2.27 (bau1p): Nr. 26 Besprechung zwischen Reichs- und Ländervertretern über die großhessische Frage. Weimar, 14. Juli 1919

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Nr. 26
Besprechung zwischen Reichs- und Ländervertretern über die großhessische Frage. Weimar, 14. Juli 1919

PA, Deutschland Nr. 182, Bd. 41

1

In den Akten des PA befinden sich über diese Besprechung zwei Protokolle von unterschiedlicher Länge und Ausführlichkeit. Zum Abdruck gelangt das umfassendere Dokument; auf nennenswerte inhaltliche Unterschiede gegenüber der kürzeren Parallelüberlieferung wird in den Anmerkungen hingewiesen. Die Namen der Protokollführer konnten nicht ermittelt werden. Ein nicht näher bekanntes Protokoll der Besprechung war auch zu den Akten der Rkei genommen, ihnen einer Aktennotiz zufolge jedoch später wieder entnommen worden (R 43 I /2271 , Bl. 39).

Anwesend: Bauer, Müller, David; UStS Albert, ORegR Frhr. v. Welser, LegR v. Prittwitz; für Preußen: Hirsch, Heine, Fischbeck; für Bayern: Hoffmann, v. Preger; für Baden: Geiss, Dietrich, Wirth, Rückert, Schafflmeier, Nieser; für Hessen: Ulrich, v. Brentano, Henrich, Stimmel, Adelung; für Oldenburg: Scheer.

Nach Eröffnung der Sitzung durch den Präsidenten des Reichsministeriums berichtete der Hessische Ministerpräsident Ulrich über die Besprechung, die er am 28. Juni 1919 mit dem französischen General Mangin in Mainz in Anwesenheit verschiedener Mitglieder der Hessischen Regierung gehabt hatte2. Im Laufe des Gesprächs habe der General ihn gefragt, was er von Herrn Dorten in Wiesbaden hielte, und nachdem er versichert habe, daß er mit Dorten niemals in Beziehungen treten würde, seien sie auf die Frage einer anderweitigen Gruppierung der Gebietsteile rechts und links des Rheins zu sprechen[121] gekommen. Der Gedanke der Bildung einer Groß-Hessischen Republik aus dem jetzigen Freistaat Hessen, der preußischen Provinz Hessen-Nassau, dem oldenburgischen Landesteil Birkenfeld und der Bayerischen Pfalz sei aufgetaucht, nachdem man erkannt habe, daß Hessen als selbständiges Land nicht fortbestehen könne, wenn Rheinhessen von jedem Zusammenhang mit dem rechtsrheinischen Gebiet abgeschlossen bleiben und es den Franzosen gelingen würde, die linksrheinischen Gebiete zur Absplitterung von den rechtsrheinischen zu bestimmen. Da ein Drittel des Hessischen Landes aber von den Franzosen besetzt ist und damit der hessischen Landesverwaltung 40 Prozent des ganzen Steuersolls entgeht, so bleibt der rechtsrheinische Staatsteil nicht lebensfähig.

2

Vgl. Dok. Nr. 9.

Redner verwahrt sich gegen den Vorwurf, als habe er mit General Mangin über die Abtrennung von Gebietsteilen von nichthessischen deutschen Ländern verhandelt; man sei vielmehr nur im Laufe des Gesprächs auf die Frage einer Vergrößerung des Hessischen Staates gekommen. Am 30. Juni habe er über die Besprechung einen Bericht an den Reichspräsidenten gesandt, auf die Gefahr der Bildung eines rheinisch-westfälischen Pufferstaates links des Rheins hingewiesen und deswegen die Notwendigkeit einer anderen Gestaltung der rheinischen Gebiete betont. Der Gründung einer rheinischen Republik, die jedenfalls unter französischen Einfluß geriete, müsse unter allen Umständen vorgebeugt werden. Der gleiche Gedanke sei auch wiederholt aus der Pfalz und aus Birkenfeld laut geworden3.

