2.196.1 (feh1p): [Verhandlungen in London]

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[Verhandlungen in London]

Staatssekretär Albert verlas das aus London eingegangene Telegramm vom 5. März 1921 und gab dazu die erforderlichen Erläuterungen1.

1

Dieses Telegramm hatte RAM Simons am 5. 3. um 23 Uhr in London an StS v. Haniel aufgegeben; es war am 6. 3. um 0.20 Uhr in Berlin eingetroffen. Das Telegramm hatte in einer in der Rkei leicht bearbeiteten Fassung folgenden Wortlaut: „Wir haben bei vertraulichen Besprechungen mit der Gegenseite zunächst folgenden Standpunkt eingenommen: Da bei den Verschiedenheiten der Auffassung eine Einigung über Gesamtregelung ausgeschlossen ist, sind wir trotz aller Bedenken zu einem Provisorium für fünf Jahre auf der Basis unserer Gegenvorschläge, also für 3 Mrd. jährlich, bereit. Von der Gegenseite wurde geltend gemacht, daß damit der Geldbedarf der Alliierten nicht genügend berücksichtigt werde. Daher regten sie an, daß wir Annuitäten von 3 Mrd. als Minimum für weitere 25 Jahre versprächen, daneben Besserungsschein.

Da eine derartige Belastung ohne den Vorteil des Definitivums weit über unsere Gegenvorschläge hinausgehen würde, erscheint uns die Annahme eines solchen Vorschlages ausgeschlossen. Dagegen empfiehlt die Delegation, so weit zu gehen, daß als fünfjähriges Provisorium finanziell derselbe Betrag geboten wird, wie er sich aus den Pariser Beschlüssen ergeben würde, d. h. vorgesehene 5 erste Annuitäten zuzüglich Gegenwert der Exportprozente. Der Gedanke einer internationalen Anleihe bleibt bestehen, das Risiko des Zustandekommens würde allerdings auf uns fallen. Fellinger und Meinel sind wegen zu starker Abweichung vom bisherigen Standpunkt aus innerpolitischen Gründen dagegen. Für die Gegner wird die Ablehnung eines solchen Angebots immerhin gewisse Schwierigkeiten haben.

Von englischer Seite wird Wert darauf gelegt, daß als Sicherung, nicht etwa als Erhöhung für dt. Zahlung, entsprechend der angedrohten Repressalie Nr. 2 [Exportabgabe] ein gewisser Prozentsatz der Warenlieferung nach den all. Ländern durch Schatzquittung bezahlt wird, welche von Deutschland dann dem deutschen Lieferanten gegenüber eingelöst werden müßte. Uns erscheint aus taktischen Gründen ein Eingehen auf diesen wohl nicht sehr praktischen Vorschlag dringend geboten und verhältnismäßig ungefährlich. Er schließt sich an den früheren Gedanken Seydoux’ über die Beteiligung anderer als der Sinistrés an Bonsystem an. Wir denken an eine gleitende Skala der Prozentsätze, anfänglich vielleicht 25%. Die Skala würde mit steigender Ausfuhr niedriger werden. Von [Buchstabengruppe im Telegramm verstümmelt] werden zunächst 50% verlangt.

Mit Ablehnung unseres Angebots auch im Falle der in Aussicht genommenen Verbesserungen muß ernstlich gerechnet werden; dann bleibt nur Abbruch übrig. Drahtnachricht im Laufe des morgigen Tages notwendig, inwieweit hiesiger Auffassung zugestimmt wird. Simons.“ (Telegramm Nr. 50 v. 5.3.1921, R 43 I /18 , Bl. 91–92).

Zu den ursprünglichen dt. Vorschlägen s. RT-Drucks. Nr. 1640, Bd. 366, S. 149 –151.

[526] Reichsminister Brauns betonte, daß es darauf ankäme zu entscheiden, ob man das Provisorium mitmachen wolle oder nicht. Er sei der Auffassung, daß ein Provisorium einem Abbruch vorzuziehen sei, weil jedes kommende Jahr eine leichtere Situation für uns gäbe; insbesondere würde die politische Situation für uns wesentlich besser sein. Außerdem möchte er nicht unterlassen darauf hinzuweisen, daß ein großer Teil der Bevölkerung das Provisorium den Sanktionen vorziehe; wir dürften deshalb das Provisorium nicht a limine abweisen.

Staatssekretär Albert war der Auffassung, daß man das Provisorium in der von der Delegation vorgeschlagenen Form ablehnen müsse, weil wir die darin vorgesehenen Leistungen unmöglich erfüllen könnten und weil außenpolitisch unsere Situation durch Unterschreiben von Forderungen, die wir nicht erfüllen könnten, unhaltbar würde. Die Aufnahme einer internationalen Anleihe sei unmöglich, wenn wir das Risiko tragen sollten.

