerstands habe vor allem in Düsseldorf den Separatismus verstärkt. Der wirtschaftliche Stillstand werde auch „weite Kreise des erwerbstätigen Bürgertums den Separatisten in die Arme treiben“. 2. Eine weitere Verzögerung steigere die Gefahr, daß die Bevölkerung selbst eine Entscheidung herbeiführe. 3. Die Einstellung von Zahlungen und Aufhebung von ZwangsVO würden nicht den Abfall des Rheinlandes bedeuten, sondern eine unmittelbare Gefahr abwenden. 4. Da bei Einstellung des Widerstandes mit schweren Gewalttaten gegen Persönlichkeiten der Besatzungsmächte zu rechnen sei und dies von der RReg. nicht abgewendet werden könne, müsse in einer Note an die frz. und die belg. Reg. ihnen die Verantwortung für die Folgen der Entwicklung zugesprochen werden (Pol. Arch.: NL von Maltzan , Bis zum Aufruf).

Der Widerstand selbst lasse nach und sei stellenweise stark durchlöchert. So habe er mit Bedauern von dem Verhalten der Bevölkerung bei dem letzten Rennen der Franzosen in Dortmund Kenntnis genommen. In Scharen hätten sich deutsche Zuschauer auf die Tribünen gedrängt und den Franzosen das Eintrittsgeld gezahlt. Doch müsse er nochmals betonen, daß letzten Endes ausschlaggebend für die Fortführung des Widerstandes, die Möglichkeit einer weiteren Finanzierung sei, diese müsse aber vereint werden. Innerpolitisch und finanzpolitisch gesehen, ergebe sich folgendes Bild: kann eine Festung länger gehalten werden, die so viel Proviant verschlingt, daß das gesamte Heer leidet! –

Auch außenpolitisch verspreche die Fortführung des pass. Widerstandes keinen Erfolg mehr.

Der Herr Reichskanzler ging sodann auf eine Schilderung der Versuche ein, durch Diskussion von vornherein gewisse Voraussetzungen für die Aufgabe des passiven Widerstandes mit der Gegenseite festzulegen. Hier habe es sich hauptsächlich darum gehandelt, für den Fall der Aufgabe des passiven Widerstandes die Gewähr für eine Amnestie der Gefangenen für die Rückkehr der Ausgewiesenen und für die Wiedereinsetzung der Beamten zu erlangen. Er müsse bemerken, daß die Anregung zu einer derartigen Diskussion von einer der Besatzungsmächte ausgegangen sei. Die Bemühungen der Regierung in dieser Hinsicht seien jedoch zunichte geworden, sie hätten zu keinem Erfolg geführt7. Die letzten Sonntagsreden des französischen Ministerpräsidenten ließen[336] nur den Schluß zu, daß der französische Ministerpräsident nicht gewillt sei, irgendwie von seinen in dem französischen Gelbbuche und seinen früheren Reden aufgestellten Grundsätzen abzuweichen8.

7

Zu den vorbereitenden Verhandlungen s. Dok. Nr. 61; 62; 64; 68; Anm. 10 zu Dok. Nr. 71.

8

Am 23.9.23 hatte Poincaré Reden bei Denkmalseinweihungen in Nancy, in Toul und im Priesterwald gehalten. Bei dieser Gelegenheit hatte er erneut auf dem Sanktionsrecht bestanden und die Besetzung des Ruhrgebiets gerechtfertigt. Der Versuch, die Alliierten auseinanderzubringen, sei der RReg. nicht gelungen. Der passive Widerstand müsse bald zusammenbrechen, da er nicht mehr finanziell vom Reich getragen werden könne. „Frankreich sei bereit, zu einem Ende zu kommen, ebenso wie Deutschland und die Alliierten. Deutschland müsse aber erst mit dem passiven Widerstand ein Ende machen. Es müsse mit der Stellung von Vorbedingungen aufhören, denn Frankreich nehme keine Bedingungen an. Frankreich halte sich an die Protokolle von Brüssel, an sein Gelbbuch und an seine öffentlichen Erklärungen. Dem habe es nichts hinzuzufügen und von dem habe es nichts zurückzunehmen“ („Die Zeit“, Nr. 221 vom 25.9.23). Der dt. Geschäftsträger von Hoesch telegrafierte an das AA am 24.9.23: „Stark betont wird Aktivität Rheinseparatisten und mehrfach findet sich versteckte Drohung, daß, wenn Kanzler jetzt nicht nachgebe, Frankreich Einstellung Widerstands in direktem Benehmen mit besetzten Gebiet würde herbeiführen können. – Ich habe von hiesiger Gesamttendenz wenig erfreulichen Eindruck. Es erscheint mir, als ob Poincaré beabsichtigt, auch nach Aufgabe des Widerstands zunächst in seiner gesamten Haltung wenig zu ändern und fürs erste in Tardieuschen Sinne lediglich zu versuchen, Ruhrpfand produktiv zu machen, das heißt Ausbeutungssystem, dessen Verwirklichung Widerstand bisher verhinderte, nunmehr durchzuführen“ (Pol. Arch.: Büro RM 7, Bd. 2).

