1.18 (vpa2p): Nr. 147 Der Präsident des Preußischen Landtags Kerrl an den Reichspräsidenten. 19. September 1932

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Nr. 147
Der Präsident des Preußischen Landtags Kerrl an den Reichspräsidenten. 19. September 19321

1

Wesentliche Gedankengänge dieses Schreibens trug Kerrl zu Beginn seines am 19. 9. stattfindenden Empfangs beim RPräs. (Dok. Nr. 148) vor.

R 43 I /2281 , S. 21–29 Abschrift

[Stellung der kommissarischen Preußischen Staatsregierung zum Preußischen Landtag, Bildung einer verfassungsmäßigen Regierung in Preußen, Beseitigung des Dualismus Reich–Preußen]

Hochzuverehrender Herr Reichspräsident, Ew. Exzellenz!

Die durch Einsetzung eines Reichskommissars für den Preußischen Landtag entstandene Lage zwingt mich als dessen Präsident Ew. Exzellenz das Nachfolgende vorzutragen:

Der Reichskommissar Dr. Bracht hat mir in mündlicher Unterredung von der Auffassung der kommissarischen Preußischen Regierung Kenntnis gegeben, daß sie sich nur Ew. Exzellenz, nicht dem Preußischen Landtage verantwortlich fühle, daß sie dessen Beschlüsse wohl durchzuführen befugt, nicht aber verpflichtet sei2. Gegen diese Auffassung, die sich nach meiner Ansicht – und mit ihr stimmt die überwältigende Mehrheit des Landtages überein – mit der Preußischen Verfassung nicht vereinigen läßt, habe ich, sowohl in einem Briefe an den Herrn Reichskanzler von Papen3 wie in der Sitzung des Landtages vom 30. August 1932, schärfstens Protest erhoben4.

2

Vgl. Anm 2 zu Dok. Nr. 114.

3

Schreiben vom 26. 8. (Dok. Nr. 114).

4

Kerrl am 30. 8. im PrLT u. a.: Er müsse „Verwahrung einlegen“ gegen die „Auffassung der kommissarischen Regierung, daß sie weder dem Landtage verantwortlich sei, noch auf sein Verlangen hin zu erscheinen habe, noch verpflichtet sei, die Beschlüsse des Landtags durchzuführen. Die mir zugegangene Antwort des Herrn Reichskanzlers [Schreiben Papens an Kerrl vom 27. 8., Dok. Nr. 118] vermochte um so weniger meine staatsrechtlichen Bedenken zu beseitigen, als Herr Reichskanzler von Papen letzten Sonntag [d. h. bei seiner Rede im Münster am 28. 8., vgl. Anm 16 zu Dok. Nr. 117] Gelegenheit genommen hat, noch einmal zu betonen, daß er die Absicht habe, in Preußen, ohne den Landtag heranzuziehen, eine Verwaltungsreform durchzuführen. Nach meiner Auffassung hat sich die preußische kommissarische Regierung auf die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung zu beschränken, und hat nicht das Recht, den Landtag in Fragen völlig auszuschalten, in denen die Interessen des Volkes auf das schwerste berührt werden.“ (PrLT-Bd. 762, S. 1369).

[601] Es ist auch für mich selbstverständlich, daß, wenn Ew. Exzellenz die Einsetzung eines Reichskommissars zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung in Preußen für erforderlich hielten, dieser Reichskommissar die auf die Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung bezüglichen Anordnungen in alleiniger Verantwortung Ew. Exzellenz gegenüber zu vollziehen hat. Bei allen übrigen Maßnahmen aber, die sich nicht auf die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung beziehen, muß jedoch nach meiner Auffassung der Reichskommissar die durch die Verfassung gewährleisteten Rechte des Landtages, die doch Rechte des Volkes selbst sind, beachten und achten. Alle gesetzgebenden Maßnahmen sind durch die Verfassung der Legislative des Landtages vorbehalten. Trotzdem hat die kommissarische Preußische Regierung bereits jetzt unter völliger Ausschaltung des Landtages das Interesse des Volkes sehr einschneidend berührende Maßnahmen bereits durchgeführt5 und soll die Durchführung weiterer Maßnahmen in gleicher Weise beabsichtigen.

5

Gemeint sind offenbar die VOen „zur Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung“ und „über die Aufteilung der Bezirke der aufgehobenen Amtsgerichte“ vom 3. bezw. 13.9.32 (Pr. Gesetzsammlung, S. 283 und 301).

Der jetzige Landtag vertritt zweifellos die wirkliche Willensmeinung des preußischen Volkes, nicht nur, weil er erst am 24. April 1932 gewählt ist, sondern weil er durch die Reichstagswahlen vom 31. Juli gewissermaßen noch einmal die Bestätigung der Rechtsmäßigkeit seiner Zusammensetzung erhalten hat. Als verfassungsmäßig gewählter Präsident dieses Landtages halte ich mich zur Wahrung der Rechte des preußischen Volkes für verpflichtet, auch Ew. Exzellenz gegenüber meinen Protest gegen das von der kommissarischen Preußischen Regierung bisher geübte Verfahren zum Ausdruck zu bringen.

