1.65 (str2p): Nr. 179 Besprechung mit den Vertretern der besetzten Gebiete im Kreishaus in Hagen vom 25. Oktober 1923, 11.30 Uhr

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Nr. 179
Besprechung mit den Vertretern der besetzten Gebiete im Kreishaus in Hagen vom 25. Oktober 1923, 11.30 Uhr

R 43 I /216 , Bl. 37–1761

1

Die Übertragung des stenogr. Berichts war am 2.11.23 fertiggestellt und wurde dem StSRkei vorgelegt. Exemplare gingen an den RIM, den RMbesGeb. und den PrMinPräs. am 6.11.23 (R 43 I /216 , Bl. 36). Teilnehmerberichte zu dieser Versammlung liegen vor von A. Erkelenz (BA: NL Erkelenz  57, Bl. 36–41), von Falk (BA: NL Falk, Bl. 165–166), von Jarres (BA: NL Jarres 7: „Meine Beteiligung am Ruhrkampf und seine Liquidierung“, S. 6 u. 7).

Die Sitzung wird um 11 Uhr 30 Min. durch den Vorsitzenden, Oberbürgermeister Jarres, eröffnet2.

2

Nach Erkelenz war der Beginn der Besprechung auf 9 Uhr angesetzt und sei aus ihm unbekannten Gründen verschoben worden. „Den Vorsitz übernahm […] Jarres, und zwar meines Erinnerns, weil er als Vorsitzender des rheinischen Provinziallandtages als der erste Vertreter des hauptbeteiligten Landesteils zu gelten hätte“ (BA: NL Erkelenz  57, Bl. 36).

Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres:

Meine Herren! Auf Wunsch des Herrn Reichskanzlers und auf Wunsch aus der Mitte dieser Versammlung gestatte ich mir, die Leitung der heutigen Besprechung zu übernehmen. Es ist der Wunsch des Herrn Reichskanzlers, die Teilnehmer nach Namen und Vertretung genauer kennen zu lernen. Er hat mich bitten lassen, daß sich jeder erhebt und seinen Namen sagt und angibt, für wen er kommt3.

3

Eine Teilnehmerliste konnte nicht ermittelt werden.

(Die Vorstellung erfolgt.)

Ich nehmen an, daß die Presse hier nicht vertreten ist. Denn es ist selbstverständlich, daß aus der heutigen Besprechung nichts in die Zeitungen hineinkommen darf, es sei denn, daß am Ende dieser Versammlung etwa anderweitiges beschlossen wird. Ich nehme auch an, daß es der Wunsch der Reichsregierung[762] und der Landesregierung ist, wie auch der Beteiligten, im Interesse einer freimütigen Aussprache, die unbedingt notwendig ist, daß der Gegenstand dieser Verhandlungen und die Verhandlungen selbst vertraulich behandelt werden. Ich nehme an, daß wir darüber einig sind. –

Der Herr Reichskanzler hat gebeten, ihm einen kleinen Bericht über die Vorbesprechungen zu erstatten, die gestern in Barmen auf dem Rathause stattgefunden haben. Ich gestatte mir, diesen Bericht in kurzen Zügen zu geben, und bitte, mich zu ergänzen oder zu berichtigen, falls es mir nicht gelingen sollte, im Sinne der Beteiligten hier zu sprechen. Ursprünglich war gestern nur eine Zusammenkunft der Ältestenräte des Rheinischen und Westfälischen Provinziallandtages geplant. Diese Zusammenkunft sollte sich damit beschäftigen, ob es richtig und notwendig sei, die beiden Provinziallandtage jetzt zu berufen, um Stellung zu den Dingen zu nehmen, namentlich gegenüber den separatistischen Eingriffen der letzten Tage. In einer Besprechung, die jedoch unter den Parteiführern in Köln am letzten Montag [22. 10.] stattgefunden hat, kam man zu der Auffassung, daß es richtiger sei, diesen Kreis zu erweitern und nicht nur die Ältestenräte der beiden Provinziallandtage zu dieser Besprechung zu bitten, sondern auch andere führende Persönlichkeiten aus den politischen Parteien und der Wirtschaft.

So kamen denn gestern 52 Personen im Rathaus in Barmen zusammen. Wir kamen dahin überein, daß zunächst ein Stimmungsbild aus den einzelnen Bezirken gegeben werden solle, um den jetzigen Stand der separatistischen Bewegung namentlich zu beleuchten und um uns darüber klar zu werden, wie das Verhalten und die Stimmung der Bevölkerung dem Separatismus gegenüber stünde, und zweitens wurde es für richtig gehalten, von Vertretern der Wirtschaft auch ein knapp umrissenes Bild über die Wirtschaftslage zu geben4.

4

Jarres schrieb über die Barmer Besprechung: „Als die Dinge sich immer mehr zugespitzt hatten, fand am 24. Oktober im Barmer Rathaus eine Verhandlung statt, von [!] welcher zahlreiche Führer in Politik und Wirtschaft aus Rheinland und Westfalen zusammentraten. Die Versammlung diente als Vorbesprechung für die am folgenden Tage in das Hagener Kreishaus einberufene Versammlung, zu welcher die Reichs- und Staatsregierung eingeladen hatte. Die Barmer Versammlung stellte den Tiefpunkt der damaligen verzweifelten Stimmung und Depression dar“ (BA: NL Jarres  7). Vgl. dazu Anm. 1 Dok. Nr. 173.

An den Verhandlungen nahmen leider die südlichen Bezirke nur in beschränktem Maße teil. Aus dem Regierungsbezirk Wiesbaden war nur ein Herr anwesend, allerdings in Vollmacht der sämtlichen politischen Parteien, und aus der Pfalz war ein Vertreter überhaupt nicht erschienen. Auch die Provinz Westfalen war bei der Eile der Berufung der Versammlung nur mit wenigen Mitgliedern vertreten, aber die Rheinprovinz war wohl aus allen Schichten reichlich vertreten.

Das Stimmungsbild, das zunächst gegeben wurde aus den einzelnen Bezirken, kann dahin zusammengefaßt werden: Die Separatisten haben hier und da Erfolge gehabt, eigentlich aber nur dann, wenn die Besatzung mittelbar oder unmittelbar ihren Beistand gab. An den verschiedensten Orten war es auch gelungen, die Separatisten wieder zu vertreiben. Aber man war sich darüber klar, daß, wenn es auch gelingen würde, den Separatismus jetzt niederzuschlagen, er[763] doch wahrscheinlich in kurzer Zeit wieder sein Haupt erheben würde, und vielleicht unter besseren Umständen und mit reicheren Erfahrungen5.

5

Bereits am 23.10.23 hatte StS von Maltzan dem dt. Geschäftsträger in Paris die Weisung erteilt, gegen die frz. Unterstützung der separatistischen Bewegung eine Protestnote zu überreichen. Sie begann mit den Worten: „Nach den der Deutschen Regierung gewordenen amtlichen Mitteilungen haben die französischen Besatzungstruppen gelegentlich der in den letzten Tagen und Wochen von sonderbündlerischer Seite vorgenommenen Demonstrationen und Putschversuchen nicht nur keine neutrale Haltung bewahrt, sondern einerseits durch systematische Behinderung der deutschen Polizei, andererseits durch Begünstigung der Separatisten ihren Bestrebungen in jeder Hinsicht Vorschub geleistet“ (R 43 I /1838 , Bl. 538). Das PrIMin. berichtete am 25.10.23 über die Beziehungen von Franzosen, Belgiern und Separatisten u. a.: „Allgemein hat die Besatzung systematisch durch ihr ganzes Verhalten die Grundlage für das Aufkommen des Separatismus geschaffen. Klar war, daß durch die Aufnahme der Produktion durch die Inbetriebsetzung der Wirtschaft und die Sicherstellung der Ernährung ein Hauptagitationsherd dem Separatismus entzogen worden wäre. Das Reich hat sowohl offiziell wie inoffiziell von Berlin aus wie über die Rheinprovinz in jeder Weise versucht, die baldmöglichste Aufnahme der Produktion wiederherzustellen. Der passive Widerstand wurde abgebrochen, alle Verordnungen sind ohne Einschränkung aufgehoben worden. Den Beamten wurde die Mitarbeit auf dem Gebiet der Pfänderpolitik freigegeben, den Eisenbahnern die Anordnung gegeben, sich bei der Regie zu melden. Ohne Rücksicht auf die Eingriffe in die Staatshoheit und die schweren außen- und innenpolitischen Opfer sind Reich und Staat weit über das hinausgegangen, was nach Abschluß des Versailler Vertrags noch verantwortet werden konnte. Inzwischen war den Franzosen seitens der Vertreter des Bergbaulichen Vereins auch kostenlose Reparationslieferungen auf mehrere Monate angeboten worden. Die frz. Regierung hat jedoch, indem sie nunmehr daneben auch die Bezahlung der Kohlensteuer für die neu zu fördernde Kohle verlangte, auch diese Lieferungen und damit die Wiederaufnahme des Wirtschaftslebens unmöglich gemacht. Die Entlassung von sämtlichen Bergarbeitern steht bevor. Der Franzose und Belgier treibt im besetzten Gebiet zum Wirtschaftschaos und zur Hungerkatastrophe, weil er überzeugt ist, daß er dadurch die Bevölkerung sich und den Separatisten in die Arme treibt. – Zusammenfassend kann gesagt werden, daß der Franzose und der Belgier schon vorher unterrichtet waren, daß der Separatistenputsch am 21. d. M. beginnen würde. Am ersten Tage hat die Besatzung ersichtlich vermieden, öffentlich durch Schutzhandlungen für die Separatisten sich einzusetzen. Als sich am nächsten Tage dagegen zeigte, daß die deutsche Bevölkerung den Aufrührerputsch ablehnte, hat sie an mehreren Stellen direkt Partei zugunsten der Aufrührer ergriffen“ (Pol.Arch.: Abt. II: Bes. Geb.: Separatistenputsch, Bd. 1). Aus Köln war am 25.10.23 über das RPMin. resumierend gemeldet worden: „Ganz allgemein steht fest, daß jedesmal, wenn die Lage für uns gut steht, Belgier und Franzosen für die Sonderbündler Partei ergreifen und die Bewegung wieder in Gang bringen“ (R 43 I /1838 , Bl. 423).

Erfreulicherweise wurde aus allen Bezirken mit wenigen Ausnahmen mitgeteilt, daß die Haltung der Bevölkerung, der breiten Massen aller Schichten durchaus ablehnend dem Separatismus in der heutigen Form entgegen stünde6. Nur einzelne ländliche Bezirke des Regierungsbezirkes Trier konnten vielleicht[764] als besonders infiziert durch den Separatismus angesehen werden. Wenn man also auch die heutige Gefahr dieser separatistischen Bewegung nicht allzu hoch einschätzen zu müssen glaubte, so befürchtete man doch, daß unter Umständen später diese Bewegung gefährlichere Formen annehmen könne. Im ganzen wurde, die heutige separatistische Bewegung als ein Symptom für die Ungewißheit und Unsicherheit angesehen, die in rheinischen Ländern besonders besteht, und als ein Zeichen, eben dieser Unsicherheit und Ungewißheit. Aber diese symptomatische Bedeutung der separatistischen Bewegung ist nicht zu unterschätzen.

6

Aus Barmen war über das RPMin. am Vormittag des 24.10.23 zusammenfassend berichtet worden: „Die Bevölkerung hält sich überall trotz der großen Schwierigkeiten in der Ernährung und in der Geldversorgung sehr gut“ (R 43 I /189 , Bl. 251). Schon am 23.10.23 hatte der RMbesGeb. auf Grund der beginnenden Separationsbewegung an RVM, RPM, RFM, PrIM, PrLandwM, StKom. Bayern, StKom. Baden, LandesReg. Darmstadt und Oldenburg sowie AA geschrieben und auf die früher vereinbarte „Parole“ bei Ausrufung der rheinischen Republik verwiesen. „Die Usurpatoren sind gewaltsam aus den öffentlichen Gebäuden herauszuwerfen, soweit ein Zusammenstoß mit den Besatzungstruppen damit nicht verbunden ist. Im übrigen äußerster passiver Widerstand und vollständige Ignorierung der neuen Gewalthaber.“ Es dürfe kein Verkehr mit ihnen aufgenommen werden, ihre Anordnungen seien nicht zu befolgen. Die Durchführung dieser Hinweise liege bei den örtlichen Behörden. Diese Richtlinien seien bei allen Beteiligten, auch bei der Beamtenschaft und in den Gewerkschaften, in Erinnerung zu rufen. „Wie der Erfolg in Aachen gezeigt hat, muß es bei einmütigen und entschlossenen Zusammenarbeiten aller deutschgesinnten Kräfte gelingen, der kleinen, aus minderwertigem Gesindel zusammengesetzten separatistischen Minderheit Herr zu werden“ (Pol.Arch.: Abt. II: Bes.Geb.: Separatistenputsch, Bd. 1).

Nach der wirtschaftlichen Seite hin gab Herr Geheimrat Hagen ein Bild über die Sachlage. Er wies daraufhin, daß es unbedingt notwendig sei, mit einer Währungsreform im Rheinland schnellstens vorzugehen7. Die Ernährung des Gebietes sei ohne eine besondere Währungsreform nicht zu garantieren. Die Erwerbslosigkeit nehme von Tag zu Tag zu. Erschreckende Zahlen wurden schon gestern genannt. Nach der Schließung der großen Werke, namentlich auch der Bergwerksbetriebe, die unmittelbar bevorsteht, habe man im Rheinland und auch in Westfalen mit einer ungeheuren Zahl von Erwerbslosen zu rechnen8. Die Geldverhältnisse seien desolat9. Die Reserven der großen Betriebe seien aufgebraucht, auch die Zahlungsmittelnot habe wieder Platz gegriffen. Mit der jetzigen Währung sei die Ernährung nicht möglich. Auch die für das Reich geplante Rentenbank sei für das Rheinland wertlos, denn es würde z. B. nicht gestattet werden, den Grundbesitz hier mit der für die Konstruktion der Rentenbank notwendigen hypothekarischen Belastung zu versehen. Eine Währung auf französischer Grundlage sei andererseits auch unmöglich, denn das würde einen unleidlichen Einfluß des Feindes auf unsere Verwaltung und auf unsere Wirtschaft bedeuten. Die Währungsfrage sei allerdings nicht lediglich eine Wirtschaftsfrage, sondern im eminenten Maße auch eine politische Frage.

7

S. Dok. Nr. 145.

8

Vgl. o. Anm. 5.

9

In ähnlicher Hinsicht hatte sich der RMbesGeb. in einem Schreiben an das AA und das RFMin. geäußert, als er am 25.10.23 gebeten hatte, beschleunigt die Frage der Markvorschußzahlungen an belg. und frz. Truppen zu klären. Sonderabkommen einzelner Städte und der RegPräs. Koblenz seien unerwünscht und stellten eine unkontrollierbare Belastung der Reichskasse dar. Das bisherige Vorgehen der Behörden erkläre sich aus dem Druck der Besatzung und der Absicht der Bevölkerung und der Wirtschaft im besetzten Gebiet zu helfen: „Eine weitere Verzögerung der Entscheidung könnte die Erbitterung weiter Volksschichten des besetzten Gebietes und die Unsicherheit der dort tätigen deutschen Behörden in ihrem Tun und Lassen weiter so steigern, daß aus dem Gefühl des Verlassenseins heraus politisch unliebsame und vielleicht nicht wieder gutzumachende Folgen eintreten“ (Pol.Arch.: Abt. II: Markvorschüsse, Bd. 1.

Diese Ausführungen von Herrn Geheimrat Hagen über die Wirtschaftslage wurden auch von anderen Seiten unterstrichen. Es wurde betont, daß die Währungsregelung einen der Kardinalspunkte des Problems bedeute10.

10

Vgl. hierzu Dok. Nr. 145 sowie Dok. Nr. 219. Erkelenz notierte aufgrund der Ausführungen von Jarres: „Herr Hagen aus Köln habe erklärt, daß eine Währungsreform für das Rheinland notwendig sei. Die neue Rentenbank sei für die Stabilisierung der Währung wertlos. Ein Anschluß an die französische Währung komme nicht in Frage“ (BA: NL Erkelenz  57, Bl. 36).

Auf Grund dieses Stimmungsbildes fand dann nachmittags eine eingehende Aussprache in allem Freimut darüber statt, wie nun die Lösung zu finden sei.[765] Die Parteien und alle Teilnehmer waren sich darüber einig, daß hier unbedingt ein offenes Wort am Platze sei. Man dürfe den Kopf nicht in den Sand stecken, sondern müsse die Dinge so beurteilen, wie sie liegen. Man war sich auch darüber im klaren – und ich glaube, auch in dieser Versammlung muß man sich und wird man sich darüber im klaren sein –, daß bei der Lösung dieses Problems Parteistellungen uns nicht trennen dürfen, daß keiner das Recht hat, dem anderen einen Vorwurf zu machen, wenn er eine Lösung vorschlägt oder zu finden glaubt, die einem anderen nicht paßt11. Daß wir alle vom deutschen Standpunkt aus die Lage meistern wollen, darüber sind wir uns im klaren, und ebenso wie im Rheinland die maßgebenden politischen Parteien sich schon das Wort gegeben haben, daß keine Partei für sich vorgehen wolle, sondern daß sie alle im vertrauensvollen Zusammenwirken die Dinge beurteilen und dann handeln wollen, so wird es auch in den anderen Gebieten sein. Ich glaube, ich gebe die Stimmung der gestrigen Versammlung richtig wieder, wenn ich sage; es war auch dort der einmütige Wunsch, daß diese Frage nicht als rheinische Frage allein behandelt wird, sondern als eine Frage des gesamten besetzten Gebietes, daß wir insbesondere den allergrößten Wert darauf legen müssen – mag die Lösung fallen, wie sie will –, daß sie eine einheitliche für das ganze besetzte Gebiet ist, und daß deshalb Westfalen und Rheinland, aber beide auch wieder als preußische Gebiete mit den nicht preußischen besetzten Gebieten zusammen handeln müssen. Leider ist die Vertretung dieser südlichen Gebiete auch heute nur gering, aber ich glaube im Sinne der gestrigen Versammlung zu sprechen, wenn ich sage: Der Wunsch, und zwar der dringende Wunsch besteht, daß auch mit den Vertretern der südlichen besetzten Gebiete Hand in Hand und im vertrauensvollen Zusammenarbeiten aller Parteien die Sache vom deutschen Standpunkt aus gemeistert wird.

11

Später schrieb Jarres (s. o. Anm. 1): „Die Hagener Verhandlungen waren im höchsten Maße verwirrt, unbefriedigend und deprimierend. Die Kölner Herren hielten ihre Barmer Ausführungen nicht mehr aufrecht; man redete in Gegenwart des Reichskanzlers Stresemann und des Preußischen Ministerpräsidenten keine klare Sprache mehr, sondern aneinander vorbei. Die Meinungen im Zentrum waren offenbar geteilt; die Herren aus Westfalen (Lensing, OB Bottrop, Hamm, Kaiser u. a.) billigten die Kölner Haltung und Auffassung offenbar durchaus nicht.“

Über die Art der Lösung zu berichten, ist nicht leicht. Denn alles, was an Vorschlägen gemacht wurde, war doch tastender Natur. Ich glaube, keiner von denjenigen, die Vorschläge machten, hatten den Eindruck, nun unbedingt den Stein der Weisen zu finden, und das unbedingt Richtige zu sagen. Es war eine Fühlungnahme untereinander, welcher Weg zu wählen sei. Aber darüber waren sich mindestens die rheinischen Kreise vollkommen einig, daß es unbedingt notwendig ist, bald eine Entscheidung zu treffen, auch darüber einig, daß diese Entscheidung im wesentlichen von der Erklärung der Regierung abhängt, wie weit sie in der Zukunft, nicht nur in einer Übergangszeit, sondern in weiterer Zukunft in der Lage sein wird, uns die finanzielle Stützung zu geben, die wir notwendig haben. Daß die Regierung des besten Willens ist, davon sind wir überzeugt. Wir müssen nur wissen, wie die Lage nüchtern ist, wie weit sie fähig ist, uns zu helfen.

[766] Es wurden dann, eigentlich nur von rheinischen Vertretern, im ganzen vier Wege für diskutabel gehalten. Im Einverständnis der Herren, welche die Vorschläge machten, gestatte ich mir, auch die Namen zu nennen. Es wurde betont, daß sie persönlich nur die Vorschläge machten, aber offensichtlich doch nach einer gewissen Fühlungnahme mit ihnen nahestehenden Kreisen.

Herr Professor Moldenhauer vertrat folgenden Standpunkt12: Eine Loslösung von Reich und Preußen sei für ihn und die ihm nahestehenden Kreise unannehmbar und undiskutabel. Auf der anderen Seite habe man jedoch mit einer faktischen Okkupation zu rechnen. Man habe sich darüber klar zu sein, daß die Staatsautorität, die Souveränität des Reiches und damit mittelbar auch Preußen, zum großen Teil schon genommen sei, auf dem Gebiete der Verwaltung, auf dem Gebiete der Finanzen, der Zölle, der Währung und namentlich auch der Eisenbahn. Damit sei de facto die Souveränität bis auf einen geringen Bruchteil verschwunden. Um nun die Dinge zu meistern, glaubte Herr Professor Moldenhauer, sei es nicht notwendig, von einer staatsrechtlichen Loslösung von Reich und Preußen zu sprechen. Das besetzte Gebiet könne im Rahmen, im Staatsgefüge von Reich und Preußen bleiben, aber es würde notwendig sein, dem de facto Verhältnis des Feindes gegenüber auch ein de facto Verhältnis auf deutscher Seite zu schaffen. Und deshalb sei es richtig, daß das besetzte Gebiet von der Reichsregierung Vollmachten erbitte, um die wichtigsten wirtschaftlichen Bedürfnisse des besetzten Gebietes zu erfüllen, namentlich auch eine eigene Währung und ein eigenes Budget, ein eigenes Steuerrecht einzuführen. Ich glaube, daß ich im wesentlichen damit die Gedanken von Herrn Prof. Moldenhauer getroffen habe.

12

Vgl. dazu Anm. 4 zu Dok. Nr. 173. Erkelenz notierte: „Eine formelle Loslösung vom Reich und von Preußen sei unannehmbar. Jedoch habe weder das Reich noch Preußen über das besetzte Gebiet heute noch eine Souveränität. Die Souveränität sei schon zerronnen. Eine staatsrechtliche Lösung sei nicht notwendig. Jedoch müsse man der Tatsache Rechnung tragen, daß das Reich und Preußen im besetzten Gebiet keinerlei Souveränitätsrechte mehr ausüben könnten. Deshalb müsse den Vertretern des besetzten Gebiets eine Vollmacht erteilt werden, damit sie die wirtschaftlichen Bedürfnisse des Rheinlandes selbständig erfüllen können. Zu diesen wirtschaftlichen Bedürfnissen gehören insbesondere eine eigene Währung und eigene Steuern“ (BA: NL Erkelenz  57, Bl. 36). S. dazu den Moldenhauer-Plan in: K. D. Erdmann, Adenauer in der Rheinlandpolitik, S. 310 ff.

Als Wortführer eines anderen Vorschlages vertrat der Oberbürgermeister Dr. Adenauer von Köln folgenden Standpunkt13: Der Vorschlag Moldenhauer[767] genüge nicht, er führe nicht zum Ziele. Denn es würde damit ein gesetzloser Zustand de facto sanktioniert. Er vermisse bei diesem Vorschlage auch eine wirkliche Wahrung der Reichsinteressen. Die Ausführung dieses Vorschlages würde dazu führen, daß wir de facto zu einer französischen Kolonie würden. Er sei der Auffassung, daß es notwendig sei, im Wege der Verhandlungen mit dem Feinde, mit den Franzosen zu einem Rechtsgebilde zu kommen. Dieses Rechtsgebilde könne verschiedene Formen annehmen. Die gelindeste Lösung würde natürlich die für uns liebste sein. Als solche Lösung käme in Frage eine Abtrennung von Preußen. Auf diesem Wege wäre man vielleicht vor einiger Zeit noch zu einer Lösung gekommen. Er bezweifle, daß das heute noch möglich sei. Deshalb müßte man sich auch mit dem Gedanken abfinden, daß äußersten Falles auch eine Loslösung vom Reiche im Wege der Verständigung erfolge. Diese Verständigung würde für das Reich einerseits und für das besetzte Gebiet andererseits folgendes Gute haben: Er hoffe, daß es auf dem Weg dieser Verständigung möglich sei, das Reich von dem Versailler Friedensvertrag los zu machen und die ganzen Lasten dieses Vertrages dem Reich auf diese Weise zu nehmen. Er hoffte weiter, daß bei einer derartigen staatsrechtlichen Formung auch das besetzte Gebiet vielleicht von der Besatzung ganz frei würde, zumindest aber eine Erleichterung der Besatzung erhalte, und daß es ferner möglich sei, von dem Drucke der Rheinlandkommission abzukommen.

13

Jarres hatte vor dieser Sitzung sein Referat den Sprechern des Vortrages vorgelegt und „ausdrücklich gefragt, ob meine Wiedergabe ihrer Ausführungen richtig sei. Herr Adenauer hat das vorbehaltslos anerkannt. Herr Falk nur unter Zusetzung zweier abschwächender Worte ‚Unter Umständen‘.“ Zur Folge seines Referats in Hagen schreibt Jarres weiter: „Die Herren Falk und Adenauer haben nachher versucht, die Richtigkeit dieser Darstellung zu bestreiten. Dieser Versuch ist mißglückt; die Tatsachen stehen fest. Die Richtigkeit meines Berichtes geht auch aus den Aufzeichnungen anderer Versammlungsteilnehmer, insbesondere der Herren Dr. Kaiser, Dr. Wesenfeld und Windthorst hervor“ (BA: NL. Jarres 49). Als Vorschlag Adenauers notierte Erkelenz: „Der Vorschlag 1 [Moldenhauer] sei ungenügend. Man schaffe auf diesem Wege nur einen gesetzlosen Zustand. Es sei dann keine Reichs- oder preußische Souveränität mehr vorhanden. Es sei aber auch keine rheinische Souveränität gegeben. Durch den Vorschlag 1 würde dieser gesetzlose Zustand nur noch sanktioniert. Daher sei das Reichsinteresse nicht genügend gewahrt. Das besetzte Gebiet werde auf diesem Wege nur so etwas wie eine französische Kolonie. Es müßten deshalb Verhandlungen mit den Franzosen geführt werden, um für das besetzte Gebiet zu einem neuen Rechtsgebilde zu kommen. Die gelindeste Lösung sei die Abtrennung nur von Preußen und das Verbleiben im Reich. Das sei aber wohl nicht mehr möglich, dazu sei es zu spät. Äußerstenfalls muß auch die Loslösung vom Reich in Erwägung gezogen werden. Dadurch wird das Reich dann auch vom Friedensvertrag entlastet. Das übrig bleibende Reich hat dann auch keine Besetzung mehr. Es muß dann auch die Beseitigung der Rheinlandkommission erreicht werden, damit das besetzte Gebiet sich selbst verwalten kann. Das alles können wir aber nur erreichen, wenn alle Parteien zusammenhalten“ (BA: NL Erkelenz  57, Bl. 37).

Er war deshalb der Auffassung, daß es richtig sei, die Spitzen der Parteien des besetzten Gebietes mit Vollmachten zu versehen, um mit dem Feinde zu verhandeln. Aber auch er betonte nachdrücklich, daß alles zusammen bleiben und alle Parteien im gegenseitigen Vertrauen zusammenhalten und dann in vorsichtigem und behutsamen Verhandeln vorgehen müßten.

Als Dritter vertrat Herr Justizrat Dr. Falk folgenden Standpunkt seiner Freunde. Ich glaube allerdings, auch er sprach zunächst für seine Person. (Justizrat Dr. Falk: Nur für meine Person!) Er sagte14, man müsse jetzt versuchen,[768] der Dinge Herr zu werden, denn im Interesse Frankreichs läge nur das Chaos. Ihm erschiene der Weg von Herrn Professor Moldenhauer nicht gangbar. Dagegen stellte er sich im wesentlichen auf den Standpunkt von Herrn Oberbürgermeister Adenauer, schälte ihn nur noch etwas klarer heraus. Er sagte, de facto bedeute dieser Vorschlag – das müssen wir offen aussprechen – die Bildung eines neuen Staates. Er war der Auffassung, daß wir dem Schicksal einer staatsrechtlichen Änderung wahrscheinlich auf keinen Fall entgehen würden, weder de facto noch de jure entgehen würden. Aber er war der Auffassung, diese neue Staatsform, die ihm als unvermeidlich erschien, dürften wir nicht freiwillig suchen, sondern müßten sie uns aufzwingen lassen. Er gab allerdings dabei den Zusatz, daß es unter Umständen auch ihm denkbar erschiene, daß es im Interesse des Vaterlandes richtiger gehandelt würde, wenn wir im Wege der Verhandlung selbst diese Staatsform herbeiführten.

14

S. zum Folgenden o. Anm. 13. Demgegenüber berichtet Falk in seinen Lebenserinnerungen, ihm sei der Moldenhauer-Plan und auch der Gedanke einer vorübergehenden Trennung des Rheinlandes vom Reich, der von Jarres vertreten worden sei, unfaßbar gewesen. „Ebenso wandte ich mich gegen die Ausführungen Adenauers, der für den Fall, daß die Loslösung unvermeidlich sei, vorschlug, in Verhandlungen mit der Oberkommission einzutreten, um möglichst günstige Bedingungen für das Reich und das besetzte Gebiet herauszuschlagen. Dann müsse das geschehen, was für beide am vorteilhaftesten sei. Ich hielt eben auch jetzt noch die Loslösung keineswegs für unvermeidlich. Daher war mir die Anbahnung von Verhandlungen über die Bedingungen und Folgen eines solchen Schrittes nichts anderes als ein durchaus verfehltes Entgegenkommen gegen [!] die französischen Pläne, denen wir bisher mit Erfolg widerstanden hatten“ (BA: NL Falk , Bl. 164–165). Erkelenz notierte als Äußerung von Jarres über das, was Falk in Barmen gesagt habe: „Der Moldenhauer Plan ist ungangbar. Möglich ist an sich nur der Weg Adenauer, der ja offenbar zur Bildung eines neuen Staates führe. Ich halte diese Neubildung für unvermeidlich. Aber wir sollten sie nicht mehr oder minder bereitwillig von uns aus suchen, sondern wir sollten sie uns nur aufzwingen lassen. Nur in der allergrößten Verzweiflung könnten wir aus eigenem Entschluß diesen Schritt tun“ (BA: NL Erkelenz 57, Bl. 37).

Für meine Person15 habe ich den Standpunkt vertreten, den ich dem Herrn Reichskanzler und auch Mitgliedern der Reichsregierung wiederholt zum Ausdruck gebracht habe. Ich würde mich an sich, was die Lösung der Frage des besetzten Gebietes angeht, auf den Standpunkt stellen16: Der Vorschlag Moldenhauer trifft das Richtige. De facto die Sache zu meistern, würde im Interesse des Reichs und des besetzten Gebietes liegen. Eine staatsrechtliche Änderung würde nicht vor sich gehen. Wir würden nur durch kluge und behutsame Behandlung den Einfluß in dem besetzten Gebiet gewinnen, den wir haben müssen, damit nicht Separatisten und zweideutiges Gesindel über unsere Geschicke entscheiden.

15

Am Rande mit Rotstift „Jarres?“.

16

Dazu notierte Erkelenz: „Der Vorschlag Moldenhauer trifft das Richtige. Jedoch muß er mit einer großen außenpolitischen Handlung verbunden werden. Es genügt nicht, wenn wir uns darauf beschränken, uns von den Tatsachen zu praktischen Schritten zwingen zu lassen. Eine außenpolitische Aktion muß den großen Hintergrund für diese Vorgänge abgeben. Die Regierung muß also den Versailler Vertrag für ungültig erklären, wenigstens so lange, bis Frankreich im besetzten Gebiet wieder vertragsmäßige Zustände hergestellt hat. Der Vorschlag Moldenhauer muß also durchgeführt werden, nicht als Folge einer Insolvenz-Erklärung, sondern als Folge einer außenpolitischen Aktion“ (BA: NL Erkelenz  57, Bl. 37).

Aber ich war nach wie vor der Auffassung, daß diese Loslösung – eine faktische Loslösung vom Reiche würde auch das bedeuten – nicht denkbar und ertragbar sei, ohne eine große außenpolitische Handlung. Als solche außenpolitische Handlung, die automatisch eine Klärung der Dinge herbeiführen würde, war ich und bleibe ich der Auffassung, daß es richtig sei, daß das Reich nach dem Fehlschlag aller Verständigungsverhandlungen, nach der Dezimierung seiner Hoheitsrechte im besetzten Gebiet nunmehr dem Feinde gegenüber erklärte: Wir sind vom Versailler Friedensvertrag so lange entbunden, als Ihr nicht vertragsmäßige Zustände wiederherstellt. Dann würde ein klares Verhältnis zwischen Reich und besetztem Gebiet eintreten. Meiner Auffassung nach würde die Einheit des Reiches dadurch erhalten werden können. Die Ablösung des besetzten Gebietes würde nicht in einem freiwilligen Akte von uns erfolgen, würde auch nicht nach außen in die Erscheinung treten als eine Folge einer Insolvenzerklärung des Reiches, sondern sie würde verbunden sein mit einer großen außenpolitischen Handlung – nicht nur Geste – dem Feinde gegenüber.

[769] Diese Auffassung wurde von verschiedenen Herren aus der Mitte der Versammlung, namentlich von Herrn Prälaten Kaas, nicht als richtig anerkannt.

Die Sozialdemokratische Partei hat ihre Stellungnahme gestern nicht zum Ausdruck gebracht. Jedenfalls habe ich einen bestimmten Vorschlag von der Seite nicht gehört. Nur kam das aus den Äußerungen der sozialdemokratischen Partei zum Ausdruck, es sei nur bei einem sehr großen Optimismus anzunehmen, daß wir bei Verfolgung des Adenauerschen Vorschlages Erleichterungen im Rheinland erhalten würden. (Sehr richtig!)

In dieser Besprechung kamen also vorwiegend Stimmen aus dem Rheinland zum Ausdruck. Die Herren aus Westfalen erklärten zum Schlusse, daß sie durch die gestrige Verhandlung doch überrascht seien, daß es ihnen nicht möglich sei, so schnell eine Entscheidung zu treffen, und sich in einer so ungeheuer wichtigen Schicksalsfrage schlüssig zu machen. Wenn ich gefühlsmäßig die Stimmung der Herren von Westfalen richtig einschätze, so glaube ich, daß im allgemeinen unter ihnen die Auffassung besteht, daß eine Loslösung vom Reich und von Preußen zur Zeit nicht nötig sei, und daß es auf jeden Fall verkehrt sei, freiwillig auf diesem Wege einen Schritt zu tun.

So, Herr Reichskanzler, war, glaube ich, kurz zusammengefaßt, das Ergebnis der gestrigen Verhandlung. Ich bitte aber, diejenigen Herren, die an diesem Bericht etwas auszusetzen haben, das zu tun. – Wenn das nicht der Fall ist, dann nehme ich an, daß der Herr Reichskanzler nunmehr Gelegenheit nehmen wird, seinerseits die Erklärungen der Regierung zu geben, auf die wir warten, namentlich die Erklärung, was das besetzte Gebiet wirtschaftlich von dem Reich zu erwarten hat. Ob es ihm möglich sein wird, über die politische Lösung namens der Reichsregierung eine Erklärung abzugeben, ob wir diese jetzt überhaupt erwarten können, oder ob es nicht genügen muß, daß er das Stimmungsbild über die Lösungsmöglichkeiten ad referendum nimmt, das muß ich natürlich dahingestellt sein lassen17.