Immerhin bleibe abzuwarten, welche Folgerung die Gesamtheit der alliierten Regierungen späterhin aus einer Einstellung des passiven Widerstandes durch die Deutsche Regierung ziehen werden.

Nunmehr aber frage es sich, ob es eine gemeinschaftliche Linie gebe, die die Vertreter des besetzten Gebiets in der Frage der Einstellung des passiven Widerstandes mit der Reichsregierung gehen könnten. Er bitte daher, die anwesenden Vertreter des besetzten Gebietes

1.

um Zustimmung zur Einstellung des passiven Widerstandes überhaupt,

2.

um eine Erörterung der Frage, wie die Einstellung vor der Bevölkerung vertreten werden könne.

Vor Eintritt in die Diskussion macht der Herr Reichskanzler auf die strenge Vertraulichkeit dieser Besprechung aufmerksam.

Abgeordneter Dr. Meerfeld [Sozialdemokrat], Köln9: Er stimme grundsätzlich der Einstellung des passiven Widerstandes zu. Der finanzielle Abbau, der allerdings sofort in Angriff genommen werden müsse, dürfe nicht zu plötzlich erfolgen. Dieses könnte nachteilige Folgen für die Wirtschaft und für die Bevölkerung zeitigen und eine Gefahr des Zulaufs der Unzufriedenen ins separatistische Lager mit sich bringen10. Er stelle der Erwägung anheim, ob man die Ruhrhilfe in produktive oder sonstige Erwerbslosenunterstützung umwandeln könne. Die Selbsterhaltung zwinge mit dem passiven Widerstand, der ja doch nur noch scheinbar bestehe, endgültig Schluß zu machen.

9

Zu Meerfelds Ausführungen notierte Erkelenz: „Will Reg. Rheinland preisgeben? Sollen wir der Aufhebung besonders zustimmen? Finanzieller Abbau nicht zu plötzlich. Moralische und politi[sche] Verantwortung tragen wir nicht.“

10

Zum wachsenden Separatismus s. a. den Bericht des Reichsvertreters in Hessen E. David vom 20.9.23, in: Kahlenberg, Dok. Nr. 82.

Abgeordneter Moldenhauer, Deutsche Volkspartei11: Der Herr Reichskanzler[337] habe erklärt, daß der passive Widerstand nicht mehr zu finanzieren sei und sein Fortgang außenpolitisch keinen Erfolg mehr verspreche. Er und seine Freunde seien daher bereit, im Einvernehmen mit der Reichsregierung die Folgerungen aus dieser Sachlage zu ziehen, insbesondere alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich seien, um die Wirtschaft im besetzten Gebiet so schnell wie möglich wieder in Gang zu bringen12.

11

Hierzu zeichnete Erkelenz auf: „Im Namen meiner Freunde: Wir sind bereit, Folgerung aus der Sachlage zu ziehen, passi[ven] Widerstand aufzugeben und Wirtschaft zu ordnen. Gegen Weg Verhandlungen allergrößte Bedenken. Bande zwischen besetzten und unbesetzten Gebiet verstärken. Pläne für Errichtung Sonderstaat dürfen hier keine Unterstützung finden.“

12

S. hierzu auch die Unterredung des der DVP-RT-Fraktion angehörenden Großindustriellen Stinnes mit dem amerik. Botschafter Houghton am 15.9.23 (Bericht Houghtons vom 21.9.23, in: Hallgarten: Hitler, Reichswehr und Industrie, S. 65 f.). In der DVP-Fraktionssitzung am 25.9.23 erklärte Stinnes: „Schenken Sie uns im besetzten Gebiet das Vertrauen, daß wir einen modus vivendi mit den Franzosen schließen werden, der die deutsche Würde wahrt“ (Pol. Arch.: NL Stresemann  87).

Er glaube nicht, daß es möglich sei, im Wege der Verhandlungen Frankreich davon abzubringen, die Herrschaft über Rhein und Ruhr auszuüben.