3

Vgl. Dok. Nr. 46, P. 2.

Redner legt Verwahrung ein gegen ein Schreiben der Preußischen Regierung vom 9. Juli, in dem sie gegen etwaige Verhandlungen der Hessischen Regierung über die Abtretung preußischer Landesteile protestiert4.

4

In den genannten Schreiben hatte das PrStMin. gegen Verhandlungen hinter seinem Rücken mit einem feindlichen Gen. über evtl. Abtretungen pr. Staatsgebiets protestiert (Abschrift an die Rkei; R 43 I /2271 , Bl. 38). Der PrMinPräs. forderte in seinem Begleitschreiben an die RReg. vom 9. 7. eine sofortige Klarstellung über die Haltung der RReg. „in einer solchen Lebensfrage des Reiches und Preußens“. Das PrStMin. sei der Ansicht, „daß diese Pläne, wenn sie von reichswegen unterstützt werden sollten, zu so schweren innerpolitischen Kämpfen führen würden, daß sie zum Ruin nicht nur Preußens, sondern auch des Reiches selbst führen müßten, weil die für Jahrzehnte von außenpolitischen Schwierigkeiten ernstester Art bedrängte Deutsche Republik eine solche Belastungsprobe einfach nicht ertragen würde“ (R 43 I /2271 , Bl. 37). – Siehe auch unten Anm. 11.

Die französische Besatzung habe nunmehr zugesichert, daß sie allen politischen Parteien und Besprebungen freie Bestäigung gewähren werde und habe tatsächlich in letzter Zeit auch einige sozialdemokratische Versammlungen zugelassen.

Ministerpräsident Bauer versichert, daß gegen die Loyalität der Hessischen Regierung kein Vorwurf zu erheben ist und klärt auf, infolge welcher Umstände eine frühzeitige Benachrichtigung der Preußischen Regierung über jene Besprechung in Mainz nicht erfolgt sei5.

5

In der Parallelüberlieferung (vgl. Anm. 1) heißt es dazu, die RReg. habe von einer schriftlichen Behandlung der Angelegenheit abgesehen und versucht, baldmöglichst eine mündliche Besprechung herbeizuführen. Diese habe wegen anderweitiger Dispositionen Ulrichs erst jetzt stattfinden können.

[122] Auf Anfrage des Ministerpräsidenten Hoffmann verliest Oberamtmann Stimmel eine Mitteilung des Generals Mangin. Hiernach habe er von Clemenceau ein Telegramm erhalten, daß die französischen Besatzungsbehörden Bestrebungen zur Umgestaltung der deutschen Länder infolge ihrer Neutralität nicht fördern können und sich solchen Bestrebungen gegenüber unparteiisch verhielten6.

6

Es handelt sich wahrscheinlich um folgendes Telegramm, das Mangin nach dem Gespräch mit Ulrich erhalten hatte: „Je me félicite des démarches faites auprès de vous par chefs de la nouvelle république hessoise. Vous ne devez rien faire pour y mettre obstacle mais vous ne devez ni intervenir ni vous donner apparence d’une intervention dans cette affaire. En tout cas nous avons traité à Versailles avec l’Empire allemand en bloc et ce n’est qu’après ratification du traité que nous pourrions reconnaître éventuellement nouveaux états. Clemenceau“ (Hschr. Übertragung eines Chiffretelegramms im Nachl. Mangin ; zit. nach: Erwin Bischof: Rheinischer Separatismus. 1918–1924. S. 101).