17

Zum weiteren Verlauf der Besprechung schrieb Jarres: „Die Situation war von vornherein dadurch bestimmt, daß Stresemann nach meinem Referate sofort erklärte, daß er und der Ministerpräsident nicht dulden könnten, daß in ihrer Gegenwart eine staatsrechtliche Lösung von Reich und Preußen überhaupt erörtert werde. Die stundenlange Verhandlungen verliefen im Kerne ergebnislos; die Reichsregierung machte an Hand eines noch in der Versammlung einlaufenden Vorschlages des Reichsministers Luther mehrere beruhigende, wenn auch reichlich unbestimmte Zusicherungen bezüglich der weiteren Finanzierungen des besetzten Gebietes. Im übrigen war das Ergebnis die Bildung eines Ausschusses, dessen Aufgaben und Zuständigkeiten jedoch unklar blieben und der in der Folge praktische Arbeit auch nicht geleistet hat“ (BA: NL Jarres  49). Vgl. Dok. Nr. 15.

Darf ich dem Herrn Reichskanzler das Wort geben?

Reichskanzler Dr. Stresemann18:

18

Eine knappe Zusammenfassung dieser Rede, in: Vermächtnis I, S. 181 f. Falk bemerkte zu Stresemanns Ausführungen: „Mit schwerem Herzen begab ich mich am nächsten Tag nach Hagen, weil ich fürchten mußte, [aus] Stresemanns Munde eine Chamade zu hören. Wie freudig überrascht war ich, als der Reichskanzler seine Ausführungen mit der nachdrücklichen Erklärung eröffnete, daß niemand in diesem Saale in Gegenwart des Deutschen Reichskanzlers eine Trennung der besetzten Gebiete von Deutschland vorzuschlagen wagen dürfe. Damit war die Klärung gegeben, um die ich gebangt hatte. Alle anderen Fragen erledigten sich danach glatt und einfach“ (BA: NL Falk , Bl. 165).

Meine Herren! Ich freue mich, daß ich Gelegenheit habe, hier in Ihrem Kreise über die Fragen zu sprechen, die Herr Oberbürgermeister Jarres soeben[770] berührte. Dabei bemerke ich allerdings, daß ich nur sprechen kann und sprechen werde über die außenpolitische Lage und über die Wirtschaftslage, und daß ich als Kanzler des Deutschen Reiches ganz selbstverständlich jede Diskussion über Trennung von Gliedern des Deutschen Reiches von dem heutigen Reiche ablehne. (Beifall). Das ist für mich vollkommen unmöglich. Wir haben das Rheinland nicht aufgegeben, und infolgedessen können wir auch nicht das Rheinland als irgend einen Teil des Deutschen Reiches ansehen, der sich aus eigenem Entschluß vom Reiche zu trennen vermöchte. (Bravo!) Das wäre die Aufgabe des Rheinlandes, und zu dieser Aufgabe können wir uns nicht entschließen. (Erneuter Beifall).

Meine Herren! Ich will Ihnen ganz offen die Lage darstellen, wie sie ist. Die Folgerungen aus dieser Lage zu ziehen, ist Ihre Aufgabe. Daß die gesamte finanzielle Lage des Reiches trostlos ist, unterliegt gar keinem Zweifel. Ihnen darüber irgend einen Zweifel zu lassen, würde ich für eine Schönfärberei halten. Ich habe in der kurzen Zeit, in der ich an der Spitze des Kabinetts stehe, mit vielleicht die größten Feinde dadurch erworben, daß ich von jeder Schönfärberei abgesehen und gesagt habe: Es ist notwendig, die Dinge nicht nur so zu sehen, wie sie sind, sondern sie auch dem Volke so zu zeigen, wie sie sind.

Wir decken gegenwärtig nur einen kleinen Prozentsatz unserer Ausgaben durch die Einnahmen. Wir werden zu vollkommen radikalen Einschränkungen der Ausgaben schreiten. Wir werden beispielsweise in ganz eminentem Maße den Verkehr einschränken und drosseln müssen, weil wir die Zuschüsse an die Bahnen nicht mehr bezahlen und unrentable Linien nicht mehr führen können. Wir werden einen Beamtenabbau vornehmen, der außerordentlich weit geht, und den Sie aus dem Beamtenabbaugesetzentwurf wahrscheinlich schon ersehen haben19. Wir haben dem Herrn Finanzminister außerordentlich weitgehende Vollmachten innerhalb des Kabinetts nach dieser Richtung hin verliehen. Der Herr Finanzminister hat im Kabinett der Meinung Ausdruck gegeben, daß er bei dem Aufhören aller außenpolitischen Ausgaben glaube in der Lage zu sein, einen auf Gold aufgestellten Etat per ersten Januar nächsten Jahres zur Bilanzierung vorzulegen20.

19

S. Dok. Nr. 144, P. 5; Dok. Nr. 172, P. 4 u. 6; Dok. Nr. 183, P. 3.

20

S. Dok. Nr. 156.

Ich kann mich diesem Optimismus nicht anschließen. Ich halte es deshalb für unmöglich, weil es gewisse Ausgaben gibt, an denen das Reich gar nicht vorbeigehen kann. Aber daß wir die Konsequenzen aus unserer Verarmung und Verelendung ziehen müssen, daß wir ganz rücksichtslos, und zwar in der Weise vorgehen müssen, daß einfach ganze Prozentsätze von Ausgaben allgemein gestrichen werden und gesagt wird: Richtet Euch mit dem ein, was da bleibt, das halte ich ebenso für selbstverständlich, als daß auf der anderen die Steuerkraft auf das allerhöchste angespannt wird, und daß wir uns sagen, daß wir überhaupt vollkommen zusammenbrechen, wenn wir glauben, uns noch irgendwie weiter auf die Notenpresse oder auf währungstechnische Maßnahmen verlassen zu können. Währungstechnische Maßnahmen bedeuten vorübergehend vielleicht einmal eine Abnahme des Druckes, sie bedeuten niemals eine Lösung;[771] denn die Währung wird nicht bestimmt durch die Technik, sondern letzten Endes durch den wirtschaftlichen Zustand des Landes, dessen Barometer sie gewissermaßen ist.

So liegen die Dinge. Wir haben aus derselben Erwägung, aus der Erkenntnis der Sachlage, den für uns so schweren Schritt tun müssen, zur Aufgabe des passiven Widerstandes zu kommen und dadurch zu erklären, daß wir auch hier am Ende unserer Kraft sind. Ich darf auch hier rückblickend das eine ganz offen sagen, ohne gegen irgend jemanden Vorwürfe zu erheben: Vielleicht sieht man die Dinge retrospektiv leichter, als wenn man mitten im Gang der Dinge ist. Ich bin noch heute der festen Überzeugung, er hätte Kompensationsobjekt sein müssen, der passive Widerstand, als er auf der Höhe war, (sehr richtig) als alles zusammengebrochen war an Poincarés Hoffnungen, da hätte man sagen müssen, was gebt Ihr uns, wenn wir davon absehen, diese Waffe gegen Euch weiter zu führen? Als wir ihn übernahmen, da war es eine stumpfe Waffe. Da hat die Waffe sich gegen uns selbst gerichtet. Da sahen wir unseren finanziellen Zusammenbruch so vor Augen, daß wir sehenden Auges in den Abgrund gegangen wären, wenn wir die bequeme Politik fortgesetzt hätten, nichts zu tun, als den passiven Widerstand mit Notendruck zu finanzieren und im übrigen jeden Tag nachzusehen, wie sich die Währung unter diesen Umständen weiter verschlechtert hätte. (Zustimmung).

Das war die Situation, die ich vorgefunden habe. Ich erwähne das hier in Westfalen, weil es ja eines der Hauptorgane von Westfalen gewesen ist, das erklärt hat, daß ich vor den Staatsgerichtshof gehörte, weil ich mich zur Aufgabe des passiven Widerstandes entschlossen habe21. Einem Staatsgerichtshof [!], dem ich jederzeit Rechenschaft über die Beweggründe zu meinem Tun ablegen würde, die lediglich deutsch gewesen sind und im Interesse des deutschen Vaterlandes gelegen haben. (Lebhafte Zustimmung).

21

Der RK nimmt hier Bezug auf die „Rheinisch-Westfälische-Zeitung“, wie er das schon in der Regierungserklärung vom 6.10.23 getan hatte (RT-Bd. 361, S. 11937 ).

Das ist das eine, was ich hier doch auch einmal vor einem Kreise von Rheinländern und Westfalen aussprechen möchte. Wir haben uns noch einmal bemüht, auch diese stumpf gewordene Waffe zu benutzen, um gleichzeitig mit Aufgabe des passiven Widerstandes die Ingangsetzung der Wirtschaft im besetzten Gebiet, die Befreiung der Gefangenen und die Rückkehr der Ausgewiesenen durchzuführen. Es war nicht mehr möglich, und zwar aus dem Grunde, weil die Stumpfheit dieser Waffe den Einbruchsmächten zu klar zum Bewußtsein gekommen war, als daß sie noch die Möglichkeit für uns ersahen, sie als Kompensationsobjekt zu benutzen.

Dadurch ist die Situation entstanden, vor der wir heute stehen. Eine Situation, die uns außenpolitisch nicht weitergebracht und die uns doch vor große Entscheidungen gestellt hat. Eine Situation, die für Sie hier im besetzten Gebiet nach dem Scheitern der Verhandlungen der Industrie größter Arbeitslosigkeit bedeutet, größte wirtschaftliche Verwirrung und die mit vollem Recht die Frage aufwirft: Was kann das Reich demgegenüber für das besetzte Gebiet noch leisten?

[772] Ehe ich auf diese finanzielle Frage komme, die ich bereit bin, Ihnen unter Umständen schriftlich in allen Einzelheiten zu übermitteln, damit gar keine Unklarheit zwischen uns besteht, möchte ich noch auf die letzten Verhandlungen eingehen, die von der Industrie über die Ingangsetzung des Wirtschaftslebens hier im Gebiet geführt worden sind. Ich halte es für falsch, daß denjenigen, die dort verhandelt haben, soweit diese Verhandlungen die Frage der Ingangsetzung der Wirtschaft betrafen, ein Vorwurf gemacht wird22. Nachdem wir erklärt hatten, daß wir nicht in der Lage seien, die Kredithilfe und die Lohnsicherungen weiter zu gewähren, mußte es Aufgabe derjenigen sein, die hier in erster Linie in Betracht kamen, sofern die Regierung die Verhandlungen nicht zu führen vermochte, ihrerseits im Einvernehmen mit der Regierung alles zu tun, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.

22

S. hierzu Dok. Nr. 121 u. Dok. Nr. 125, P. 1 u. 6.

Daß damals eine vorherige Aussprache mit der Regierung nicht erfolgte, lag daran, daß wir eine in Demission befindliche Regierung hatten, auf Grund von parteipolitischen Erwägungen, die mir sehr klein erscheinen gegenüber dem, was tatsächlich für die Fortführung der Geschäfte in Frage stand23. Aber um was es sich handelt, das war das eine: einmal unsere Bemühungen, von Regierung zu Regierung zu verhandeln. Sie sind gescheitert. Sie sind gescheitert, obwohl der französische Ministerpräsident durch seinen Botschafter mit hat erklären lassen, daß 24 Stunden nach Aufgabe des passiven Widerstandes die Verhandlungen und zwar über das Gesamtproblem in allen Einzelheiten zwischen Frankreich und Deutschland beginnen könnten. (Hört, hört). Sie sind gescheitert, obwohl er dieselbe Erklärung dem Sozialistenführer Thomas abgegeben hat, der ausdrücklich erklärt hat, daß Herr Poincaré den schnödesten Wortbruch begangen hätte. Gewiß, der französische Ministerpräsident sagt, er sei nicht wortbrüchig, denn er habe festgestellt, der passive Widerstand sei nicht abgebrochen. Er hat sich hinter alle möglichen Erklärungen verkrochen, daß wir noch weiter an das Rheinland zahlten, daß die pfälzischen Eisenbahner noch drei Monate lang das Gehalt bekämen, und alle möglichen anderen Erklärungen, die nur darauf hingingen, die Dinge dilatorisch hinzuziehen, um bei uns die Sache zum Zusammenbruch zu bringen. Das ist die nicht klar ausgesprochene, aber wohl klare Politik, die er seinerseits verfolgt.

23

Vgl. hierzu die Dokumentation der Koalitionskrise vom 1.–3.10.23.

Deshalb sind die Verhandlungen mit uns abgelehnt worden. Die Autorität der Regierung soll hier im besetzten Gebiet mit Absicht von der Entente mit Füßen getreten werden, um ihr auch das Ansehen bei der Bevölkerung zu rauben.

Zweitens sucht man durch den Druck, durch das Hinziehen die Bevölkerung so mürbe zu machen, daß sie sich Frankreich an den Hals wirft.

Wir haben erklärt, – damit komme ich auf das Politische, wonach mich Herr Oberbürgermeister Jarres gefragt hat –, daß wir nicht in der Lage seien, die Kohlensteuer zu bezahlen, nicht in der Lage, Reparationskohle zu finanzieren24. Beide Erklärungen ergeben sich aus politischen und aus finanziellen[773] Gründen. Zahlten wir heute die Kohlensteuer noch an Frankreich, dann erklärten wir den Einbruch für rechtsgültig, dann würden wir alles, was wir gegen die Rechtswidrigkeit gesagt haben, de facto zurücknehmen. Gewissermaßen ein wirtschaftliches Schuldbekenntnis ausgedrückt in wirtschaftlicher Steuerzahlung. Selbst wenn wir das Geld hätten, könnten wir das nicht aus politischen Gründen; denn ein zweites Schuldbekenntnis in Bezug auf Ruhr und Rhein wird hoffentlich keine deutsche Regierung und kein deutscher Mann jemals mitmachen. (Bravo!) Ein solches Schuldbekenntnis gibt es nicht. Wenn jemand sich mit der Frage zu beschäftigen hat, ein Schuldbekenntnis abzulegen, dann sind es die Einbruchsmächte und nicht Deutschland. Deshalb mußte schon prinzipiell ein derartiger Gedanke der Nachzahlung der Kohlensteuer von uns abgelehnt werden, von allem finanziellen abgesehen.

24

S. Dok. Nr. 150 u. 156160.

Dann kam die zweite Frage der Finanzierung der Lieferung der Reparationskohle. Dabei handelt es sich um ein Verlangen, 1 800 000 t an die Franzosen monatlich zu liefern, falls sie nicht Nachlieferung vielleicht sogar verlangen würden. Diese Lieferungen sollten von uns finanziert werden. Das ist für uns eine völlige Unmöglichkeit. Wenn Sie die heutigen Kohlenpreise zugrundelegen, bedeutet das eine Belastung, die ganz unmöglich vom Reich getragen werden kann, die überhaupt den Begriff des Moratoriums, um den wir gekämpft haben, vollkommen zunichte machen würde.

Darauf haben uns die Bergherren, wenn ich sie so nennen darf, einen Vorschlag unterbreitet, der davon ausging, daß sie bereit seien, diese Zahlungen bis zum 1. April 1924 ihrerseits zu finanzieren, daß sie bereit seien, die Reparationskohle auf ihre Kosten zu liefern und uns das Geld vorzustrecken, rückzahlbar von uns nach Ordnung der deutschen Finanzen, abziehbar zur Gutschrift darauf die Steuern, die sie an Umsatzsteuer und an Körperschaftssteuer zu leisten hätten25. Ich übergehe Einzelheiten. Obwohl wir uns sagten, daß auch das falsch gedeutet werden könne, haben wir dem zugestimmt, die Herren zu ermächtigen, nach der Richtung hin zu verhandeln, weil wir uns sagten: es kommt alles darauf an, daß jetzt eine Ingangsetzung der Wirtschaft erfolgt. Kein Mensch kann ja die Verantwortung übernehmen für den Hunger und das Elend, die sonst hier ausbrechen.

25

S. Dok. Nr. 150.

Die Herren haben auf dieser Basis verhandelt26. Sie wollten sich selber ausländische Kredite beschaffen und die Belastung, die doch mehrere hundert Goldmillionen betrug, auf sich nehmen. Diese Verhandlungen sind aber ergebnislos gewesen, weil man von ihnen auch die Kohlensteuer verlangt hat, weil sie nach der Richtung hin abgelehnt haben, weitere Konzessionen zu machen. Ich habe Grund zu der Annahme, daß diese Verhandlungen an einem anderen Orte weitergehen27. Ob mit einem besseren Ergebnis, das weiß ich nicht. Jedenfalls[774] bitte ich Sie, hieraus zu ersehen, daß wir bereit wären, mindestens in der Zinsenlast, die wir für die Anleihe trugen, die uns ja gewissermaßen gegeben wurde, auch diese Dinge weiter für das Reich zu übernehmen, wenn wir dafür die eine Gegenleistung hätten, daß dadurch das Wirtschaftsleben hier ingang käme und nicht die furchtbare Arbeitslosigkeit ausbräche, die sonst entstehen muß.

26

S. Dok. Nr. 162.

27

S. dazu Dok. Nr. 182. Nach einem Vermerk in der Rkei vom 25. 10. hatte Vögler mitteilen lassen, daß er die Verhandlungen mit der Micum wieder aufnehmen werde (R 43 I /453 , Bl. 136). Dahin kam es, da Vortr.LegR Ritter dem Privatsekretär Vöglers zu der Ansicht Stinnes’, er sei in der Frage der Kohlensteuer durch Stresemanns Schreiben vom 21. 10. gebunden, erklärt hatte: „Dazu ist zu bemerken, daß Zahlung der Kohlensteuer keine Frage des Prinzips der Hoheitsrechte ist, nachdem die Kohlensteuer von der Reichsregierung aufgehoben ist und der Wirtschaft der besetzten Gebiete freie Hand zur Verständigung mit den Besatzungsbehörden gegeben worden ist; zweitens, daß die Frage künftiger Kohlensteuern in der dem Schreiben vom 21. Oktober vorausgehenden Besprechung keine Rolle gespielt hat“ (R 43 I /453 , Bl. 135).

Ob diese Verhandlungen noch einmal zum Ziele führen, ich weiß es nicht. Ich nehme an, daß die ganzen Gesichtspunkte der Franzosen gar nicht wirtschaftliche, sondern politische sind und daß deshalb alle unsere Hoffnungen auf die Wirkung wirtschaftlicher Maßnahmen überhaupt vergeblich sind.

Wir haben infolgedessen uns vor die Frage gestellt gesehen, wie denn nun unser Verhältnis zu dem besetzten Gebiet ist, und haben uns dabei im Kabinett einmal vorgestellt die selbstverständlichen Rechte des besetzten Gebietes an das gesamte Deutsche Reich, zweitens die Begrenztheit der finanziellen Mittel, über die wir verfügen und die uns zwingen, uns nach allen Richtungen einzuschränken28. Wir haben deshalb festgestellt, daß, solange nicht politische Änderungen eintreten und solange die wirtschaftliche Möglichkeit irgend gegeben ist, selbstverständlich die besetzten Gebiete auch die Zahlungen solcher Leistungen erhalten, die grundsätzlich im ganzen deutschen Staatsgebiet gewährt werden. Als Hauptbeispiel kommt in Betracht die Erwerbslosenfürsorge, Zahlungen an die Reichsbeamten. Dabei ist festgestellt worden, daß in Bezug auf die Parität zwischen diesen Zahlungen zwischen besetztem Gebiet und dem übrigen Reichsgebiet ein Zuschlag von 15% für das besetzte Gebiet gewährt werden soll. Das ist eine Herabsetzung der bisherigen Zuschläge, ist aber noch mehr, als das übrige Deutschland bekommt und ist angesichts der wahrscheinlich außerordentlichen Erwerbslosenfürsorge, die hier eintreten wird, in Bezug auf die Quantität derjenigen, die dieser Erwerbslosenfürsorge anheimfallen, das höchste, wozu das Reich imstande ist. Als selbstverständlich ist festgestellt worden, daß soziale Fürsorgeleistungen, die auf besonderen Einrichtungen beruhen, fortgesetzt werden.

28

S. dazu Dok. Nr. 12 u. 175.

Dann hat der Oberbürgermeister Jarres die Frage gestellt: Wie lange kann das Reich das leisten? Herr Oberbürgermeister Jarres, die Frage kann Ihnen niemand beantworten, und zwar aus dem Grunde, weil die gesamten Weltverhältnisse gegenwärtig derartig labil sind, daß, glaube ich, niemand von Ihnen überhaupt eine Erklärung abgeben kann, wie das Reich am 1. Februar 1924 aussehen wird. Die Dinge sind nicht nur innenpolitisch, sondern auch außenpolitisch derartig im Fluß, daß man nur über die nächste Zeit überhaupt hinwegsehen kann. Ich kann deshalb diese Erklärung nur nach der Richtung geben, daß, solange die Finanzmittel im übrigen Reich, wenn ich diesen Ausdruck leider gebrauchen soll, reichen, selbstverständlich dann auch das besetzte Gebiet als[775] Reichsgebiet Anspruch auf diese Leistungen hat. Das ist, glaube ich, die einfache, klare Formulierung.

Nun gibt es eine ganze Reihe von Zahlen, die sich auf die besonderen Verhältnisse des besetzten Gebietes beziehen und zwar einmal solche Leistungen, die zwar auf der Besatzung beruhen, aber irgendwie unmittelbar der deutschen Bevölkerung zugute kommen. Da sind die Dinge im einzelnen geregelt29. So ist die Entschädigung für das Sonderverfahren dahin geregelt, daß Schäden, die vor dem 28. September 1923 eingetreten sind, bis zum 31. Oktober, und Schäden aus dem Oktober bis zum 30. November angemeldet werden müssen. Für Schäden nach dem 31. Oktober wird eine Entschädigung nicht mehr bezahlt. Die Schadensumme ist begrenzt auf 5000 Goldmark. Darüber hinaus werden 50% der Schadenssumme gezahlt. Die Höchstsumme für die Auszahlung ist 200 000 Goldmark. Dabei behält sich das Reich vor, seinerseits Ratenzahlungen zu leisten, und zwar bis zu 20 000 Goldmark im Monat.

29

S. zum folgenden das Schreiben Luthers an Stresemann vom 24.10.23 (Dok. Nr. 175), das offensichtlich die Grundlage für die fast wörtlich gleichen Ausführungen des RK geboten hat.

Was das Okkupationsleistungsgesetz betrifft, so dürfen für laufende Privatquartiergewährung usw. Beträge bis zu 5000 Goldmark für das Jahr angefordert und ausgezahlt werden. Darüber hinaus wieder 50%. Soweit die Beiträge über 200 000 Goldmark hinausgehen, wird die Auszahlung bis auf weiteres ausgesetzt. Für entgangenen Gewinn oder allgemeine Geschäftsentschädigung wird eine Vergütung nicht mehr gewährt.

Bei künftigen Leistungen beträgt die Ausschlußfrist für laufende Leistungen drei Monate, für einmalige einen Monat.

Dann kommen Entschädigungen für Ausgewiesene. Sie werden dahin entschieden, daß Schäden bis zu 10 000 Goldmark voll ausgezahlt werden, darüber hinaus noch 50%, und zwar in monatlichen Ratenzahlungen von nicht mehr als 40 000 Goldmark. Über 200 000 Goldmark werden Auszahlungen nicht mehr geleistet. Schadensmeldungen sind bei Versäumung des Ausschlusses spätestens vier Wochen nach Bekanntwerden des Schadensfalles mitzuteilen.

Dann sind Bestimmungen getroffen für Bauten, die zugunsten der Bevölkerung errichtet worden sind, z. B. Wohnungsbauten. Mit Rücksicht auf die Quartierbeanspruchung durch die Besatzungsbehörden sollen diese Bauten eingestellt werden, wenn dies wirtschaftlich vertretbar erscheint. Darüber sind Einzelbestimmungen getroffen, wie weit bei den einzelnen Bauten die Möglichkeit besteht, sie einzustellen, wie weit sie weitergebaut werden sollen.

Was die Leistung an die Besatzung anbetrifft, kommt hier in Betracht die Frage von Naturallieferungen, von Lebens- und Futtermitteln – die erfolgen zur Zeit – sowie die Ausführung von Bauten verschiedenster Art im altbesetzten Gebiet. Es wird sich darum handeln, ob durch Verhandlungen mit der Rheinlandkommission unter Umständen eine Entscheidung darüber zu erzielen ist, daß die Markvorschüsse vom Deutschen Reich weiter pro tempore übernommen werden, was aber nur geschehen könnte, wenn auf der anderen Seite Frankreich und Belgien die verbindliche Erklärung abgeben – ich möchte hier einmal[776] offen sagen –, daß das Raubsystem hier in diesen Gebieten aufhört30. (Sehr richtig!) Ist darüber eine klare verbindliche Erklärung nicht zu erreichen, so ist es selbstverständlich ausgeschlossen, daß das Deutsche Reich diese Markvorschüsse wieder aufnimmt. Darüber, ob wir und wielange wir überhaupt Leistungen übernehmen können, werde ich nachher im Einzelnen sprechen.

30

Vgl. dazu o. Anm. 9. Der RMbesGeb. übersandte dem RK am 27. 10. den vom Sachbearbeiter im AA gebilligten Entw. eines Schreibens an den RFM über die Wiederaufnahme der Markvorschußzahlungen. In diesem Schreiben wurde auf die Hagener Besprechung Bezug genommen, die ergeben habe, daß zur Abwendung einer unübersehbaren Notlage und um das Verhältnis zwischen Reich und Ländern nicht neuen Belastungen auszusetzen, die Zahlungen wieder aufgenommen werden sollten. Ein Beauftragter des RMbesGeb. solle auf Grund der folgenden Instruktionen mit Belgiern und Franzosen Verhandlungen aufnehmen: „1. Die Zahlung der Markvorschüsse erfolgt wie früher nur in Papiermark. – 2. Die Höhe der Zahlungen müsse im Rahmen der im Jahre 1922 erfolgten durchschnittlichen Monatsleistungen bleiben. – 3. Die Requisitionen, Beschlagnahmungen oder sonstigen Arten der Inanspruchnahme von Geld für die Bedürfnisse alliierter Truppen oder Stellen hören mit dem Tage der Wiederaufnahme der Markvorschußzahlungen auf; der Versorgung des besetzten Gebietes mit den erforderlichen Zahlungsmitteln durch die Reichsbank usw. werden keinerlei Schwierigkeiten mehr bereitet, insbesondere auch nicht während des Transportes durch das neubesetzte Gebiet. […] – Zu 1–3. Es wird anzustreben sein, daß die Geldbeschlagnahmungen auch im Sanktions- und Einbruchsgebiet unterbleiben, selbst auf die Gefahr hin, daß kleine Zugeständnisse über die Höhe der der Markvorschüsse gemacht werden müssen, jedoch ohne irgend welche Verpflichtungen zur Unterhaltung der Truppen oder Behörden im neubesetzten Gebiet anzuerkennen oder zu übernehmen“ (R 43 I /229 , Bl. 189–191). S. a. Dok. Nr. 236.

Ich komme damit gleich auf die Frage der außenpolitischen Lage und auf die letzten Ausführungen, die Herr Oberbürgermeister Jarres nach dieser Richtung gemacht hat. Ich habe heute aus der Kölnischen Zeitung ersehen, daß die Note, die wir der Reparationskommission haben übergeben lassen31, bereits abgedruckt ist. In der Beurteilung der Maßnahmen der Deutschen Reichsregierung werden vielfach zwei Dinge nicht genügend auseinandergehalten oder miteinander verwechselt. Das ist die Festigkeit in der Sache auf der einen Seite und das ist der Ton nach der anderen Seite. Ich glaube, daß man gar keine Vorwürfe gegen die Deutsche Reichsregierung erheben kann, daß sie in Bezug auf die Sache, auch in Bezug auf die Nichtmehrleistung aus dem Versailler Vertrage, nicht eine ganz klare Haltung gegenüber den Alliierten eingenommen hat. Aber ich möchte Ihnen ebenso klar und offen das Eine sagen: solange ich die Verantwortung als Reichskanzler und als Außenminister habe, verwahre ich mich dagegen, daß wir mit derselben Überstürzung etwa einen Bruch mit Frankreich herbeiführen, wie wir seinerzeit die Kriegserklärung im Jahre 1914 herbeigeführt haben. (Sehr richtig!) Damals konnten wir gar nicht schnell genug unsere Kriegserklärungen herausschicken. Wie haben wir darunter gelitten, daß dieser Krieg diplomatisch nicht so vorbereitet war und nachher auch die öffentliche Meinung der Welt nicht auf unsere Seite trat, statt das wir bis heute gegen die Meinung der Welt ankämpfen müssen.

31

S. Dok. Nr. 136, P. 9.

Der Bruch mit Frankreich erscheint mir unabweislich. Ich sehe gar keine andere Lösung, als diesen Bruch mit Frankreich nach der Stellung, die der Herr französische Ministerpräsident eingenommen hat. Aber dann müssen alle offiziellen Formen erfüllt werden, ehe dieser Bruch nach außen von uns klar verkündet wird, und zwar gehörte dazu erstens, daß bei Antritt einer neuen[777] Regierung, ehe noch der passive Widerstand aufgegeben war, versucht wurde, im Wege der Verhandlungen den passiven Widerstand für Konzessionen an Deutschland auszunutzen. Das ist von Frankreich abgelehnt. Dazu gehört zweitens, daß kein Zweifel darüber bestand, daß wir nicht etwa Rhein und Ruhr leichtfertig aufgeben, oder einer Vergewaltigung preisgeben, sondern daß wir bereit wären, die höchsten Opfer dafür zu bringen, daß Rhein und Ruhr frei bei Deutschland blieben. Dem entsprachen die Vorschläge, die ich gemacht habe und die bis heute vom Kabinett aufrecht erhalten worden sind, der größten Belastung, die vielleicht je ein Volk auf sich genommen hat. Aber unter der selbstverständlichen Voraussetzung, daß unsere Souveränität wieder hergestellt wird, daß das Ruhrgebiet vollkommen frei zu uns gehört, wie es der Versailler Vertrag in sich schließt. Auch diese Vorschläge sind abgelehnt worden.

Kommt jetzt das Dritte, daß wir erklären, die Voraussetzungen, auf denen unsere Leistungen beruhten, nämlich die Verfügung über das Ruhrgebiet und unsere Souveränität im Rheinland besteht nicht mehr. Infolgedessen lehnen wir weitere Zahlungen ab, und zwar alle Zahlungen. Diese Erklärung ist abgegeben worden. Wir haben sie Italien abgegeben, daß wir keine Kohlen mehr liefern, wir haben England mitgeteilt, daß wir seine Besatzung nicht mehr bezahlen, und zwar weil wir nicht mehr der Staat sind, dem diese Leistungen aufgezwungen sind, weil wir nicht mehr die Voraussetzungen haben, die für diese Leistungen selbstverständlich waren32.

32

Vgl. Dok. Nr. 137 u. Dok. Nr. 156, 173; s. a. Dok. Nr. 189.

Die Wirkung dieser Erklärungen ist zunächst einmal die einer sehr starken Verwarnung in London und in Rom gewesen. Wir müssen den Weg gehen, den wir jetzt gegangen sind, zu sagen: Bitte, Artikel 234, prüft unsere Leistungen, unsere Hilfsmittel an Rhein und Ruhr sind uns genommen, deshalb verweigern wir Euch irgendwelche Leistungen. Wir werden einen Termin dafür setzen, bis zu dem wir Antwort verlangen. Wir lassen uns nicht darauf ein, daß uns diese Antwort etwa erst im nächsten Jahre gegeben wird, sondern verlangen, daß die Alliierten erklären, ob sie angesichts dieser Situation Deutschland noch weiter für leistungsfähig halten. Würden wir diesen Artikel 234 als nicht vorhanden ansehen, und einfach sagen: Bruch, wir zahlen nicht mehr, dann würden wir die englische öffentliche Meinung davon befreien, daß sie einmal klar Stellung nimmt, weil sie dann einfach sagen würde: Der Vertrag ist von Deutschland gebrochen, wir lassen uns auf nichts ein. So muß sie aber gegenüber ihrer öffentlichen Meinung, gegenüber den Äußerungen von Smuts auf der Imperial Conference33, gegenüber der Labour Party, gegenüber den großen Gruppen auch der Unionisten sich klar bekennen, ob sie so schwach und ohnmächtig ist, die Verhältnisse nicht ändern zu können, und ob sie diese große diplomatische Niederlage einsteckt. Sie muß klar sagen, ob sie nach der Erklärung vom 11. August nunmehr für Deutschland eintritt, oder ob sie Deutschland im Stich läßt. All diese Erklärungen, die die schwerste Belastung auch für das Kabinett Baldwin sind, die die einzige Möglichkeit sind, daß wenigstens die Opposition sich für Deutschland erhebt, hätten Sie das Kabinett Baldwin enthoben, wenn[778] Sie sich an den Vertrag nicht mehr halten. Zu sagen, wir schmeißen den Vertrag hin, er besteht nicht mehr, ist sehr leicht, und im Augenblick eminent populär, wäre aber meiner Meinung nach eminent undiplomatisch. Es würde uns ins Unrecht setzen, wo wir das beste Recht haben, was wohl je ein vergewaltigtes Volk in der Welt gehabt hat. Sie sehen das heute schon daran, daß Smuts davon spricht, der Vertrag sei von Frankreich zerrissen. Wie will sich England gegenüber einer derartigen Äußerung eines der hervorragendsten Vertreter der Dominions auf den Standpunkt stellen, bei Prüfung unserer Leistungsfähigkeit und bei all dem Material, das wir dabei vorbringen, und gegenüber unserer Forderung, nicht zu zahlen, ehe wir nicht unser Recht an Ruhr und Rhein haben, nachdem es selbst die Dinge für rechtswidrig erklärt hat, wie will es sich da den Dingen entziehen! Ich las heute in der Kölnischen Zeitung, daß man auch in Paris gar nicht entzückt ist über das Anrufen der Reparationskommission. Herr Oberbürgermeister Jarres, ich möchte Ihnen das eine sagen, Herr Poincaré hat Herrn v. Hoesch dringend abgeraten, wir sollten uns ja nicht an die Reparationskommission wenden. Das haben wir getan, um noch einmal einen Versuch zu machen, nicht weil wir uns davon viel erhofften, sondern um ihn in Verlegenheit zu setzen, damit er klar auf die Frage antworten muß und sich nicht einfach darauf zurückziehen kann: Die Deutschen haben selbst gesagt, der Vertrag besteht nicht mehr, nun bin ich an nichts mehr gebunden. Denn wie die Dinge heute liegen, gibt uns der Vertrag auch Rechte. Der Vertrag gibt uns zum mindesten das Recht, daß das Ruhrgebiet rechtswidrig besetzt ist, daß für das Rheinland nur das Rheinlandabkommen34 gilt, aber nicht die Vergewaltigungen, die heute dort bestehen. Kommt einmal irgend eine Situation, in der über diese Dinge, über die Vergewaltigung gesprochen wird – und darüber wird gesprochen werden, solange die Vergewaltigungen andauern –, dann würde ich es für vollkommen falsch halten, den Vertrag als solchen – das sage ich nicht gegen den verehrten Herrn Vorsitzenden – aber wie es manchmal in der Öffentlichkeit gesagt wird, als nicht mehr bestehend zu betrachten, ihn den Franzosen vor die Füße zu werfen, sondern im Gegenteil zu sagen: Selbst gegenüber diesem Vertrage, der das Schwerste ist, was einem Volke auferlegt wird, seid ihr noch wortbrüchig geworden und habt das Recht vor der ganzen Welt gebrochen.