Meine Bemühungen, durch die Bildung einer verfassungsmäßigen Regierung zur Beruhigung des preußischen Volkes beizutragen, scheiterten vor der Einsetzung des Reichskommissars in der Hauptsache daran, daß auf Betreiben der früheren Regierung der alte Landtag die Geschäftsordnung dahin geändert hatte, daß zur Wahl des Ministerpräsidenten eine absolute Mehrheit erforderlich sei. Durch diese Bestimmung wurde die Wahl des Ministerpräsidenten an eine bestimmte Bedingung, nämlich das Vorhandensein einer absoluten Mehrheit, geknüpft, während der Art. 45 der Preußischen Verfassung bedingungslos anordnet, daß der Landtag ohne Aussprache den Ministerpräsidenten zu wählen hat. Es handelt sich also um eine die Verfassung ändernde Bestimmung, die mit ⅔ Mehrheit hätte angenommen werden müssen, was weder im alten, noch im neuen Landtag geschehen ist6. Da aber keine Mehrheit zur Wiederherstellung der alten Geschäftsordnung im Landtag vorhanden war, hatte ich schon mit Schreiben vom 19. Juli7 den Herrn Reichskanzler gebeten, Ew. Exzellenz den Erlaß einer Notverordnung vorzuschlagen, durch welche diese verfassungswidrige Bestimmung[602] außer Kraft gesetzt würde. Dadurch wäre nach meiner Auffassung die sofortige Bildung einer verfassungsmäßigen Regierung, und damit auch die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung in Preußen gesichert gewesen.

6

Zu dieser verfassungsrechtlichen Streitfrage s. Anm 5 zu Dok. Nr. 54.

7

Richtig: 18. Juli. Zu dem Schreiben s. Dok. Nr. 64.

Nach Einsetzung des Reichskommissars werden meine Bemühungen um die Bildung einer verfassungsmäßigen Regierung in Preußen insbesondere dadurch erschwert, daß über die Absichten der Reichsregierung hinsichtlich Preußens zu wenig Klarheit herrscht. Nach den Zeitungsmeldungen muß angenommen werden, daß die Reichsregierung und auch Ew. Exzellenz besonderes Gewicht darauf legen, eine Reichsreform durchzuführen, durche welche der Dualismus beseitigt und eine Personalunion Preußen–Reich durchgeführt wird8. Eine verfassungsändernde Mehrheit, die an sich dafür erforderlich ist, wäre für eine solche Reform im Landtage wohl kaum zu finden, wohl aber könnte sich für sie im Einverständnis mit der Mehrheit der Vertretung des preußischen Volkes, dem Landtage, ein gangbarer Weg dadurch ergeben, daß ein vom Preußischen Landtage gewählter Ministerpräsident zum Reichskanzler ernannt wird.

8

Zu den diesbez. Erwägungen im Reichskabinett und über die von der pr. Kommissariatsregierung bereits in Angriff genommenen Teilmaßnahmen vgl. Dok. Nr. 120; 122, P. 4; 160.

Der Preußische Landtag hat in seiner Sitzung vom 30. August eine Entschließung mit den Stimmen sämtlicher großer Fraktionen gegen die 31 Stimmen der kleinen Deutschnationalen Fraktion angenommen, wonach dem Reichskommissar von Papen die Mißbilligung des Landtages ausgesprochen wird9. Somit, und auch aus den übrigen gegen die preußische kommissarische Regierung gerichteten Beschlüssen des Landtages ergibt sich, daß der jetzige Reichskanzler von Papen keine Aussicht hätte, zum Ministerpräsidenten in Preußen gewählt zu werden. Es wäre auch verfehlt, in Erwägung zu ziehen, etwa durch eine Neuwahl in Preußen ein so grundlegend veränderndes Verhältnis in der Zusammensetzung des Landtages zu erzielen, wie es notwendig wäre, um Herrn v. Papen zum Ministerpräsidenten zu wählen.

9

Die auf Antrag der NS-Fraktion vom 30. 8. (PrLT-Drucks. Nr. 761, Bd. 764) angenommene Entschließung lautete: Der RKom. v. Papen hat durch seinen Beauftragten [Bracht], entgegen dem Willen des Volkes, eine antisoziale, reaktionäre Wirtschafts-, Personal- und Kulturpolitik getrieben. – Seine ‚Verwaltungsreform‘ zerstört das landschaftliche Eigenleben und verstärkt die Berliner Bürokratie. – Er stellt deutsche Arbeiter, die ihr Leben für den deutschen Befreiungskampf einsetzen, mit Landesverrätern und polnischen Insurgenten auf eine Stufe. – Der Landtag spricht dem Reichskommissar von Papen seine Mißbilligung aus.“ (PrLT. Bd. 762, S. 1454).

So notwendig für die Beruhigung des preußischen Volkes die möglichst baldige Bildung einer verfassungsmäßigen Regierung auch ist, hat man sich zur Ministerpräsidentenwahl doch noch nicht entschließen können, weil die auf eine Personalunion Preußen–Reich gerichteten Absichten Ew. Exzellenz nicht durchkreuzt werden sollten. Nach der Auflösung des Reichstages sehe ich allerdings zur Verwirklichung einer solchen Absicht keinen Weg mehr und halte micht deshalb für verpflichtet, Ew. Exzellenz über die so entstandene Lage in der geschehenen Weise Bericht zu erstatten.

In ausgezeichneter Hochachtung

Ew. Exzellenz sehr ergebener

gez. Kerrl

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