Minister Heine begründet den Einspruch der Preußischen Staatsregierung gegen die Besprechung mit Mangin, da mit einem französischen General über die Umgestaltung deutscher Länder überhaupt nicht verhandelt werden könne, da ferner der Eindruck erweckt werden könnte, als sei die Bildung eines Rheinstaates mit Hilfe von Frankreich beabsichtigt, und weil zur Erörterung einer solchen Frage nicht Hessen allein, sondern das Reich berufen wäre. Die Bildung einer Groß-Hessischen Republik sei nur unter Einbeziehung preußischer Gebietsteile denkbar; infolgedessen hätte zunächst Preußen von dem Plan unterrichtet werden müssen. Überdies habe gerade in jenen Tagen verlautet, daß Hessen an dem Kompromiß über Artikel 18 des Verfassungsentwurfs nicht festhalten wolle7. Der Hessische Gesandte [von Biegeleben] habe zugegeben, daß die Durchführung des groß-hessischen Gedankens mit jenem Kompromiß nicht werde vereinbar sein; auch die Reichsregierung habe die Preußische Regierung über die Vorgänge in Hessen nicht unterrichtet.

7

In der Parallelüberlieferung (vgl. Anm. 1) heißt es mit Bezug auf den die Möglichkeiten einer territorialen Neugliederung des Reichsgebiets regelnden Art. 18 RV, „daß das Vorgehen Hessens deswegen besonders tadelnswert erscheine, als es mit Preußen zusammen im Staatenausschuß gegen die Vornahme von Neugruppierungen ohne Zustimmung der beteiligten Länder aufgetreten sei. Auch als es sich darum gehandelt habe, den bisher geschlossenen Kompromiß umzustoßen, habe Hessen mit Preußen für die Beibehaltung des Kompromisses gestimmt, und gerade während dieser Zeit habe Hessen mit den Feinden verhandelt. Auf diese Weise sei ein Arbeiten unmöglich“.

Preußen hat sich gegenüber den verschiedenen Wünschen auf Abtretung von Landesteilen an andere Länder durchaus nicht ablehnend verhalten. So besonders in der Groß-Thüringer Frage. Es muß hierbei aber auch gewisse Bedingungen stellen für die Anpassung der Verwaltung der neuen Staatsgebilde an die preußische, z. B. bezüglich gemeinsamer Oberverwaltungsgerichte, gemeinsamer Besetzung höherer Verwaltungsstellen, des Austausches der höheren Beamten, dann auf wirtschaftlichem Gebiete. Hierdurch wolle Preußen der späteren Reichseinheit vorarbeiten. Er schlage vor, die Neubildung selbständiger Staaten zunächst zurückzustellen. Preußen werde den Sonderwünschen einzelner Gebietsteile durch Stärkung der provinziellen Selbstverwaltung entgegenkommen8. Ob das linksrheinische Gebiet nach Beendigung[123] der feindlichen Besatzung zu Deutschland zurückkehren werde, ließe sich heute nicht beurteilen. Jedenfalls aber ließe sich durch Bildung einer rechtsrheinischen Republik der Abfall des linksrheinischen Gebiets nicht verhindern9.

8

Über das pr. Ges. betr. Provinzialautonomie s. Dok. Nr. 12, Anm. 14.

9

In der Parallelüberlieferung (vgl. Anm. 1) folgt ein Einwurf des RMinPräs.: „Die Reichsregierung müsse den Vorwurf des Herrn Minister Heine ablehnen. Reichsminister Müller habe sofort nach Bekanntwerden der Ulrichschen Aktion mit dem preußischen Ministerpräsidenten gesprochen.“

Ministerpräsident Hirsch hält Aufklärung darüber für erforderlich, was in Hessen vorgegangen ist und wie sich die Reichsregierung zu den immer neu hervortretenden Plänen der Zerschlagung Preußens stellt10. In der Preußischen Landesversammlung seien hierüber bereits mehrere Anfragen gestellt worden, welche die Staatsregierung bisher nicht beantworten konnte. Die Preußische Regierung stehe auf dem Standpunkt der unbedingten Forderung der Reichseinheit und habe deshalb jüngst der Abgabe der ganzen Steuerverwaltung an das Reich zugestimmt. Sie sei nötigenfalls auch zu Gebietsabtretungen bereit, müsse aber doch voraussetzen, daß man mit solchem Ansinnen zunächst an sie herantrete.