33

Vgl. hierzu Vermächtnis I, S. 176 f.; s. a. Dok. Nr. 200.

34

S. RGBl. 1919, S. 1337  ff.

Das ist die Situation, in der wir stehen, die Basis die wir uns schaffen müssen, wenn wir die Leistungen aus dem Vertrage ablehnen, die wir nicht mehr zu zahlen gedenken. Wir können die Markvorschüsse lediglich so lange zahlen, als überhaupt noch Leistungen gezahlt werden. Sie werden noch gegeben an Italien, werden noch gegeben an die englische Besatzung. Auch diese sind wir gewillt einzustellen, wenn uns nicht an Ruhr und Rhein unser Recht wird. Wir setzen einen kurzfristigen Termin, bis zu dem wir verlangen, daß die Entente uns Antwort gibt, ob sie unser Recht herstellen will oder nicht; denn wir können unmöglich dulden, daß man Deutschland als offenes Land betrachtet, in das man einmarschiert, wie es einem gefällt, dem man die Eisenbahnen konfisziert, in dessen Hoheitsgebiet man Zölle erhebt usw.

[779] Die Verhandlungen, die mit Frankreich geführt worden sind, haben leider gar keinen Anlaß zu irgend einer Hoffnung auf eine Verständigung. Auch nur auf wirtschaftlichem Gebiet über die hier besetzten Teile. Die Herren verlangen ja nicht nur die französische Regie, nicht nur die Herrschaft über unsere Eisenbahnen, die sie bisher gehabt haben. Sie verlangen ja neue Linien hinzu, sie verlangen die Kontrolle über die Linie Wesel-Emmerich, über Frankfurt-Darmstadt, über Worms-Germersheim35. Sie haben uns mitgeteilt, daß sie über alle diese Dinge nicht mit uns verhandeln, sondern daß wir das ohne Vorbehalt zu unterzeichnen hätten. Außerdem verlangen sie alle Lokomotiven, die früher hier gewesen wären, aber die Typenauswahl durch die französische Regie. Wir denken garnicht daran, das zu tun. Ich habe das neulich auch meinen Kabinettsmitgliedern ausgeführt. Diese ganze Art und Weise, uns Diktate zu schicken, muß einmal aufhören. (Sehr wahr!) Es muß den Leuten einmal gesagt werden: So läßt sich ein Staat wie das Deutsche Reich nicht behandeln. Sie haben mit uns darüber verhandelt, ob die Eisenbahn wieder in Gang kommt. Lehnen sie das ab, dann sollen sie ihre Lokomotiven aus Frankreich hereinholen, und die Regie damit ausstatten, aber nicht das Material von uns verlangen und uns gleichzeitig erklären, daß sie die Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches seien, daß die Eisenbahn sich substituiere in alle unsere Rechte, die wir bisher gehabt haben36. Unterschrieben wir das, dann wäre der Kanzler, der das unterschreibt, vor der Welt belastet mit dem Vorwurf, daß er die deutsche Reichsbahn im besten Gebiete des Deutschen Reiches den Franzosen ausgeliefert hat, daß er Frankreich und die französische Regie als Rechtsnachfolgerin anerkannt hat, wo unser Besitz noch heute vollkommen untangiert ist und rechtlich vollkommen unangreifbar dasteht. Wenn uns nicht einmal gestattet wird, festzustellen, daß das unser Besitz ist, daß diese Dinge nur vorübergehend seien bis zu einer anderen Regelung der Frage, dann ist es ganz ausgeschlossen, daß die deutsche Regierung auf diesem Gebiete nachgibt. Ich glaube, das liegt nur im Interesse des besetzten Gebietes, weil schließlich Frankreich vor die Verantwortung gestellt werden muß, hier auch einmal, wenn es, wie Herr Professor Moldenhauer die Dinge wohl ganz richtig bezeichnet hat, das Gebiet als französisches Okkupationsgebiet ansieht, auch vor seinem Volke vor seinem Parlament festzustellen, daß es mindestens kein Überschußgebiet für Frankreich ist. Würden wir ihm die Bahnen zur Verfügung stellen mit allem unserem Material, die Frechheit, daß es sich die Typen auswählt, also unsere besten Sachen nimmt und uns die schlechteren zurückschickt, wie wir es bei dem Waffenstillstand erlebt haben, so ist das garnicht mehr zu überbieten angesichts dessen, daß das unser Besitz ist, daß wir keinen Krieg verloren haben, der uns zu irgend einer Entschädigung zwingt.

35

Vgl. den Bericht des RVM in Dok. Nr. 156.

36

Zur Waggonanforderung der Franzosen s. Dok. Nr. 176, 177 sowie 183, P. 9 u. Dok. Nr. 212, P. 1.

Täten wir das, statteten wir die Regie mit all dem aus, glauben Sie, daß die Franzosen jemals etwas herausgeben, wenn man ihnen derartig entgegenkommt, daß man ihnen die Grundlagen für die Prosperität des Deutschen Reiches[780] noch liefert? Das ist unmöglich, dieser Standpunkt kann von uns nicht eingenommen werden.

Wir waren jetzt auf dem Standpunkte, nicht nur auf Grund eigenen Entschlusses, sondern auch auf Grund von Vereinbarungen mit hervorragenden Persönlichkeiten aus dem alliierten Lager, wenn auch just nicht aus dem französischen, angesichts der letzten Unterhaltung zwischen Poincaré und Herrn von Hoesch, von der unser Herr Geschäftsträger geschrieben hat, daß es seiner äußersten Selbstbeherrschung bedurft hätte, um sie zu Ende zu führen, bei dem das Wort gefallen ist, daß er ewig im Ruhrgebiet bleiben würde, solange nicht die Reparationen bis aufs Letzte bezahlt würden. Wir hatten jetzt die Absicht, allerdings neben der Vorbereitung der Kündigung der Leistungen aus dem Versailler Vertrage durch die Note an die Reparationskommission, auch die große Weltoffensive, wenn ich es so nennen darf, gegen Poincaré in die Wege zu leiten. Wir haben unsere gesamten Botschafter und Geschäftsträger in sämtlichen Staaten der Welt aufgefordert, darauf hinzuweisen, daß durch die Politik des französischen Ministerpräsidenten Hunger und Chaos im besetzten Gebiet herbeigeführt würden und daß er die Verantwortung vor der Welt dafür trüge. Wir haben gleichzeitig an das Rote Kreuz und alle caritativen Einrichtungen in all den dafür in Betracht kommenden Staaten appelliert, daß sie ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, daß hier der Hunger ausbrechen würde, unter Hinweis auf ihre Pflicht, den bedrängten Gebieten zu helfen37.

37

S. Anm. 5 zu Dok. Nr. 156.

Diese Mitteilungen sowie unsere Veröffentlichungen über die Verhandlungen mit Herrn Poincaré mit seinem ewigen „Es ist mir gleichgültig, ob dies oder jenes geschieht“ haben nicht nur in England, sondern auch in Frankreich, wie wir aus unseren Berichten wissen, einen so starken Eindruck gemacht, daß Herr Poincaré mit eigener Hand eine Berichtigung niederschrieb, in der er behauptete, unser Communiqué sei zurecht gestutzt, sei eine neue Emser Depesche, so habe er sich nicht geäußert. Ich habe darauf erwidert, daß wir bereit seien, den Bericht des Herrn von Hoesch jederzeit im Wortlaut zu veröffentlichen, daß er noch schärfer sei als das Communique38. Ich wollte mir die letzte Schärfe vorbehalten, bis wir etwa in einen offenen Kampf hineingekommen sind. Ich hatte mir wenigstens das eine davon versprochen, daß diese ganzen Fragen noch einmal nicht nur zwischen uns und der französischen Regierung, sondern auch zwischen dem deutschen Volke, Frankreich und der öffentlichen Weltmeinung ausgefochten würden. Nicht, weil ich mir davon gegenwärtig einen Erfolg verspreche, wohl aber für die Zukunft, die nicht immer die Züge der Gegenwart tragen wird und zu tragen braucht.

38

Vgl. Dok. Nr. 156.

Ich bedauere es auf das tiefste – und das ist das, was mich am meisten in meinem Glauben daran erschüttert hat, daß das deutsche Volk aus eigener Kraft sich einmal aufrichten wird –, daß in dieser Situation, in der alles auf dem Spiele steht und in der die deutsche Regierung veröffentlicht, daß sie einen solchen Schritt in der ganzen Welt tut, da ein Streit in Deutschland ausbrechen kann, der nun wieder die ganze Aufmerksamkeit der Welt von dieser Not ablenkt[781] und auf innerdeutsche Streitigkeiten hinlenkt. (Zustimmung.) Ich habe wirklich die Empfindung, uns fällen am letzten Ende nicht die Feinde, sondern wir fällen uns selber. (Sehr richtig!) Ajax fiel durch Ajax’ Kraft. Das wird man einmal auf den Grabstein des deutschen Volkes schreiben, wenn es sich nicht von parteipolitischer Verbissenheit und von Gegensätzen der Stämme, die gar nichts bedeuten, gegenüber den Leiden des ganzen Volkes, frei macht und einmal lernt, das Große groß und das Kleine klein zu sehen. All die Dinge, die zwischen München und Berlin vorgegangen sind, sind klein gegenüber dem, daß sie jetzt nicht zum Austrag kommen durften, daß man die Empfindung hat, daß sogar die Reichswehr nicht einmal ein einheitliches Instrument in der Hand des deutschen Reiches wäre. Ich hoffe ja, daß nach den gestrigen Verhandlungen39 diese Dinge zum mindesten in den Hintergrund treten oder erledigt sein werden.

39

S. Dok. Nr. 174.

Hier will ich nur noch darauf hinweisen, daß in Bezug auf Fragen, die Sie sonst erörtert haben, mir eines seltsamlich und utopisch erscheint. Ich spreche hier, wie ich im Anfang gesagt habe, überhaupt nur von einer Theorie, eine andere Art der Diskussion ist für mich unmöglich. Meine Herren, welche Utopie, wenn Sie glauben, – ich bitte, mir das nicht übel zu nehmen – daß irgend eine Entschließung der Bildung eines Rheinstaates die Rheinfrage löst. (Zustimmung.) Auch wenn dieses ganze Gebiet etwa politisch nicht mehr zu uns gehören sollte, dann werden die Drangsalierungen und Sanktionen von Frankreich nicht aufhören. (Sehr richtig!) Dann wird man uns weiter bis aufs Blut zu quälen versuchen, wird weiter versuchen, das von uns zu erpressen, was wir nicht freiwillig geben. Wenn Sie glauben, daß man dann aus Freude darüber, daß sich hier ein Rheinstaat bilde, den Rheinstaat besonders gut behandeln würde, ich glaube, dann verkennen Sie auch die ganze Situation, die ja nach der Richtung geht, daß man Frankreich am Rheine verteidigen will gegen ein wieder erstehendes Deutschland und deshalb hier seine Haupttruppenmacht dauernd halten wird. Sie verkennen die Situation – und das ist ja eigentlich das Gute an den Dingen, wie sie liegen – aus dem Grunde, weil Frankreich das eine ganz genau weiß, daß der Rheinstaat, wenigstens wie er den anständigen Menschen etwa in ihren Erwägungen vorschwebt, doch kein Rheinbundstaat ist, der etwa Hilfstruppen für Frankreich stellt, sondern der, wenn es einmal zum Kampf um die Freiheit käme, mit anderen Deutschen zusammen gegen Frankreich aufträte. (Zustimmung.) Das ist wohl ganz selbstverständlich. An irgend einen Rheinbundstaat zu denken, wäre eine Unmöglichkeit. Denkt man an einen deutschen Rheinstaat, so werden Sie die Besatzung bis zum letzten behalten, weil man Ihnen ebenso mißtrauen wird, wie man uns im übrigen Deutschland mißtraut.

Die Frage ist also nicht so zu lösen, daß man glaubt, dann beginnen die Tage der großen politischen und wirtschaftlichen Freiheit. Nein, es werden für das besetzte und unbesetzte Gebiet Drangsale und alles andere weitergehen.

Ich sehe auch noch nicht, daß der Rheinstaat nun mit einem Male keine Kohlensteuer, keine Reparationskohle liefern soll. Frankreich hat sich doch wirtschaftlich vollkommen auf diese Dinge eingestellt. Wie soll denn der französische[782] Ministerpräsident vor seinem Parlament plötzlich auf diese Einnahmen verzichten, lediglich weil ein politischer Akt vorgegangen ist, der doch gar nicht damit begründet wäre, daß man sich feindlich gegen das deutsche Reich stellt, sondern, daß man einen Akt der Notwehr vorgäbe, um sich das eigene Leben zu erhalten?

Deshalb muß man von diesen Dingen ausgehen. Der Weg, den wir zu gehen haben, die wir jetzt durch französisch-belgische Vergewaltigung getrennt sind, wird für beide Teile noch sehr lange ein ganz schwerer Weg des Leidens und der Not werden. Wie weit, und in welchem Rahmen wir Ihnen helfen können, dieses Leben an sich erträglich zu gestalten, die Wirtschaft aufrecht zu erhalten, das habe ich Ihnen in aller Offenheit gesagt. Alle Einzelheiten darüber stehen Ihnen zur Verfügung. Ob eine Notwendigkeit sich ergibt, angesichts der Unfähigkeit der Regierung – ich meine die Unfähigkeit, in die die Regierung durch das Verhalten Frankreichs hineingesetzt ist – Verhandlungen mit Frankreich und Belgien zu führen, etwa nun Ihrerseits, um nicht separatistischen Elementen wie Dorten, Smeets, Matthes u. a. die Dinge zu überlassen, selber Gremien zu wählen, die diese Verhandlungen führen, das ist eine Angelegenheit, die in Ihren Händen liegt. Je mehr da alle Parteien zusammengehen, umso besser ist es.

So liegt die Gegenwart. Ich habe sie Ihnen ohne jede Beschönigung vorgestellt. Ich habe kein optimistisches Licht aufgesetzt, denn ich sehe für diese Gegenwart kein optimistisches Licht. Die Folgerungen daraus zu ziehen, liegt bei Ihnen. Welche Schritte Sie immer gehen mögen, halten Sie sich aber das eine vor Augen, daß namentlich bei den Schritten, die das Rheinland und das besetzte Gebiet geht, es nur ein einheitliches Vorgehen aller Parteien geben darf und keine Parteien gegeneinander. (Lebhafter Beifall.)

Oberbürgermeister Dr. Adenauer40:

40

S. hierzu K. D. Erdmann, Adenauer in der Rheinlandpolitik, S. 100 ff.

Meine Herren! Meine Partei hat mich gebeten, hier zu sprechen. Außerdem will [!] ich von der Städtevereinigung für die besetzten Gebiete dringend gebeten worden, hier ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen.

Ich möchte an die Spitze meiner Ausführungen stellen, daß wohl jeder unter uns und jeder, der am Rhein und an der Ruhr deutsch empfindet, das Wort, das der Herr Reichskanzler an die Spitze seiner Ausführungen gestellt hat, daß er als Kanzler des Deutschen Reiches jede Diskussion über die Frage einer Trennung der Rheinlande vom Reiche ablehnen müsse, bis zum letzten Buchstaben unterschreibt. (Bravo!) Denn wenn der Kanzler sich in eine Diskussion darüber einließe, ob die Rheinlande sich vom Reich trennen sollen, so würde er allen zukünftigen Ansprüchen des Deutschen Reiches mindestens präjudizieren. Niemals kann ein Kanzler des deutschen Reichs oder kann ein preußischer Ministerpräsident oder kann der Leiter eines anderen Landes sich in eine Diskussion darüber einlassen, ob Landesteile abgetrennt werden sollen oder nicht.

Der Herr Reichskanzler hat uns in ausgezeichneter Weise die Lage des Reiches dargestellt, und ich glaube, daß wir mit fast allen seinen Ausführungen, gleichgültig welcher Partei wir angehören, einverstanden sein können.[783] Ich möchte dem Herrn Reichskanzler und den Herren, die mit ihm gekommen sind, in wenigen Worten die Lage des alt- und neubesetzten Gebietes darstellen.

Dabei, Herr Reichskanzler, glaube ich sagen zu dürfen, daß wir uns alle bemühten, uns von den Eindrücken, die die Putschversuche in den letzten Tagen auf die Einzelnen gemacht haben, zu befreien, daß wir versucht haben, losgelöst von dieser augenblicklichen Stimmung uns ein Bild über die gegenwärtige und über die zukünftige Lage zu machen. Ich für meine Person bin umso mehr in der Lage, mich von diesen persönlichen Eindrücken frei zu machen, weil die Engländer, sowohl die Zivil- wie die Militärbehörden, uns erklärt haben, daß sie jedem Eindringen von separatistischen bewaffneten Banden in das britische besetzte Gebiet mit Waffengewalt entgegentreten würden und daß sie die deutschen Behörden in jeder Weise bei dem Zurückschlagen dieser Dinge unterstützen würden.

Die Sache liegt nun im besetzten Gebiet so:

Die Putsche der letzten Tage sind in einer Reihe von Orten zurückgeschlagen, in anderen Orten sind sie jetzt wieder im Vordringen oder sie werden in den nächsten Tagen wieder vordringen. Ich höre, daß zwar Bonn diese Nacht entsetzt worden ist, daß aber in Aachen schwere Kämpfe augenblicklich toben, daß die Belgier zugunsten der Separatisten eingegriffen haben. Mir wurde eben gesagt, daß in Aachen 5 deutsche Polizisten gefallen wären – oder in Euskirchen –, weil die belgischen Truppen zugunsten der Separatisten eingegriffen haben41. Diese Nacht war der Oberbürgermeister von Rheydt, begleitet von den dortigen Parteiführern, bei mir und teilte mir mit, daß die Separatisten, die in Krefeld sehr übel gehaust haben, nunmehr im Vormarsch auf Viersen und München-Gladbach wären und daß sie wahrscheinlich, wenn die Krefelder Banden dorthin kämen, erliegen würden.

41

Über das RPMin. war am 25.10.23, 10 Uhr gemeldet worden: „Aachen. Heute Morgen hat die deutsche Schupo gegen 6 Uhr versucht, das von Sonderbündlern besetzte Regierungsgebäude zu stürmen. Nachdem ihr dies gelungen war, fielen Schüsse. Der weitere Verlauf ist nicht ganz geklärt. Die belgische Gendarmerie griff jedenfalls an und hat etwa 6 bis 8 deutsche Zivilisten und Schupos erschossen. Die Schupo ist dann von Belgiern aus dem Regierungsgebäude entfernt und entwaffnet worden. 36 Schupos stehen entwaffnet auf dem Posthof. Die Lage ist sehr ernst, die Bevölkerung verzweifelt, daß von Seiten deutscher Regierung nichts geschieht“ (R 43 I /1838 , Bl. 422).

Aber sei dem, wie ihm wolle. Machen wir uns von diesen angenblicklichen Stimmungsbildern los. Ich glaube, jeder, der am Rhein lebt, weiß und ist darin derselben Ansicht, daß diese Putschversuche sich heute oder morgen, und zwar in besserer Art vorbereitet als bisher, erneuern werden. Wenn diese Putschversuche sich erneuern, in welcher Verfassung finden sie die Bevölkerung? Sie haben heute in der Kölnischen Zeitung gelesen, daß ab Montag sämtliche Zechen schließen42. Die Zahl der Arbeitslosen im besetzten Gebiet ist außerordentlich groß. In Köln ist es noch relativ günstig. Trotzdem haben wir 70 000 Vollarbeitslose und 70 000 mehr oder weniger Arbeitslose. Das sind 140 000 Menschen. In anderen Städten ist es noch schlimmer. Die Zahlungsmittelknappheit ist wieder in kolossalem Ausmaß eingetreten. Daneben der Sturz der Mark, die Nahrungsmittelsorgen.[784] Kurz und gut, Herr Reichskanzler, Sie haben ja das Bild wahrhaftig auch nicht rosig gezeichnet. Man sagt nicht zu viel, wenn man sagt, daß der zweite Putschversuch die Bevölkerung in einem viel schlechteren seelischen und körperlichen Zustande antreffen wird als der erste.

42

Vgl. Anm. 9 zu Dok. Nr. 162.

Hinzu kommt, daß nun die Besatzungsbehörden ganz offen Partei für die Putschisten nehmen. Es wird Ihnen bekannt sein, Herr Reichskanzler, sowohl aus der Lektüre der Kölnischen Zeitung wie aus Mitteilungen die sicher auch zu Ihnen gelangt sein werden, daß der französische Oberkommissar Tirard erklärt hat, er müsse diejenigen Separatisten, die im Besitze der Ämter seien, als die faktischen Machthaber bezeichnen. Von Trier wird heute morgen gemeldet, daß dort mitgeteilt worden sei, es würde eine Ordonnanz der Rheinlandkommission herauskommen des Inhalts, daß diejenigen deutschen Beamten, die sich weigerten, unter den von den Franzosen bzw. von der Rheinlandkommission anerkannten Machthabern zu arbeiten, ins Gefängnis gesetzt würden43. Wie die Beamtenschaft des französischen und belgischen besetzten Gebietes das aufnehmen wird, das kann ich nicht so beurteilen, da im englischen besetzten Gebiet die ganzen Verhältnisse viel normaler und stabiler sind. Aber es sind ja Herren aus diesen Gebieten anwesend, die sich vielleicht darüber äußern werden. Tirard wird zweifellos nach der Erklärung, die abgegeben worden ist, daß die Inhaber der Ämter jetzt anerkannt werden müßten, sich mit seiner ganzen Macht auch hinter diese Machthaber stellen. Man muß damit rechnen, daß in längerer oder kürzerer Frist – aber von langen Fristen ist hier überhaupt nicht die Rede – ein großer Teil der Rheinprovinz tatsächlich in der Hand und unter der Herrschaft der Separatisten steht. Oder aber, falls das nicht eintreten sollte, wird das Zukunftsbild etwa so aussehen: Es werden zweifellos in kürzester Frist sehr große Unruhen infolge der schlechten sozialen Lage eintreten, und es werden dann die Besatzungsbehörden und die Rheinlandkommission von sich aus die Macht in die Hand nehmen.

43

Eine derartige Ordonnanz wurde nicht ermittelt.

Ich darf auch auf die Vorgänge in der Rheinpfalz verweisen44. Der Herr Abgeordnete Hofmann (Ludwigshafen) teilt mir eben mit, – er ist gestern abend um 6 Uhr abgefahren – daß der General de Metz ihm erklärt habe, er ließe den bürgerlichen Parteien 2 Tage Zeit, zu erklären, ob sie sich an der neuen Regierung beteiligen wollten oder nicht, es bliebe auf alle Fälle bei dieser neuen Regierung.

44

Vgl. hierzu Dok. Nr. 171.

Nun, Herr Reichskanzler, ist unsere Situation so: Wir sehen diese Verhältnisse mit absoluter Sicherheit herankommen. Wir sind überzeugt, daß das Reich und die Länder trotz des besten Willens uns nicht helfen können. Wir stehen jetzt vor der Frage, sollen wir dieses Unheil, das wir bestimmt kommen sehen. über uns ergehen lassen, sollen wir die Franzosen oder die Werkzeuge der Franzosen über Rheinland und Ruhr herrschen lassen oder soll man wenigstens den Versuch machen, das abzuwehren? Sie Herr Reichskanzler, haben, wenn ich Sie recht verstanden habe, zum Ausdruck gebracht, es könne nichts dagegen gesagt werden, daß die Parteien ein Gremium wählten, um Verhandlungen mit[785] den Franzosen zu führen, um zu erreichen, daß sie an Stelle der Leute wie Dorten und Smeets mit den Franzosen verhandeln. Herr Reichskanzler, das ist der Anfang einer Tat, deren Ende man nicht sieht. Denn nach meiner Meinung werden solche Verhandlungen damit enden, daß Rhein und Ruhr nicht mehr zu Preußen, vielleicht nicht mehr zum Reich in absehbarer Zeit gehören werden. Die Situation wird, wenn überhaupt solche Verhandlungen beginnen, nach meiner Meinung die Parteien und die Verhandlungsführer unbedingt dorthin führen, daß schließlich doch eine Trennung, sei es von Preußen, sei es vom Reich, eintritt. Ich kann es mir anders gar nicht vorstellen. Ich kann diesen Mittelweg wenigstens für meine Person – denn ich habe mit meinen Freunden darüber noch nicht sprechen können – nur als etwas ungemein Gefährliches betrachten. Man muß sich darüber klar sein, daß das dabei herauskommen kann, und darf nicht etwa in seinem Innern sich einer Entscheidung, ob man dies oder jenes tun soll, dadurch zu entziehen versuchen, daß man sagt: wir wollen hier einmal das machen. Herr Reichskanzler, der Herr Oberbürgermeister Jarres hat die gestrigen Verhandlungen kurz skizziert. Er hat auch meine Ausführungen skizziert, allerdings nur in Kürze. Darf ich mir erlauben, seine Ausführungen etwas zu ergänzen und vielleicht auch etwas zurechtzurücken?

Niemand, der gestern gesprochen hat, hat davon gesprochen oder etwa daran gedacht, daß, wenn es zur Bildung eines Rheinstaates käme, dieser Rheinstaat es besser haben würde. Im Gegenteil, jedermann hat gesagt, dieser Rheinstaat wird einen Teil, und zwar einen erheblichen Teil der ganzen Reparationslasten zu tragen haben. Wenn damit aber erreicht wird, daß das übrige Deutschland von diesen Lasten befreit wird, dann hat das gesamte deutsche Volk doch etwas Gewinn davon, und dann wollen diejenigen, die am Rheine wohnen, diese Last für die anderen tragen. Ich bitte also, den Gedanken nicht aufkommen zu lassen, als wenn irgend einer von denen, die gestern sich über diese Dinge unterhalten haben, sich von eigennützigen Gesichtspunkten hätten tragen lassen, sich auch nur im entferntesten der Hoffnung hingegeben hätten, daß wir es dann besser haben würden.

Dann ist auch nicht von mir gesagt worden, daß dieser Rheinstaat die Reparationsfrage lösen würde, sondern ich habe lediglich gesagt: Wenn man überhaupt in eine solche Bewegung hineinkommt – dieses „Wenn“ möchte ich doppelt unterstreichen –, dann muß man auch in dieser Bewegung von einem weiteren Gesichtspunkt ausgehen als von dem Gesichtspunkt, unsere augenblicklichen Nöte zu lindern. Dann soll man wenigstens versuchen, damit zugleich eine Lösung der ganzen Reparationsfrage herbeizuführen. Insofern begegnet sich dieser Gedankengang mit Ihren Gedankengängen, Herr Reichskanzler, der Sie ja sagten, es müsse jetzt die Aufgabe unserer Diplomatie sein, auch die anderen Länder mit dieser Frage zu beschäftigen. Es ist ausgeführt worden, die Frage der Bildung eines solchen Rheinstaates sei eine Frage von so großer internationaler Bedeutung, daß sich England, Italien, Holland, die Schweiz, vielleicht auch Amerika dem gar nicht entziehen könnten, sich damit zu beschäftigen und daß damit auch selbstverständlich die ganze Reparationsfrage aus den Klauen Poincarés herausgerissen und in diese Faktoren hineinkommen würde.

Wir waren gestern alle der Überzeugung, daß wir durch so starke Gewissensbande,[786] Gewissensverpflichtungen sowohl gegenüber Preußen wie dem Reich verhindern würden, uns in irgend welche Verhandlungen irgend welcher Art mit dem Feinde einzulassen, bis wir sowohl von der Spitze Preußens wie von der Spitze des Reiches Erklärungen gehört hätten, die uns von diesen Verpflichtungen im Gewissen befreien würden. Nun erkennen wir ohne weiteres an – ich habe das ja eingangs gesagt –, daß weder der preußische Ministerpräsident noch der Kanzler des Reiches erklären können: Ihr dürft tun, was Ihr wollt. Aber es war gesagt worden, es möchte heute versucht werden, die Verhältnisse in gegenseitiger Aussprache möglichst klarzustellen, damit, wenn die Verhältnisse an Rhein und Ruhr sich so katastrophal weiter entwickelten wie in den letzten Tagen, sowohl der preußische Ministerpräsident wie der deutsche Reichskanzler immer von uns glauben möchten, daß alles, was wir hier tun, nur getragen ist von der reinsten Liebe zu unserem Lande und zu unserem Reich, und das wir, ganz gleichgültig wie alles kommen wird, versuchen müßten, eine Lösung zu finden, die uns die Wiedervereinigung mit unserem Mutterlande nicht unmöglich macht, sondern im Gegenteil eine Lösung, die diese Wiedervereinigung mit unserem Mutterlande, die unser heißestes und höchstes Ziel ist und bleiben wird, möglichst erleichtern wird.

(Darauf tritt eine halbstündige Pause ein um den Parteien Gelegenheit zur Besprechung zu geben.)

Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres:

Ich nehme die Verhandlungen wieder auf. Zunächst hat Herr Regierungspräsident Graf Adelmann gebeten, eine Erklärung über die Lage in seinem Bezirk zu geben.

Regierungspräsident Graf Adelmann:

Ich habe in der Pause folgende Nachrichten aus Bonn und aus Aachen erhalten: In Bonn war es geglückt, mit Hilfe der Polizei und der Beamtenschaft heute Morgen die Separatisten aus dem Rathaus zu entfernen. Das ist dem französischen Bezirksdelegierten sofort von der Stadtverwaltung gemeldet worden. Darauf hat der Bezirksdelegierte folgendes gesagt: Es ist soeben ein militärischer Befehl von Koblenz eingetroffen, wonach mit militärischer Gewalt die Separatisten wieder in das Rathaus eingesetzt werden müssen. Während die Betreffenden bei den Bezirksdelegierten waren, sind Tanks aufgefahren, sind Truppen anmarschiert und die Leute, die herausgeworfen waren, sind unter aktiver Teilnahme des Militärs wieder in ihre Posten eingesetzt worden. (Hört, hört!) Es ist erklärt worden, daß es dem Bezirksdelegierten persönlich bedauerlich erscheine, daß dieser Befehl gekommen sei, daß er aber nichts daran ändern könne.

In Aachen ist die Lage so gewesen, daß das Regierungsgebäude, das ja allein noch von den Separatisten gehalten wurde, eben von ihnen befreit werden sollte. Auch hier haben die belgischen Truppen aktiven Anteil genommen, sind den Polizisten, die die Lage zu unseren Gunsten wieder herstellen wollten, in den Rücken gefallen, haben 4 Polizisten erschossen und haben den Separatisten wieder Eingang verschafft. (Hört, hört!) Außerdem sind aus Aachen sämtliche Studenten der Technischen Hochschule ab 24. d. Mts. ausgewiesen worden. (Bewegung.)

[787] Aus Trier werden ähnliche Dinge berichtet. Dort ist, wie vorhin bereits erwähnt wurde, der Befehl an die Beamten ergangen, den Dienst aufzunehmen und eine Ordonnanz in Aussicht gestellt, wonach bei Gefängnisstrafe die Wiederaufnahme befohlen würde. Der Beamtenschaft hat sich eine große Erregung bemächtigt. Sie sind dann von hier, soviel ich gehört habe, angewiesen worden, ohne weiteres die Dienste abzulehnen. Ich darf aber, weil das ja eine allgemeine Frage ist, anregen, daß man den Beamten in dieser außerordentlich schweren Lage Zusicherungen wegen ihrer Weiterbezüge und eventuell bei Ausweisung wegen ihrer sonstigen weiteren Zukunft geben darf.

Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres:

Ich halte es für notwendig, daß wir uns im Anschluß an diese Mitteilungen nachher zum mindesten darüber unterhalten, wie sich die Beamtenschaft überhaupt verhalten soll. Sie weiß nicht, was sie tun soll. Die Instruktion des Herrn Preußischen Ministers des Innern sind ja klar bezüglich der Abwehr. Sie verlangen auch von den Beamten im Falle einer gewaltsamen Okkupation der Dienstgebäude, sich der Arbeit zu enthalten45. Die Meinungen darüber, ob das richtig ist, ob das im Interesse der Bevölkerung und im deutschen Interesse richtig ist, gehen auseinander. Ich möchte vorschlagen, daß wir diesen wichtigen Punkt in Anwesenheit der Herren Vertreter der Reichs- und Staatsregierung nachher besprechen.

45

Vgl. o. Anm. 6.

Regierungspräsident Dr. Saßen – Trier:

Falls beabsichtigt ist, diesen Punkt hier zu besprechen, dann glaube ich vorschlagen zu sollen, daß die Weisungen darüber sofort ergehen müssen. Ich muß für meinen Bezirk erklären, daß, wenn die Weisungen nicht innerhalb ganz kurzer Zeit erfolgen, damit zu rechnen ist, daß sämtliche im Amt befindliche Dezernenten in Trier heute festgesetzt oder ausgewiesen werden. Ich habe eben noch die Weisung durchgegeben, daß an den bisherigen Richtlinien wonach unter allen Umständen die Zusammenarbeit mit oder unter den Separatisten verboten bleibt, nichts geändert ist. Falls eine Änderung beabsichtigt sein sollte, bitte ich im Interesse der deutschen Sache, im Interesse der deutschen Verwaltung in Trier, dringend, diese veränderte Weisung möglichst bald zu geben.

Reichskanzler Dr. Stresemann:

Ich habe eben kurz mit den hier anwesenden Mitgliedern der Reichsregierung und der Staatsregierung gesprochen. Für uns ist es völlig unmöglich, an den Anweisungen irgend etwas zu ändern. In dem Augenblick, wo noch gekämpft wird, so sich die Schupo totschießen läßt dafür, daß sie die Separatisten bekämpft, können wir nicht den Beamten gestatten, unter widerrechtlich mit französischer Beihilfe zur Macht gekommenen Separatisten zu arbeiten. In dem Augenblick ist jeder weitere Kampf ausgeschlossen. Jede Kapitulation vor den Separatisten, mögen sie international oder von den Franzosen anerkannt werden, ist für uns vollständig unmöglich. Diese Anweisungen können weder vom Reich noch von Preußen geändert werden46.

46

Die in Anm. 6 genannte „Parole“ wurde am 26.10.23 vom RMbesGeb. als Weisung herausgegeben, wobei nicht mehr von „Usurpatoren“, sondern von „Separatisten“ gesprochen wurde (R 43 I /1838 , Bl. 447).

[788] Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres:

Ich schlage vor, daß wir jetzt in die Fortsetzung der Verhandlungen von heute morgen eintreten.

Oberbürgermeister Dr. Adenauer:

Ich bin von meinen Parteifreunden beauftragt, einige Fragen an den Herrn Reichskanzler zu stellen. Ich möchte mir aber gestatten, einige wenige Sätze vorher zu sprechen. Nach dem, was man aus den verschiedenen Beratungen so hört, fürchte ich eins, und etwas sehr schlimmes, daß wir nämlich nachher uneins sind. Das bitte ich Sie, unter allen Umständen zu vermeiden. Es wäre das schlimmste, was uns passieren könnte. Falls sich solche Uneinigkeit zeigen sollte, bitte ich doch den Herrn Reichskanzler und die Mitglieder der Reichsregierung sowie den Herrn Ministerpräsidenten, dafür zu sorgen, daß wir heute nicht uneins auseinandergehen.