Er rege an, daß die Reichsregierung eine öffentliche Erklärung gegen die rheinische Separatistenbewegung abgebe13.

13

Hierauf reagierte Stresemann den Notizen Erkelenz’ zufolge mit: „Gar keine Rede von Empfehlung rh. Republik.“

Mönnig, Zentrum14: Er erkenne die Richtigkeit der Gründe an, aus denen die Reichsregierung den passiven Widerstand einstellen müsse. Die Aufhebung selbst geschehe am besten durch einen Aufruf. Eine Vertretung der Wirtschaftskreise und der Bevölkerung müsse dabei mitwirken. Bei der Notifizierung der Aufgabe des passiven Widerstandes an die Mächte müsse man sagen, daß die Regierung annehme, daß Gefangene befreit würden und die Ausgewiesenen zurückkehren dürften15. Gleichzeitig müsse man hervorheben, daß man nunmehr eine Antwort auf die letzten deutschen Noten zur Reparationsfrage erwarte.

14

Von Mönnigs Äußerungen notierte Erkelenz: „Wir haben schon vor 14 Tagen Unmöglichkeit pass. Widerstand erklärt. Wir erkennen Richtigkeit der Gründe für Abbau pass. Widerstand an. Wir stimmen zu. Geld nicht sofort einstellen. Was kann später geschehen. Aufhebung pass. Widerstand durch Aufruf. Dann Vorbereitung im Rheinland zu Verhandlungen. Im Aufruf Erwartung auf Erfüllung Ehrenpunkte und frühen Noten aussprechen. Welche Stelle verhandeln soll, muß Reg. bestimmen.“

15

Zum Aufruf über den Abbruch des passiven Widerstands s. Dok. Nr. 81.

Falk, Demokrat16: Mit Schmerzen habe auch er und seine Freunde die Notwendigkeit der Einstellung des passiven Widerstandes eingesehen. Er bitte die Reichsregierung, die notwendigen Maßnahmen nicht überstürzt zu treffen. Den Zusatz zur Notifizierung an die Mächte, den Herr Mönnig angeregt habe, solle man nicht so fassen, daß eine neue diplomatische Niederlage für Deutschland daraus erwachse. Eine gemeinschaftliche Erklärung der Arbeitsgemeinschaft für die besetzten Gebiete17 halte er für zweckmäßig.

16

In Erkelenz’ Parallelaufzeichnung heißt es bei Falk: „Mit Einstellung pass. Widerstand einverstanden. Stehen hinter Reg. Aufrechterhaltung Reichseinheit. Gut Verbindung mit Rheinland. Eintritt von Verhandlungen nicht zu schnell suchen. Zusatz Mönnich so, daß keine neue dipl. Niederlage entsteht. Wir sind bereit, Erklärung mit anderen Parteien zu unterschreiben.“

17

Mit der „Arbeitsgemeinschaft“ ist wahrscheinlich der Ruhrabwehrausschuß gemeint, vor dem OB Jarres am 21.9.23 sich nachdrücklich gegen eine Beendigung des passiven Widerstandes gewandt hatte (Text seines Memorandums in: BA: NL Jarres  7; Jarres’ Bericht hierzu in: BA: NL Jarres 49 „Meine Beteiligung am Ruhrkampf und seine Liquidierung“).

[338] Van den Kerkhoff, Deutschnational18: Er und seine Freunde19 seien der Auffassung, daß man nunmehr Frankreich erklären müsse, daß Deutschland sich mit ihm auf Verhandlungen überhaupt nicht mehr einlasse, daß es den Versailler Vertrag, der von Frankreich gebrochen sei, nicht mehr anerkenne und daß es keinerlei Reparationen mehr zu zahlen gewillt sei. Das besetzte Gebiet würde alsdann wohl zum Kriegsgebiet erklärt werden. Die Bevölkerung würde aber auch dieses ertragen und sich nicht unter das fremde Joch beugen. Eine Erklärung, daß der passive Widerstand um Deutschlands willen aufgegeben werde, könne seine Partei nicht mit unterschreiben, da eine Aufgabe des passiven Widerstandes auch unter diesen Gesichtspunkten immer nur den Einbruchsmächten zugute komme.