10

Gegen die Pläne „einer Zertrümmerung Preußens“, die sich „bei einzelnen Mitgliedern des Reichskabinetts einer gewissen Sympathie erfreuen“, hatte der PrMinPräs. bereits in seinem Schreiben an die RReg. protestiert (s. o. Anm. 4). Daß die hier nicht näher belegten Vorwürfe einer Grundlage nicht entbehren, geht aus einem Privatdienstschreiben des pr. Gesandten in Darmstadt, Rieth, an LegR von Prittwitz im AA hervor. Danach habe der HessJM von Brentano den HessMinPräs. zu seinem Schritt in Mainz gedrängt, nachdem RFM Erzberger Brentano mitgeteilt habe, „die Reichsregierung nehme grundsätzlich die Haltung ein, der Errichtung einer Rheinischen Republik keine Schwierigkeiten entgegenzusetzen. Herr von Brentano deutete mir an, Herr Erzberger sei auch seinen Plänen bezüglich einer ‚Mittelrheinischen Republik‘ nicht abgeneigt. Er gab mir zur streng vertraulichen Kenntnisnahme eine Eingabe zu lesen, die er letzthin [datiert 26. 6.] an Herrn Erzberger über den Gegenstand gerichtet hat. Ich habe davon ohne sein Wissen Abschrift genommen und übersende sie Ihnen […].“ (Rieth an von Prittwitz, 3.7.19; PA, Deutschland Nr. 182, Bd. 3). Das Schreiben Brentanos an Erzberger befindet sich ebd.; es ist abgedruckt im Anhang zu Friedrich P. Kahlenberg: Großhessenpläne und Separatismus. In: Geschichtliche Landeskunde. Bd. 5, Teil 2, S. 392 ff.

Reichsminister Müller legt dar, wieweit sein Ressort an dem Schriftverkehr über die Vorgänge in Hessen beteiligt war. Er habe die Besprechung des Ministerpräsidenten Ulrich in Mainz nur als eine Fühlungnahme mit dem französischen Befehlshaber erachtet, aber doch für notwendig befunden, die ganze Angelegenheit alsbald mit den Beteiligten zu besprechen. Das Auswärtige Amt habe bisher in den Fragen der Umgestaltung der Länder nur einen negativen Standpunkt eingenommen und sich lediglich gegen den Zusammenschluß des ganzen linksrheinischen Gebiets und gegen eine Neuaufrichtung der Mainlinie gewandt11. Es sei ihm bekannt, daß alle französischen Offiziere im besetzten Gebiet die Bestrebungen zur Zertrümmerung Preußens zu fördern suchen. Deshalb komme es jetzt vor allem darauf an, die Stimmung der Bevölkerung genau kennenzulernen, denn er habe Nachrichten, daß auch in[124] Arbeiterkreisen die Stimmung nicht allgemein zugunsten Deutschlands sei und betrachte daher die Lage für sehr ernst.

11

Materialien zu einer diesbezüglichen Sprachregelung für den pr. Gesandten in Darmstadt, Rieth, und in Karlsruhe, Schmidthals, in: PA, Deutschland Nr. 182, Bd. 3. Schmidthals berichtete Ende Juni und Anfang Juli eingehend über die Beziehungen pfälzischer Separatisten zu den frz. Besatzungstruppen unter Gen. Gerard und hatte Verhaltensmaßregeln erbeten.