Dann möchte ich noch ein zweites sagen. Ich habe gestern oder heute in aller Offenheit gesprochen und höre, daß schon wieder alle möglichen Geschichten, wie mir das früher auch schon einmal passiert ist, sich daran knüpfen, Ausschmückungen und Märchen. Ich möchte nochmals feststellen, was ich gestern gesagt habe, und ich rufe die Herren, die gestern da waren, zu Zeugen dafür an, Was ich heute gesagt habe, habe ich nur gesagt in Ergänzung dessen, was Herr Jarres gesagt hat. Ich habe gestern an die Spitze meiner Ausführungen gestellt, daß jede Verhandlung mit dem Feind überhaupt zur Voraussetzung haben müsse, die Einverständniserklärung der Reichsregierung und der Landesregierung in der Form, in der Reich und Land überhaupt eine solche Einverständniserklärung geben könnten. Dann habe ich weiter gesagt, daß wir für uns nichts erstreben dürfen, sondern nur etwas erstreben dürfen für das Reich, für das Gesamte. Dann habe ich weiter gesagt, daß ich es für den größten Fehler halten würde, wenn man jetzt etwa zu Beschlüssen käme, die dahin gehen, ein selbständiges Land im Rahmen des Reiches zu machen, oder darüber hinaus den Beschluß zu fassen, einen neutralen Staat zu machen, sondern ich habe lediglich gesagt: Die Verhandlungen, die dann mit dem Feinde evtl. mit Wissen der Reichs- und der Landesregierung eröffnet werden, können sich in den und den und den Linien bewegen, zwischen denen auch alle möglichen Zwischenlösungen möglich sind. Daher habe ich ausgeführt, ehe man solche Verhandlungen beginnt – denn wenn man sie begonnen hat, gehen sie manchmal zwangsläufig weiter – soll man sich darüber klar sein, was dabei herauskommen kann. Darüber muß sich auch die Reichsregierung klar sein.

Ich habe weiter ausgeführt, ich bäte darum, daß die Verhandlungen nicht aus kleinen Gesichtspunkten heraus geführt werden, um jetzt einmal eine augenblickliche Erleichterung zu bekommen, sondern wenn wir überhaupt den Schritt tun, dann wollen wir sehen, ob nicht das ganze Problem im Interesse des Reiches aufgerollt werden kann. Das sind meine gestrigen Ausführungen gewesen, und ich rufe diejenigen, die dabei waren, zu Zeugen auf und erkläre jedem, der etwas anderes von mir behauptet, dafür, daß er wissentlich oder unwissentlich die Unwahrheit sagt.

(Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres: Ich kann bestätigen, daß die Ausführungen gestern so gewesen sind.)

[789] Meine Parteifreunde haben mich nun gebeten, an den Herrn Reichskanzler folgende Fragen zu richten: Sie sind davon ausgegangen, daß die Ausführungen des Herrn Reichskanzlers doch über manche Punkte keine Aufklärung gegeben haben. Der Herr Reichskanzler hat gesagt, ein Bruch mit Frankreich sei unabweisbar. Er hat weiter erklärt, daß keine Leistungen auf Grund des Friedensvertrages mehr erfolgen würden, daß die Zahlungen in Besatzungsangelegenheiten wesentlich eingeschränkt werden sollen. Er hat weiter die wirtschaftliche und finanzielle Lage denkbar ungünstig geschildert. Er kennt die Lage im Rheinland, insbesondere nach den neuesten Nachrichten, wonach die Besatzung den Separatisten ihre Unterstützung hat zuteil werden lassen. Wie denkt er sich die Entwicklung der Lage an Rhein und Ruhr? Wie denkt er sich insbesondere die Entwicklung der Ernährungs- und Währungsfrage, und wie denkt er sich die Zahlung der Besatzungskosten?

Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres:

Der Herr Reichskanzler möchte die Fragen nachher im Zusammenhang beantworten. Ich nehme an, daß die sonstigen Parteien jetzt Erklärungen abgeben werden.

Reichstagsabgeordneter Esser:

Ich möchte dringend bitten, daß die Beantwortung dieser konkreten Fragen vorher erfolgt. Von der Beantwortung dieser Fragen wird vielleicht auch die Stellungnahme der übrigen Parteien beeinflußt werden.

Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres:

Wenn es möglich wäre, darauf zu antworten, dann erscheint es mir allerdings auch zweckmäßig.

Reichskanzler Dr. Stresemann:

Meine Herren! Ich muß sagen, daß ich diese Fragen etwas seltsam finde. Sie können mich ebenso gut fragen, wie ich mir die Entwicklung dieser Dinge im übrigen Deutschen Reich denke. Die ganze Entwicklung der Währungsfrage ist ja nicht nur ein Problem für die Rheinlande, sondern für das gesamte Reich. Wenn wir jetzt eine wertbeständige Währung schaffen, so werden wir sie für das besetzte Gebiet zur Verfügung halten können, wenn wir die Sicherheit haben, daß sie nicht beschlagnahmt wird. Das ist die selbstverständliche Voraussetzung, die Sie auch mit uns werden anerkennen müssen. Denn wir können wohl das wertbeständige Geld, das uns jetzt gegeben wird zur Führung der Reichsgeschäfte, für das Rheinland und Ruhr geben, aber unmöglich dafür, daß die Franzosen es uns wegnehmen, und es vielleicht dazu benutzen, um die Währung selber herabzusetzen.

(Oberbürgermeister Adenauer: Wenn keine Besatzungskosten gezahlt werden, werden die Gelder beschlagnahmt, und infolgedessen bekommen wir nicht die wertbeständige Währung47.

47

Vgl. dazu o. Anm. 9.

Ich habe Ihnen die Frage ganz klar beantwortet. Wenn wir nicht eine Sicherheit dafür haben, daß die Beschlagnahme nicht erfolgt, wenn wir damit wieder dasselbe erleben wollen, und zwar dann in viel höherem Maße, weil es sich dann um ganz andere Beträge handelt als bei den Papiermarkbeträgen, daß[790] sie uns nicht nur fortgenommen, sondern vielleicht zu Währungsmanipulationen benutzt werden, um auch das wertbeständige Geld von seiner Parität herunterzubringen und eine Baissespekulation zu machen, dann ist es meiner Meinung nach – ich kann hier zunächst nur für meine Person sprechen – unmöglich, daß dieses wertbeständige Geld in das besetzte Gebiet gesandt wird und damit in Wirklichkeit zur Unterstützung des Feindes dienen würde. Wir sind ja schließlich verpflichtet, da es sich diesmal nicht um reines Reichsgeld handelt, sondern um Geld, für das die Erwerbsstände eine Belastung auf sich genommen haben, die dem Reiche von sich aus sehr große Mittel in Goldmark zur Verfügung stellen, nach der Richtung noch sorgsamer zu verfahren, als wenn es sich um Notendruck des Reiches selber handelte, bei dem die Verluste mit der Entwertung des Geldes selbst vielleicht geringer werden könnten, während hier die Verluste einmal größer sind, und zweitens nicht nur das Reich, sondern auch diejenigen in Betracht kommen, die ihrerseits die Bürgschaft für die Bezahlung übernommen haben.

In Bezug auf die Markvorschüsse an das altbesetzte Gebiet habe ich vorhin erklärt, daß wir darüber mit der Rheinlandkommission zu verhandeln gedenken48, daß das von derselben Voraussetzung abhängig ist, daß, wenn uns dort zugesichert wird, daß Requisitionen und Beschlagnahmen nicht erfolgen, wir sie dann bis zu dem Termin leisten wollen, wo wir überhaupt erklären, daß wir unsererseits Leistungen aus dem Versailler Vertrag nicht mehr zu übernehmen gedenken. (Zurufe: Und dann?)

48

S. Dok. Nr. 236.

Geheimrat Hagen:

Ich glaube, daß ich den Herrn Reichskanzler wohl richtig dahin verstanden habe, daß er voraussetzt, daß das Währungsgeld, das im Reiche jetzt auf Grund der Rentenbank geschaffen ist, in dem besetzten Gebiet zugelassen wird. Wir haben allerdings große Zweifel darüber.

(Reichskanzler Dr. Stresemann: Allerdings, dementsprechend auch die Belastung der Wirtschaft!)

Ich wollte eben darauf kommen, daß ich der Meinung bin, daß eine derartige Belastung von der Rheinlandkommission nicht geduldet würde. Ich glaube, daß damit wohl auch die Voraussetzungen des Herrn Reichskanzlers entfallen, daß das Geld uns nicht zufällt, weil es beschlagnahmt wird. Ich glaube nämlich, daß es gar nicht bis zu der Beschlagnahme kommt, weil unter keinen Umständen, wie es mir scheinen will, die Besatzungsbehörden genehmigen werden, daß eine 30prozentige Belastung aller Grundstücke usw.49 erfolgen wird.

49

Hier muß bei dem Stenografen oder in den Ausführungen Hagens ein Irrtum unterlaufen sein, da die Rentenschuld 4% des Wehrbeitrages nach dem Gesetz vom 3.7.13 (RGBl., S. 505 ) ausmachen sollte.

Damit würde allerdings der unangenehme Zustand geschaffen sein, daß wir im besetzten Gebiet gezwungen sind, eine eigene Währung zu schaffen50. Denn ich muß an dieser Stelle wiederholen: Wir werden kaum mehr Tage, vielleicht kaum mehr Stunden mit der jetzigen Papiermark für die Ernährung der 12 Millionen Menschen im besetzten Gebiet durchkommen. Die Ernährung[791] hat sich in den letzten Tagen derart erschwert, weil niemand mehr das Papiergeld als Zahlung nehmen will. Wir sind also darauf angewiesen, sobald darüber Klarheit herrscht, daß das Geld der Rentenbank nicht als Zahlungsmittel von der Besatzung geduldet wird, umgehend eine andere Währung zu schaffen.

50

Vgl. Dok. Nr. 145.

Ich muß wiederholen: Es ist und bleibt meine Hauptsorge, was daraus in politischer Beziehung entstehen wird51. Ich bin mir und wir sind uns wohl alle darüber klar, daß die Schaffung einer Währung zunächst eine wirtschaftliche Frage ist, daß sie aber in unmittelbarem Zusammenhang mit der politischen steht. Deshalb wohl auch die hier geäußerten Besorgnisse: Wird die Ernährung im Rheinland und Westfalen möglich sein, wenn wir mit der Währung der Rentenbank-Pfandbriefe nicht durchkommen! Wir müssen den Stier bei den Hörnern fassen. Wir müssen diese Frage heute hier besprechen. Wenn wir nach Hause kommen und hier nicht zu einem Resultat gekommen sind, dann ist der ganze Komplex der Fragen wieder aufgerollt, und wir sind nicht in der Lage, unseren Mitbürgern darüber Aufklärung zu geben. Ich möchte daher den Herrn Reichskanzler vor allen Dingen bitten, uns seine Meinung darüber zu sagen, die, wie ich befürchten muß, mit der meinigen dahin gehen wird, daß von der Rheinlandkommission eine hypothekarische Belastung nicht zugegeben werden wird und damit auch diese deutsche Währung für uns, für 12 Millionen Einwohner des Deutschen Reiches, entfällt.

51

Am 16. 10. hatten Verhandlungen bei dem frz. Bezirksdelegierten über eine rheinische Währung in Bonn stattgefunden. Zu ihnen waren „12 Vertreter des rheinischen Handels, der Industrie und der Landwirtschaft“ aus dem Raum Euskirchen, Düren, Bonn und Troisdorf eingeladen worden. Unter Hinweis auf die Notlage des Rheinlandes und des Angebots frz. Schutzes bei Arbeitsunruhen hatte der frz. Bezirksdelegierte angeregt, eine wertbeständige rheinische Währung zu schaffen, deren Goldsicherung zu einem Drittel von Frankreich übernommen werde. Die Vertreter des Rheinlandes erklärten demgegenüber, sie seien nicht imstande, Sicherheiten für eine besondere Währung zu bieten, die nach der Schaffung der Rentenmark durch die RReg. unnötig sei. Bei Wiederherstellung eines reibungslosen Verkehrs und Rückkehr der Ausgewiesenen könne die Arbeit im Rheinland voll aufgenommen und damit die Not beseitigt werden. Zu diesem Bericht vom 18. 10. bemerkte der PrIM am 29. 10.: „Aus dem Bericht geht hervor, daß den Franzosen neben der Förderung des Separatismus die Schaffung einer rheinischen Währung für ihre eigenen Ziele besonders wichtig ist. Auch aus anderweitigen mündlichen Mitteilungen, namentlich solchen auf der letzten Tagung des Wirtschaftsausschusses in Köln geht hervor, daß die frz. Delegierten von der Pfalz bis Bonn ihren besonderen Ehrgeiz für die Schaffung einer rheinischen Währung einsetzen. Die offene Drohung, daß bei etwaigen Unruhen die Betriebe der widerstrebenden Unternehmer nicht geschützt würden, zeigt, daß die Franzosen von einer wertbeständigen rheinischen Währung sich andere Erfolge als bloß etwa die auf andere Weise sicherzustellende Befriedigung der Bedürfnisse des Zahlungsverkehrs versprechen. Bemerkenswert ist, wie rücksichtslos der Franzose glaubt, unter Mißachtung der deutschen Währung vorgehen zu können“ (R 43 I /189 , Bl. 263–265).

Reichsminister Fuchs:

Ich möchte jetzt nicht auf die Frage eingehen, wie es mit der Ernährung steht, nach der währungstechnischen Seite, auch nicht nach der verkehrstechnischen Seite. Auf die erste Frage hat der Herr Reichskanzler geantwortet, und ich weiß nicht, ob er diese Antwort auf die weitere Frage des Herr Geheimrat Hagen ergänzen will. Hinsichtlich der verkehrstechnischen Frage liegt es so, daß wir augenblicklich auf die Regie keinen Einfluß haben. Ich möchte nur über[792] die Frage reden, ob wir in der Lage sind, noch weitere Nahrungsmittel aus dem übrigen Deutschland zu liefern52.

52

Bereits am 12. 10. hatte der Fraktionsvorsitzende des Zentrums im RT Marx den folgenden Entschluß dem RK mitgeteilt: „Die Zentrumsfraktion ersucht die Regierung, mit aller möglicher Beschleunigung dafür zu sorgen, daß eine Verfrachtung von Kartoffeln aus dem unbesetzten Gebiete und aus dem Auslande in alle Teile des besetzten Gebietes erfolgen kann. Wo das durch geordneten Eisenbahnbetrieb oder die Schiffahrt nicht geschehen kann, muß Ersatz durch Auto und Fuhrbetrieb geschaffen werden, um so die Ernährung der Bevölkerung mit Kartoffeln zu sichern“ (R 43 I /222  b, Bl. 180).

Dann möchte ich Ihnen sagen, daß ich gestern mit dem Herrn Reichsernährungsminister diese Frage besprochen habe. Ich habe ihn auf die große Not des besetzten Gebietes aufmerksam gemacht, insbesondere auf die große Katastrophe, die doch unmittelbar vor uns stehen kann. Da hat mir der Reichsernährungsminister gesagt, daß er nach wie vor alles tun wollte, um aus dem unbesetzten Gebiet Lebensmittel in das besetzte Gebiet hineinzubringen53. Er hat mir weiter gesagt, daß es möglich sein wird – ich glaube, der Herr Reichsfinanzminister hat noch nicht endgültig Stellung dazu genommen –, den holländischen Guldenkredit, den wir haben, für diese Zwecke anzuspannen. Im übrigen sind wir schon mit Holland und mit den nordischen Staaten in Verhandlungen getreten, die durchaus hoffnungsvoll sind, so daß wir annehmen können, daß wir auch von da Lebensmittel für das besetzte Gebiet zur Verfügung gestellt bekommen54.

53

Im Bericht über den Stand des Wirtschaftslebens teilte der REM am 29.10.23 mit: „Die Ernährungslage im Ruhrgebiet hatte sich im Berichtsmonat [September] durch die Verzögerung der Ernte und die Entwickelung der Währungsverhältnisse wesentlich verschärft. Es war daher notwendig, in größerem Umfange außer den Konsumgenossenschaften auch den Groß- und Kleinhandel durch Kredite zu unterstützen. Es mußten ferner Wege gefunden werden, um die wirtschaftlich und politisch wichtige Kartoffeleinkellerung für den Winter zu ermöglichen. Dies geschah durch Bereitstellung von Reichsbankkrediten unter Einschaltung der Kartoffelkreditbank“ (R 43 I /1263 , Bl. 238).

54

Zum Hilfeaufruf an ausländische Organisationen s. Anm. 5 zu Dok. Nr. 156. In der Rede, die der RK nach dieser Besprechung abends hielt, wies er auch auf den Hilferuf an die karitativen Organisationen hin. Darauf richtete der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes am 27.10.23 ein Schreiben an den RK, daß er erst am 25. 10. bei einer Besprechung im RMinbesGeb. von einer derartigen Aktion erfahren habe. Bei dieser Gelegenheit habe sein Vertreter Draudt Bedenken gegen eine Beschränkung der Maßnahmen auf das besetzte Gebiet vorgetragen. Das Rote Kreuz könne einen Appell an das Ausland mit Hinweisen auf die Ernährungslage besonders im besetzten Gebiet nur zustimmen, wenn auch das frz. und belg. Rote Kreuz einbezogen würden. Dem Deutschen Roten Kreuz sei die Unkenntnis über die bisherigen Handlungen der RReg. in dieser Hinsicht peinlich, da am 1. 11. in Brüssel eine Tagung internationaler Rotkreuzvertreter stattfinde, bei der Kontakte weiterausgebaut werden sollten, die im August aufgenommen worden seien. Dazu vermerkte Wienstein am 31. 10., daß die Vertretungen in Bern und Den Haag vor dem 25. 10., die übrigen erst danach zur Bitte um Hilfsmaßnahmen aufgefordert worden seien. Vom AA aus seien die Vertreter des Deutschen Roten Kreuzes inzwischen unterrichtet worden (R 43 I /222  b, Bl. 188–190).

Geheimrat Hagen:

Die Antwort, die Reichsminister Fuchs uns bezüglich der Ernährung gegeben hat, kann unmöglich voll befriedigen. Sie ist aber auch nicht möglich, in anderer Weise zu geben. Ich bin mir darüber vollkommen klar, daß die Reichsregierung bezüglich der Ernährung des besetzten Gebiets tut, was in ihrer Macht liegt. Eine andere Frage ist die, ob das unbesetzte Deutschland so viel Nahrungsmittel entbehren kann, die notwendig sind, um die Ernährung im besetzten Gebiet aufrecht zu erhalten.

[793] Im Zusammenhang damit möchte ich auf eine Bemerkung des Herrn Reichskanzlers bezüglich der Entwertung der neuen Währung zurückkommen. Ich teile da vollkommen seine Ansicht, daß diese Entwertung leider eintreten wird. Ich glaube, Herr Reichskanzler, es ist nicht richtig, diejenigen Kreise dafür verantwortlich zu machen, die Sie eben angeführt haben, denn gerade aus der Beantwortung der Frage heraus, die mir soeben bezüglich der Ernährung im besetzten Gebiete ge[stellt] worden ist, und aus so vielen damit in Zusammenhang stehenden Fragen ist es doch ganz klar, daß wir vorläufig wenigstens ohne einen starken Zufluß aus dem Auslande weder für die Ernährung noch für die Wiederinbetriebsetzung unserer Industrie auskommen können. Es muß aus dem Auslande eine ganze Reihe von Produkten importiert werden. Es wäre wirklich schade, meine Herren, wenn Sie hier weggingen mit der Äußerung des Herrn Reichskanzlers, und da nur bestimmte Kreise für die Entwertung der Währung verantwortlich machen wollten. Gewiß, Herr Reichskanzler, Sie haben das nicht intendiert.

Reichskanzler Dr. Stresemann:

Ich habe davon gesprochen, daß französische Beschlagnahmen dazu benutzt werden könnten, um etwa Baissespekulationen in der neuen Währung vorzunehmen. Nichts anderes habe ich gesagt.

Geheimrat Hagen:

Ich habe auch nicht die Absicht gehabt, diesen Glauben zu erwecken. Aber die Beeinflussung der Währung durch diese und andere Manipulationen ist ein falscher Glaube des großen Publikums, und diesen falschen Glauben bei jeder Gelegenheit zu zerstreuen, ist meiner Ansicht nach unsere Aufgabe. Wir werden auch in der nächsten Zeit ohne eine starke Heranziehung des Auslandes für die Ernährung und für die Bewirtschaftung im allgemeinen nicht auskommen können, und es ist leider selbstverständlich, daß dadurch die neue Währung wiederum leiden wird. Deshalb komme ich auch zu dem Schluß: Man kann mit der Einführung einer Währung nicht vorsichtig genug sein. Sie muß vor allen Dingen einen internationalen Wert haben, sie muß international bewertet werden können.

Letzten Endes will ich zu dem Schluß kommen, wie schwierig es für uns ist einen solchen Schritt zu unternehmen. Wie schwierig die Situation für uns sein würde, wenn wir in die Enge getrieben würden, eine Währung für das besetzte Gebiet zu schaffen. Ich möchte mit allem Nachdruck davor warnen, daß wir in diese Lage kommen, denn ich muß gestehen, daß ich die Konsequenzen einer Währung an Rhein und Ruhr in ihren Folgen für sehr übel ansehe und glaube, daß das, was wir in der Währungsfrage nun leider schon seit vielen Monaten erleben, sich alles von neuem entwickeln wird und daß dadurch von neuem ein großer Zwist in unsere Bevölkerung hineingetragen wird. Auch auf diesen Gesichtspunkt hinzuweisen, hielt ich an dieser Stelle für meine Pflicht. (Zuruf: Sie sind also der Meinung, daß eine neue Währung für das Rheinland gebildet werden muß?) Ich bin der Meinung, daß wir mit der jetzigen Papierwährung nicht auskommen werden. Ich habe das aus den Äußerungen des Herrn Reichskanzlers voll und ganz entnommen. Er ist auch darüber klar, daß wir im besetzten Gebiet mit der jetzigen Papierwährung nicht auskommen können. Die[794] Reichsregierung scheint aber vorläufig auf dem Standpunkt zu stehen, daß der neu geschaffenen Bewertung durch die Rentenbank Schwierigkeiten nicht entstehen, denn sie hat sie nicht hier in Betracht gezogen.

Oberbürgermeister Dr. Adenauer:

Der Herr Reichskanzler hat gesagt, das wertbeständige neue Geld könne nicht in das besetzte Gebiet gebracht werden, bis die Gewißheit bestände, daß es nicht vom Feinde beschlagnahmt würde. Er hat ausgeführt, daß die Besatzungskosten nicht mehr bezahlt würden. Das heißt also, wenn Sie diese beiden Erklärungen zusammennehmen, das neue wertbeständige Geld würde, wenn es ins besetzte Gebiet kommt, zur Zahlung der Besatzungskosten beschlagnahmt werden. Folglich wird es nicht in das besetzte Gebiet kommen.

Reichskanzler Dr. Stresemann:

Das betrifft gegenwärtig nur das Einbruchsgebiet, da ja die englischen Besatzungskosten fortdauernd weiter bezahlt worden sind. Für das Einbruchsgebiet treffen Ihre Ausführungen zu.

Oberbürgermeister Dr. Adenauer:

Herr Reichskanzler, wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie heute morgen gesagt, daß auch in London mitgeteilt worden sei, daß die Zahlung der Besatzungskosten eingestellt werden würde.

Reichskanzler Dr. Stresemann:

Wir haben darauf hingewiesen, daß wir demnächst im Zusammenhang mit der Gesamteinstellung auch diese Zahlung einstellen werden, ohne einen Termin dabei zu nennen.

Oberbürgermeister Adenauer:

Ich möchte da noch weiter feststellen, daß das Geld nicht nur im Einbruchsgebiet, sondern auch im französisch-belgischen altbesetzten Gebiet deswegen beschlagnahmt wird, weil der Feind behauptet, daß die Besatzungskosten nicht gezahlt würden. Also würde nach den Ausführungen des Herrn Reichskanzlers zunächst noch die Einführung dieses wertbeständigen Geldes vielleicht auf dem Luftwege in das englisch besetzte Gebiet möglich sein, dagegen im übrigen besetzten Gebieten nicht mehr55. Wir stehen im besetzten Gebiet jeden Augenblick in der Gefahr, daß in den Läden die Mark, wie es jetzt schon vielfach geschieht, zurückgewiesen wird. Wenn wir nicht die Sicherheit haben, daß wir wertbeständiges Reichsgeld in ausreichenden Mengen alsbald bekommen, dann wird irgendeine Instanz, vielleicht die Städte – ich habe morgen die gesamten Städte in Köln versammelt56 – zur Ausgabe eines wertbeständigen Notgeldes schreiten müssen. Denn Sie werden mir zugeben müssen, Herr Reichskanzler: wenn keine Zahlungsmittel mehr da sind, dann schlagen sich die Leute gegenseitig tot.

55

Zur Einschleusung des Geldes in das besetzte Gebiet s. Dok. Nr. 42.

56

Einzelheiten waren nicht zu ermitteln.

Ich lese eben in der Zeitung die Vorschriften des Reichsfinanzministers über die Ausgaben wertbeständigen Notgeldes57. Danach müssen bei der Reichsbank[795] entsprechende Goldanleihestücke hinterlegt sein. Wir werden gar nicht in der Schnelligkeit das alles beschaffen können. Die Sache ist aber eilig. Dann bitte ich, Herr Reichskanzler, um Zustimmung, daß die Städte zur Ausgabe wertbeständigen Notgeldes schreiten dürfen, eventuell auch unter Außerachtlassung dieser Bestimmungen, deren Erfüllung etwa nachgeholt werden kann. Aber die Sache ist so, daß sie jede Stunde explodieren kann.

57

S. Dok. Nr. 167, P. 3.

Reichskanzler Dr. Stresemann:

Ich kann dem Finanzminister nicht präjudizieren, kann aber das eine erklären: Ich bin der Meinung, daß in solchen Zeiten wie den gegenwärtigen es nicht darauf ankommt, daß bis zum I-Punkt der Wortlaut einer Verordnung befolgt wird, wenn der Sinn der Verordnung befolgt wird. Auf dem Standpunkt habe ich stets im Leben gestanden. Ich werde meinerseits im Kabinett, und ich glaube auch, die hier anwesenden Reichsminister, dafür eintreten, daß, wenn Sie diese Bestimmungen nachholen, Sie selbstverständlich keine Zeit versäumen sollen, Ihrerseits namens des Städtebundes das zu tun, was Sie zur Schaffung eines wertbeständigen Geldes für notwendig erachten.

Mitglied des Reichsrats Lensing:

Meine Herren! Für uns in Westfalen ist die Situation ja wesentlich anders als für die Herren im Rheinland. Wir leiden nicht unter den separatistischen Bewegungen. Bei uns spielen diese Rolle die Kommunisten und Syndikalisten, die Leute, die heute kein Brot haben und die massenhaft auf die Straße gesetzt sind. Für uns liegt die Sache so, daß mit Rücksicht auf die ganzen Verhältnisse die Frage bei uns gar nicht in Betracht kommt, ob wir bei der Bildung einer neuen Republik aktiv mitwirken sollen. Das lehnen wir rundweg ab. Wir bleiben bei Preußen und dem Reich und denken nicht daran, irgend wie aktiv mitzuwirken, daß Teile von Westfalen und das Rheinland abgetrennt werden.

Im übrigen haben wir aus Westfalen dieselben Fragen an den Herrn Reichskanzler richten wollen, die Herr Oberbürgermeister Adenauer an ihn gerichtet hat. Es waren ungefähr die gleichen Fragen. Für uns kommt besonders in Betracht: Ist die Reichsregierung willens und noch kräftig genug, um das Wirtschaftsleben in Verbindung mit den Industriellen in unserem Revier wieder in Gang zu bringen? Wenn das Wirtschaftsleben wiederaufgenommen werden kann, wenn die Leute wieder Arbeit bekommen können, dann bekommen sie Brot, dann sind wir wahrscheinlich in der Lage, die Ruhe im Ruhrrevier aufrechtzuerhalten. Wenn aber, wie jetzt etwa 80–90% der Bevölkerung auf die Straße geworfen sind, und als hungerndes Volk umherziehen, da kann ich nur sagen, daß, wenn da nicht sehr bald etwas geschieht, innerhalb einiger 24 Stunden, dann bei uns im Kohlenrevier ein furchtbares Elend und ein großes Chaos das Ende vom Liede sein wird.

Ich kenne die finanziellen Schwierigkeiten der Reichsregierung aus den vielen Verhandlungen, die ich im Reichsrat und anderwärts mitgemacht habe, aber ich bin doch der Auffassung, daß die Reichsregierung nicht die Hoffnung fahren lassen soll, sondern nach wie vor den ernsten Willen bekunden muß, mit den Reichsmitteln die Wirtschaft in unserer Gegend wieder in Fluß zu bringen. Gelingt das nicht, dann ist alles verloren.

[796] Ich bitte die Reichsregierung, ihre Aufmerksamkeit darauf richten zu wollen und alles zu tun, um unser Wirtschaftsleben im Kohlenrevier mit Hilfe der Großindustrie und der Industrie überhaupt wieder in Gang zu bringen. Vielleicht kann uns nach der Richtung hin eine beruhigende Erklärung von dem Herrn Reichskanzler gegeben werden.

Reichskanzler Dr. Stresemann:

Meine Herren! Ich habe Ihnen in meinen Ausführungen am heutigen Vormittage ja mitgeteilt, auf welcher Grundlage die Vertreter des bergbaulichen Vereins mit den französischen Behörden verhandelt haben. Es ist mir schon heute während der Pause mitgeteilt worden, daß diese Verhandlungen weitergehen, obwohl sie zunächst wegen der Frage der Kohlensteuer abgebrochen worden sind. Von diesen Verhandlungen wird alles abhängen. Es wird mir soeben telegraphiert, daß Herr Generaldirektor Vögler mich heute abend sprechen möchte, daß er wahrscheinlich nach Hagen kommt. Er läßt mitteilen, daß er von dem Verlauf der weiteren Verhandlungen keinen unbefriedigenden Eindruck mitgenommen hätte58. Ich kann daraus das eine entnehmen, daß die Verhandlungen und daß vielleicht die Möglichkeit einer Lösung besteht. Daß wir schließlich soweit gegangen sind, mindestens die Verzinsung der Lasten der Lieferung der Reparationskohle bis zum 1. April 1924 auf uns zu nehmen, um das Wirtschaftsleben in Gang zu bringen, habe ich heute vormittag erklärt. Wenn irgendeine Möglichkeit besteht – ich muß ein Fragezeichen dahinter machen, weil ich sehr pessimistisch bin über die politischen Absichten Frankreichs –, das Wirtschaftsleben ingang zu bringen, dann werden wir erstens aus ideellen Motiven alles tun, was dazu notwendig ist, und zweitens auch aus rein praktischen Erwägungen, weil die von uns in Aussicht genommene Weiterzahlung der Erwerbslosenfürsorge innerhalb des Rahmens, den ich angegeben habe, ja auch eine finanzielle Last ist, die uns zu Vergleichen darüber Veranlassung geben würde, ob irgendein Entgegenkommen nach einer anderen Seite an die Industrie vielleicht sogar finanziell leichter zu tragen wäre als diese Erwerbslosenfürsorge, wobei ich im übrigen die Frage der Erwerbslosenfürsorge nicht als eine finanzielle, sondern als eine soziale Frage ersten Ranges ansehe.

58

S. o. Anm. 27.

Reichstagsabgeordneter Esser:

Der Herr Reichskanzler hat erklärt, daß auch im altbesetzten Gebiet die Zahlung der Besatzungskosten aufhört. Es ist zwischenzeitlich von seiten der Franzosen mit den einzelnen Städten ein Vertrag abgeschlossen worden. Ich habe hier die Abschrift des in meiner Heimatgemeinde beschlossenen Vertrages zur Hand und werde sie nachher übergeben59. Unter dem Druck der Verhältnisse sind die einzelnen Städte gezwungen worden, Verträge mit den Franzosen abzuschließen, wodurch sie sich zu täglicher Bereitstellung der Besatzungskosten verpflichten. Sie sind nach einem Schlüssel auf die verschiedenen Städte der französischen Besatzungszone verteilt worden. Unter anderem fallen auf Koblenz Stadt und Land je 5000 fr. täglich, Trier 23 000. Auf meine Heimatgemeinde von 14 000 Einwohnern fallen täglich 2200 fr. Wir haben vor der Unterschrift[797] dieses Vertrages Instruktionen bei der Regierung geholt, aber wie leider während der ganzen Zeit des Ruhrkampfes keine klare Richtlinie bekommen. Man hat gesagt: Der Vertrag soll nicht unterschrieben werden, auf der anderen Seite sind Ausweisungen und Beschlagnahmen zu vermeiden. Wie es möglich ist, diese beiden Wünsche zu erfüllen, ist uns nicht klar geworden. Wir haben schließlich, nachdem die Beschlagnahmen und die Ausweisungen angedroht waren, den Vertrag unterschrieben, ebenso die Städte Honnef, Königswinter usw. Was soll nun aus uns werden, wenn diese Leistungen von den Städten erfüllt werden müssen? Ich möchte darüber eine Auskunft haben.

59

In R 43 I nicht ermittelt; vgl. aber o. Anm. 51.

Reichskanzler Dr. Stresemann:

Ich möchte das eine sagen: Wenn wir zu dem Entschluß kommen, die Besatzungskosten nicht mehr zu tragen, dann können wir sie nicht indirekt tragen, indem wir sie den Städten vergüten. Sonst wäre das ganze Vorgehen der Reichsregierung ein vollkommener Schlag ins Wasser. Wir warten ja die Entscheidung der Reparationskommission ab. Wenn wir dann im Laufe der nächsten Wochen erklären, wir können nicht mehr zahlen, kann auch logisch der Ersatz an die Städte nicht mehr erfolgen.

Reichstagsabgeordneter Esser:

Das würde direkt den finanziellen Zusammenbruch der Städte und Gemeinden bedeuten.

Reichskanzler Dr. Stresemann:

Dann müssen sie meiner Meinung nach versuchen, politisch auf die Reichsregierung einzuwirken, daß die Besatzungskosten weiter gezahlt werden. Das widerspricht aber vollkommen unserer Einstellung, indem wir sagen: Solange die rechtswidrige Besatzung andauert können sie nicht von uns Bezahlung dafür verlangen. Vorläufig werden diese Dinge ja noch bezahlt. Bedenken Sie aber die Konsequenzen für uns. Übernehmen Sie eine Leistung weiter, dann werden Ihnen andere Lasten aufgedrungen und dann ist das eine Schraube ohne Ende, bei der wir aus einer Politik der Erfüllung des Vertrages nicht herauskommen, an deren letzten Ende die finanzielle Lage des Reiches steht.

Reichstagsabgeordneter Esser:

Eine trostlose Auskunft. – Noch eine Frage: Es kann doch hier nicht von einer widerrechtlichen Besatzung gesprochen werden. Es handelt sich hier um den Teil des altbesetzten Gebietes, der unter dem Rheinlandabkommen steht.