Auf Anfrage des Herrn Reichspräsidenten, ob die Frage der grundsätzlichen Zustimmung zu einem Provisorium nicht schon entschieden sei, erwiderte der Reichskanzler daß das Kabinett die grundsätzliche Zustimmung zu einem Provisorium innerhalb des von dem Kabinett dem Außenminister mitgegebenen Limits bereits vorgestern beschlossen und diesen Beschluß dem Außenminister durch das Telegramm: „mit den mitgeteilten Richtlinien einverstanden“ mitgeteilt habe2. Bei der Besprechung mit den Parteiführern seien allerdings von Hergt und Stresemann Bedenken gegen ein Provisorium erhoben worden3.

2

Siehe dazu Dok. Nr. 189.

3

Siehe dazu Dok. Nr. 190.

[527] Reichsminister Dr. Scholz teilte mit, daß nach einem Bericht seines Vertreters sich dieser der Auffassung der Vertreter Preußens und Bayerns, die gegen das von der Delegation jetzt vorgeschlagene Provisorium seien, angeschlossen habe4. Er halte eine Erfüllung der von der Delegation jetzt vorgeschlagenen Leistungen – 2 x 2 + 3 x 3 Milliarden + Exportabgabe – für unmöglich und begreife den Vorschlag der Delegation nicht. Auch die Sachverständigen hätten sich seinerzeit für die Unmöglichkeit der Zustimmung zur Exportabgabe ausgesprochen.

4

MinDir. von Le Suire, der Vertreter des RWiMin. innerhalb der dt. Delegation, war an den Vorbesprechungen über den Provisoriumsvorschlag nicht beteiligt worden. In einem Schreiben vom 6. 3. aus London an den RWiM gab von Le Suire seiner Vermutung Ausdruck, daß seine ablehnende Haltung gegenüber einem zu weitgehenden dt. Entgegenkommen wohl der Grund für seinen Ausschluß bei den Vorbesprechungen gewesen sei.

Nachdem von Le Suire von den neuen dt. Vorschlägen erfahren hatte, hatte er am Morgen des 6. 3. dem RWiM in einem offenen Telegramm mitgeteilt, daß er sich der ablehnenden Stellungnahme der Vertreter Bayerns und Preußens zu den neuen dt. Vorschlägen anschließe (MinDir. v. Le Suire an den RWiM am 6.3.1921, BA-Nachlaß v. Le  Suire, Nr. 124, Die Verhandlungen der Konferenz in London).

Reichsminister v. Raumer erschien der Standpunkt der Delegation gleichfalls nicht verständlich. Wir hätten bereits eine passive Handelsbilanz von 3 Milliarden, eine passive Zahlungsbilanz von 1½ Milliarden, demnach dem Ausland gegenüber eine gesamte passive Zahlungsbilanz von 4½ Milliarden. Es wäre ausgeschlossen, dazu noch die Verpflichtungen 2 x 2 + 3 x 3 Milliarden + Exportabgabe zu übernehmen. Wir sollten daher bestehen bleiben auf dem vorgestern gebilligten Vorschlage eines Provisoriums, betr. Übernahme von 2 Milliarden für 2 Jahre5. Die neuen Vorschläge der Delegation müßten unbedingt abgelehnt werden.

5

Siehe dazu Dok. Nr. 189.

Reichsminister Dr. Wirth gab zu bedenken, daß bei Ablehnung des jetzigen Vorschlages der Delegation die Sanktionen in Kraft treten würden; unsere nächste Aufgabe würde dann sein, diese wieder abzubauen. Es würde sich dann fragen, ob wir unsererseits wegen des Abbaues an die Entente herantreten sollten oder aber die Entente ihrerseits ein Interesse hätte, sich an uns zu wenden. Bei England würde dies nicht der Fall sein, da sich seine finanziellen Verhältnisse im Laufe von 1920 erheblich gebessert hätten. Bei Frankreich wäre das möglich, obwohl er glaube, daß es dann wohl militärisch vorgehen würde. Bezüglich Amerikas sei die Sache zweifelhaft, zumal in der Rede von Harding 60 Millionen Dollar Forderungen angemeldet seien.