Minister von Brentano verwahrt sich nochmals gegen etwaige Vorwürfe, die der Hessischen Regierung gemacht würden. Sie stehe unter dem Eindruck der großen Gefahr, welche dem Reich durch die Machenschaften von Dorten und den Franzosen drohen. Sie seien sehr schwer zu bekämpfen, da die französische Besatzung in Dortens Versammlungen Gegner nicht auftreten lasse, da sie dem Dorten Kraftwagen und militärische Begleitung zur Verfügung stelle, da französische Reisende in großer Zahl die Bevölkerung bearbeiten, französische Gesellschaften bereits Hotels usw. aufkaufen, die Besatzungstruppen dem Volk die größten Versprechungen machen u. dergl. Eine Gegenwirkung sei umso schwieriger, als die deutsche Presse nicht in das besetzte Gebiet gelange. Die Besprechung in Mainz sei darauf berechnet gewesen, Eindruck auf die Bevölkerung zu machen und habe diesen Zweck auch erreicht. Man habe in Rheinhessen daraus entnommen, daß die Hessische Regierung noch bestehe und daß auch die französische Besatzung mit ihr in angemessener Weise verhandele. General Mangin habe erst im hessischen Regierungsgebäude durch einen Oberst anfragen lassen, ob Herr Ulrich ihn zu sprechen wünsche, habe die hessische Flagge12 hissen lassen und dann den Besuch der Minister im hessischen Regierungsgebäude erwidert. Dies habe auf die Bevölkerung immerhin einen günstigen Eindruck gemacht. Die Hessische Regierung sei überzeugt, daß die Zugehörigkeit eines linksrheinischen Gebietes zu Deutschland nicht gesichert sein würde, wenn es nicht mit einem möglichst großen Staat rechts des Rheins verbunden würde. Sie erstrebe diese Sicherung, da sie von allen Behörden links des Rheins die Mitteilung erhielt, daß eine Absplitterung Rheinhessens zu befürchten sei, wenn keine Maßnahmen ergriffen würden.

12

Randvermerk von Prittwitz’: „Nicht die deutsche“.

Ministerpräsident Hoffmann spricht sich gegen das Projekt Groß-Hessens aus. Der Plan bilde nur eine Rettungsaktion für Rheinhessen, entbehre aber im übrigen eines großzügigen Gedankens. Die Hessische Regierung konnte von ihrem Standpunkt wohl das Projekt erwägen, hätte sich aber zunächst mit der preußischen und der bayerischen Regierung ins Benehmen setzen müssen. Das erstrebte Ziel sei jedenfalls auf dem geplanten Wege nicht zu erreichen. Nach dem Friedensvertrage bildet der Rhein für 15 Jahre die Grenze, und Frankreich hat das Recht, ihn auch zur Zollgrenze zu machen. Das linksrheinische Gebiet wird also abgegrenzt bleiben, gleichviel, ob es mit einem größeren oder kleineren Land rechts des Rheins verbunden ist. Auf die Drahtung Clemenceau’s ist kein Wort zu legen. Auch in der Pfalz betone General Gerard immer seine volle Neutralität, obwohl alle Offiziere die Bestrebungen zur Absplitterung des linksrheinischen Gebiets begünstigten. Würde die Frage lauten: Geht die Pfalz für Deutschland verloren, oder ist sie nur durch den Anschluß an ein größeres Nachbarland zu erhalten, so würde die Bayerische Regierung sich wohl für die letztere Alternative entscheiden.

[125] Reichsminister David: [Spricht seine Verwunderung über die unzureichend erfolgte Unterrichtung Preußens aus.]

In der Frage der Umbildung der Länder sei das Reich der ehrliche Makler. Der Weg, den Minister Heine angedeutet habe, scheine ihm gangbar. Der Gedanke der Großhessischen Republik sei nicht neu. Er sei begründet in der geschichtlichen Entwicklung und wurzele in der größeren Ausdehnung, die Hessen ursprünglich gehabt habe, in der Gleichheit des Dialekts, die weit über die Grenzen des jetzigen Hessen hinausreiche, in den ethnografischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen, in der Gegensätzlichkeit zu Preußen und namentlich zu Berlin, die sich psychologisch wohl erklären lasse. Ein Großhessischer Staat könne eine Klammer bilden, durch die die Bevölkerung rechts und links des Rheins zusammengehalten würde. Der großhessische Gedanke sei neuerdings in der Schrift von Dietrich in Kassel vertreten worden13, die wohl auch zur Kenntnis der Preußischen Regierung gelangt sei.

13

Über die Großhessenpropaganda s. Friedrich P. Kahlenberg: A.a.O., S. 362 ff.