Reichskanzler Dr. Stresemann:

Verzeihung. Ich habe auf die Folgerungen hingewiesen, die daraus entstehen. Daß wir für das altbesetzte Gebiet vorläufig weiter zahlen, habe ich vorhin erklärt. Ich sage nur: Die Folgerungen, die sich daraus ergeben, wenn wir diese Zahlungen weiter leisten, sind die, daß dann auch die Zahlungen für die Kasernenbauten, Einquartierungen usw. in dem übrigen besetzten Gebiet ebenso eingetrieben werden, also dem Deutschen Reiche zur Last fallen. Das geht vollkommen über unsere Kraft, weil es die ganze Weiterzahlung in einem Augenblick verlangt, wo doch, wie Sie aus der Situation unserer Währung ersehen, eigentlich ein Tieferschreiten dieser Währung kaum noch möglich ist. Auf diese Folgerungen habe ich speziell hingewiesen.

[798] Reichstagsabgeordneter Dr. Moldenhauer:

Ich habe im Auftrage meiner politischen Freunde aus dem Rheinland aber auch der Herren der Deutschnationalen Volkspartei aus dem Rheinland, die in der Arbeitsgemeinschaft im Provinziallandtag mit den Herren zusammenarbeiten, folgendes auszuführen. Ich habe gestern bereits erklärt, daß für uns die Erklärung einer Loslösung vom Reich oder von Preußen unmöglich ist, und habe diese Erklärung heute im Namen der Herren, für die ich spreche, zu wiederholen. Wir können von uns aus aus freien Stücken unmöglich einen Schritt tun, der für die Zukunft des Reiches und für die Zukunft des Rheinlandes außerordentlich verhängnisvoll wäre. Wenn der Franzose, wie seine Politik offenbar andeutet, uns schließlich mit Gewalt abtrennt, so ist es eine andere Frage. Das, was er wünscht aber aus eigener freier Entschließung vorwegzunehmen, würden wir für den größten politischen Fehler halten. Wir werden also eine derartige Politik, falls sie vorgeschlagen würde, nicht mitzumachen in der Lage sein.

Wir geben uns auch nicht der Hoffnung hin, in Verhandlungen nennenswerte Zugeständnisse von Frankreich zu erreichen, dessen Politik uns klar und eindeutig erscheint. Wir sind mit dem Herrn Reichskanzler der Auffassung, daß wir aus diesen Verhandlungen weder für das Reich noch für das Rheinland irgend etwas erwarten können. Wir sehen auf der anderen Seite ein, daß die Dinge vollkommen im Fluß sind. Die Nachrichten, die wir soeben über die Vorgänge in Bonn und in anderen Städten erhalten haben, können über sehr kurze Zeit die Situation vollkommen ändern. Die französische Politik kann in den nächsten Tagen und Wochen mehr und mehr die Maske fallen lassen. Wir glauben, daß es angesichts dieser in Fluß befindlichen Entwicklung unmöglich ist, heute in einem großen Kreise endgültige Beschlüsse zu fassen. Wir glauben, daß es ebenso unmöglich ist, in einem großen Kreise die für das Rheinland so ganz besonders wichtige Währungsfrage zu erörtern, die Möglichkeiten durchzusprechen, die darin liegen, daß zunächst einmal die Städte ein wertbeständiges Notgeld herausgeben, die Bedenken, die dagegen sprechen, ob es andere Wege gibt, uns zu helfen usw. Alles das sind so wichtige Fragen, daß wir nicht der Auffassung sind, daß sie hier in diesem großen Kreise heute endgültig erledigt werden können.

Wir sind ferner der Auffassung, daß es notwendig ist, daß die kommenden Schritte in Einmütigkeit von den Parteien gemacht werden; denn wir werden in Zukunft am Rhein und an der Ruhr zwei Parteien haben können und dürfen: eine französische und eine deutsche. (Bravo!)

Ich würde deshalb im Auftrage meiner Freunde vorschlagen, daß wir zur Weiterberatung dieser ganzen Fragen einen kleineren Ausschuß einsetzen, der unter Umständen sehr schnell das große Gremium wiederberufen kann, um ihm die Schritte vorzuschlagen und die Entschlüsse, die die veränderte Sachlage uns unter Umständen aufdrängt, insbesondere Entschlüsse, wie sie auch nach der Seite der Währungsfrage liegen.

Baron von Loe:

Meine Herren, die Ernährungsfrage, die heute angeschnitten ist, kann nicht so gelöst werden, daß der Reichsernährungsminister angewiesen wird, kleine[799] Nahrungsmengen in das besetzte Gebiet hineinzuschieben. Die Ernährungsfrage in diesem großen Gebiet, das hier in Rede steht, muß in sich gelöst werden, und zwar so, daß der Verkehr zwischen der Landwirtschaft und den Konsumenten sich tatsächlich abwickeln kann. Zur Zeit liegen die Dinge aber so, daß die Ernährungsnot so groß geworden ist, daß der Verkehr zwischen Landwirtschaft und Konsument sozusagen aufgehört hat. Sie können an die Kölner Börse gehen, da ist kein Handel mehr. Man besieht sich die Preise, man spricht sich vielleicht etwas aus, aber Geschäfte kommen kaum zustande. Wer soll bei solchen katastrophalen Abdrücken der Mark sich Engagements von großen Summen aussetzen! Keiner kann wissen, wenn heute die Mark heruntergeht, der Dollar auf 90 steht, ob er nicht morgen auf 50 steht, so daß dann die betreffenden Firmen, die sich engagiert haben, ihre Bureaus schließen müssen.

Das Geschäft an der Börse ist vollständig unterbunden. Auch der Einzellandwirt kann nicht verkaufen, weil er kein wertbeständiges Geld dagegen bekommt. Die Ernährungslage am Rhein ist dadurch schwierig geworden. Was nach meiner Auffassung das allernotwendigste ist, ist das, was Herr Geheimrat Hagen vorgeschlagen hat: Wir müssen ein Zahlungsmittel haben, das angenommen wird, und das zwischen den beiden Teilen vermittelt. Wenn das nicht geschieht, dann treiben wir unrettbar in das Chaos hinein.

Wenn die Ernährungsfrage durch die Versäumnisse, die wir vielleicht schon hinter uns haben, in Frage gestellt wird und die Menge auf die Straße kommt, wohin sich dann diese erregte Menge anschließen wird, ist heute gar nicht abzusehen. Sie wird voraussichtlich da, wo Radau ist, mitmachen; und da die Französlinge heute die Radaulustigsten sind, so haben wir die größten Bedenken, daß gerade die französische Richtung, die Smeets- und Dortenschen Anhänger durch diese unruhige Menge verstärkt werden. Wohin soll es aber führen, wenn die Dinge am Rhein in dieses Chaos hinabtreiben? Wir können nicht mehr 24 Stunden warten, wir können nicht mehr eine Stunde warten, es muß ad hoc sofort etwas geschehen, damit wir der Bevölkerung sagen können: Haltet noch eine kleine Weile Ruhe, damit wir das, was wir hier als richtig erkannt haben, ausführen können.

Justizrat Falk:

Meine Freunde, die Mitglieder der Deutsch-Demokratischen Partei im Rheinland und Westfalen haben mich beauftragt an der Spitze meiner Ausführungen unsere Bereitwilligkeit zu erklären, mit den anderen Parteien in Reih und Glied zusammenzuarbeiten und den Wunsch auszusprechen, daß die anderen Parteien gleich uns bereit sein mögen, nichts zu tun, was nicht auf gemeinschaftlichen Beschlüssen beruht. Anders ist die Lösung nicht zu finden.

Wir haben die Verhandlungen des gestrigen Tages und von heute morgen zum Gegenstand unserer Erörterungen gemacht und sind zu folgendem Entschluß gekommen. Es mag sein, daß die französische Politik jetzt ihr Ziel darin sehen wird, uns von Preußen oder vom Deutschen Reiche loszulösen. Ob das aber der Fall ist, ist immerhin noch zweifelhaft. Es ist möglich, daß die Franzosen zur Zeit andere Ziele verfolgen. Wenn das aber das Ziel der französischen Politik ist, so muß uns nach der Auffassung, die wir heute einmütig bekundet haben,[800] das aufgezwungen werden, mit Rücksicht auf die deutsche Zukunft, mit Rücksicht auf die Gestaltung, die insbesondere das politische Leben in einem etwaigen neuen Staate finden kann. Nur dann ist es nach unserer Überzeugung möglich, daß in einem solchen neuen Staatsgebilde nicht kleinliche parteipolitische Rücksichten, sondern der große deutsche Gedanke maßgebend sein wird.

Zu unserer Stellungnahme sind wir insbesondere auch deswegen gekommen, weil wir nach den Ausführungen des Herrn Reichskanzlers und nach den Nachrichten, die wir heute bekommen haben, nicht hoffen können, daß Verhandlungen mit den Franzosen auf diesem Gebiet zu einer Erleichterung für das Deutsche Reich führen werden, und weil wir weiter zu der Auffassung gekommen sind, daß das Geschick des besetzten Gebiets, mag die oder die Lösung jetzt eintreten, voraussichtlich in absehbarer Zeit sich nicht besser gestalten wird.

Allerdings sind wir nicht der Meinung, daß damit die politischen Parteien nun berechtigt wären, die Dinge weiter laufen zu lassen. Was wir bei den verschiedensten Veranlassungen, am Montag im Gebäude der Regierung in Köln, gestern in Barmen, zum Teil auch heute hier gehört haben, das bestätigt die Tatsache, daß die weitesten Kreise der Bevölkerung ganz unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit den Druck, der auf ihnen lastet, kaum noch ertragen können60. Das bestätigt die Tatsache, daß unter diesem Druck das Verlangen der weitesten Kreise, daß diejenigen, die bis dahin geführt haben, nun sich auch bereit zeigen sollen, ihnen in aller Öffentlichkeit zu helfen, berechtigt ist, und daß ihnen stattgegeben werden muß.

60

Falk berichtet u. a. in seinen Lebenserinnerungen, wie Angehörige seiner Partei (DDP) aus Kreuznach heimlich zu ihm nach Köln kamen, um über den Druck zu berichten, der nach den Separatistenputschen vom 21. 10. von den frz. Besatzungsbehörden auf sie ausgeübt worden sei mit dem Ziel, sich für einen rheinischen Sonderstaat einzusetzen. Aus Koblenz seien der RT-Abgeordnete v. Guérard als Sprecher der bürgerlichen Parteien und der SPD-Landtagsabgeordnete Kleinwege gekommen, die von einer bevorstehenden Katastrophe gesprochen hätten, nachdem den Gewerkschaftsführern mit Ausweisung gedroht worden sei und für soziale Leistungen französische Mittel bereitgestellt würden. Es gelte nur Notgeld der Separatisten und die völlige Verkehrsstille werde erwartet. „Die Bevölkerung sei verzeifelt und verlange zu ihrer Rettung einstimmig von uns die Ausrufung der rheinischen Republik als deutschen Bundesstaat, und zwar sofort. Im ganzen Koblenzer Bezirk herrsche Siedehitze – gegen den Fünferausschuß auf der Insel der Seeligen, zu dem man kein Vertrauen mehr habe. – In 48 [Stunden] könne der ganze Bezirk dem Deutschtum verloren sein, wenn wir nicht sofort handelten. Bei den Franzosen kämpften noch 2 Strömungen miteinander. Der Oberkommissar Tirard gehöre der schärferen Richtung an. Die mildere Richtung müsse gestützt werden. Das sei aber nur möglich, wenn wir unter Duldung des Reiches und [der] Staatsregierung einen Bundesstaat proklamierten“ (BA: NL Falk , S. 160–162).

Deswegen sind wir der Meinung, daß allerdings, wie es Herr Professor Moldenhauer vorgeschlagen hat, ein Ausschuß gewählt werden muß, den gewisse Machtvollkommenheiten gegeben werden sollen, daß aber dieser Ausschuß schon heute zu beauftragen ist – und damit ist ja der Herr Reichskanzler nach den Schlußworten seiner ersten Ausführungen durchaus einverstanden –, sofort in Verhandlungen mit den Franzosen einzutreten, die dahin zielen sollen, das wirtschaftliche Leben im besetzten Gebiet neu zu befruchten. Ob diese Verhandlungen zum Ziele führen werden, das weiß niemand von uns. Ob die Befürchtungen, die Herr Oberbürgermeister Dr. Adenauer an solche Verhandlungen[801] geknüpft hat, daß aus diesen rein wirtschaftlichen Verhandlungen politische Schwierigkeiten entstehen können, sich bewahrheiten, weiß auch niemand von uns. Von dem einen aber sind wir überzeugt, daß ohne eine erhebliche und sofortige Besserung der wirtschaftlichen Zustände im besetzten Gebiet das Chaos über uns hereinbrechen wird und daß alle diejenigen, die dann mit oder ohne eigene Schuld nicht mehr weiter können, eine willkommene Beute der Separatisten sein werden. Das zu verhindern, ist unsere erste Aufgabe.

Wir glauben aber auch noch weiter, daß wir aus eigener Kraft nicht in der Lage sind, diese uns bevorstehende Aufgabe zu erfüllen. Der Herr Reichskanzler hat erklärt, daß das Reich bereit sei, dem besetzten Gebiet gewisse Leistungen in derselben Weise zu geben, wie dem unbesetzten Gebiet und darüber hinaus, wenn ich recht verstanden habe, eine Mehrleistung von 15%. Herr Reichskanzler, das genügt nicht. Damit können wir die Situation nicht halten. Wenn das deutsche Volk nicht bereit ist, ganz andere Opfer zu tragen, wenn das deutsche Volk im unbesetzten Deutschland nicht bereit ist, aus irgendwelchen Quellen dem besetzten Gebiet weiterbeizustehen, so daß es den Kampf durchführen kann, dann – ich sage es in aller Offenheit – fürchte ich, daß dieser Kampf auf die Dauer nicht zum Erfolg führen kann. Bezüglich der Währung hat der Herr Reichskanzler ja entgegenkommende Erklärungen abgegeben.

Bezüglich der Ernährung habe ich den Herrn Reichsminister Fuchs so verstanden, als ob auch da von gewissen, will ich einmal sagen – ich bitte, mich aber nicht mißzuverstehen – schematischen Vorschriften abgesehen werden könnte. Es wird nötig sein, Herr Reichskanzler – ich sage es in allem Ernst; das ist die wichtigste Forderung die wir an die Reichsregierung und die Preußische Regierung zu stellen haben –, daß Sie uns in diesem Kampf mit Munition versorgen, sonst sind wir nicht in der Lage, den Kampf zu führen61.

61

Zu seinen Ausführungen schreibt Falk: „Offensichtlich blieben die Ausführungen, die ich mit voller Zustimmung meiner Parteifreunde Erkelenz, Höpker-Aschoff u. A. machte und durch die ich jedes Entgegenkommen der Loslösungsbestrebungen gegenüber ablehnte, nicht ohne Eindruck auf den Reichskanzler. Er hat mir später einmal gesagt, daß er daraus eine erfreuliche Stärkung für seine Haltung gewonnen habe“ (BA: NL Falk , Bl. 165).

Dr. Krücke:

Ich möchte hier nicht für meine Partei62 sprechen, sondern als Vertreter des Gebietes, das mich hierher geschickt hat. Das ist Wiesbaden und Umgegend. Ich möchte Ihnen über die Auffassung, die dort herrscht, hier einige Mitteilungen machen. Die Gefahr, die bei uns vorliegt, ist nach meiner Auffassung nicht die der Separatisten die über kurz oder lang werden abgewirtschaftet haben, sondern die Gefahr, die bei uns in Nassau und in Mainz, im Hessischen – es ist leider kein Vertreter von dort hier – vorliegt, ist die, daß dort die Entwicklung so kommt, wie sie in der Pfalz schon gekommen ist, daß man dort darauf ausgeht, nicht die Separatisten einzusetzen, sondern ein besonderes Staatsgebilde zu schaffen, einen hessischen Staat und einen nassauischen Staat, den man evtl. noch ausdehnen will, indem man ihm Gebiete von Hessen bis hinunter zum Saargebiet zugeben will63. Nach den Informationen, die wir hinten herum von[802] französischer Seite haben, scheint eine Meinung bei den Franzosen dahin zu gehen, überhaupt nicht einen großen Rheinstaat zuzulassen, sondern den Staat in verschiedene Gebiete zu teilen, als da sind, Pfalz, Hessen, Nassau mit diesem Anhängsel usw.64.

62

Krücke war Mitglied der DVP.

63

Vgl. hierzu Dok. Nr. 73; F. P. Kahlenberg, Die Berichte Eduard Davids, Dok. Nr. 82.

64

Der RMbesGeb. hatte schon am 23.10.23 aus einem Bericht des Wiesbadener Beigeordneten Spießer an den ausgewiesenen Bürgermeister Travers u. a. der Rkei mitgeteilt: Die Mehrheit der Bevölkerung im besetzten Gebiet fürchte, die RReg. lasse sie „versacken“, was von ihnen, wie der Aufstieg der „Rheinrepublikaner“ beweise, abgelehnt werde. „Die Industrie und der Handel fordern schleunige Verhandlungen mit den Franzosen. Diese haben die Absicht, den Rheinstaat oder besser die Rheinstaaten (3 Republiken sind geplant) nicht mit Hilfe von Dorten und Konsorten, sondern mit ‚seriösen‘ Leuten zu bilden. Mit diesen ‚seriösen‘ Leuten ist man in Wiesbaden an der Arbeit, schmiedet Pläne. Und die Pläne werden voraussichtlich Erfolg haben, weil Macht vor Recht geht und wohl eine Mehrheit im besetzten Gebiet eine schnelle Lösung mit seriösen Männern sucht.“ Dazu bemerkte Travers, diese Stimmung sei durch den überstürzten Abbruch des passiven Widerstandes ausgelöst worden. Nur sofortige finanzielle und moralische Hilfe vermöge das Rheinland noch zu retten (R 43 I /216 , Bl. 3–4).

Es sind in unserer Gegend Bestrebungen vorhanden, die diesen Plänen nicht ganz ablehnend gegenüber stehen. Die politischen Parteien und die Stadtverordneten, die, als der Separatistenputsch sich dort ereignete, zusammengekommen sind, haben in dieser Sitzung auch die Frage erörtert, ob man nicht den Franzosen gegenüber sagen sollte; wir wollen diese Bewegung in die Hand nehmen. Diese Gedanken sind aber abgelehnt worden. Die politischen Parteien haben sich auf den Standpunkt gestellt, daß sie, ohne eine Ermächtigung von der Reichsregierung zu haben, das nicht tun können und daß sie mit den Franzosen nur über die lokalen wirtschaftlichen Verhältnisse verhandeln können. Ein dementsprechender Beschluß ist gefaßt worden, und man hat mich von allen Parteien beauftragt, hierher zu fahren, um einmal zu hören, wie die Stimmung bei den übrigen Gebieten ist.

Aber meine Herren, unterschätzen Sie diese großen Gefahren, die in Hessen und Nassau vorliegen, nicht, und bedenken Sie, daß wenn auch die politischen Parteien und die Führer offiziell ablehnen, sich doch sehr leicht andere Kräfte finden können, und zwar nicht Gesindel, wie es sich für Dorten und Smeets erklärt hat, sondern Leute der Bürgerschaft, denen der Gedanke des Wiederauflebens dieser alten Staaten sympathisch ist. Dann liegt eine große Gefahr vor, daß wir hier kleinere Staaten bekommen, die zu einem Rheinbundstaat zusammengeschlossen werden.

Deshalb dürfen wir – d. ist die Auffassung nicht nur meiner politischen Partei, sondern großer Kreise des Gebietes, in dem ich wohne – nicht die Dinge weiter treiben lassen, wie sie treiben, sondern es ist zumindest notwendig, daß wir das für das ganze Gebiet uns dauernd zusammenschließen, um diese Dinge zu beobachten.

Wenn ich heute oder morgen nach Hause komme und sage: Es hat sich hier für das ganze Rheinland ein Ausschuß gebildet, der die Angelegenheiten behandeln soll, so sind wir uns darüber klar, daß die großen Fragen, die Währungsfrage, Eisenbahnfrage usw. nicht lokal geregelt werden können, sondern nur in diesem ganzen großen Gebiet, daß diese kleinen Staaten auch wirtschaftlich für sich gar nicht existieren können. Wenn ich nach Hause komme und sage, es[803] hat sich hier ein Ausschuß gebildet, dann wird man diese separatistischen Bestrebungen in dem Sinne, Nassau oder Hessen zu errichten, zurückhalten können.

Es muß in der Richtung etwas geschehen. Und ich begrüße den Gedanken, den Herr Professor Moldenhauer angeregt hat, der Bildung eines solchen Ausschusses, weil wir ja die Fragen im einzelnen nicht besprechen können. Dann möchte ich Sie nur bitten, in diesen Ausschuß auch diese Gebiete mit hinein zu nehmen, vor allem auch Hessen. Es ist bedauerlich, daß Hessen heute nicht vertreten ist. Diese Gebiete müssen Sie unbedingt in den Ausschuß hineinnehmen, damit wir die Verbindung mit diesen Gebieten haben. Über alles andere wird sich dann in dem Ausschuß sprechen lassen. Ich würde dafür sein, daß er möglichst heute gebildet wird und daß er gleich in Aktion tritt.

Reichstagsabgeordneter Dr. Meerfeld:

Zu der Frage des Rheinstaates möchte ich nur kurz wiederholen, was ich gestern in Barmen darüber gesagt habe. Ich habe darauf hingewiesen, daß es noch absolut nicht sicher sei, sogar noch sehr fraglich sei, ob ein solcher Rheinstaat die Erleichterungen bringen würde, die man von ihm erhofft, und zwar deshalb, weil ja in Frankreich zunächst noch die Strömung die Oberhand hat, die das besetzte Gebiet als Ausbeutungsobjekt ausnützen will und die darum kein Interesse an der Schaffung eines solchen selbständigen Rheinstaates hat.

Daß im übrigen die Gefahren für das besetzte Gebiet außerordentlich groß sind, darüber herrscht bei keinem von uns irgend ein Zweifel, und wir bitten die Regierung eindringlich, sich dieser Gefahren auch durchaus bewußt zu sein. Wir können heute noch glauben, die Dinge meistern zu können, ob wir nicht morgen oder übermorgen vor Tatsachen gestellt sind, die uns zu einer anderen Taktik und zu anderen Maßnahmen zwingen, will ich dahingestellt sein lassen.

Die allerwichtigste Frage ist für uns die Währungsfrage. Wenn wir ein wertbeständiges Geld haben, können wir dafür Nahrungsmittel kaufen, können die Ernährung der Bevölkerung des besetzten Gebietes einigermaßen sicherstellen. Da nun die Gefahr droht, daß die neue Reichswährung im besetzten Gebiet keinen Eingang findet, so muß nach anderen Maßnahmen gesucht werden. Wenn die Städtevereinigung zunächst ein wertbeständiges Notgeld herausgibt, so ist das zu begrüßen. Aber es kann nur eine Übergangsmaßnahme sein. Ich halte es für notwendig, daß während dieser Zeit alles daran gesetzt wird, die Währungsfrage für das besetzte Gebiet dauernd zu lösen.

Im übrigen habe ich zu erklären, daß auch meine Parteifreunde65 auf die Zusammenarbeit mit anderen Parteien den größten Wert legen und daß wir erwarten, daß keine Partei für sich in diesen außerordentlich wichtigen Fragen, irgend einen Sonderschritt unternimmt.

65

Meerfeldt gehörte der SPD an.

Ich habe dann noch folgende Erklärung namens der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei abzugeben, soweit ihre Vertreter hier anwesend sind:

Die Schaffung eines selbständigen Rheinstaates würde nach unserer Überzeugung dem besetzten Gebiete keine Erleichterung bringen, dagegen die Auflösung des Reiches beschleunigen und das Elend seiner Bevölkerung[804] noch vermehren. Die Vertreter der Sozialdemokratie des besetzten Gebietes lehnen die Loslösung von Preußen und dem Reiche nach wir vor ab und bekämpfen wie bisher alle dahinzielenden Bestrebungen, auch wenn sie von loyalen Absichten geleitet sind66. Sie verlangen aber schleunigst Verhandlungen zwischen den politischen und wirtschaftlichen Organisationen des besetzten Gebiets und der Reichsregierung über eine Währungsreform sowie über alle anderen dringend notwendigen wirtschaftlichen Maßnahmen. Im Falle der Fortsetzung der Weigerung Frankreichs, sich mit der Reichsregierung über die Wiederherstellung des Wirtschaftslebens zu verständigen, soll die Regierung die berufenen Vertretungen des besetzten Gebietes ermächtigen, mit Frankreich und Belgien unmittelbar zu verhandeln.

66

Damit dürfte er sich auf die Autonomiebestrebungen J. Hoffmanns in der Pfalz bezogen haben.

Reichstagsabgeordneter Hofmann (Ludwigshafen):

Meine Herren! Als einziger Vertreter der Pfalz fühle ich mich verpflichtet über die Vorgänge, die sich gestern abgewickelt haben, wobei ich Augen- und Ohrenzeuge war, Ihnen einiges zu berichten67.

67

Zur Situation in der Pfalz s. Dok. Nr. 171 u. 181.

Am vorgestrigen Abend hat mir Herr Kollege Hoffmann (Kaiserslautern) die Bitte vorgetragen, bei ihm im sozialdemokratischen Gewerkschaftshaus zu erscheinen und Mitteilungen entgegenzunehmen in meiner Eigenschaft als Vorsitzender des interfraktionellen Ausschusses der Pfalz zur Abwehr gegen französische Unternehmungen. Er hat mir dort erklärt, daß das Vorgehen Bayerns gegen das Reich die Sozialdemokratische Partei der Pfalz zwinge, Gegenmaßnahmen zu treffen, und sie sahen, die einzig richtige Gegenmaßnahme in der Verbindung mit dem Kreisdelegierten General de Metz, um ihm die Bitte zur Schaffung eines selbständigen Staates Pfalz im Rahmen des Deutschen Reiches vorzutragen. (Hört, hört!) Er hat am nächsten Tage in einer Besprechung vor den endgültigen Verhandlungen in Speyer mir dann auch erklärt, daß er im Benehmen mit dem General de Metz, er sowohl wie der zweite Bürgermeister unserer Stadt Kleefoot und Rechtsanwalt Dr. Wagner aus Ludwigshafen, führende Männer der Sozialdemokratischen Partei, folgende Erklärung mit dem Herrn General de Metz vereinbart haben. Ich habe sie authentisch vor mir und will es Ihnen verlesen.

In Anbetracht der gegenwärtigen Verhältnisse haben die Unterzeichneten – Abgeordneter Hoffmann (Kaiserslautern), Bürgermeister Kleefoot und Dr. Wagner – beschlossen, aus der Pfalz unverzüglich einen selbständigen Staat im Rahmen des Reiches zu bilden, unter Zusammenarbeit sämtlicher politischer Parteien der Pfalz. Sie bitten den Herrn General de Metz, als Vertreter der Hohen Kommission, von dem neuen Staate, welcher am Mittwoch gegründet wird, wohlwollend Kenntnis zu nehmen. (Große Bewegung und Pfuirufe).

Sie verpflichten sich, von nun an feierlich und unbedingt mit der Hohen Kommission in vollster Loyalität für die Gegenwart und Zukunft in der[805] Erfüllung all der im Versailler Friedensvertrag, den Reparationen und den für Frankreich erforderlichen Sicherheiten betreffenden Bestimmungen zusammenzuarbeiten. Für den Fall eines Wechsels der politischen Orientierung des Reiches, welche sich gegen die Erfüllung der formellen Verpflichtung richtet, behält diese Verpflichtung ihren vollen Wert. (Hört! Hört!)

Ich habe die Herren darauf aufmerksam gemacht, daß der letzte Absatz nichts weniger bedeute, als die volle Verpfändung der Pfalz an Frankreich im Falle der Absage der Reparationsverpflichtungen, und habe sie dringend gebeten, als Freund, der zum Freunde spricht, und als Deutscher, der zu Deutschen spricht, die fünf Jahre lang in Einheitsfront miteinander für die Erhaltung der deutschen Pfalz gekämpft haben, ich habe sie beschworen, weil mir die drei Herren persönlich nahestehen, noch im letzten Moment davon Abstand zu nehmen. Sie haben mir aber erklärt: Der Schritt ist getan, und wir können nicht mehr zurück.

Zwischen dieser Vereinbarung und dem, was Sie in der Presse gelesen haben, was von dem Vertreter des Kreisdelegierten, Herrn Major Louis, in der Kreistagssitzung der Pfalz vorgetragen wurde, besteht insofern ein wesentlicher Unterschied68, als die Abmachung der hier genannten Herren mit dem General de Metz von einem Staate innerhalb des Deutschen Reiches spricht, während die offzielle Erklärung des Franzosen lautet:

68

S. Anm. 5 zu Dok. Nr. 181.

In Anbetracht, daß der gegenwärtige Zustand nicht andauern kann, ohne schließlich die allernotwendigsten moralischen und materiellen Interessen der Bevölkerung zu gefährden, und in Anbetracht ferner der höchst beunruhigenden und gefährlichen Lage in Bayern ist von heute an die Pfalz als autonomer Staat mit einer provisorischen Regierung bis zur weiteren Entwicklung der Ereignisse gebildet. Dieser autonome Staat verpflichtet sich feierlichst gegenüber der Hohen Interalliierten Kommission zur Mitarbeit für die Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen, die zur Tilgung der schuldigen Reparationen und der sonstigen Sicherheiten erforderlich ist.

Das ist in der Kreistagssitzung – nach dem preußischen Muster in der Provinziallandtagssitzung – vorgelesen worden. Der Provinziallandtag – nach unseren Begriffen – der Pfalz hat darauf erwidert, daß er nicht kompetent sei, in dieser Frage Stellung zu nehmen und hat auf den Artikel 18 der Reichsverfassung verwiesen. Insofern ist die Nachricht in der Presse, als habe der Kreistag einmütig einen Antrag des Franzosen abgelehnt, richtig zu stellen.

In später Nachmittagsstunde um 5 Uhr erschien der Kreisdelegierte General de Metz mit den Unterzeichnern im Kreistag, verlas eine Erklärung, wonach die Pfalz im Verband des Deutschen Reiches bleibe, enthob den Vorsitzenden des Kreistages seiner Stellung und übergab den Sitz dem Herrn Hoffmann (Kaiserslautern). Der lehnte aber vorläufig mit der Begründung ab, es müßte noch eine Frist zu Verhandlungen mit den anderen Parteien gegeben werden. Der Vertreter der Freien Bauernschaft stellte sich sofort auf den Boden dieser Erklärung und bat den General de Metz, keine Frist zu geben (Hört! Hört!) Es[806] habe keinen Zweck, weitere Verhandlungen zu führen. Trotzdem hat General de Metz dem Antrage Hoffmann stattgegeben und den politischen Parteien anheimgestellt, innerhalb der nächsten zwei Tage zu erklären, ob sie in der Regierung mitwirken oder nicht. Man wartet zu Hause, was ich von hier zurückbringe. Man ist sich aber in den bürgerlichen Parteien bereits einig. Ich habe dem Kollegen Hoffmann vorher schon gesagt, daß man nicht mittut.

Nun sind wir in der äußerst unglücklichen Lage, in der ein Völkchen jetzt überhaupt sein kann. Das Reich erkennt dieses Staatsgebilde nicht an. Der Machthaber bei uns, General de Metz sagt: Ich stehe mit meiner ganzen Macht hinter dieser provisorischen Regierung, und habe die andere, die bayerische Regierung abgesetzt. Nun richte ich meine Anfrage namentlich an den Herrn Reichskanzler. Wie sollen sich die Verhältnisse in den nächsten Wochen und Monaten für uns entwickeln, nachdem die Lebensfäden für unsere Bevölkerung, für unsere Beamtenschaft usw. abgeschnitten sind? Bei uns wird die Frage akut: Wie steht die gesamte Beamtenschaft, Reichs- und Länderbeamten, jetzt zu der Frage, die morgen gestellt wird: Wollt Ihr in Euerem Dienst verbleiben oder nicht? Dann möchte ich bitten, mir auch eine Antwort zu geben. Von der bayerischen Regierung ist sie uns vor Wochen gegeben worden mit dem Schema: Wenn eine Republik mit Gewalt der Franzosen errichtet wird, hat jeder Beamte im Interesse der Bevölkerung auf seinem Posten zu bleiben. (Hört! Hört!) Damals ist uns von der Regierung eine Antwort nach dem Schema gegeben worden: Im Falle a, im Falle b, im Falle c. Ich möchte bitten, mir diese Frage zu beantworten. Ich bin mir darüber nicht im Zweifel, daß der Zustand, wie er jetzt besteht, unhaltbar ist, daß er aber von den Franzosen mit aller Macht gestützt wird.

Reichsminister Sollmann:

Ich möchte nicht als Minister zu der pfälzischen Sache sprechen, sondern als rheinischer, sozialdemokratischer Abgeordneter. Als die erste Nachricht über das Vorgehen eines Teils meiner pfälzischen Parteifreunde nach Berlin kam, war in diesen Meldungen nichts davon enthalten, daß diese neue Regierung im Einvernehmen mit den Franzosen handelte. Trotzdem habe ich jedem, der es hören wollte, sofort erklärt, daß ich von diesem Verbrechen unter allen Umständen abrücke. Seitdem wir erfahren haben, daß Hoffmann u. a. mit den Franzosen zusammengegangen sind, erkläre ich für meine Person, daß ich diese Separatisten in der Pfalz nicht mehr als meine Parteifreunde anerkennen kann.

Ich habe öffentlich gar keinen Zweifel darüber gelassen. Ich habe heute morgen auf einem indirekten Wege telefonisch erfahren, daß schon ein erheblicher Teil der pfälzischen Sozialdemokratie zu einem Gegenstoß gegen Hoffmann ausgeholt hat. Ich habe heute noch mit dem sozialistischen Parteivorstand in Berlin gesprochen, um ihn zu veranlassen, öffentlich gegen diese Bestrebungen in der Pfalz Stellung zu nehmen69. Für meine Person kann ich mir das Vorgehen von Hoffmann nur dadurch erklären, daß Hoffmann seit Monaten ein außerordentlich schwer leidender Mann ist und seine Nerven vollständig verloren haben muß.

69

S. Anm. 6 zu Dok. Nr. 171.

[807] Bürgermeister Geyer – Bochum:

Meine Herren! Ich habe nur ein ganz kurzes Wort als Bürgermeister der besetzten Stadt Bochum hier zu sprechen. Auf die politische Frage einzugehen, ist nicht meine Aufgabe. Die Voraussetzung aber für all diese Erwägungen politischer Natur ist die Erhaltung des rein physischen vitalen Lebens, und dieses rein physische Leben ist im besetzten Ruhrgebiet in der allernächsten Zeit gefährdet.

Wir sind keine Schwarzseher. Ich bin seit langer Zeit im besetzten Gebiet und ich habe im besetzten Gebiet alle möglichen Vorgänge erlebt. Aber Vorgänge, wie ich sie heute auf der Fahrt von Bochum bis Hagen gesehen habe, sind mir noch nicht unter die Augen gekommen. Derartige Scharen von Menschen, die hungern und die herumziehen, habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen.