Reichsminister Dr. Brauns trat dem Staatssekretär Albert darin bei, daß wir unmöglich ein Provisorium, das eine Zahlung von 5 bis 6 Milliarden vorsehe, unterschreiben könnten. Es gäbe aber doch den Ausweg der ausländischen Anleihe. Er sei der festen Auffassung, daß sie möglich sei. Wenn einzelne Parteien gegen ein Provisorium sich ausgesprochen hätten, so sei dies geschehen in der Hoffnung, daß man noch anders zu Rande kommen würde. Wenn diese Hoffnung nicht mehr bestehe, glaube er, daß sie zu einer anderen Auffassung gelangen würden.

[528] Reichsminister Groener bemängelte die Unklarheit der Meldungen der Delegation. Ohne die wirtschaftlichen Folgen ganz übersehen zu können, hielt er es jedoch für äußerst gefährlich, auf das von der Delegation vorgeschlagene Provisorium, das für 5 Jahre die Annahme der Pariser Forderungen bedeute, einzugehen.

Staatssekretär Müller regte an, auch die Frage der Anrechnung der Vorleistungen noch klarzustellen. Zur Anleihefrage machte er darauf aufmerksam, daß es sich nicht nur um eine Anleihe zur Deckung der Schulden handle, sondern daß wir ferner gezwungen wären, Anleihen für die Einfuhr von Rohstoffen, Nahrungs- und Futtermitteln aufzunehmen6. Er wies darauf hin, daß die Stadt Zürich kürzlich in Amerika eine Anleihe aufgenommen habe, für die sie 9% zahlen müsse; der Zinsfuß würde daher wohl für uns äußerst hoch sein.

6

Zur Anrechnung der dt. Vorleistungen und zur Frage einer Anleihe s. Dok. Nr. 181, Anm. 4 u. 5.

ReichspräsidentEbert machte darauf aufmerksam, daß die Vorschläge der Delegation und des Kabinetts – 16 Milliarden gegenüber 15 Milliarden einschließlich einer internationalen Anleihe von 8 Milliarden – nur um eine Milliarde differierten7.

7

Der Vorschlag des Kabinetts, den RAM Simons am 1. 3. übermittelt hatte, sah für die ersten 5 Jahre Sachleistungen und Annuitäten in Höhe von insgesamt 15 Mrd. GM vor (RT-Drucks. Nr. 1640, Bd. 366, S. 149 –151).

Der Provisoriumsvorschlag, dessen Annahme die Delegation empfohlen hatte, ging von den Pariser Beschlüssen aus und sah für die ersten 5 Jahre die Zahlung von insgesamt 13 Mrd. GM (2 x 2 Mrd. und 3 x 3 Mrd. GM) sowie die 12% Ausfuhrabgabe in Höhe von 3,5 Mrd. GM vor. Insgesamt belief sich also der Provisoriumsvorschlag auf 16,5 Mrd. GM.

Siehe dazu C. Bergmann, Der Weg der Reparation, S. 93.

Es sei daher zu prüfen, ob man an dieser Differenz die Angelegenheit scheitern lassen solle, vorausgesetzt, daß eine Anleihe ohne Risiko für uns möglich sei.

Reichsminister Dr. Scholz warnte nochmals eindringlich, dem Vorschlage der Delegation zu folgen; er erklärte es für gänzlich ausgeschlossen, daß wir eine Weltanleihe bekommen würden, und führte zum Beweis an, daß die Alliierten ja gerade die Tragung des Risikos dieser Anleihe ihrerseits abgelehnt hätten.

Reichsminister v. Raumer schloß sich dieser Auffassung an.

Reichsminister Dr. Brauns glaubte jedoch, nicht ohne weiteres abbrechen zu sollen. Er schlug vor, das Provisorium nicht grundsätzlich abzulehnen, es allerdings von der Bedingung abhängig zu machen, daß eine internationale Anleihe unter vernünftigen Bedingungen und ohne Tragung des Risikos ausschließlich durch uns erreicht würde. Auf die Sachverständigen allein würde er hinsichtlich der Frage, ob man eine Globalsumme oder ein Provisorium vorschlagen solle, nicht den entscheidenden Wert legen.

Es wurde sodann von dem Reichsminister Dr. Scholz angeregt, sofort die Sachverständigen zu hören, die sofort erreichbar seien.

Staatssekretär Albert bezeichnete es nochmals als unmöglich, unsererseits eine Anleihe zu finanzieren, auch nicht in Amerika. Trotzdem glaubte er dem Vorschlage des Reichsarbeitsministers beitreten zu können, sofern uns die Freiheit[529] gelassen würde, über gewisse Werte unseres Nationalvermögens (z. B. Eisenbahnen) frei zu verfügen.

Es wurde beschlossen, um 3 Uhr zu einer Kabinettssitzung wieder zusammenzutreten8.

8

Siehe Dok. Nr. 197.

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