In den Fragen der Umbildung der Länder habe das Reich nicht die Initiative; vielmehr müßte sich die Bevölkerung der Gebiete, die eine Umgestaltung wünschen, zunächst mit ihrer Landesregierung auseinandersetzen.

Unterstaatssekretär Albert hebt die Bedeutung der wirtschaftlichen Seite der Frage hervor. Frankreich hat sich das Recht zur Verlegung seiner Zollgrenze an den Rhein offenbar vorbehalten für den Fall, daß es die Absplitterung des linken Rheinufers nicht mit anderen Mitteln erreiche. Die Pflege der wirtschaftlichen Beziehungen über den Rhein sei gewiß ein wichtiges Mittel, um die linksrheinischen Gebiete dem Reich zu erhalten.

Minister Fischbeck glaubt, daß bei den großhessischen Bestrebungen der Gedanke unterlaufe: Geht das linksrheinische Gebiet verloren, so wird der Staat zu klein, er muß sich daher nach anderweitiger Vergrößerung umsehen. Seit dem ersten Preußschen Verfassungsentwurf, der die Reichseinheit durch Zerschlagung Preußens erreichen wollte14, hege die Preußische Regierung Mißtrauen gegen die Reichsregierung, da verlautete, daß diese zur Durchführung ihres Planes schon eine Kommission eingesetzt und Karten entworfen habe. Die geschichtliche Entwicklung und die ethnografischen Zusammenhänge seien nicht immer ausschlaggebend. Dies habe sich in Thüringen gezeigt. […] Ethnografische Gesichtspunkte würden zu einer völligen Zerschlagung Preußens führen, während die Zukunft und die Wiedererstarkung des Reichs dringend den Fortbestand eines starken Preußischen Staates erfordern. Die wirtschaftliche Verbindung des Reichs und des linksrheinischen Gebiets seien gewiß zu fordern, aber die Franzosen würden sie voraussichtlich nicht mehr dulden, sobald sie sehen, daß dadurch ihre Pläne durchkreuzt werden. Er halte für notwendig, daß die Umbildungspläne erst gründlich besprochen werden.

14

Vgl. dazu die Auseinandersetzungen über Art. 18 der zukünftigen RV (Dok. Nr. 22, P. 5, insbesondere Anm. 11).

Ministerpräsident Geiss versichert, daß der Badischen Regierung von Bestrebungen zur Vereinigung der Pfalz mit Baden nichts bekannt sei. Sollte der[126] Wunsch laut werden, so werde die Badische Regierung sofort mit der Bayerischen ins Benehmen treten.

Minister von Brentano bezeichnet als die wichtigste Aufgabe, zunächst die bedrohten Grenzländer beim Reich zu halten. Erst dann könne man die Reichseinheit durchführen. Er fürchtet, daß Rheinhessen nicht zu erhalten sei, wenn nicht bald eine Verbindung mit einem vergrößerten Hessen eintrete. Bezeichnend sei, daß ein französisches Veteranenfest in Rheinhessen unter starker Beteiligung der Bevölkerung stattgefunden habe und daß die Nachkommen der Rheinhessen, die einst unter Napoleon gekämpft hatten, hierbei mit den Orden ihrer Vorfahren erschienen waren. Auch die Empfindungen der Nassauer, die sich noch nicht als Preußen fühlten, seien zu berücksichtigen.

Gesandter Freiherr v. Biegeleben […] glaubt, daß für die Stimmung in Rheinhessen von ausschlaggebender Bedeutung sein werde, ob die Rheinprovinz von Preußen festgehalten werde.

Minister Henrich steht auf dem Standpunkt der Reichseinheit, die durch neue Staatsbildungen nicht gefördert würde15. Ohne Rheinhessen könne der Hessische Staat kein Jahr mehr bestehen. Darum müsse die Hessische Regierung nach einem Hilfsmittel suchen. Ein solches wäre der Anschluß Hessens an Preußen, den aber die Franzosen zu hintertreiben suchen. Die Bevölkerung Rheinhessens glaube sich schon nahezu aufgegeben. Um einen Umschwung herbeizuführen, seien verschiedene Projekte aufgeworfen worden, die verhüten sollen, daß die Bevölkerung ganz mürbe wird und den Lockungen der Franzosen nachgibt.