Ich bin der Auffassung, daß hier in der Ernährungsfrage manches Bemerkenswerte gesagt worden ist, über die Heranschaffung der Lebensmittel und daß uns das praktisch auch etwas ermutigen kann. Aber das ist nur die eine Seite, die auch noch sehr viele Wenn und Aber hat. Noch nichts ist davon gesagt worden, wie die Bevölkerung in den nächsten Stunden das Geld in die Hand bekommt, um die stets und ständig teuerer werdenden Lebensmittel zu kaufen, um überhaupt noch das Dasein fristen zu können, seien es wertbeständige oder unwertbeständige Zahlungsmittel; das ist in diesem Zusammenhange gleich. Die einzige Erwerbsquelle ist für die meisten Leute jetzt die Erwerbslosenfürsorge, die von Tag zu Tag fast nicht ausreicht, ich will mich vorsichtig ausdrücken. Wie lange die Erwerbslosenfürsorge bezahlt werden kann, hängt von der Finanzkraft des Reiches ab. Eine bestimmte Frist dafür haben wir nicht in Aussicht bekommen. Nach unserer Auffassung ist die Erwerbslosenfürsorge heute keine soziale Unterstützung mehr, sondern, nachdem der weitaus größte Teil der Bevölkerung sie bekommt, eine wirtschaftliche und finanzielle Ausgabe. Diese wirtschaftliche und finanzielle Ausgabe hat zum Grundsatz – das möchte ich hier zum Ausdruck bringen – als Zusatz zu den Erklärungen, die der Herr Reichskanzler gegeben hat – alle die Bedenken, die wir schon bei der Auszahlung der Ruhrhilfe geltend gemacht haben. Wir halten sie für ein weggeworfenes, verlorenes Kapital, das eines Tages nicht mehr bezahlt werden kann.

Die einzige Rettung für uns in der nächsten Zeit ist die möglichst schnelle Ingangsetzung der Wirtschaft. Wir sind zum größten Teil der Auffassung, daß die Erwerbslosenunterstützung vielleicht mit in Betracht gezogen werden muß, um positive Arbeit zu leisten, d. h. eine Gegenleistung dafür zu verlangen. Ob es möglich ist, weiß ich nicht. Wenn es aber nicht gelingt, die Wirtschaft in Gang zu bringen, ist alles vergeblich, was wir hier heute besprechen und erwägen.

Ich möchte deswegen den Herrn Reichskanzler dringend bitten, von den weiteren Informationen, die er heute abend über die Verhandlungen bezüglich der Inbetriebsetzung der Wirtschaft erhält, uns etwas auf den Weg zu geben, damit wir der Bevölkerung einen kleinen Hoffnungsstrahl geben können. Die Bevölkerung ist vollkommen resigniert und ist dankbar für jedes Stück Brot, das ihr in Aussicht gestellt wird. Ich bin überzeugt, wenn auch nur einigermaßen[808] begründete Aussicht von uns gegeben werden kann, der Bevölkerung Arbeit und damit Verdienst zuzuwenden, daß wir dann über die Schwierigkeiten hinwegkommen und daß wir das Gebiet in der einen oder anderen Form für das Reich erhalten können. Wenn das nicht geschieht, ist die Sache für uns in der Praxis erledigt.

Dr. Kaiser (Dortmund):

Der Herr Reichskanzler hat heute morgen gesagt, daß er bzw. die Reichsregierung nicht daran dächte und auch nicht daran denken könnte, das besetzte Gebiet wegsacken zu lassen. Das bezieht sich zweifellos auf die Auffassung weitester Kreise der Bevölkerung im besetzten Gebiet, daß diese Absicht bestände. Ich bin eigentlich nur deshalb hergekommen, um die Antwort zu hören. Ich habe in der Antwort aber vermißt die wirklich klare Stellungnahme darüber, was denn die Reichsregierung tut, um es nicht de facto wegsacken zu lassen. Daß die Reichsregierung das nicht will, daran zweifelt kein Mensch. Daß die übergroße Mehrheit im besetzten Gebiet nicht von Deutschland, von Preußen los will, darüber ist gar kein Zweifel. (Sehr richtig!) Die Erklärungen, die hier darüber gegeben sind, sind formeller Natur. Sie waren eigentlich überflüssig, wenn in diesem Rahmen vielleicht auch angebracht. Hier handelt es sich um etwas ganz anderes. Hier handelt es sich darum: Wenn die Reichsregierung die Maßnahmen, die sie schon getroffen hat und die eben vom Herrn Reichskanzler angedeutet sind, ausführt, dann ist das praktisch gleichbedeutend mit dem Wegsacken des besetzten Gebietes (Sehr richtig!). Ich glaube, daß man das mit aller Kraft erkennen muß.

Ich darf einmal ein offenes Wort sagen. Ich bitte es mir nicht übel zu nehmen, denn es handelt sich hier um das, was unser ganzes Leben bewegt und treibt. Wir haben im besetzten Gebiet in ganz weitem Umfange das Gefühl, daß es Kreise in Deutschland gibt, die uns im besetzten Gebiet die Schuld dafür zuschieben wollen, daß wir unter dem Druck mit Franzosen verhandelten, um einen neuen Staat zu bilden. Ich will mich nicht damit identifizieren. Daß es solche Leute gibt, das weiß ich. Aber ich hoffe nicht, daß es viele gibt. Es ist auch notwendig im Interesse der Geschichtsschreibung, vollständige Klarheit darüber zu haben, weshalb unter Umständen die Bevölkerung im besetzten Gebiet einfach nicht mehr kann. Herr Bürgermeister Geyer hat es eben mit klaren nackten Worten ausgesprochen: Wenn es daran geht zu verhungern, dann klammert sich die Bevölkerung selbstverständlich an den Strohhalm, der ihr noch gereicht wird, und wenn er auch besudelt ist. Machen Sie sich das bitte mit allem Ernst klar.

Und dann frage ich: Wäre es nicht richtig, wenn wir die Verhandlungen von jetzt an unter folgenden Gesichtspunkt stellten: Was wünschten wir, wenn die Sache passiert wäre, dann heute, nein, eigentlich schon vor so vielen Wochen getan zu haben? Wenn Sie sich die Frage vorlegen, meine verehrten Herren, auch Herr Reichskanzler, ich glaube, dann würden wir heute zu einem Ergebnis kommen. Das Ergebnis, das Herr Professor Moldenhauer vorschlägt, daß ein solcher Ausschuß gebildet wird, halte ich für selbstverständlich. Ich hätte gewünscht, daß man heute noch weiter gekommen wäre. Freilich wird es nicht[809] möglich sein, wenn wir uns mit theoretischen Fragen befassen und nicht auf die praktische Frage antworten: Was wünschen wir getan zu haben, vielleicht übermorgen, vielleicht in 14 Tagen, vielleicht dauert es auch noch länger – aber was wünschten wir in dem Moment getan zu haben, in dem Moment, wo das Ereignis eintritt, was niemand von uns hofft, was wir aber alle fürchten?

Reichsminister Fuchs:

Ich möchte kurz auf einige Fragen, die hier gestellt worden sind, eingehen. Zunächst die Erklärung, die der Herr Abgeordnete Hofmann (Ludwigshafen) hier vorgebracht hat. Er hat erklärt, daß die Bayerische Regierung ihren Beamten den Befehl gegeben habe, daß sie unter allen Umständen auf ihrem Posten bleiben müssen, auch wenn eine Usurpationsregierung das Heft in die Hand nimmt. Demgegenüber möchte ich sagen, daß die deutsche und die preußische Regierung immer den Standpunkt vertreten habe, daß, wenn die Separatisten irgendwie versuchen, die Regierung in die Hand zu nehmen, die Beamten dann nicht mit ihnen zusammenarbeiten dürfen, sondern die Pflicht haben, diese separatistische Regierung, soweit es irgend möglich ist, mit Brachialgewalt zu vertreiben. Ich habe vor kurzem mit dem Vertreter des besetzten Gebietes der Pfalz, dem Geheimrat Hoppe, gesprochen, er war derselben Ansicht. Ich weiß also nicht, woher die Erklärung kommt, daß Bayern eine andere Auffassung in der Beziehung hat.

Abgeordneter Hofmann (Ludwigshafen):

Nach einer Mitteilung, die uns vor drei Monaten geworden ist70.

70

In R 43 I waren dazu keine näheren Angaben zu ermitteln.

Reichsminister Fuchs:

Jedenfalls stimmt das nicht mit den Weisungen, die die Reichsregierung und die Preußische Regierung bisher gegeben haben und auch nicht mit meinen Informationen über die Erklärung, die der bayerische Vertreter für die Pfalz mir gegenüber abgegeben hat.

Nun möchte ich hinsichtlich der Ernährung noch folgendes sagen: Die holländische Regierung hat gestern oder vorgestern ein Telegramm an das Auswärtige Amt geschickt, worin sie sich bereit erklärt hat, im weitesten Umfange auf caritativer Grundlage Lebensmittel für das besetzte Gebiet zu geben. Ob dies aber ausreichen wird, oder ob Sie, wenn Sie Ihre wirtschaftlichen Dinge in die Hand nehmen, nicht auch noch weitere Kredite aufzunehmen haben, um Lebensmittel zu bekommen, das kann ich in diesem Augenblick nicht sagen. Jedenfalls wollte ich betonen, daß das nicht nur schematische Erklärungen sind, sondern daß von der Reichsregierung mit aller Kraft versucht wird, soviel hineinzubringen, wie irgend möglich ist. Aber deshalb ist nicht gesagt, daß auch Sie sich nicht bemühen müssen, Lebensmittel heranzuschaffen.

Es ist dann gesagt worden, welche Leistungen die Reichsregierung de facto machen kann. Ich glaube, das, was der Herr Reichskanzler heute morgen gesagt hat, ist das Ergebnis sehr eingehender Erwägungen in der Reichsregierung gewesen, und zwar Erwägungen, die einerseits auf dem Willen beruhen, dem besetzten Gebiet soviel zu geben, wie irgend möglich ist, andererseits aber[810] auf den Erwägungen wieweit die Reichsregierung bei ihrer Notlage, die der Herr Reichskanzler doch wohl hinreichend geschildert hat und die ihnen auch bekannt ist, in der Lage ist, noch etwas zu geben.

Sie haben von diesen Leistungen gehört. Ob diese Leistungen ausreichen werden, um das besetzte Gebiet jetzt aus den Schwierigkeiten herauszubringen, in denen es sich befindet, das wird man nicht ohne weiteres behaupten können. Deshalb haben Sie auch den Vorschlag gemacht, einen Wirtschaftsausschuß bilden zu wollen, um dieser Schwierigkeiten Herr zu werden. Ich glaube nicht, daß irgend jemand diesem Versuch, einen solchen Wirtschaftsausschuß zu bilden, widersprechen kann. Ich würde es auch sehr erwünscht halten, wenn dieser Wirtschaftsausschuß möglichst sofort gebildet würde, denn ich befürchte, daß der gute Wille, der sich bei den Parteien heute gezeigt hat, diese Dinge möglichst gemeinschaftlich zu machen, ohne irgendwie Zwietracht und Uneinigkeit aufkommen zu lassen, doch nicht ausreicht, daß dann doch Zwietracht und Uneinigkeit kommen.

Dem Herrn Abgeordneten Esser möchte ich sagen: Die Markvorschüsse für die Besatzungskosten sind für das englische Gebiet bisher immer weiter gezahlt worden. Insoweit sie für das französische und belgische Gebiet weiter gezahlt werden sollen, haben die Erwägungen immer mit dem Gesamtkomplex zusammengehangen, inwieweit wir überhaupt noch Zahlungen im großen Umfange für das besetzte Gebiet machen konnten. Der Herr Reichskanzler hat heute ausdrücklich gesagt, daß von der Reichsregierung noch einmal Verhandlungen mit der Rheinlandkommission geführt werden sollten, inwieweit wir die Markvorschüsse für das belgische und das französische besetzte Gebiet wieder aufnehmen sollen. Wenn eine Möglichkeit besteht, diese Verhandlungen dahin zu führen, daß die Franzosen und Belgier versprechen, ihr Raubsystem aufzugeben, dann glaube ich, kann das zu einem Erfolg geführt werden. Selbstverständlich sind die ganzen Leistungen hinsichtlich ihrer Dauer von der gesamten politischen und wirtschaftlichen Lage des Reiches begrenzt.

Reichskanzler Dr. Stresemann:

Ich glaube, die Ausführungen des Herrn Minister Fuchs können nach einer Richtung hin falsch verstanden werden, weil er von der Gründung eines Wirtschaftsausschusses sprach. Es besteht ja ein Wirtschaftsausschuß für die besetzten Gebiete, der die speziellen Wirtschatsfragen mit dem Reich wiederholt behandelt hat. Ich glaube, Herr Minister Fuchs wollte mit seinen Ausführungen sagen, daß neben diesem Wirtschaftsausschuß auch die politischen Parteien nunmehr nicht nur das Recht, sondern die Pflicht haben, auch hier in Verhandlungen mit Franzosen und Belgiern vor allen Dingen auf die Verantwortung hinzuweisen, die auch diese Behörden auf sich nehmen, wenn sie sich einer Ingangsetzung der Wirtschaft widersetzen und wenn sie dadurch das ganze Hungerchaos heraufbeschwören, vor dem wir anscheinend sehr bald stehen. Wenn ich in meinen heutigen Vormittagsausführungen davon sprach, daß die politischen Parteien sich auch zu irgend einer Art von Ausschuß oder Direktorium zusammentun sollten, dann hat mir dabei gerade diese Einflußnahme vorgeschwebt. Wenn die deutsche Regierung das international tut, dann sieht es so aus, oder[811] könnte so gedreht werden, als irgend ein diplomatischer Schachzug, um Frankreich ins Unrecht zu setzen. Wir sind schließlich Partei in diesem Kampfe für die Welt da draußen. Wenn die ganzen Parteien von rechts nach links, die hier in diesem Gebiet sitzen, mit diesen Erklärungen hervortreten und fragen: Was tut ihr gegenüber dem Hunger und der Not? Dann müssen die Leute darauf antworten, dann werden sie jedenfalls, die sie sonst stets zwischen den Rheinländern – ich gebrauche den Ausdruck einmal im allgemeinen – und dem übrigen Deutschland differenzieren, wenn sie hier von den Vertretern des rheinischen Volkes selber darauf hingewiesen werden, daß es ein Verbrechen ist, die Wirtschaft nicht in Gang kommen zu lassen, das ganz anders auf sich wirken lassen, als wenn wir das in diplomatischen Noten tun.

Das war mein Gedanke, den ich heute vormittag hier ausführen wollte, daß wir gar kein Bedenken dagegen haben und haben können, daß wir es direkt wünschen müssen, sowie ich gar keine Bedenken dagegen gehabt habe und garnicht haben kann, daß, nachdem man uns von Verhandlungen ausschließt, die übrigen, die über die Bevölkerung zu wachen haben, solche Verhandlungen führen.

Dann ein zweites. Herr Dr. Kaiser hat ausgeführt, daß die Wirkung unserer Maßnahmen sein werde, das Gebiet wegsacken zu lassen. Meine Herren, ich habe Ihnen das, was wir weiter zu tun gedenken und tun können, dargelegt und darauf hingewiesen, daß Ihnen das auch schriftlich zur Verfügung steht. Ich glaube, das ist gar kein Ausweichen, sondern eine ganz klare Stellungnahme der Reichsregierung. Wenn man nun der Meinung ist, daß das nicht genüge, daß das ein Wegsacken zur Folge haben würde, so ist es meiner Meinung nach Ihre Aufgabe, durch einen Ausschuß, den Sie bilden, Gegenvorschläge zu machen und zu sagen, das sei Ihrer Meinung nach das Mindestmaß. Dann müssen wir sehen, ob wir das können oder nicht. Ich glaube nicht, daß Sie das in dem Gremium tun können, das heute hier zusammen ist. Ich möchte Ihnen sagen – ich bitte, mir das nicht übel zu nehmen –, daß ich bedauere, daß die Mitteilung, die wir zuerst bekamen, daß wir mit einem Kreise von etwa 20 Herren verhandeln sollen, sich nicht als richtig erwiesen hat. Ich habe von vornherein in Berlin darauf hingewiesen, daß ich mir ein positives Ergebnis nur versprechen könnte, wenn der Kreis der Eingeladenen so klein als möglich wäre. Das richtet sich nicht gegen irgendjemanden. Das ist meine jahrelange Erfahrung, daß man in einem Kreis von mehr als 25 Personen überhaupt nicht zu Ergebnissen kommt, sondern daß man dort gezwungen ist, sich in manchen Dingen mehr zurückzuhalten, als es in einem engeren Kreise nötig wäre.

Sie müssen deshalb meiner Meinung nach einen Ausschuß bilden. Sie müssen, wenn unsere Vorschläge Ihnen nicht genügen, uns Gegenvorschläge machen und müssen praktisch mit uns verhandeln, wie die Dinge weitergehen sollen. Das ist, glaube ich, das einzige, was heute geschehen kann. Ich bitte, sich diesen Weg nicht zu versperren sonst würden wir auseinandergehen, ohne zu einem Ergebnis gekommen zu sein. Wir sind doch zusammengekommen, damit wir in enger Fühlung sind und bleiben wollen.

Ich möchte noch auf eines hinweisen. Ich bitte dringend, daß wir nicht wilden[812] Gerüchten über die heutigen Verhandlungen durch unkontrollierbare Meldungen Lauf geben. Ich halte es für notwendig, daß zwischen Ihnen und uns vereinbart wird, was wir an die Presse über die heutigen Verhandlungen geben. Denn wenn die Presse nichts bekommt, dann sucht sie irgend etwas herauszuhören. Manchmal soll es sogar vorkommen, daß etwas erfunden wird. Ich weiß es nur vom Hörensagen, aber es soll möglich sein. Sie hat auch schließlich das Recht, zu wissen, was in einer so bedeutsamen Versammlung verhandelt worden ist, so weit es für die Öffentlichkeit möglich ist, zu publizieren.

Der Herr Vorsitzende hat im Anfang gesagt, daß unsere Verhandlungen an sich vertraulich sind, daß wir aber gemeinschaftlich ein Communiqué über diese Verhandlungen und über die Bildung eines engeren Ausschusses, wie ich hoffe, aus Parteien und Wirtschaftsorganisationen, bekanntgeben.

Dann ein Letztes. Herr Oberbürgermeister Adenauer sprach vorhin von der Notwendigkeit, hier ein wertbeständiges Städtegeld herauszugeben. Die Darlegungen, die später gemacht worden sind, haben mich in der Auffassung bestärkt, daß diese Ausgabe eine unbedingte Notwendigkeit ist. Ich würde deshalb der Meinung sein, daß die Zeit, die heute noch zur Verfügung steht, auch dazu benutzt werden sollte, daß, um auch nach dieser Richtung wenigstens eine Beruhigung zu schaffen, in diesem Communiqué ausdrücklich von diesem Ansuchen des Herrn Oberbürgermeisters Adenauer und von der Zustimmung der Reichsregierung gesprochen wird, damit man sieht, daß nach dieser Richtung alle gemeinschaftlich gearbeitet haben und daß die Herausgabe selbst ehestens erfolgt. Denn das muß ich Herrn Geheimrat Hagen sagen: Ich kann, solange ich keine Ablehnung habe, einen anderen Standpunkt mit der Reichsregierung gar nicht einnehmen, für die doch Ruhr und Rhein zum Reich gehören, als daß unsere Verordnungen über die Rentenbank hier anerkannt werden, daß ich jedoch seinen Pessimismus, ob das gestattet wird, innerlich vollkommen teile.

Reichstagsabgeordneter v. Guérard:

Ich möchte an den Herrn Reichskanzler eine Frage richten. Er hat eben die Bildung eines Ausschusses befürwortet. Es ist ja nun eine alte Sache, daß, wenn man nicht recht weiterkommt, wir in Deutschland Ausschüsse bilden. Ich befürchte, daß auch in diesem Falle die Dinge vielleicht so gehen. Ich möchte aber doch fragen, wie sich der Herr Reichskanzler die Vollmachten dieses Ausschusses denkt. Aus seinen letzten Ausführungen geht hervor, als ob er den Ausschuß nur als ein Mittel betrachtet, mit der Regierung gewisse Wünsche und Forderungen des besetzten Gebietes – (Reichskanzler Dr. Stresemann: Nein!) Soll der Ausschuß Vollmacht haben, mit den Franzosen zu verhandeln? (Reichskanzler Dr. Stresemann: Ja!) Über wirtschaftliche Dinge. Werden dem Ausschuß beim Verhandeln über wirtschaftliche Dinge Grenzen gezogen oder soll er ganz unbeschränkt über wirtschaftliche Dinge, über Ingangsetzung des Verkehrs, Ernährungsfrage usw. verhandeln können?

(Zuruf: Ja, nur nicht über Politik!)

Reichskanzler Dr. Stresemann:

Wir haben mit dem Bergbaulichen Verein in einem Briefwechsel über die Verhandlungen wegen Ingangsetzung der Wirtschaft gestanden. Dieser Briefwechsel[813] ist Gott sei Dank diesmal nicht in die Presse gekommen71. Gott sei Dank werden nicht alle Briefwechsel bekannt, die wir führen. Die Herren haben erklärt: Wir haben die Absicht, auf folgender Basis zu verhandeln, wie stellt sich die Reichsregierung dazu, und ist sie bereit, uns zu ermächtigen, im Namen der und der Körperschaft etwas zu tun? Wir haben ihnen erwidert: Wir ermächtigen Sie, das zu tun, und erklären, daß Sie verhandeln können mit folgenden Kompetenzen, und daß ausgeschlossen sind alle Dinge, die Hoheitsrechte des Deutschen Reiches betreffen.

71

Gemeint ist der Briefwechsel Stinnes–Stresemann vom 20./21.10.23 (Dok. Nr. 155, 160).

Ebenso muß das auch hier geschehen, daß hier festgesetzt wird: Die Ermächtigung wird erteilt – die Grenzen können im einzelnen flüssig sein –, über die einzelnen Fragen, die für Ingangsetzung der Wirtschaft in Betracht kommen, mit den Besatzungsbehörden zu verhandeln, daß noch einmal die Stellungnahme der Deutschen Regierung festgesetzt wird. Dann hat der französische Ministerpräsident das einzige Zugeständnis in seiner Unterredung mit dem Herrn v. Hoesch dahin gemacht, daß er sagte: Ich schalte die Reichsregierung gar nicht aus, die Reichsregierung hat die Möglichkeit, die Vertreter, die mit uns verhandeln, mit Instruktionen zu versehen, und ich sehe als selbstverständlich an, daß die Herren, die mit uns verhandeln, nur auf Grund von Instruktionen der Reichsregierung verhandeln.

Justizrat Falk:

Die Bevölkerung des besetzten Gebietes erwartet ein positives Ergebnis von der heutigen Verhandlung und hat ein Recht darauf, das zu erwarten. Ein anderes positives Ergebnis als die Einsetzung eines Ausschusses und die Festsetzung seiner Vollmachten kann nicht gegeben werden. Aber ich sehe keinen Grund ein, warum wir jetzt nicht unmittelbar an die Besprechung dieses Ausschusses gehen sollen. Das scheint mir das Dringlichste von allem zu sein.

Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres:

Wir haben bisher Erklärungen gehört von der Demokratischen Partei, von den Deutschnationalen, von der Volkspartei, von der Sozialdemokratischen Partei, noch nicht vom Zentrum. Vom Zentrum sind nur Fragen gestellt worden.

Mitglied des Reichsrats Lensing:

Meine Erklärung galt für das Zentrum für Westfalen.

Reichstagsabgeordneter v. Guérard:

Ich wundere mich sehr, daß Herr Lensing lediglich für seine westfälischen Freunde eine Erklärung abgegeben hat. Ich kann für meine rheinischen Freunde demgegenüber nur sagen, daß wir selbstverständlich mit der Bildung dieses Ausschusses einverstanden sind. Das ist das einzige konkrete Ergebnis der heutigen Verhandlungen, wie ich zu meinem lebhaften Bedauern feststellen muß. Es ist in der Tat weiter nichts herausgekommen. Ob wir der Bevölkerung mit diesem Ausschuß etwas besonderes servieren, was geeignet ist, ihr in den nächsten Tagen über die drückendste Not hinwegzuhelfen, muß ich durchaus bezweifeln. Es ist aber leider kein anderer Weg mehr da; deshalb sind wir selbstverständlich bereit, mitzumachen.

[814] Geheimrat Hagen:

Obgleich der Herr Reichskanzler bereits berechtigterweise darauf hingewiesen hat, daß wir den Ausschuß nicht Wirtschaftsausschuß nennen dürfen und auch nicht als Wirtschaftsausschuß behandeln können, da bereits ein Wirtschaftsausschuß vorhanden ist, wird immer wieder von dem Wirtschaftsausschuß geredet. Ich muß mich dagegen wenden; denn erstens besteht seit vier Jahren ein Wirtschaftsausschuß für die besetzten Gebiete, der auch fortwährend mit der Regierung in Beziehungen gestanden hat. Er konnte selbstverständlich bisher nur mit der Deutschen Regierung in Beziehungen stehen. Außerdem hat dieser Wirtschaftsausschuß für die besetzten Gebiete vor wenigen Tagen einen Verhandlungsausschuß nach innen und nach außen gewählt72, an dessen Spitze der Herr Oberbürgermeister Adenauer steht und dessen Stellvertreter meine Wenigkeit, Herr Generaldirektor Vögler und Herr Heinrich Meyer als Vertreter der Gewerkschaften ist.

72

S. dazu Anm. 4 zu Dok. Nr. 146.

Wenn wir jetzt hier nun einen Ausschuß wählen, was wie es scheint, eine beschlossene Sache ist, so müssen wir uns doch hüten, ihn als einen ausgesprochenen Wirtschaftsausschuß anzusehen. Davon kann keine Rede sein. Er kann einen wirtschaftlichen Einschlag bekommen und er wird wohl auch mit dem bestehenden Wirtschaftsausschuß in irgend einer Form, wenigstens durch seine Spitze verkoppelt werden müssen. Aber wir wollen uns davor hüten, der Sache eine falsche Bezeichnung zu geben. Denn er soll doch mehr oder weniger ein politischer Ausschuß werden, es soll aus diesem Ausschuß heraus vielleicht in der Zukunft das verfolgt werden, was heute hier nicht geschehen ist. In dem Sinne bin ich auch mit der Errichtung eines Ausschusses sehr einverstanden und würde bitten, ihn heute zu errichten. Ich glaube auch, daß nach außen hin durch die Entstehung eines solchen Ausschusses am besten Sand in die Augen derjenigen gestreut wird, die ihre Augen sehr groß aufgemacht hatten und von der heutigen Zusammenkunft viel zu viel erwartet hatten. Von dieser Zusammenkunft war nicht viel zu erwarten; denn, wie der Herr Reichskanzler sehr richtig gesagt hat, in einem Gremium von mehr als 50 Personen lassen sich so vertrauliche und intrikate Dinge, um die es sich hier handelt, unmöglich behandeln. Ich kann auch nur bedauern, daß wir zu einem solchen Komplex von Menschen geworden sind.

Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres:

Ich gebe Herrn Geheimrat Hagen darin recht, daß es unbedingt richtig ist, die Kompetenzen zu wahren. Der Wirtschaftsausschuß hat seine Kompetenzen. Wenn wir jetzt diesen neuen Ausschuß auch damit betrauen würden, Wirtschaftsfragen zu verfolgen, so würde das ein Durcheinander geben. Aber der Wirtschaftsausschuß hat, so viel ich weiß, seine Zuständigkeit nicht auf die Währungsfrage erstreckt. (Widerspruch).

Gestern ist uns gesagt worden, der Wirtschaftsausschuß wollte sich mit der Währungsfrage nicht beschäftigen.

(Geheimrat Hagen: Das ist ein Mißverständnis!)

[815] Dann ist das erledigt. Ich bin der Überzeugung, daß dem Wirtschaftsausschuß diese wirtschaftlichen Verhandlungen überlassen werden müssen. Der Sinn dieses neuen Ausschusses ist ein anderer. Es soll ein Vertrauensausschuß der politischen Parteien des ganzen besetzten Gebietes sein, und zwar nicht nur von Rheinland und Westfalen, sondern auch vom Süden der besetzten Gebiete, ein kleiner Ausschuß, in dem aber alle Parteien und alle Bezirke vertreten sein müssen.

Dieser Ausschuß würde die Aufgabe haben, die Dinge weiter zu beobachten und unter Umständen – zur Zeit noch nicht – mit den Franzosen zu verhandeln, dem Feinde gegenüber die Dinge zu beobachten und – darauf kommt es mir hauptsächlich an – eine Einheitsformel zu finden, auf die wir uns in dem ganzen Gebiete einigen können.

Es ist meine Befürchtung, daß wir über kurze Zeit zu der Frage neu Stellung nehmen müssen. Das Ergebnis der jetzigen Verhandlungen ist allerdings auch ein positives. Denn wir haben von dem gestern zum Ausdruck gebrachten Gedanken, die Loslösung des besetzten Gebietes von uns aus weiter zu verfolgen, Abstand genommen. Nachdem wir von dem Herrn Reichskanzler gehört haben, die wirtschaftliche Unterstützung des besetzten Gebietes ist nicht etwa nur für eine Übergangszeit, sondern so lange gesichert und gewährleistet, als das Reich überhaupt noch zu halten ist – gestern waren wir der Sorge, daß diese Erklärung nicht würde abgegeben werden können – nachdem sie abgegeben worden ist, hat sich die Situation für uns durchaus geklärt. (Widerspruch im Zentrum, Zuruf: Es ist doch nichts erklärt worden!) Es hat sich unbedingt dahin geklärt, für mich jedenfalls; denn ich hatte die Befürchtung, auch so spärliche Zusicherungen – sie sind spärlich – würden wir nicht erhalten. Der Herr Reichskanzler hat selbst darauf aufmerksam gemacht, daß es der Arbeit der politischen Parteien jetzt zufiele, unter Umständen für Erhöhung dieser Unterstützungen zu sorgen. Ich bin auch der Auffassung des Herrn Justizrats Falk, daß die Zulage von 15% nicht das richtige trifft, daß auch die Regelung der Besatzungskosten und der Kontributionen nicht das richtige trifft; denn sie lassen uns in Geldsorgen ersticken.

Ich hoffe, daß es weiteren Verhandlungen noch gelingen wird, hier etwas zu erreichen, obwohl es für das Reich fast unmöglich sein wird, noch weitere Zugeständnisse zu machen. Aber das darf ich doch sagen, daß diese positiven Erklärungen der Reichsregierung dazu geführt haben, daß heute von keiner Seite in diesem Kreise die Anregung aufrecht erhalten bleibt, unsererseits die Frage der Loslösung des Gebietes auch mit der Reichsregierung weiter zu erörtern. (Unruhe im Zentrum). Ist das nicht richtig?

(Abg. Kaas: Den Ausdruck „aufrechterhalten bleibt“ verstehen wir nicht!)

Ich will sagen: Gestern ist der Gedanke in die Debatte geworfen worden, jetzt schon die Loslösung des Gebietes im Verhandlungswege mit den Franzosen in Lauf zu bringen. Dieser Gedanke wird nach dem Ergebnis der heutigen Verhandlungen nicht weiter verfolgt. Wird er wieder aufgenommen, dann müßte ich bitten, mir das zu erklären. Ich fürchte aber, daß wir sehr bald in die Lage kommen werden, uns weiter mit diesem Problem zu beschäftigen.

[816] Wenn es richtig ist, was der Herr Reichskanzler gesagt hat, daß der Bruch mit Frankreich unabweisbar ist, kommt also der Bruch, dann wird automatisch für uns die Notwendigkeit entstehen, unsere Geschicke in der einen oder anderen Form – selbstverständlich mit Zustimmung oder im Einvernehmen mit der Reichsregierung – in die Hand zu nehmen. Der Augenblick ist heute nicht da, die Entwicklung der Dinge muß aber genau verfolgt werden, und zwar im Einklang sämtlicher Parteien.

Das, meine ich, ist die Aufgabe des Ausschusses, den wir bilden wollen. Wenn ich da Vorschläge machen darf, so würde ich empfehlen, daß wir die fünf politischen Parteien, die hier in Frage kommen, sowohl für Rheinland wie für Westfalen, sowohl für die Pfalz wie für Hessen und Hessen-Nassau den Ausschuß bilden lassen. Es würde das ein Ausschuß von vielleicht 20 Personen sein. (Zuruf: Viel zu groß!) Ich glaube, es wird möglich sein, für Hessen und Hessen-Nassau eine einheitliche Vertretung zu finden, und es würde noch besser sein, wenn für die Pfalz, Hessen und Hessen-Nassau, also für die südlichen Bezirke, auch nur fünf Herren genannt würden, so daß wir einen Ausschuß von 15 bis 20 Mitgliedern hätten.

Justizrat Falk:

So geht es leider nicht, wie Herr Jarres das vorgeschlagen hat. Wenn der Ausschuß nur die Aufgaben haben soll, von denen Herr Jarres gesprochen hat, dann kommt das, was Herr Hagen zum Schluß gesagt hat, es wird Sand in die Augen gestreut. Das ist das letzte, was ich mitmachen kann. Die Stimmung in der Bevölkerung ist so, daß sie die Wahrheit verlangt und daß wir sie geben müssen. Die Stimmung in der Bevölkerung ist so, daß sie von den Führern der politischen Parteien etwas sehen und hören will. Deswegen muß diesem Ausschuß die doppelte Aufgabe gegeben werden, die der Herr Reichskanzler vorhin ihm zutreffend zugeschrieben hat: a) wirtschaftliche Verhandlungen mit den Gegnern, b) aufklärende Verhandlungen mit der Reichsregierung. Diese wirtschaftlichen Verhandlungen mit dem Gegner müßten dem Ausschuß gegeben werden, obwohl es einen Wirtschaftsausschuß gibt. Ich denke gar nicht daran, diesem Wirtschaftsausschuß, der unter der besten Führung steht, die es gibt, irgend eine Konkurrenz machen zu wollen. Wenn sie aber dem Ausschuß nicht etwa politische Aufgaben dem Feindbund gegenüber geben wollen, müssen Sie ihm doch wirtschaftliche Aufgaben geben. Es ist auch nicht möglich, diesen Ausschuß aus 20 Mitgliedern zusammenzusetzen. Da müssen von allen Parteien Opfer gebracht werden. Er muß so klein sein wie möglich.

Reichstagsabgeordneter Esser:

Ich unterstreiche durchaus, was Herr Falk gesagt hat. Wenn wir mit keinem besseren Ergebnis heute herauskommen, als daß wir einen Ausschuß bilden, dann wage ich nicht mehr nach Hause zu fahren. (Lebhafte Zustimmung im Zentrum). Die Dinge liegen doch so, daß die Kerze nun wirklich an dem Nagel gebrannt ist. So können wir die Dinge wirklich nicht ausklingen lassen. Wir müssen mit positiven Ergebnissen kommen, mit bestimmten Erklärungen der Reichsregierung auf die Fragen, die hier gestellt worden sind. Eine bestimmte Erklärung ist uns in keinem Falle gegeben worden.

[817] Reichskanzler Dr. Stresemann:

Ich muß das ganz entschieden zurückweisen. Ich habe Ihnen über die Frage der Erwerbslosenfürsorge ganz bestimmte und formulierte Erklärungen gegeben. Wie können Sie behaupten, daß die Reichsregierung in keinem Falle eine bestimmte Erklärung gegeben hat!

Reichstagsabgeordneter Esser:

Verzeihen Sie, Herr Reichskanzler. Es ist hier gesagt worden, daß Ihre Erklärungen nicht ausreichen und über das weitere haben wir noch keine Erklärungen.

