1.139.1 (ma12p): 1. Außerhalb der Tagesordnung: Mitteilungen des Reichsministers der Finanzen über Steuerverhandlungen mit den Ländern.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 5). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Marx I und II, Band 2 Wilhelm Marx Bild 146-1973-011-02Reichskanzler Marx vor seinem Wahllokal Bild 102-00392Hochverratsprozeß gegen die Teilnehmer am PutschDawes und Young Bild 102-00258

Extras:

 

Text

RTF

1. Außerhalb der Tagesordnung: Mitteilungen des Reichsministers der Finanzen über Steuerverhandlungen mit den Ländern.

Der Reichsminister der Finanzen Er habe mit den Finanzministern der Länder über schwebende Steuer- und Finanzfragen verhandelt1. Die vom Reichspräsidenten auf Grund des Art. 48 der Reichsverfassung erlassene Notverordnung, welche eine Bindung in Bezug auf die Aufnahme von auswärtigen Anleihen für Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände an die Zustimmung des Reichsrats und des Reichsministers der Finanzen vorsehe2, hätten die Länder als rechtlich unzulässig bezeichnet. Man habe sich schließlich darauf geeinigt, einen Ausschuß zu bilden, welcher Richtlinien für die Aufnahme von auswärtigen Anleihen durch die Länder und Gemeinden aufstellen solle3.

1

Diese Besprechung mit den Finanzministern der Länder hatte am 7./8. 11. stattgefunden.

2

S. Dok. Nr. 347, Anm. 8.

3

Einen ausführlichen Bericht über die Verhandlungen mit den Ländern über die Aufnahme von Auslandskrediten erstattet StS Fischer in der Kabinettssitzung vom 3. 12. (Dok. Nr. 365, P. 10).

Angesichts der dringenden Notwendigkeit einer sofortigen Steuersenkung habe er sich vorbehaltlich der Stellungnahme des Reichspräsidenten mit den Finanzministern der Länder auf eine Verordnung geeinigt, durch welche die seitens der Reichsregierung vorgesehenen Steuersenkungen herbeigeführt werden sollten4. Dadurch werde ferner die Weiterführung der ohnehin mit dem Ablauf des Kalenderjahres erlöschenden Einkommensteuer in dieser nunmehr ermäßigten Form bis zu einer gesetzgeberischen Regelung gesichert. Es werde[1164] endlich seitens der Reichsregierung bis zum Ablauf des Rechnungsjahres eine Gewähr dafür übernommen, daß die die Grundlage der Länderhaushalte bildende Überweisung an Anteilen an Reichssteuern in den vier Monaten Dezember 1924 bis März 1925 nicht unter den Monatsdurchschnitt der beiden Monate August und September 1924 sinken würde.

4

Es handelt sich um den Entwurf einer „Zweiten VO des RPräs. über wirtschaftlich notwendige Steuermilderungen“ (s. Dok. Nr. 349, Anm. 1). Der Entwurf dieser VO wurde, wie auch aus den folgenden Ausführungen des RFM hervorgeht, auf Grund der Verhandlungen mit den Finanzministern der Länder in zwei Punkten ergänzt: 1) Nach Art. I, § 3 sollen die Vorschriften der 2. SteuerNotVO über die Vorauszahlungen auf Einkommen- und Körperschaftssteuer mit den aus der vorliegenden VO sich ergebenden Ermäßigungen über den 31.12.24 hinaus bis zu einer anderweitigen Regelung der Einkommensbesteuerung in Kraft bleiben. 2) Nach Art. IV, § 1 verpflichtet sich das Reich, den Ländern von Dezember 1924 bis zum Schluß des laufenden Rechnungsjahres die gleichen Anteile an der Einkommen-, Körperschafts- und Umsatzsteuer zu überweisen wie im Durchschnitt der beiden Monate August und September 1924 (abgeänderter Entwurf der VO in R 43 I /2395 , Bl. 237-239). Vgl. hierzu Luther, Politiker ohne Partei, S. 309; Netzband/Widmaier, Währungs- und Finanzpolitik der Ära Luther, S. 254 ff.

Die Länderregierungen hätten gegenüber diesen Leistungen des Reichs darauf hingewiesen, daß vielfach durch die Senkungen der Reichssteuern die Gewerbesteuern der Länder und Gemeinden automatisch mitgesenkt würden. Sie hätten ferner erklärt, daß, soweit dies mit der Ausgleichung der Haushalte der einzelnen Länder nur irgendwie vereinbar sei, sie von sich aus eine Senkung von Ländersteuern mit tunlichster Beschleunigung vornehmen und entsprechend auf die Gemeinden wegen der Gemeindesteuern und der von den Gemeinden erhobenen Gebühren nachdrücklich einwirken würden. Er (der Reichsminister der Finanzen) sei sich darüber klar, daß eine Senkung der Steuern in manchen Ländern, z. B. in Mecklenburg und in Thüringen, sehr schwer möglich sein werde. Sehr vielen anderen Ländern gehe es jedoch finanziell recht gut. Wegen der vom Reich übernommenen Gewähr habe er keinerlei Bedenken. Sie werde nach seiner Ansicht, falls überhaupt, nur in den Monaten Februar und März 1925 praktisch werden, und da auch nur in geringem Umfange. Jedenfalls hätten die Länder ohne eine derartige Gewähr des Reichs sich wohl kaum mit dem Reich verständigt. Die Schuld für das Nichtzustandekommen einer Verständigung wäre dann nach außen hin auf das Reich abgeschoben worden.