15

Laut Parallelüberlieferung (vgl. Anm. 1) hat der HessFM Henrich „zuerst Bedenken gehabt gegen die Reise zu Mangin“. Die Bedenken Henrichs richteten sich Rieth zufolge allerdings nur gegen die Reihenfolge des Vorgehens, d. h. mit den Franzosen vor einer Verständigung mit der RReg. zu verhandeln (Rieth an AA, 2.7.19; R 43 I /2271 : Bl. 27–36).

Staatsminister Scheer berichtet, daß die Oldenburgische Regierung schon vor Jahren einen Austausch des Fürstentums Birkenfeld mit Preußen angeregt habe. Eine Vereinigung mit Hessen sei nie in Frage gekommen, denn die Bevölkerung des nördlichen Teils von Birkenfeld wünschte den Anschluß an Preußen. Jetzt bemühen sich bereits die Franzosen lebhaft, die Birkenfelder von der Vereinigung mit Preußen abzuhalten und ihnen den Anschluß an die Pfalz oder an Rheinhessen nahezulegen.

Ministerpräsident Hoffmann faßt seine Ansicht dahin zusammen, daß in der Frage der Großhessischen Republik jede auch nur lose Verbindung mit den Franzosen ausgeschlossen bleiben müsse16. Die Frage könne nur im Benehmen mit den beteiligten Landesregierungen behandelt werden17. Lehne beispielsweise Bayern die Abgabe der Pfalz an Hessen ab, so könne sich die Hessische Regierung nicht weiter mit der Einverleibung der Pfalz befassen. An die Reichsregierung und die Landesregierung richtet er die Frage, ob sie an dem für Artikel 18 des Verfassungsentwurfs beschlossenen Kompromiß festhalten.

16

Die Parallelüberlieferung (vgl. Anm. 1) vermerkt an dieser Stelle die Zustimmung des HessMinPräs.

17

Wie Anm. 16.

[127] Minister Heine fragt, welche Bedeutung ein vergrößertes mittelrheinisches Land haben könnte für den Fall, daß sich die linksrheinische Bevölkerung von den Franzosen gewinnen ließe. Dort müsse das deutsche Gefühl belebt werden durch Zusammenhaltung und Stärkung der Kräfte des Deutschen Reichs. Jede Unterstützung der zentrifugalen Kräfte hindert den Wiederaufbau Deutschlands. Er stellt fest, daß die Hessische Regierung versichert habe, über etwaige Gebietsänderungen künftig zunächst mit den beteiligten Landesregierungen ins Benehmen treten zu wollen. Die Reichsregierung möge Bestrebungen auf Abtrennung preußischer Gebietsteile nicht unterstützen, sondern dafür sorgen, daß zunächst Ruhe im Reiche eintrete und die Überleitung der preußischen Verwaltung in die Reichseinheit angebahnt werden könne. Aus diesem Grunde bittet auch er um Festhalten an dem Kompromiß zu Artikel 18.

Keine Landesregierung könne ruhig arbeiten und in keinem Lande würde die nötige Beruhigung eintreten, wenn fortgesetzt die Gefahr bestünde, daß immer wieder neue Absplitterungsbestrebungen auftauchen und daß einfache Mehrheit im Reichstag sie verwirklichen könnte. Am besten wären die Fragen der Umgestaltung der Länder für einige Jahre zurückzustellen. Die Landesregierungen hätten zur Zeit wichtigere Arbeiten zu leisten.