Reichskanzler Dr. Stresemann:

Jedenfalls habe ich Ihnen eine bestimmte Erklärung gegeben. Ob sie ausreicht, ist etwas anderes. Aber ich habe mich nicht um Erklärungen herumgedrückt.

Reichstagsabgeordneter Esser:

Herr Reichskanzler, es ist dringend notwendig, daß wir über weitere Fragen auf diesem Gebiete heute noch verhandeln, und wenn Sie in größerem Gremium nicht verhandeln wollen, dann muß der Ausschuß sofort gebildet werden, und dann muß sich hieran eine Verhandlung anschließen, deren Ergebnis veröffentlich wird. Ich halte es für einen Fehler, daß überhaupt die heutige Zusammenkunft in die Presse gekommen ist. Nachdem sie aber in der Presse, auch im besetzten Gebiet gestanden hat, müssen wir über das Ergebnis etwas in die Presse bringen, was wirklich dem Volke etwas bringt. Wir leiden ja unter den unglücklichen Nachrichten. Ich möchte auf die Nachricht über das Aufhören jeglicher Zahlungen an das besetzte Gebiet hinweisen, die vor etwa 8 Tagen an die Presse gegangen ist.

(Reichskanzler Dr. Stresemann: Nicht von uns!)

Nicht von Ihnen. Es ist mir aber gestern von dem Präsidenten des Reichstages gesagt worden, daß sie von einem Beamten der Reichsregierung in die Presse lanciert worden sei73. Ich kann Ihnen nachher auch den Namen sagen. Diese Nachricht hat uns im besetzten Gebiet viel mehr geschadet, als jemals erwartet werden konnte.

73

Dazu war in R 43 I nichts näher zu ermitteln.

Diese Nachricht hat uns im besetzten Gebiet viel mehr geschadet, als jemals

Darum muß über das Ergebnis der heutigen Verhandlungen ein Kommuniqué veröffentlich werden und zwar nicht von dem, was hier geschehen ist, sondern der Ausschuß muß gebildet werden, und dann muß noch weiter verhandelt werden. Denn die Dinge sind so ernst, daß wir mit dem mageren Ergebnis nicht nach Hause zurückkehren können. Wir stehen nun neun oder zehn Monate in vorderster Linie in diesem Kampf, immer mit dem einen Ärmel das Gefängnis streifend, immer die Ausweisung befürchtend. Die Liebe zu unserer rheinischen Heimat und zu unserem deutschen Vaterlande sagt: So können wir nicht nach Hause gehen, die Sache ist dafür viel zu ernst. Es muß weiter verhandelt werden, und wir müssen mit einem greifbaren Ergebnis nach Hause kommen.

Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres:

Darf ich dann fragen, wenn der Herr Reichskanzler damit einverstanden ist, ob Sie die Wünsche, die Sie noch haben, jetzt zum Ausdruck bringen wollen?

[818] Reichskanzler Dr. Stresemann:

Meine Herren. Wir haben zwei Tage im Kabinett über unsere Stellung zum besetzten Gebiet beraten. Die Beschlüsse sind festgelegt. Ich habe sie Ihnen vorgetragen. Darüber hinaus heute für die Herren Minister Fuchs, Sollmann und mich Erklärungen abzugeben, die dem gesamten Kabinett gegenüber den bisher gefaßten Beschlüssen präjudizieren, bin ich nicht in der Lage. Ich habe nichts dagegen, daß, namentlich wenn solche unverantwortlichen Mitteilungen in die Presse gekommen sind, daß die Reichsregierung überhaupt nichts mehr für das besetzte Gebiet zahlen wolle, die entgegengesetzte Erklärung auf Grund der heute hier abgegebenen Erklärung der Öffentlichkeit mitgeteilt wird, wie ich überhaupt nicht angenommen habe, daß in dem Kommuniqué stehen soll, es sei ein Ausschuß gebildet. Im Kommuniqué wollte ich ausdrücklich auf die von mir hier abgegebenen Erklärungen der Reichsregierung hinweisen. Die mögen nicht genügen, aber es ist doch etwas ganz anderes als die Mitteilungen, die ich hier vorgefunden habe, die Reichsregierung sage sich vom Rheinlande los. Das kann alles hinein. Aber ich muß ebenso erklären, obwohl ich mich vor keiner Verantwortung scheue: Nachdem wir in zwei Sitzungen ausdrücklich und in allen Einzelheiten schriftlich formuliert einen Kabinettsbeschluß gefaßt haben, bin ich nicht in der Lage, von mir aus hier heute weitergehende Erklärungen sofort abzugeben. Das werden Sie bei meiner Stellung gegenüber dem Kabinett auch verstehen, zumal derjenige Mann, der hier mit entscheidend ist, der Herr Reichsfinanzminister, doch ebenfalls verlangen kann, zu diesen Dingen gehört zu werden.

Es ist etwas anderes, ob der Ausschuß seinerseits heute schon schlüssig über seine Gegenvorschläge wird. Ich pflege nicht lange zu fackeln mit Antworten. Ich werde dann auch veranlassen, wenn ich morgen früh in Berlin zurück bin, Ihnen die Antwort zu geben, sei es daß die Herren einen Gegenbesuch in Berlin machen, worum ich bitten möchte, weil es leider vielerorts in Deutschland brennt und man sich nicht leicht entfernen kann. Sie werden mir aber zugeben, daß ich Kabinettsbeschlüsse von mir nicht aufgeben kann.

Klupsch, Dortmund:

Ich bin nicht der Meinung, daß die Sitzung heute völlig ergebnislos gewesen ist. Wir waren in den letzten Tagen sehr besorgt, was sich inzwischen im Rheinland abspielen würde, als ruchbar wurde, daß ein Gebiet abgetrennt werden soll. Diese Gefahr haben wir heute hier gebannt. (Widerspruch im Zentrum). Wenn Sie allerdings der Auffassung nicht sind, wir stehen einmütig auf dem Standpunkt, daß für uns die Frage der Abtrennung des Gebietes ganz undiskutabel ist. (Zurufe vom Zentrum: Aber die Separatisten! Wo wohnen Sie denn?) In Dortmund.

Dann zu dem Ausschuß. Meines Erachtens brauchen wir uns hier gar nicht besonders um den Ausschuß zu bemühen. Fest steht, daß sich dieser Ausschuß mit wirtschaftlichen Fragen nicht befassen soll. Die Zusammensetzung ist m. E. auch nicht schwierig. Außer diesen wirtschaftlichen Fragen hat dieser Ausschuß einen sehr großen Aufgabenkreis, der mit der separatistischen Gefahr zusammenhängt. Wir haben bisher bereits zwei Ausschüsse, wenn ich nicht irre, sogar drei.[819] Das Rheinland hat seinen Ausschuß, auch das neubesetzte Gebiet hat seinen Ausschuß. Das trifft auch für die südlichen Gebiete zu74. Meines Erachtens können wir uns sehr schnell schlüssig werden. Der Ausschuß wird gebildet, und er wird gebildet aus den bereits bestehenden Ausschüssen, die in ständiger Fühlung gewesen sind. Im Anschluß an diese Verhandlungen wird sich dann sehr leicht eine Verständigung über einen engeren Ausschuß aus diesen Ausschüssen erzielen lassen.

74

Damit sind anscheinend die Abwehrausschüsse gemeint.

Geheimrat Hagen:

Ich glaube, daß wir in unseren Meinungen außerordentlich weit auseinander gekommen sind. Ich bin der Ansicht, daß die Erklärungen des Herrn Reichskanzlers doch sehr viel Positives enthielten, vor allem auch sehr viel Erschöpfendes über dasjenige, was bisher beschlossen worden ist; denn er kann uns hier keine Erklärungen über die Politik abgeben, die das Deutsche Reich von Fall zu Fall in den nächsten Tagen wird verfolgen müssen.

Ich bin aber auch der Meinung, daß wir uns eine falsche Vorstellung von einem zu bildenden Ausschuß machen. Bilden wir einen politischen Ausschuß, so ist das eine Nebenregierung. Die Politik namentlich der nächsten Zeit kann nur der Regierung überlassen werden, die hat die Verantwortung dafür zu tragen, und ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Ausschuß so weit gehen sollte, die Politik der Regierung so stark zu beeinflussen, daß sie davon abhängig wird. Ich bin der Meinung, daß der bestehende Wirtschaftsausschuß resp. die Verhandlungskommission, die vor wenigen Tagen gewählt worden ist, verbreitet über das gesamte besetzte Gebiet durch die politischen Parteien verstärkt werden sollte, daß der Wirtschaftsausschuß also die Fragen weiter behandeln soll, für die er gebildet war, die genau mit den Fragen identisch sind, über die wir uns heute unterhalten haben. Das wichtigste daran ist die Währungsfrage, und im Zusammenhang mit der Währungsfrage die Ernährungsfrage.

Sie werden doch nicht behaupten wollen, meine Herren, daß ein ad hoc zusammengesetzter Ausschuß, der zu diesem Zweck gebildet worden ist, weniger geeignet sei, diese Fragen zu besprechen, als ein Ausschuß, der heute hier zusammengesetzt wird. Ich bin auch der Meinung, daß die politischen Parteien ein volles Recht namentlich in diesem Augenblick daran haben, diese Fragen durch ihre Ansichten zu beeinflussen. Ich mache übrigens darauf aufmerksam, daß in dem kürzlich gebildeten Verhandlungsausschuß alle Parteien sehr stark vertreten sind. Es fällt mir z. B. gerade ein, daß die Gewerkschaften durch 6 Mitglieder vertreten sind, daß auch das Handwerk, die Beamten etc. sehr stark vertreten sind.

Prüfen Sie bitte meinen Vorschlag, daß Sie diesem Ausschuß mindestens 5 Vertreter zuwählen, dem wir auch in seiner obersten Spitze Platz machen werden, in dem die wichtigsten Fragen, die uns beschäftigen müssen, eine evtl. spezielle rheinische Währungsfrage, unmittelbar angegriffen werden können. Sie ersparen sich und uns allen dadurch eine sehr große Arbeit. Sonst würden wir erleben, daß die beiden Ausschüsse parallel nebeneinander arbeiten, bei[820] dem einen von der Wirtschaft beeinflußt, bei dem anderen von der Politik beeinflußt. Schließlich müssen wir uns doch verständigen. Ich bitte deshalb, meine Bitte zu berücksichtigen und dementsprechend zu verfahren.

Reichstagsabgeordenter Erkelenz:

Ich glaube, es ist durchaus richtig, daß der Herr Reichskanzler hier positive Erklärungen abgegeben hat. Andererseits scheint mir aber auch richtig zu sein, was Herr Kollege Esser sagt, daß das bisher vorliegende Ergebnis uns nicht genügt. Wir müssen also noch darüber sprechen, wie wir weitere Ergebnisse erzielen könnten. Da möchte ich hinsichtlich des Ausschusses sagen, daß für uns, die wir ja von vornherein dem Gedanken des Ausschusses zugestimmt haben, der Hauptgrund der war, eine Stelle zu schaffen, die mit den Franzosen verhandeln kann, und zwar eine Stelle, die alle Bevölkerungskreise vertritt. Das sind nach Lage der Verhältnisse die Parteien. Deshalb wollen wir den Parteienausschuß. Der Wirtschaftsausschuß ist eigentlich ein Ausschuß, der den inneren Betrieb der Wirtschaft zu bearbeiten hat und in dieser Richtung bisheran tätig gewesen ist, allerdings, wie es jetzt scheint, auch nach außen mit den Franzosen in direkte Fühlung treten soll.

(Geheimrat Hagen: Das ist ein ganz anderer Ausschuß, ein neugebildeter!)

Ich würde vorschlagen, daß wir uns entschließen, jetzt einen Ausschuß zu bilden, ganz besonders, weil der Ausschuß heute schon weiter verhandeln muß. Das Zurückgreifen auf die bestehenden Ausschüsse ist nicht möglich, denn sie sind nicht hier, wir müssen heute zu einem Abschluß kommen. Der Ausschuß soll gleich tagen, er soll dem Herrn Reichskanzler Vorschläge mitgeben, die er morgen in Berlin im Kabinett zur Behandlung stellen kann.

Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres:

Ich muß nochmals dringend raten, auch im Sinne von Geheimrat Hagen doch nicht zwei Ausschüsse zu wählen, die beide auf dem Wirtschaftsgebiet ackern. Der Wirtschaftsausschuß, ist, glaube ich, günstig zusammengesetzt. Er hat einen Verhandlungsausschuß benannt. Um das Zusammenwirken auch in politischen Dingen zu sichern, glaube ich, genügt es, dem Vorschlage von Herrn Hagen zu folgen und aus diesem neuen Ausschuß 5 Mitglieder zu delegieren, die in ihren Ausschüssen mitwirken, namentlich in der Währungsfrage.

(Abgeordneter Erkelenz: Dann können sie heute nichts mehr machen!)

Bitte, lassen Sie mich ausreden. Der andere Ausschuß, der jetzt neu gewählt wird, soll meiner Meinung nach in der Tat mehr ein politischer Vertrauensausschuß sein, ein Führerausschuß, der die Dinge weiter beobachtet und im gegebenen Augenblick auch handelt. Ob er jetzt schon mit den Franzosen verhandeln muß, das scheint mir sehr fraglich zu sein. Aber er soll die Verbindung unter den Gebieten und unter den Parteien aufrecht erhalten. Ich befürchte, daß er bald in die Gelegenheit kommen wird, sich auch mit den politischen Dingen, mit den Lösungsfragen ernster zu befassen und Vorschläge zu machen, die dann hoffentlich einheitlich sind. Wir müssen in dieser furchtbaren Frage unbedingt eine Einheitsformel finden, jedenfalls sie suchen. Das ist die Hauptaufgabe dieses Ausschusses.

Wenn das aber der Fall ist, dann wird es nicht richtig sein, die drei Ausschüsse,[821] die bis jetzt bestehen, einfach zu verbinden, sondern wir werden einen neuen Ausschuß aus unserem Kreise unter Zuziehung von anderen Herren wählen müssen, denn die Herren aus dem Süden des besetzten Gebietes sind heute zu wenig hier vertreten. Wenn Sie die Zahl von 15 für zu groß halten, dann nehmen Sie weniger. Ich glaube, mit 15 Mitgliedern kommen wir schon aus. Weniger wird es kaum sein, denn es müssen alle Parteien und alle Gebiete vertreten sein. Ich würde deshalb vorschlagen, 5 Herren aus Westfalen, 5 aus Rheinland, aus den verschiedenen Gebieten des Rheinlandes, und 5 aus der Pfalz, Hessen und Hessen-Nassau zu nehmen.

Dr. Silverberg:

Meine Herren: Wenn man im besetzten Gebiet ansässig ist und die aktuellen Nöte des Gebietes sieht und damit die heutigen Verhandlungen vergleicht, und besonders den Ausklang, den die Verhandlungen in den letzten anderthalb Stunden finden, dann kann einem wirklich – ich spreche mich ganz offen aus – angst und bange werden. (Sehr richtig!) Das muß doch einmal gesagt werden. All die Fragen, die mit der Reichsregierung zu verhandeln sind, ob die Erwerbslosenunterstützung nach Lage der Finanzen, wenn man überhaupt noch davon sprechen kann, sagen wir, aus taktischen Gründen erhöht werden kann oder nicht, über diese Fragen brauchen Sie wahrhaftig keinen Ausschuß zu bilden. Das hat der Herr Reichskanzler gehört, und wenn er mit seinen Kollegen über diese Fragen gesprochen hat, dann wird er im Wege des Telegramms oder des Staatstelephongesprächs Ihnen die Antwort morgen an die zuständige Stelle geben können, und die Anweisungen dementsprechend erhöhen können, wenn er glaubt, nicht aus finanzpolitischen, sondern aus taktischen Gründen diese Summe erhöhen zu müssen. So fasse ich das auf.

Nun haben die innerpolitischen Nöte des Reiches doch dazu geführt, daß die Reichsregierung von sich aus den Belagerungszustand verhängen und für sich im Rahmen der Reichsverfassung diktatorische Befugnisse in Anspruch nehmen mußte. Die Verhältnisse im gesamten besetzten Gebiet haben sich viel schlimmer zugespitzt, als diejenigen Herren wissen, die nicht im besetzten Gebiete leben. Ich brauche nur auf die Ausführungen des Herrn Oberbürgermeisters von Bochum zu verweisen. Wenn die nicht allen die Augen geöffnet haben, dann weiß ich nicht, in welch eindringlicherer Form die wirklichen Nöte und die wirkliche Situation dargestellt werden sollen.

Wenn ich hier die Verhandlungen als absoluter Nichtpolitiker höre, dann muß ich sagen, die Herren glauben alle, wir hätten noch eine Verhandlungsperiode von ein oder zwei Monaten vor uns. Das ist alles nur Einbildung. Sie reden sich selber etwas ein. Sie leben alle noch in den Ideen von vor 1914 und teilweise nach dem November 1918. Damit wird gegen die militärische Gewalt, gegen den Druck, gegen die direkten Erwerbungsabsichten und gegenüber dem schlimmsten Verhängnis der außerordentlichen Schwäche der britischen Politik gar nichts erreicht werden. Meiner Ansicht nach gibt es nur eine einzige Lösung, und die hat der Herr Reichskanzler selbst angedeutet, wenn er erklärt hat, Poincaré hat gesagt, er wird praktische Verhandlungen mit Leuten führen, die ihre Instruktionen von der Reichsregierung empfangen haben. Dann mag das[822] Reichskabinett morgen früh, ohne irgend einen Menschen hier zu befragen, drei oder fünf Herren bestimmen, vielleicht privatim jemanden fragen, aber kein Gremium von 50 Personen, und sagen: Diese Herren sind berechtigt, die Verhandlungen zu führen, zu denen Herr Poincaré sich bereit erklärt hat. Sie werden wirtschaftlicher Natur sein, sie können politischer Natur sein. Bestimmen Sie vertraulich von Berlin aus – ohne die „Vossische Zeitung“75 – (Heiterkeit) diese Herren. Geben Sie ihnen das Mandat. Sie werden 5 anständige und verständige Menschen des Rheinlandes finden, die das Mandat von Ihnen übernehmen, Herr Reichskanzler, und Sie können auch wohl die Tatsache geheim halten, daß Sie die Herren in Berlin ernannt haben.

75

Damit ist Bezug genommen auf die Veröffentlichungen der „Voss. Ztg.“ über die Micum-Verhandlungen vom 5.10.23.

Diese 5 Herren werden von Ihnen die Instruktionen übernehmen und werden auf Grund der Erklärungen, auf die Sie selbst Bezug nehmen, auch den Weg finden, die Verhandlungen zu führen, die notwendig sind. Wenn Sie sich, meine Herren, darum streiten, ob unter den 5 Herren 2 Zentrumsleute, 2 Sozialisten oder ein Sozialist und 2 Demokraten sind, dann kann ich Ihnen ganz bestimmt sagen, daß es nur eine Frage von Tagen oder wenigen Wochen ist, das mit militärischer Gewalt die Grenze zwischen dem östlichen Westfalen und dem Reich und unserem Rheinland gezogen wird, und daß die Souveränität des Reiches erledigt ist.

Herr Reichskanzler, Sie sagen immer, Sie wollen die Souveränität des Reiches über die besetzten Gebiete aufrecht erhalten. Geben Sie ihr mit aller Kraft einen Inhalt, den Sie bestimmen: Das sind die Leute, die wir herausstellen, die von uns ihre Instruktionen in Empfang nehmen, die wollen die Verhandlungen führen. Wenn Sie diesen energischen Schritt nicht machen, dann machen Sie die Souveränität inhaltlos und geben sie preis, und mit der Souveränität geben Sie Rheinland und Westfalen und geben die Bevölkerung preis. Die Bevölkerung hat, als Sie den passiven Widerstand abbliesen, sehnsüchtig nach einer bestimmten Verordnung geblickt, sie wäre Ihnen blind gefolgt, sie hat die Verordnung nicht bekommen. Aber ich will nicht retrospektiv denken. Das hat keinen Zweck. Ich möchte damit auch keine Erörterung anschneiden. Ich möchte Sie aber dringend bitten, folgen Sie meinem Rat und gehen Sie diesen energischen Schritt, sonst kommen Sie aus der akuten Gefahr des Rheinlandes nicht heraus.

Regierungspräsident Grützner:

Ich bin in die heutige Besprechung in erster Linie gekommen, um hier zu erfahren, welcher Weg gefunden werden soll, um in den nächsten Stunden und Tagen 550 000 Erwerbslose meines Bezirks, die sich vom nächsten Monat ab auf 900 000 beziffern werden, nachdem der Bergbau stillgelegt worden ist, einigermaßen zu ernähren. Ich habe in den Vorschlägen, die bisher gemacht worden sind, um den Nöten der Rheinprovinz abzuhelfen, einen Weg zur Behebung dieser wahnsinnigsten nächsten Not auch nicht annähernd finden können. Der holländische Kredit, die Einsetzung dieses Ausschusses, alles zusammengenommen, ist nicht im geringsten dazu angetan, um dieser elementarsten Not, die uns[823] morgen und übermorgen auf den Fingern brennt, einigermaßen abzuhelfen. Ich kann dem Herrn Reichskanzler versichern, es ist wirklich nicht leicht, wie ich es gestern habe tun müssen, Schutzpolizei einzusetzen, obwohl ich mit dem Herzen auf der Seite unserer Leute stand76.

76

Am 24. 10. war es in zahlreichen Städten des Ruhrgebiets (u. a. in Bochum, Essen, Gelsenkirchen) zu Unruhen und Plünderungen von Lebensmittelgeschäften und Kartoffeltransporten gekommen. Aus Barmen wurde gemeldet: „Lebensmittelunruhen haben heute zwei Todesopfer gefordert. Vor dem Rathaus waren die Zusammenrottungen so gefahrdrohend geworden, daß der im Rathaus anwesende Regierungspräsident Anordnungen gab, den Platz räumen zu lassen. Als auf die Polizei geschossen wurde, erwiderte sie die Schüsse, durch die eine größere Anzahl Personen getroffen wurde. Zwei Personen blieben tot und vier schwerverletzt am Platze“ (DAZ, Nr. 496 vom 25.10.23).

Nun komme ich auf das Positive. Das Reichskabinett hat durch das Ermächtigungsgesetz große Vollmachten erlangt. Der Herr Reichskanzler hat ausgführt, wie weit die Kraft des Reiches geht, um den Ernährungsnöten beizukommen. Wir haben in Deutschland gottseidank eine ziemlich reiche Ernte77. Diese deutsche Ernte kommt nur deswegen nicht in das so überaus schwer notleidende Gebiet, weil die deutsche Landwirtschaft aus, wie ich ausdrücklich betone, unter normalen Verhältnissen beachtlichen privatwirtschaftlichen Gründen zum großen Teil Zahlung in Papiermark für ihre Erzeugnisse ablehnt. Ich hebe ausdrücklich hervor, daß Teile von Pommern, insbesondere die Greifswalder Landwirtschaft, dem besetzten Gebiet in dieser Richtung in den letzten Wochen erfreulicherweise Verständis entgegengebracht und gegen Papiermark in weitem Umfange Kartoffeln geliefert haben, um nur ein Produkt zu nennen. Ich hebe das nur deshalb hervor, weil in den letzten Monaten andauernd betont wird, daß die Landwirtschaft nur gegen wertbeständige Wertzeichen liefern könnte.

77

Am 5.11.23 teilte der REM dem StSRkei mit, infolge der günstigen Witterung im Oktober sei die Kartoffelversorgung des besetzten Gebietes besser, als Anfang Oktober hätte erwartet werden können. Bis zum Beginn der Frostperiode werde die Bevölkerung für eine längere Frist versorgt sein. Die Gemeinden seien aufgefordert worden, mit Hilfe von Kartoffelkrediten Reserven anzulegen. „Während des Winters müssen dann Zeiten günstigerer Witterung zur Auffüllung der Bestände benutzt werden; soweit die Versorgung aus dem unbesetzten Deutschland nicht möglich ist, wie zum Beispiel bei der Stadt und dem Landkreis Aachen, ist die Einfuhr holländischer Kartoffeln vorbereitet und zum Teil schon im Gange“ (R 43 I /222  b, Bl. 197).

Ich darf an den Herrn Reichskanzler im Namen aller dieser notleidenden deutschen Menschen die dringende Bitte richten, den Widerstand der Landwirtschaft gegen die Abnahme ihrer Produkte in Papiermark in dieser schwersten Not des Deutschen Reiches und des Rheinlandes mit allen Kräften zu überwinden. Wenn die deutsche Landwirtschaft durch diese, wie ich ausdrücklich betone, nach privatwirtschaftlichen Gründen, nicht zu verantwortende Hergabe ihrer Produkte gegen Papiermark im nächsten Frühjahr in wirtschaftliche Not kommen sollte, dann wird es wieder Aufgabe des Reiches sein, der alsdann in Bedrängnis kommenden Landwirtschaft seinerseits zu helfen. Ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam, wir können im besetzten Gebiet – und die Ausführungen des Herrn Oberbürgermeisters aus Bochum und des Herrn aus Dortmund sind m. E. noch viel zu rosig geschildert gewesen –, wenn morgen und übermorgen oder Anfang nächster Woche die 550 000 Bergarbeiter im gesamten Industriegebiet hinausgesetzt werden müssen, die Dinge nicht mehr meistern.

[824] Regierungspräsident Graf Adelmann:

Ich muß unbedingt noch auf eine Frage zurückkommen, die nicht nur mir als Regierungspräsidenten und ebenso meinen Kollegen sehr am Herzen liegt, die noch nicht genügend geklärt ist, sondern die auch eine wesentliche Frage für die Bevölkerung in den nächsten Tagen darstellt. Ich sage das in meiner Eigenschaft als Mitglied des Rheinischen Provinziallandtags. Es ist die Frage der Stellungnahme und der Erhaltung der Beamtenschaft.

Wir haben bis dahin durchaus andere Instruktionen bekommen, als sie uns heute gegeben sind. Ich muß das in vollem Einverständnis mit meinen hier vertretenen Kollegen aus Trier, Aachen und Düsseldorf betonen.

Es ist uns vor kurzem in Barmen folgendes gesagt worden, von unserem Ressortminister bzw. dessen Vertreter, was sich mit dem deckt, was wir früher hörten: Wenn die Separatisten sich der Macht bemächtigen, so ist selbstverständlich jede Mitarbeit abzulehnen78. Darüber kann kein Zweifel sein. Wenn jedoch die Herrschaft von den Bajonetten gestützt und ermöglicht wird, und gewissermaßen von ihnen ausgeht, dann hat sich der Beamte so lange im Amte zu halten und sein Amt weiter zu führen, als es nur irgend möglich ist.

78

Vgl. o. Anm. 9.

Mit diesen Richtlinien sind wir ausgestattet worden. Der deutsche Beamtenbund hat in einem Rundschreiben, das dieser Tage an sämtliche Beamten der Rheinprovinz hinausgegangen ist, und das dem Herrn Reichsminister Fuchs zur Kenntnisnahme übersandt worden ist, die gleichen Richtlinien publiziert. Er hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß diese beiden Unterscheidungen zu machen sind, wie ich sie eben formuliert habe. Wenn wir nun in Gebieten, die nicht mehr so sehr unter den Separatisten stehen, sondern unter den Bajonetten, verlangen, daß die Beamten restlos verschwinden, so wird das – ich muß sagen, obwohl es vielleicht nicht überall gefallen wird – auf große Schwierigkeiten stoßen, weil die bisherigen Richtlinien so gefaßt sind, und weil sie in der Form dieses Anschreibens des Beamtenbundes so hinausgegangen sind.

Selbstverständlich wird man im Einzelfalle zu überlegen haben, ob die Separatisten an der Spitze stehen oder die Franzosen. Das gebe ich ohne weiteres zu. Aber in vielen Fällen wird es schwer sein da die Grenze zu ziehen. Ich möchte Sie bitten, im Interesse eines einheitlichen Vorgehens uns zum mindesten heute nochmals zu sagen, wie die Angelegenheit gehandhabt werden muß, weil wir sonst auf große Schwierigkeiten in dem Beamtenkörper selbst stoßen und uns der Vorwurf nicht erspart bleiben wird, daß wir die Stellungnahme verändert haben. Ich sehe mich verpflichtet, Sie um eine Aufklärung zu bitten.

Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres:

Ich darf vielleicht die Mitteilungen weiter geben, die mir aus Duisburg geworden sind. Duisburg ist auch von den Separatisten besetzt worden, und zwar unter starker Mitwirkung der Besatzungsbehörden. Die Grüne Polizei ist interniert worden und auch die Blaue Polizei ist verhindert worden zu handeln. Gestern haben nun die Separatisten eine Bekanntmachung erlassen, wonach alle Beamten, die bis heute mittag um 12 Uhr die Arbeit nicht wieder aufnehmen,[825] entlassen werden. Alle Beigeordneten sind bereits entlassen und gestern abend abgesetzt. Die Erwerbslosen sollen heute von den Separatisten ausgelöhnt werden. Die Gewerkschaften wollen heute morgen Erklärungen von den Separatisten verlangen.

Sie sehen daraus, die Situation ist außerordentlich prekär.

Nun muß ich sagen, die Beamtenschaft hat man nicht mehr so in der Hand, daß nicht der eine oder andere dem Befehl zuwider handeln würde. Deshalb ist die Frage des Herrn Grafen Adelmann durchaus berechtigt. Ich würde es begrüßen, wenn wir von dem Herrn Ministerpräsidenten eine Antwort erhalten würden.

Ministerpräsident Braun:

Meine Herren! Um gleich zu der letzten Anfrage des Herrn Grafen Adelmann zu kommen, so habe ich die Auskunft und die Stellungnahme des Herrn Reichskanzlers so verstanden, daß an den bisherigen Weisungen und Richtlinien für die Beamten nichts geändert werden soll.

Reichskanzler Dr. Stresemann:

Die Zumutung, ich soll jetzt innerhalb zwei Stunden Weisungen an die eine Stadt geben, wie die Beamten sich verhalten sollen, daß sie sich sofort zur Verfügung stellen, habe ich abgelehnt, weil sich die Situation nicht übersehen läßt. Mitten hinein in diese Kämpfe wurde das verlangt. Das habe ich als unmöglich erklärt, weil ich sagte, das sei eine Bestätigung des Sieges der Separatisten. Das hat mit den allgemeinen Richtlinien nichts zu tun.

Ministerpräsident Braun:

So habe ich den Herrn Reichskanzler auch nur verstanden, daß diese Vorkommnisse, die sich jede halbe Stunde und jede Stunde ändern können und örtlich ganz verschieden gestalten können, uns hier keinen Anlaß geben können, an den bisherigen Richtlinien durch eine schnell neu konstruierte Weisung etwas zu ändern. Es bleibt eben bei den Richtlinien, die den Beamten bisher gegeben sind. Nun im allgemeinen noch ein Wort. Ich habe, als wir s. Zt. vor Monaten in Münster zusammen kamen und über die Haltung der Bevölkerung und der Behörden in dem Kampfe bei der Durchführung des passiven Widerstandes sprachen, mich auf den Standpunkt gestellt Es ist ganz unmöglich, für jede Eventualität, die in einem solchen Kampfe, wo die Bedingungen sich stündlich ändern, vorkommen kann, vorher in allen Einzelheiten für alle Fälle passende Anweisungen zu geben. Ich habe mich auf den Standpunkt gestellt, dieser Abwehrkampf muß so agil wie möglich gemacht werden. Ich möchte jetzt auch keine retrospektiven Betrachtungen anstellen. Vielleicht wäre manches etwas anders gekommen, wenn man den Abwehrkampf nicht so starr geführt hätte, (sehr richtig) sondern etwas größere Beweglichkeit an den Tag gelegt hätte und in die Entschlußkraft und das Urteil der einzelnen Personen, die auf exponierten Posten standen, etwas mehr Vertrauen gesetzt hätte.

Das gilt aber auch heute wiederum in dem neuen Kampfe, der uns jetzt von den Separatisten aufgezwungen ist. Auch da können Sie von der Zentrale nicht bis in alle Einzelheiten Weisungen verlangen. Soweit es möglich war, sind sie für die Beamtenschaft gegeben worden. Aber jetzt muß den Herren, die an[826] führender Stelle draußen stehen, sei es an der Spitze von Wirtschaftskorporationen oder Parteien, oder in der Leitung von Behörden, zugetraut werden, daß sie in der gegebenen Situation unter richtiger Würdigung der örtlichen und persönlichen Verhältnisse das tun, was im Interesse des Deutschtums und des Vaterlandes geboten erscheint. Da Weisungen in allen Einzelheiten zu geben, ist ganz unmöglich. Das gilt für die Beamtenschaft und für das Ganze.

Nun noch ein paar weitere Worte. Ich habe mich in der ganzen Erörterung bisher nicht zum Wort gemeldet, weil ich den Ausführungen des Herrn Reichskanzlers, soweit die Preußische Staatsregierung in Frage kam, nichts hinzuzusetzen, auch nichts abweichendes zu sagen hatte. Damit aus meinem Schweigen nicht irgend wie irrige Schlüsse in Bezug auf die Haltung der Preußischen Regierung gezogen werden, möchte ich noch einmal ausdrücklich erklären, daß ich mit dem Herrn Reichskanzler in allen den Fragen, die hier aufgeworfen und von ihm beantwortet sind, völlig konform gehe. Daß die Auskünfte, die der Herr Reichskanzler hier auf ganz konkrete Fragen gegeben hat, dem Herrn Abgeordneten Esser und viele andere hier Anwesende nicht voll befriedigen konnten, ist durchaus zu verstehen. Wenn die Situation, in der wir im Rheinlande und in den übrigen Teilen unseres Vaterlandes stehen, so einfach wäre, daß man hier so schnell alle Teile befriedigende Auskünfte geben könnte, dann könnten wir uns wirklich gratulieren. Nein, so ist die Situation nicht. Sie ist so, daß es in der Tat sehr schwer möglich ist, für eine Regierung, mag sie zusammengesetzt sein, wie sie will, Ihnen in dieser Situation befriedigende Erklärungen zu geben. Das, was Ihnen an Auskünften gegeben ist, ist das, was wir positiv momentan als verantwortungsbewußte Männer sagen können. Es ist Ihnen auch nicht gedient, meine Herren, wenn wir Ihnen Erklärungen geben, die Sie und die hinter Ihnen stehenden Bevölkerungskreise mehr befriedigen und die wir später doch nicht erfüllen können. Wir können Ihnen nur zusagen, was wir nach unserem besten Wissen und Willen erfüllen können. Darüber hinaus können wir nicht gehen. Gelingt es uns später, durch den Gang der Ereignisse, wie wir alle wünschen, vielleicht noch etwas mehr zu leisten, so würden sich die Reichsregierung und die Staatsregierung am allermeisten darüber freuen.

Es ist ja nun nicht ausgeschlossen, daß nachdem, was wir aus der Erörterung hier gehört haben, und nach dem, was vielleicht ein engeres Gremium der Reichsregierung noch in Einzelheiten vorträgt, wobei besondere Wünsche noch zur Erörterung kommen können, wir nach ernstlicher Prüfung unserer Leistungsfähigkeit in dem einen oder anderen Punkte noch entgegenkommen. Das wird Sache der Erörterung in einem kleineren Kreise und der Beratung mit der Reichsregierung sein. Heute hier etwas weiteres zu sagen, dürfte nicht angehen.