18

Über die Ausführung van den Kerkhoffs und die nachfolgende Diskussion ist bei Erkelenz angeführt: „Nicht einverstanden. Frankreich erklären: Bruch des Versailler Vertrages. Rheinland ist Kriegsgebiet. Geldunterstützung fiele sofort weg. Dieser Weg schließe Rheinland enger mit Reich zusammen. – Adelung: Vorschlag Kerkhoff würde als Verrat am Rhein aufgefaßt. – Hoffmann-Kaiserslautern: polemisiert gegen v. d Kerkhoff. – Kerkhoff: Wir geben Rheinland nicht auf. Aber keine Verhandlungen ehe Frankreich Rechtsbruch anerkennt. – Stresemann: wir haben z. Zt. keine Unterschrift zu leisten. – Stresemann: Ausschuß einsetzen zur Formulierung einer Erklärung. – Van den Kerkhoff: Pass. Widerstand muß aufrechterhalten werden. Wenn unser Weg gegangen wird, hört soziale Belastung auf.“

19

Zur offiziellen Haltung der DNVP in dieser Frage s. die Erklärung der DNVP-Fraktionen des RT und des Pr. LT vom 19.9.23 mit der Erwiderung durch die „Nationalliberale Correspondenz“ (Schultheß 1923, S. 174; Ursachen und Folgen V, Dok. Nr. 1076/1076a). Vgl. ferner Helfferichs Forderung im Auswärtigen Ausschuß des RT am 26.9.23 (Vermächtnis I, S. 135). Demgegenüber erklärte Scholz vor der Fraktion der DVP am 25.9.23: „In allen Kreisen ist man sich darüber einig, daß der passive Widerstand aus finanziellen Gründen nicht fortgeführt werden kann. Heute wird das auch von deutschnationaler Seite indirekt zugegeben“ (Pol. Arch.: NL Stresemann  87).

Gegen die Ausführungen des Abgeordneten van den Kerkhoff wenden sich in kurzen Ausführungen der Herr Reichskanzler, Adelung (Hessen) und Hofmann (Ztr.) (Ludwigshafen).

Abgeordneter Zapf (Deutsche Volkspartei)20 bemerkt, daß es Sache der Reichsregierung sei, die Entscheidung über die Aufgabe des passiven Widerstandes zu treffen und auch die Verantwortung dafür zu tragen. Die Erklärung der Arbeitsgemeinschaft, die abzugeben sei, würde daher nicht etwa die Verantwortung verschieben.

20

Zu den Ausführungen Zapfs schrieb Erkelenz: „Bedenken gegen Mitwirkung Rheinlands zur Aufhebung pass. Widerstandes. Franzosen nutzen das aus. Nicht unsere Sache, in Entscheidung Reg. einzugreifen. Verantwortung liegt bei Reg. Sie hat starke Stellung. Wir werden doch wohl zu Erklärung kommen. Wenn Reg. Entscheidung getroffen, helfen wir weiter.“

Der Herr Reichskanzler21 bemerkt, daß es sich keineswegs bei dieser Erklärung um eine Verschiebung der Verantwortung handele. Er bitte, daß sogleich ein Ausschuß für die Formulierung dieser Erklärung gebildet werde. Das Weitere hierfür bitte er den Herrn Reichsminister für die besetzten Gebiete zu veranlassen.

21

Hierzu notierte Erkelenz: „Verantwortung hat Reg. Aber besetztes Gebiet soll dann hinter uns treten. Verhandlungen können wir nicht ablehnen. – Es wird Ausschuß zur Abfassung Erklärung gebildet.“

Die Sitzung wird sodann geschlossen22.

22

In dem zusammenfassenden Bericht Moldenhauers vor der DVP-Fraktion am folgenden Tag heißt es über diese Sitzung: „Eingeladen waren: Vertreter der Parteien aus dem gesamten besetzten Gebiet. Von uns Vögler, Moldenhauer und Zapf eingeladen. Außerdem Stinnes, Dingeldey und Jarres anwesend. Der Kanzler gab einen Bericht über die Lage. Danach ¼stündige Pause. Ich habe darauf Erklärung der DVP vorgelesen. Die Soz. wünschten dagegen ursprünglich, daß die Vertreter des besetzten Gebiets die Regierung auffordern müßten, den passiven Widerstand aufzugeben. Die übrigen Parteien geben Erklärungen dahingehend ab, daß sie die Fortsetzung des passiven Widerstandes für unmöglich hielten. Auch van den Kerkhove setzte sich nicht ausdrücklich für die Aufrechterhaltung des passiven Widerstandes ein, meinte aber etwas unklar, man müsse jetzt zum Bruch mit Frankreich kommen“ (Pol. Arch.: NL Stresemann  87).

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