Ministerpräsident Hirsch weist auf die Parallele zwischen dem großhessischen Plan und den Forderungen der Oberschlesier hin18. Die Preußische Regierung habe die Überzeugung, daß da wie dort die Bildung eines neuen Staates ein ungeeignetes Mittel sei, um die Bevölkerung bei Deutschland zu erhalten. Auch in Rheinhessen bestehe keine Gewähr, daß durch Zuteilung von Hessen-Nassau zu Groß-Hessen die linksrheinischen Landesteile erhalten blieben. Er schließt sich der Auffassung des Gesandten Freiherrn von Biegeleben an, daß die Beziehungen der Rheinprovinz zu Preußen von ausschlaggebender Bedeutung sein würden und abgewartet werden sollten. Endlich stellt er fest, daß der Schritt des Ministerpräsidenten Ulrich nicht im Einvernehmen mit der Reichsregierung erfolgt sei und daß diese in der ganzen Angelegenheit keinerlei Initiative ergreife.

18

Vgl. Dok. Nr. 12, P. 7.

Reichsminister Dr. David erklärt die Verstimmung der Hessen gegen die Preußische Regierung durch deren langjährige Wirtschafts- und Eisenbahnpolitik19. Gewiß bestünde in Frankreich noch immer Angst vor der Presse. Umso weniger dürfe in Berlin eine Revanchepolitik getrieben werden, sonst würde Hessen fürchten, Kriegsschauplatz zu werden und noch mehr von Berlin abrücken. Man müsse die Menschen nehmen, wie sie seien und ihre Stimmung zu beeinflussen suchen. Zu diesem Zweck sollte die Verkehrsfreiheit zwischen den links- und rechtsrheinischen Gebieten gefördert werden. Jedenfalls müßte in allen Umbildungsfragen der Wille der Bevölkerung festgestellt werden und nicht durch die Landesregierung allein eine Entscheidung erfolgen. Über Artikel 18 des Verfassungsentwurfs verhandelten zur Zeit die Parteien allein, ohne[128] Beiziehung der Regierung. Zwei Wege stünden offen: entweder die Reichseinheit allmählich durchzuführen oder nach dem Preußschen Vorschlage die Länder umzubilden. Er empfiehlt die Einsetzung einer Kommission im Reichsministerium des Innern zur Erörterung der Staatenumbildungen, zu der die beteiligten Landesregierungen beizuziehen wären. Zunächst wären die vorliegenden Anregungen in einer Denkschrift zusammenzufassen und dann eine einheitliche Linie zu suchen, auf der sich Reich und Länder einigen können.

19

Die verstaatlichten pr. und hess. Eisenbahnen waren seit 1896 in einer Betriebsgemeinschaft zusammengefaßt.

Ministerpräsident Hoffmann spricht sich gegen diesen Vorschlag aus, der dem föderativen Grundsatze der Verfassung nicht entspreche. Er betont, daß die Bayerische Regierung in den Fragen der Abtrennung von Gebietsteilen selbstverständlich die Landesversammlung und die Abgeordneten der Gebiete hören würde.

Minister Heine glaubt, daß Kommissionsberatungen jetzt nicht am Platze seien und zu einer Änderung der Verfassung führen müßten. Sie könnten auch nicht ohne Mitwirkung der Landtage und der Mehrheitsparteien geführt werden.

Zum Schluß stellt Ministerpräsident Bauer fest, daß kein Anlaß zu irgendwelchem Mißtrauen gegen die Hessische Regierung gegeben sei. Einigkeit besteht für die Notwendigkeit aller Bestrebungen, welche die Stimmung der Bevölkerung in dem besetzten Gebiet in deutschem Sinne beeinflussen könnten.

Er empfiehlt die vorgeschlagene Bildung einer Kommission, welche die Vorgänge in den gefährdeten Gebieten beobachtet und alles Material für die Umgestaltung der Länder sammelt20.

20

Randvermerk von Prittwitz’: „Dies geschieht“. – Zum Fortgang s. Dok. Nr. 25, P. 9.

Endlich stellt er als einmütige Auffassung fest, daß sich die Landesregierungen in innerpolitischen Fragen jeglicher Beziehungen zu den feindlichen Mächten enthalten möchten.

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