Noch ein Schlußwort über die Frage, ob es zweckmäßig sei, jetzt einen politischen Ausschuß zu bilden. Ich habe in den letzten Jahren und auch schon früher die Erfahrung gemacht: Je mehr Ausschüsse und je größer sie sind, desto weniger Taten kommen zu Stande. Es wird dann mehr geredet. Wenn jetzt gar zwei Ausschüsse eingesetzt sind, denen man ruhig zwei verschiedene Aufgaben stellen kann, die sich aber fortgesetzt berühren, so führt dieser Dualismus sehr[827] leicht zu Reibungen und macht es dem Gegner, dem man gegenüber steht, unter Umständen leicht, die beiden Ausschüsse gegeneinander auszuspielen. Politische und wirtschaftliche Fragen lassen sich gar nicht so abgrenzen. Nennen Sie mir hier im Rheinlande eine aktuelle wichtige wirtschaftliche Frage, die nicht gleichzeitig auch politischen Charakters ist, die jedenfalls in die politische Gestaltung hinein spielt.

Ich würde es deswegen für zweckmäßig halten, wenn Sie den wirtschaftlichen Ausschuß, dessen Zusammensetzung ich nicht kenne, im Wege der Kooptation durch irgend welche mehr in der politischen Bewegung tätige Personen ergänzen und daß dann aus diesem größeren Kreise eine kleine Verhandlungskommission geschaffen wird, die mit der Reichsregierung zusammen die weiteren Verhandlungen wirtschaftlicher oder politischer Art führt. Ich glaube, dann kommen Sie am ersten zu einem praktischen Ergebnis.

Berten:

Wenn hier geklagt wurde, daß die Ergebnisse der heutigen Sitzung sehr mager seien, so möchte ich doch fragen, mit welchen Erwartungen die Herren eigentlich hierher gekommen sind. Wir waren uns gestern bereits darüber klar, daß namentlich auf wirtschaftlichem Gebiete die Reichsregierung gar nicht mehr erklären könne als das, was sie heute erklärt hat. Es ist allgemein bekannt, daß die Finanznot außerordentlich groß ist und daß das Reich nur unter den alleräußersten Anstrengungen noch die Unterstützungen zahlen kann, die heute hier zugesagt sind.

Aber ich möchte doch auf einen anderen Punkt die Aufmerksamkeit lenken. Es genügt nicht, daß die Reichsregierung Unterstützungen leistet, sondern es wäre notwendig, daß die Reichsregierung versucht, auf die Preisbildung etwas Einfluß zu gewinnen. Es ist einfach untragbar, daß z. B. jetzt 1 Liter Milch 3½ Milliarden Mark kostet, also ein Betrag, der weit über das hinausgeht, was ein Erwerbsloser pro Tag bekommt, wenn weiter für 1 Pfund Kartoffeln beinahe 1 Milliarde Mark verlangt werden. Die Brotpreise sind allen bekannt.

Das sind Zustände, die nicht mehr haltbar sind und aus denen heraus die allgemeine Mißstimmung und Empörung zu erklären ist, wie sie sich überall bemerkbar macht.

Ein weiterer Umstand, auf den ich die Reichsregierung aufmerksam machen möchte, ist die Stillegung der Betriebe. Ich bezweifle, ob dabei überall die Vorschriften der Demobilmachung eingehalten werden. Es besteht in Arbeiterkreisen vielfach die Auffassung, daß hier sehr viel Willkür herrscht und daß nicht in allen Fällen die unbedingte wirtschaftliche Notwendigkeit vorhanden ist, die Betriebe stillzulegen. Ich glaube, wenn die Reichsregierung versuchte, auf diesem Gebiete Einfluß zu gewinnen, würde mehr geholfen werden können als durch die Zahlung der Unterstützung.

Ich möchte darauf hinweisen, daß das bei dem jetzigen System der Lohnfestsetzung nach einem wöchentlichen Index, worauf bisher soviel Wert gelegt wurde, dadurch völlig wertlos geworden ist, daß die Preisfestsetzungen nicht wöchentlich, sondern täglich und stündlich erfolgen.

Wenn aus allen diesen Umständen die separatistische Bewegung in den[828] letzten Wochen wenigstens äußerlich an Bedeutung und Umfang zugenommen hat, so ist daraus durchaus nicht zu entnehmen, als ob sie wirklich einen breiten Boden in der Bevölkerung gefunden habe, aber es ist festzuhalten, daß diese Umstände den Boden für die Maßnahmen bereiten, die die Separatisten unternehmen. Wenn die separatistischen Bewegungen von der Besatzungsbehörde aktiv unterstützt wird, dann kommen allerdings die Fragen nicht mehr in Betracht, die vorhin angeschnitten wurden, daß die separatistische Bewegung in einigen Tagen abgewirtschaftet sei.

Ich möchte zu der separatistischen Bewegung noch ein Wort sagen. Wenn Sie Wert darauf legen, daß von den breiten Massen der Arbeiterbevölkerung die separatistische Bewegung ferngehalten wird, ist allerdings die Reichspolitik im allgemeinen darauf einzurichten, daß die breiten Massen der Bevölkerung Vertrauen zum Reich behalten. Wie weit gerade die Reichspolitik und die Vorgänge im Reich auf die Haltung der Bevölkerung im besetzten Gebiet zurückwirken, das zeigt Ihnen ja das Vorgehen in der Pfalz, das sich aus den Vorgängen in Bayern resultiert79. Aus dem Grunde kann ich die einseitige Verurteilung über das Verhalten bestimmter Personen in der Pfalz, die hier erfolgt ist, nicht ohne weiteres unterstützen. Man muß dem gegenüber halten, was in Bayern vor sich gegangen ist, und muß ebenso verurteilen.

79

S. Anm. 6 zu Dok. Nr. 171.

Ich glaube, daß, wenn wir die Vorschläge des Herrn Ministerpräsidenten Braun über die bewegliche Gestaltung befolgen, dann manches verhütet werden kann, was während des passiven Widerstandes sehr schlimme Wirkungen gehabt hat.

Weiter möchte ich betonen, daß die Bildung eines neuen Ausschusses gar keinen Zweck hat. Es bestehen Ausschüsse genug. Betraut man die bestehenden Ausschüsse damit, vereinfacht man sie, legt man sie zusammen, so wird das vollständig genügen.

Oberbürgermeister Dr. Adenauer:

Es ist allmählich infolge der Länge der Zeit eine derartige Unruhe im Saal und in den Köpfen entstanden, daß wir, wenn wir nicht schließlich mit einer vollendeten Blamage auseinandergehen wollen, es für nötig halten, eine viertelstündige Pause zu machen, damit die einzelnen Parteien sich überlegen können, was bei dem Ausschuß herauskommt, wie stark er werden soll usw.

Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres:

Darf ich meinen Vorschlag wiederholen, diesen Ausschuß nicht mehr als Wirtschaftsausschuß neben dem Wirtschaftsausschuß bestehen zu lassen, sondern als einen Ausschuß zur Fühlungnahme unter den politischen Führern des gesamten besetzten Gebietes?

Geheimrat Hagen:

Ich muß demgegenüber meinen Antrag aufrechterhalten und bitte, eine Entscheidung darüber herbeizuführen, ob ein neuer Ausschuß gebildet oder der vorhandene ergänzt werden soll. Nach meinem Dafürhalten würde es ein großer Fehler sein, wenn noch ein Ausschuß gebildet würde. Die Kompetenzen gehen nebeneinander her. Das würde zu großen Schwierigkeiten führen.

[829] Generaldirektor Silverberg:

Zugunsten des Vorschlages des Herrn Geheimrat Hagen ziehe ich meine Anregung zurück, aber mit der Maßgabe, daß ohne weitere Erörterung die Regierung die Ergänzung dieses Ausschusses, der unter Vorsitz von Herrn Adenauer gebildet ist, mit 5 Personen vornimmt.

Oberbürgermeister Dr. Adenauer:

Ich glaube, es ist noch gar nicht bekannt, wie dieser Ausschuß zusammengesetzt ist. Der Wirtschaftsausschuß hat einen besonderen Verhandlungsausschuß eingesetzt. Während der Wirtschaftsausschuß in der Hauptsache nur aus den Handelskammern, Unternehmern, Industriellen usw. besteht, sind in diesem Ausschuß enthalten die Vertretungen der Handelskammern, die Großindustrie des Ruhrgebietes, die Landwirtschaft, die Handwerkskammern, die Gewerkschaften, Städtevertreter und Beamtenvertreter. Man hat mich zum Vorsitzenden gewählt. Das ist am Montag [22. 10.] geschehen. Einzelne Organisationen sollten noch Vertreter benennen. Der Ausschuß hat noch nicht zusammentreten können.

Ich möchte aber, so sehr ich den Vorschlag des Herrn Geheimrat Hagen für erwägenswert halte, doch darauf aufmerksam zu machen, daß man den Verhandlungsausschuß absichtlich von Politikern freihalten wollte. Es kann ja sein, daß der Wirtschaftsausschuß nachträglich sagt, wenn sich die Sache so gewandelt hat, geben wir unser Bedenken preis. Der Ausschuß besteht aus einem Vorsitzendem, einem kleinen Ausschuß und einem größeren Ausschuß. Der Vorsitzende bin ich, die Stellvertreter sind Herr Hagen, Herr Vögler und Herr Meyer aus Düsseldorf.

Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres:

Wie groß ist der Ausschuß? Haben Sie die Namen der anderen Mitglieder da?

Geheimrat Hagen:

Der Ausschuß hat einige 30 Personen. Es ist ein kleinerer Ausschuß vorhanden. Die Herren, die heute gewählt werden, können diesem kleineren Ausschuß zugewählt werden. Von vornherein war Parteipolitik innerhalb der Wirtschaft ausgeschlossen. Wenn aber ein gemeinschaftlicher Ausschuß gewählt wird, so ist es selbstverständlich, daß auch die Parteien darin vertreten sind. Es sind 6 Vertreter der Gewerkschaften, der freien und der christlichen Gewerkschaften darin, das Handwerk ist durch 3 Herren vertreten, die Beamten durch 3 Herren, die Städte sind vertreten. Kurzum, außer der Wirtschaft sind schon diejenigen Kreise darin vertreten, die wir hier unter uns haben.

Wenn also die notwendigen Vertreter der Parteien noch zugewählt würden, so würde, da von vornherein in Aussicht genommen ist, daß ad hoc Ausschüsse für bestimmte Fragen gebildet werden sollen, z. B. für die Währungsfrage, dies das Gremium sein, in dem wir uns am besten zusammenfinden.

Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres:

Können Sie wenigstens die Namen der Mitglieder des kleinen Ausschusses nennen oder sagen, wie in dem großen Ausschuß die einzelnen Gebiete berücksichtigt sind? Wie weit ist Westfalen berücksichtigt?

[830] Geheimrat Hagen:

Aus Westfalen sind die Herren Vögler, Stinnes, Klöckner, Vielhaber, Dr. Most, von Velsen. Dann sind Hessen vertreten, der Handelskammerpräsident von Aachen, Solingen usw.

Dr. Wesenfeldt:

Der Vorschlag des Herrn Geheimrat Hagen würde nicht dem entsprechen, was wir gewollt haben und was Herr Moldenhauer in unserem Namen vorgeschlagen hat. Ich habe den Eindruck, daß sich unsere Gedankengänge auseinander entwickelt haben. Der Ausschuß, von dem Herr Hagen spricht, hat ganz andere Aufgaben. Ob es zweckmäßig ist, ihn später aus dem jetzt zu wählenden Ausschuß zu ergänzen, ist eine Frage für sich. Auch ich möchte glauben, daß es unter Umständen notwendig ist, von einem zum andern eine Brücke zu schlagen. Aber ich bitte Sie zu berücksichtigen, daß wir etwas ganz anderes im Auge haben. Wir wollen einen innerparteilichen Ausschuß, einen Vertrauensausschuß der Parteien des gesamten besetzten Gebietes. Wir haben bereits vor kurzem in Düsseldorf und dann in Berlin uns mit den Führern sämtlicher politischer Parteien im Rheinland und in Westfalen zusammengefunden und haben eine Vereinbarung getroffen, wonach keinerlei Schritte von irgendeiner Partei unternommen werden, ohne die anderen zu fragen. Das wollen wir jetzt fester fassen und wollen gleichzeitig die Gebiete zuziehen, die noch nicht darin vertreten sind, also die Gebiete in Süddeutschland.

Ich glaube, daß der Vorschlag unseres Herrn Vorsitzenden, diesen Ausschuß aus 15 Köpfen bestehen zu lassen, das richtige trifft. Es ist doch der Zweck der heutigen Versammlung, ein Gremium zu schaffen, das in der Lage ist, schnell zu handeln, wenn schnell gehandelt werden muß. Das können nicht so große Versammlungen, wie wir hier sind. Das kann aber ein Ausschuß von 15, noch mehr würde mir ein Ausschuß von 9 Personen gefallen. Er soll unter den Parteien das Vertrauen aufrecht erhalten. Er soll von allen Seiten die Nachrichten sammeln und bereit sein zu handeln, wenn in kurzer Zeit, wie wir alle vermuten, gehandelt werden muß.

Das ist etwas ganz anderes als das, was hier vorgetragen wird. Ich gebe aber zu, daß es zweckmäßig sein wird, daß sich dieser Ausschuß dauernd mit den Herren vom Wirtschaftsausschuß in Verbindung setzt, um von deren Handeln unterrichtet zu sein. Ich möchte Sie bitten, daß wir uns jetzt über die Zusammensetzung des Ausschusses schlüssig machen und die Herren wählen.

Vorsitzender Oberbürgermeister Dr. Jarres:

Es sind 2 Vorschläge da. Der Vorschlag des Herrn Geheimrat Hagen geht dahin, den bestehenden Verhandlungsausschuß des Wirtschaftsausschusses um einige den politischen Parteien angehörende Persönlichkeiten zu vermehren. Mein Vorschlag geht dahin, zur Behandlung der Frage, die uns heute zusammengeführt hat, einen Vertrauensausschuß der politischen Parteien zu benennen.

Ich lasse darüber abstimmen und bitte diejenigen, die für den Vorschlag des Herrn Geheimrat Hagen sind, sich zu erheben. – Das ist die Minderheit.

Dann ist der Vorschlag gemacht worden, den Ausschuß aus 15 Persönlichkeiten[831] aus allen Bezirken des besetzten Gebietes und der verschiedenen Parteien bestehen zu lassen. Es würden in Frage kommen die Deutschnationale Partei, die Volkspartei, die Demokratische Partei, das Zentrum und die Vereinigte Sozialdemokratie, also im ganzen 5 Parteien. Es ist notwendig, daß jede Partei aus jedem Bezirk berücksichtigt wird. Ich möchte es für möglich halten, daß die Parteileitungen in der Lage sind, für den ganzen Süden z. B. je einen zu benennen.

(Zuruf: Es muß möglich sein, daß die Arbeitsgemeinschaft der Rheinprovinz und Westfalens sich auf einen einigt.)

Sie wissen, wie brüderlich wir vereinigt sind. Das hindert aber nicht, daß die verschiedenen Schattierungen in diesen Fraktionen doch auch ihre bestimmten Exponenten stellen.

Dr. Krücke:

Für die 3 südlichen Gebiete Pfalz. Hessen und Nassau müssen Sie für jedes Gebiet einen nehmen. Denn der aus Hessen weiß nichts über Nassau und umgekehrt.

Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres:

Wir werden für den Süden die Vorschläge den Parteien überlassen.

Generaldirektor Silverberg:

Nachdem der Vorschlag des Herrn Geheimrat Hagen zu meinem lebhaften Bedauern abgelehnt ist, nehme ich meinen Vorschlag wieder auf und schlage vor, einen Ausschuß von höchstens 7 Personen durch die Reichsregierung zu bestimmen. Es ist dabei vorausgesetzt, daß die Tatsache, daß die Reichsregierung diesen Ausschuß bestimmt, geheim bleibt und daß diese Personen dadurch in die Lage versetzt sind, mit der Gegenseite in Verhandlungen zu treten im Einvernehmen und nach Informationen der Reichsregierung.

Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres:

Sie möchten also einen Verhandlungsausschuß haben, der mit dem Feinde verhandeln soll. Ich bitte diejenigen, die für den Vorschlag des Herrn Generaldirektor Silverberg sind, sich zu erheben.

– Der Antrag hat nicht die Mehrheit gefunden.

Ich schlage nun vor, daß wir den Parteien des Südens überlassen, 5 Mitglieder für Hessen, Nassau und die Pfalz zu bestellen. Können die Herren sonst hier Vorschläge machen?

Reichskanzler Dr. Stresemann:

Ich habe hier vorhin Äußerungen gehört, die davon sprachen, daß in den nächsten Tagen unter Umständen wichtige Entschlüsse gefaßt werden müssen und wichtige Verhandlungen zu führen seien. Mit scheint es doch ganz unmöglich – verzeihen Sie, wenn ich als Außenstehender das sage – daß Sie hier auseinander gehen und erst auf Benennung von Vertretern warten. Ich meine, soviel Verantwortlichkeitsgefühl müssen die einzelnen Vertreter haben zu sagen: Wir waren in Hagen und haben die Vertreter bestimmt. Wenn die Sache erst wieder an Unterorganisationen geht, was soll dann daraus werden. Nachdem Sie beschlossen haben, den Ausschuß zu wählen, muß er heute konstituiert werden.

[832] Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres:

Das wird für den Süden nicht gehen, weil der Süden nicht vertreten ist. Ich habe vorgeschlagen, für den Süden sollen die Parteien ihre Vorschläge machen. Dagegen ist es selbstverständlich, daß wir für die Rheinprovinz und Westfalen jetzt hier die Wahlen vornehmen. Das hat immer in meiner Absicht gelegen.

Herr Adenauer hat den Vorschlag gemacht, uns deshalb zu vertagen. Wird der Vorschlag aufrechterhalten? (Wird bejaht.)

(Viertelstündige Pause.)

Vorsitzender Oberbürgermeister Jarres:

Es werden vorgeschlagen von Westfalen die Herren Klupsch, Dortmund, Stadtrat Kaiser, Dortmund, Werksdirektor Battig, Landtagsabgeordneter Rippel, Hagen und Oberregierungsrat Priester, Dortmund.

Für die Rheinprovinz werden vorgeschlagen die Herren Justizrat Falk, Professor Moldenhauer, Dr. Hommelsheim, Dr. Meerfeldt, Justizrat Mönnig.

(Justizrat Mönnig: Kann nicht für jeden der Herren ein Stellvertreter bestimmt werden?)

Jawohl. – Die Tätigkeit dieses Ausschusses können wir ihm überlassen, insbesondere auch die Wahl eines kleinen Mitgliederkreises, der nun dem Wirtschaftsausschuß beitritt.

Herr Generalkommissar Schmid hat ein kleines Kommuniqué vorbereitet. In diesem Kommuniqué ist auch die Wahl dieses Ausschusses enthalten. Ich halte es für richtiger, daß wir in diesem Kommuniqué nichts darüber bringen.

Prälat Dr. Kaas, Trier:

Wäre es nicht gut, das Kommuniqué zu verlesen? Was die Zusammensetzung des Ausschusses angeht, so möchte ich unbedingt davor warnen, in das Kommuniqué eine Mitteilung darüber aufzunehmen. Die Aufgabe des Ausschusses ist nur zum allerkleinsten Teil die Verhandlung mit der Reichsregierung, die wichtigste Aufgabe, die er in den allernächsten 24 bis 48 Stunden schon in Angriff nehmen muß, wird die Verhandlung mit dem Feinde sein. Je weniger die Verbindung dieses Ausschusses mit der heutigen Sitzung nach außen in die Erscheinung tritt, umso besser ist die taktische Lage für die Verhandlungen. Die Verbindung mit der Reichsregierung und der Staatsregierung muß selbstverständlich aufrechterhalten werden, aber diese Kanäle müssen unterirdisch laufen und dürfen nach außen nicht in die Erscheinung treten. Ich warne also dringend davor und bitte auch, dafür zu sorgen, daß nicht in die Presse sonst irgendeine Meldung darüber kommt. Die Geburtsstunde darf nicht in die heutige Sitzung verlegt werden.

Oberbürgermeister Dr. Adenauer:

Ich muß noch einmal eine Sache zur Sprache bringen, die heute schon zweimal besprochen worden ist. Sie haben vorhin gehört, daß Herr Graf Adelmann gesagt hat, daß der Preußische Minister des Innern schon vor einiger Zeit die Instruktion gegeben und wiederholt hätte, daß die Beamten bei separatistischen Putschen, wenn die französischen und belgischen Bajonette sich hinter die Separatisten stellten, ihren Dienst weiterführen sollten. Eben hat der Herr Ministerpräsident Braun und auch der Herr Reichskanzler gesagt, es müsse dabei[833] bleiben. Das halte ich für absolut unmöglich; denn Sie bekommen folgendes Bild: In Trier haben die Putschisten einen Dr. Saaß zum Regierungspräsidenten eingesetzt80. Hinter diesen Mann hat sich jetzt in Trier die Besatzung gestellt. Wenn also jetzt dieser Anordnung Folge geleistet wird, dann haben jetzt die Beamten der Trierer Regierung, die Regierungsräte ihre Verfügungen usw. diesem Manne als Regierungspräsidenten vorzulegen, und sie gehen unter dessen Namen heraus. Ich habe eben mit Herrn Regierungspräsidenten Saßen gesprochen. Ist die Verfügung, die ich dem Wortlaut nach nicht kenne, so aufzufassen? (Generalkommissar Schmid: Nein!) Jedenfalls sind die Herren der Auffassung, daß es so gehandhabt werden müsse. Deshalb halte ich es für dringend nötig, daß das klargestellt wird. Denn wenn es so der Fall sein sollte, dann haben wir den Rheinstaat von Dorten, Smeets und Konsorten.

80

Nach einer telefonischen Mitteilung aus Köln vom 25.10.23, 12.45 Uhr, die sich ohne nähere Herkunftskennzeichnung in R 43 I /1838 , Bl. 439 befindet, hatte ein Rechtsanwalt Schneider sich zum RegPräs. in Trier ernannt, dessen Anerkennung durch die Beamten von den Franzosen bis 12 Uhr verlangt worden war.

Generalkommissar Schmid:

Ich darf das vielleicht gleich richtig stellen, weil mir die Anordnungen ganz genau im Gedächtnis sind. Denn sie sind von mir mit dem Ministerialdirektor Löhrs im preußischen Innenministerium gemeinschaftlich verfaßt. Es besteht hier ein Mißverständnis. Die Anordnung lautet dem Sinne nach folgendermaßen Die Usurpatoren sind zunächst möglichst mit Gewalt zu vertreiben, wie das überall geschehen ist. Wenn sich aber die Bajonette der Besatzung hinter die Usurpatoren stellen, dann hat das selbstverständlich nicht zu geschehen; denn man kann natürlich nicht verlangen, daß unsere Polizeibeamten mit dem Säbel oder Gummiknüppel in Maschinengewehre oder Bajonette hineinlaufen. Im übrigen haben wir, und zwar mit voller Absicht, mit Zustimmung schon des früheren und des jetzigen Reichskabinetts niemals die Parole ausgegeben – und nach der Richtung besteht ein Mißverständnis –, daß etwa sofort ein Behördenstreik einsetzen soll, sondern wir haben gesagt, die Tätigkeit der Beamten ist auch in diesem Falle fortzusetzen unter Ignorierung der Usurpatoren, solange das möglich ist. Wenn aber die Beamten gezwungen werden, Weisungen des Usurpators entgegenzunehmen, oder ihm die Schriftstücke zur Unterschrift vorzulegen und sie sich dem nicht entziehen können, erst dann soll der Dienst eingestellt werden. Unter keinen Umständen darf natürlich irgendeine Zusammenarbeit mit diesen Leuten eintreten.

(Oberbürgermeister Dr. Adenauer: Die Herren sagen genau das Gegenteil!)

Regierungspräsident Dr. Sassen, Trier:

Ich bin, glaube ich, in Übereinstimmung mit meinen Kollegen anderer Auffassung über die Weisung der Reichsregierung und der preußischen Regierung gewesen. Die Weisung hieß bis heute so: Wenn separatistische Elemente sich betätigen, sind sie mit allen Mitteln zu bekämpfen. Auch dann, wenn sie sich schon der Macht bemächtigt haben, ist mit Gewalt zu versuchen, sie herauszuwerfen.[834] Wenn aber die Bajonette der Franzosen sich dahinterstellen, dann ist natürlich diese Bekämpfung zwecklos und aussichtslos.

(Generalkommissar Schmid: Die Brachialbekämpfung!)

Jawohl. Dann war nach unserer Auffassung die Parole so, daß die Beamten dann im Amte zu bleiben haben.

(Generalkommissar Schmid: Solange wie möglich!)

Dieses im Amtbleiben kann aber, wenn an der Spitze dieses Amtes ein von dieser Gewalt, also von den Franzosen, geschützter Mann steht, letzten Endes doch nur bedeuten, daß sie, wenn auch widerwillig gezwungen und innerlich den Mann möglichst bekämpfend, äußerlich aber mit ihm zusammenarbeiten müssen.

Die Situation ist in Trier im Augenblick so – ich habe gerade gesprochen –: Der Bezirksdelegierte Oberst Cochin hat erklärt, er würde jeden Versuch, in Trier die öffentliche Ruhe und Ordnung zu stören, rücksichtslos mit der ihm zur Verfügung stehenden Gewalt bekämpfen und niederhalten. Er würde jeden Versuch, die dort bestehende Regierung der Separatisten zu stürzen, mit allen ihm zur Verfügung stehenden militärischen Mitteln rücksichtslos bekämpfen. Er verlange sofortige Aufnahme der Arbeit durch sämtliche deutsche Beamten, also auch unter diesen Leuten, die dort von den Franzosen anerkannt werden.

Wollen wir nun die Sache, wie sie Herr Generalkommissar Schmid eben darstellt, so aufziehen, daß die Beamten, wenn die Besatzung hinter den Separatismus tritt, im Amte zu bleiben haben, dann kann in diesem Augenblick das im Amt bleiben nur heißen, daß sie äußerlich mit den Separatisten zusammenarbeiten. Wollen wir das nicht, dann müssen wir die Weisung wesentlich anders fassen.

Nun wird mir von meinen Herren in Trier mitgeteilt, daß, wenn wir die Weisung anders fassen, wo die Besatzung die neue Regierung anerkannt hat und von allen Beamten unter Androhung von Gefängnisstrafen die Mitarbeit mit diesen Leuten verlangt, dann damit zu rechnen sei, daß ein großer Teil der Beamten, der mittleren Beamten, dieser Parole von hier aus nicht mehr Folgen leisten wird. Es ist dann damit zu rechnen, daß die besten Elemente der Beamtenschaft, die noch ohne zu fragen und ohne Rücksicht auf ihre eigene Person sich auch heute noch einsetzen, und heute noch unseren Befehlen von hier aus Folge leisten, damit aus ihrem Amte herausfliegen, daß aber diejenigen Elemente, die das nicht tun, sich als diensteifrige Förderer der separatistischen Bestrebungen im Amte halten werden, während die Herren der Auffassung sind, daß, wenn sie im Amte bleiben, sie vielmehr im Sinne des Deutschtums handeln und die Pläne der Separatisten durchkreuzen können, als wenn sie ausscheiden. Ob das eine oder andere im Interesse der großen Politik richtig ist, ist nicht meine Aufgabe zu entscheiden, sondern die der Reichs- und Staatsregierung, deren Weisung ich auszuführen habe.

Generalkommissar Schmid:

Ich wollte bloß feststellen, daß der Fall, wie ihn eben Herr Regierungspräsident Sassen geschildert hat, wo ein ausdrücklicher Befehl der Besatzungsbehörde[835] vorliegt, unter den betreffenden Usurpatoren zu arbeiten, allerdings in diesen Richtlinien nicht vorausgesetzt war. Insofern liegt hier ein neuer Tatbestand vor. Die Frage ist so wichtig, daß sie in diesem großen Kreise nicht erörtert werden kann. Wie ich höre, finden gerade im Nebenzimmer zwischen dem Herrn Reichsminister Fuchs und den Herren Regierungspräsidenten über diesen neuen Tatbestand Verhandlungen statt. Ich würde empfehlen, daß die Verhandlungen dort fortgesetzt werden.

Regierungspräsident Saßen, Trier:

Ich glaube, wir sind alle der Auffassung, daß die bisherigen Richtlinien auch in diesem Falle Anwendung finden müssen. Ich habe, nachdem der Herr Ministerpräsident gesprochen hatte, sofort die Weisung des Herrn Ministerpräsidenten nach Trier weitergegeben. Diese Weisung wird selbstverständlich im Augenblick in Trier unter der Beamtenschaft ausgegeben. Eine Änderung würde eine bedenkliche Verwirrung hervorrufen.

Ministerpräsident Braun:

Es ist klar, daß es unmöglich ist, jetzt hier von der einen oder anderen Seite eine klare Weisung hinauszugeben. Was wir für Trier vielleicht im gegebenen Falle sagen können, kann in einer anderen Stadt, wo der Fall anders gelagert ist, nicht zutreffend sein. Es ist notwendig, daß sich morgen die Reichsbehörden und die preußische Staatsregierung sofort zusammensetzen und darüber klar werden, wie weit die bisher gegebenen Richtlinien abzuändern sind. Weiter ist notwendig, daß von hier aus schon die Weisung ergeht, daß die Beamten möglichst sehen sollen, sich im Amte zu halten. Wenn das hier und da zu Mißdeutungen bei der Bevölkerung Anlaß gibt, so – da spreche ich meine persönliche Auffassung aus – ist es im Interesse des Deutschtums zweifellos sehr viel besser, wenn sich die zuverlässigen Beamten länger im Amte halten und nicht etwa das Feld den Subjekten räumen, die sich den anderen an den Hals werfen.

Minister Fuchs:

Die Sache war bis gestern so, daß die Separatisten versucht hatten, überall einzudringen, daß die deutsche Bevölkerung sich aber Mühe gegeben hat, sie wieder hinauszuwerfen. Unter diesen Umständen war es natürlich gänzlich unmöglich, den Beamten zu sagen, sie sollten unter den Separatisten weiterarbeiten, während ein großer Teil des übrigen Volkes mit seinem Leben versucht hat, sie hinauszuwerfen. Es ist tatsächlich eine neue Sachlage gegeben, wenn sich die Besatzungsmächte auf den Standpunkt stellen, die Separatisten anzuerkennen und sie mit allen Waffenkräften zu halten. Ich glaube, gegenüber dieser neuen Sachlage bleibt nichts anderes übrig, als diesen Fall noch einmal in aller Ruhe zu erwägen und weitere Anweisungen zu geben. Ich sehe nicht, wie man da herauskommen soll. Wenn wir heute der eine so, der andere anders, Richtlinien herausgeben, dann gibt es einen Wirrwarr sondergleichen, der nicht zu ertragen ist.

Vorsitzender Oberbürgermeister Dr. Jarres:

Es wird sehr schwer sein, Richtlinien zu geben. Es muß an Ort und Stelle entschieden werden, was das richtige ist. Ich würde zum Beispiel für Duisburg[836] sagen, es würde wirksam sein, im Augenblick dort nicht zu arbeiten. Das ist von Fall zu Fall zu entscheiden.

Wir sind damit am Ende unserer Erörterungen angelangt. Ich darf die Parteien bitten, die südlichen Parteien zu veranlassen, ihre 5 Mitglieder alsbald zu benennen. Wird das von den einzelnen Parteien übernommen? – Das ist der Fall.

Ich darf das eine feststellen, daß wir in der großen Frage, die uns hierher geführt hat, nicht die Klärung gewonnen haben, die die Zeit vielleicht erfordert81. (Zuruf: Leider!) Aber wir haben doch das eine klargestellt, daß im Augenblicke die Parteien nach den Erklärungen der Reichsregierung eine Notwendigkeit nicht sehen, diesen Gedanken weiter zu verfolgen. Es wird hauptsächlich die Entwicklung der Außenpolitik sein, die uns hier die Wege weist. Der Ausschuß, der ernannt ist, soll die Dinge weiter beobachten und das Vertrauen der Parteien untereinander behalten und eine gleichmäßige Behandlung dieser Sachen in allen Teilen des besetzten Gebietes gewährleisten. Ich hoffe, daß der Ausschuß diese Aufgaben erfüllt und, wenn notwendig sein wird, auch wieder mit diesem größeren Kreise in Verbindung tritt82.

81

S. dazu auch Dok. Nr. 210.

82

Dazu berichtet Falk, der bisherige Fünferausschuß sei im neuen Ausschuß der eigentliche Träger der Arbeit geblieben. „Der Ausschuß selbst hat dann folgende Richtlinien für die Abordnung aufgestellt, der er den peinlichen Auftrag erteilte, in seinem Namen mit Tirard zu verhandeln. ‚Richtlinien für die Abordnung. 1. In der Überzeugung, daß die angeknüpften Fäden nicht abgerissen werden dürfen, beschließt der 15er Ausschuß eine Abordnung zu Herrn Tirard zu schicken. 2. Aufgabe dieser Abordnung ist es nicht, die Gründung eines neuen Staatswesens, auch nicht innerhalb des deutschen Reiches anzutreten. Ihr Ziel ist vielmehr, Verhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und den Interalliierten nicht über die von Frankreich verlangten Sicherheiten, also nicht nur über das Geschick der Rheinländer, sondern um alle sich aus dem Versaillesvertrag ergebenen Fragen auf einer internationalen Konferenz herbeizuführen. 3. Da aber mit Bestimmtheit anzunehmen ist, daß Herr Tirard gerade die staatliche Umgestaltung des besetzten Gebietes in den Vordergrund der Erörterung rücken wird, so wird die Abordnung zu einem doppelt verpflichtet: a) sie soll festzustellen versuchen, welche Absichten die französische Regierung im einzelnen hat; b) sie soll mit allen Kräften versuchen darzutun, daß die Gründung eines neuen Bundesstaates weder im Interesse Deutschlands noch Frankreichs liegt. – Die von Frankreich verlangten weiteren Sicherheiten im besetzten Gebiet können durch eine dauernde oder zeitliche beschränkte Provinzial-Autonomie oder durch Kontrollrechte oder durch eine Verbindung beider begründet werden. Besteht Herr Tirard auf der Schaffung eines neuen Bundesstaates, so ist zu erklären, daß die Abordnungen keine Legitimation zu Vereinbarungen besitzt. Es ist auf Verhandlungen mit der Reichsregierung zu drängen, da eine Neugliederung nur auf verfassungsmäßigem Wege möglich ist. Die Erklärungen des Herrn Tirard sind in allen Fällen zur Berichterstattung entgegenzunehmen. Die Berichterstattung an den 15er Ausschuß hat so schnell wie möglich zu erfolgen, der sich vorbehält, weitere Weisungen zu geben‘“ (BA: NL Falk , Bl. 166–167).

Wenn das Wort nicht weiter gewünscht wird, dann schließe ich die Versammlung.

Die Mitteilung an die Presse soll von einem kleinen Kreis von Herren, die sich dafür interessieren, durchgesehen werden. Andere Presseberichte dürfen auf keinen Fall gebracht werden83.

83

Es dürfte sich hierbei um die WTB-Meldung handeln, die u. a. in der DAZ, Nr. 497 vom 26.10.23, abgedruckt ist. Neben einem kurzen Überblick über die Thematik der Verhandlungen wird auch die Bildung des 15er Ausschusses mitgeteilt.

Schluß der Sitzung 5¾ Uhr.

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