Die Länder hätten noch erklärt, daß sie ihre Zustimmung nur mit Rücksicht auf den sonst entstehenden Notstand aussprächen und daß durch ihre Zustimmung zu der getroffenen Regelung ihrer grundsätzlichen Stellung zur Frage des Notverordnungsrechts des Reichspräsidenten und seiner dringenden Reformbedürftigkeit nicht vorgegriffen werden solle. Gegen den Hinweis darauf, daß die Zustimmung nur mit Rücksicht auf den sonst entstehenden Notstand ausgesprochen werde, habe er (der Reichsminister der Finanzen) keine Bedenken. Im übrigen sei auch er der Auffassung, daß das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten klarer umrissen werden müsse. Er bitte das Reichskabinett, eine Verordnung des erwähnten Inhalts dem Reichspräsidenten vorlegen zu dürfen.

Das Kabinett erklärte sich hiermit einverstanden5.

5

Am 10.11.24 wird die „Zweite VO des RPräs. über wirtschaftlich notwendige Steuermilderungen“ auf Grund des Art. 48 erlassen (RGBl. I, S. 737 ).

In einem Schreiben an den RK vom 9. 11. erklärt der PrMinPräs. Braun, daß er in Übereinstimmung mit einem Beschluß des PrStMin. die Anwendung des Art. 48 im vorliegenden Fall „als mit dem Text und Sinn dieses Artikels der RV unvereinbar erachte.“ Materiell habe das PrStMin. der Notwendigkeit einer Steuersenkung zugestimmt, „gegen den Weg des Art. 48 aber schwerwiegendste Bedenken erhoben und eine Durchführung der Maßnahmen im Verwaltungswege für erforderlich und angängig erachtet, da die hiergegen bestehenden Bedenken bei weitem hinter den grundsätzlichen Bedenken, die gegen eine Anwendung des Art. 48 sprechen, zurückbleiben“ (R 43 I /2395 , Bl. 246).

Darauf antwortet der RK am 15. 11., „daß die RReg. die verfassungsmäßigen Voraussetzungen des Art. 48 nach wie vor in jeder Beziehung als vorliegend erachtet. Es handelte sich darum, die dt. Wirtschaft von dem allgemein als unerträglich erkannten Steuerdruck in dem Maße zu befreien, als es nach Lage der Reichsfinanzen möglich war. Die Entlastung der Wirtschaft war dringlich, weil aus der zu starken Steuerbelastung die Gefährdung der Lebenshaltung des ganzen dt. Volkes durch die Unmöglichkeit der dringend gebotenen Preissenkung sich ergeben mußte. Der von Preußen gemachte Vorschlag, die Steuersenkungen im Verwaltungswege vorzunehmen, würde einen Verstoß gegen die Rechtsordnung von ganz außergewöhnlichem Umfange und von größter Bedenklichkeit der RReg. zumuten.“ Zudem habe die zeitliche Verlängerung der Einkommenbesteuerung, die von den Ländern dringend gefordert worden sei, überhaupt nur auf Grund des Art. 48 geschehen können. „Aus diesen Gründen der Volkswirtschaft, der Ordnung im Reiche und in den Ländern hat sich der Herr RPräs. zu dem Erlaß der von der RReg. beantragten VO entschlossen.“ (R 43 I /2395 , Bl. 251f).

In einem weiteren Schreiben an den RK vom 9. 12. beharrt der PrMinPräs. auf dem Standpunkt, daß die verfassungsmäßigen Voraussetzungen des Art. 48 zum Erlaß der VO vom 10. 11. nicht gegeben seien. „Erschien der RReg. der preußische Vorschlag, die erforderlichen Steuermaßnahmen im Verwaltungswege zu treffen, nicht annehmbar, so hätte statt einer rechtlich unhaltbaren Anwendung des Art. 48 die Regelung durch den neuen RT als das verfassungsmäßig dazu berufene Organ abgewartet und die Öffentlichkeit inzwischen unter Hinweis auf die unbedingte Wahrung der Grenzen unserer parlamentarischen Verfassung darüber aufgeklärt werden müssen, daß das spätere Gesetz vom 1. Januar ab rückwirkende Kraft haben werde. Es hätte nichts im Wege gestanden, alle danach dringlichen Maßnahmen schon in den ersten Januartagen des kommenden Jahres durch den neuen RT erforderlichenfalls mittels eines Notgesetzes treffen zu lassen. […] Es ist Sache der Reichs- und Landesregierungen, die Reichsverfassung strikt auszulegen, und die Folgen, die gegebenenfalls in Zukunft aus einer so weitherzigen extensiven Auslegung des Art. 48 RV gezogen werden könnten, erscheinen zu gefährlich für den Bestand der Deutschen Republik, als daß nicht jeder Weg hätte beschritten werden müssen, der geeignet war, die Heraufbeschwörung einer derartigen Gefahr zu vermeiden.“ (R 43 I /2395 , Bl. 288f). Mit Schreiben vom 13. 12. teilt der StSRkei dem RFM mit, daß sich der RK von der Fortführung des Schriftwechsels mit dem PrMinPräs. keinen Erfolg verspreche. (R 43 I /2395 , Bl. 291). Zu dieser Kontroverse vgl. Otto Braun, Von Weimar zu Hitler, 1949, S. 73 ff.

Extras (Fußzeile):