2.196.1 (ma31p): 1. Handelsvertragsverhandlungen mit Frankreich.

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1. Handelsvertragsverhandlungen mit Frankreich1.

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Dieser Tagesordnungspunkt ist auch abgedr. in: ADAP, Serie B, Bd. IV. Dok. Nr. 229.

In einer Aufzeichnung des MinR Feßler für diese Kabinettsberatung heißt es: „Der Reichswirtschaftsminister wird in der Kabinettssitzung am 9. März beantragen, daß Frankreich in dem Provisorium, das zunächst bis 1. Juni gelten soll [siehe Dok. Nr. 186, Anm. 15], die Meistbegünstigung für Wein gewährt wird, wenn Frankreich davon das Fortbestehen des Provisoriums über den 1. April hinaus abhängig macht. Damit ist sicher zu rechnen. […] Die französische Regierung hat sich ihren Winzern gegenüber so festgelegt auf die Forderung der Meistbegünstigung bereits für das Provisorium, daß mit der Kündigung am 21. März bestimmt gerechnet werden muß, wenn Deutschland die Forderung ablehnt. Dann würde bereits am 1. April der vertragslose Zustand eintreten. Er würde für die deutsche Ausfuhr und besonders für den Handelsverkehr mit dem Saargebiet eine außerordentliche Schädigung bedeuten, der Eisenpakt würde schwer gefährdet, die Wirkungen auf das Verhältnis zu Frankreich wären nicht abzusehen. Voraussichtlich würde sich aus dem vertragslosen Zustand bald der Zollkrieg entwickeln. […] Voraussichtlich wird der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft einem Nachgeben in der Weinzollfrage für das Provisorium auf das entschiedenste widersprechen. Innerpolitisch ist die Frage äußerst unbequem; mit starkem Widerstand der Winzer ist zu rechnen. Sachlich ist dieser Widerstand nicht so berechtigt, wie er dargestellt wird. Die Weinpreise in Frankreich sind jetzt so hoch, daß die Meistbegünstigung für Frankreich den deutschen Weinbau nicht gefährdet, zumal Frankreich mehr bessere Weine ausführt als gewöhnlichen Tischwein, der für die Winzer die größere Gefahr bedeutet.“ Wie aus einer (beigefügten) Aufzeichnung des MinDir. Posse (Leiter der dt. Delegation bei den dt.-frz. Handelsvertragsverhandlungen) hervorgehe, „sind die Verhandlungen, die bisher über den endgültigen Vertrag stattgefunden haben, nicht ungünstig gelaufen. Der endgültige Vertrag soll auf dem Boden wirtschaftlicher Gleichberechtigung beider Länder geschlossen werden. Der deutschen Meistbegünstigung de jure soll gemäß der französischen Gesetzgebung auf französischer Seite die tatsächliche Meistbegünstigung für alle für die Ausfuhr Deutschlands in Frage kommenden Waren entsprechen.“ (Aufzeichnung Feßlers vom 9. 3., R 43 I /1120 , Bl. 31–32).

Ministerialdirektor Posse erläuterte einleitend das Zustandekommen des zwischen den Delegationen vorbehaltlich der Zustimmung der Regierungen vereinbarten Protokolls, das nach seiner Ansicht einen bedeutsamen Schritt vorwärts[611] in Richtung auf einen endgültigen Vertragsabschluß bedeute2. Insbesondere habe Frankreich nunmehr ohne Einschränkung das Prinzip der Meistbegünstigung anerkannt und eine tatsächliche Zollbindung zugestanden. Die französische Regierung sei nur dann bereit, dem Protokoll zuzustimmen, wenn die Deutsche Regierung sich entschließen könne, die deutsche Delegation zu Verhandlungen über den Wein zu ermächtigen. Die deutsche Delegation sei in Übereinstimmung mit dem deutschen Botschafter in Paris3 einmütig dafür, daß die Unterzeichnung des Protokolls durch diese Bereitwilligkeit der Deutschen Regierung ermöglicht werden möchte. Es sei als sehr wahrscheinlich anzusehen, daß die Französische Regierung andernfalls am 21. März zum 1. April das Provisorium kündigen werde4, so daß ein vertragsloser Zustand eintrete. Ein Handelskrieg mit Frankreich könne ungünstige Folgen für die Rohstahlgemeinschaft nach sich ziehen. Die Kündigung des Eisenpaktes5 würde der Entspannung der deutsch-französischen Beziehungen sehr abträglich sein. Andererseits sehe die Delegation Verhandlungen über den Wein zum jetzigen Zeitpunkt als nicht sehr gefährlich an, weil es den Anschein habe, als ob die Französische Regierung sich bemühen werde, bis zum 5. Mai, d. h. vor Beginn der Weltwirtschaftskonferenz, den endgültigen Handelsvertrag mit Deutschland abzuschließen oder jedenfalls dem Abschluß nahe zu bringen. Überdies habe man durch derartige Verhandlungen eine letzte Möglichkeit der Beeinflussung der französischen Zolltarifnovelle. Um den Interessen der Weinbauern gerecht zu werden, halte die Delegation es für zweckmäßig, endgültig festzulegen, daß über die Sätze von 32 bzw. 45 M6 nicht hinausgegangen werden dürfe.

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Das Protokoll, das Festlegungen grundsätzlicher Art für den endgültigen dt.-frz. Handelsvertrag enthält, ist abgedr. in: ADAP, Serie B, Bd. IV, Dok. Nr. 250. Vgl. ebd., Dok. Nr. 213. Das Protokoll wurde am 15.3.27 in Paris unterzeichnet.

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v. Hoesch.

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Siehe dazu Dok. Nr. 186, Anm. 15.

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Das Abkommen über die Internationale Rohstahlgemeinschaft zwischen Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg war am 30.9.26 in Brüssel unterzeichnet worden.

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Diese Zollsätze kamen bei der Einfuhr von Rotwein bzw. Weißwein aus Italien und Spanien zur Anwendung.

Ministerialdirektor Köpke erklärte, das Auswärtige Amt schließe sich aus allgemein-politischen Gründen der vorgeschilderten Meinung der Delegation durchaus an.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft wies darauf hin, daß hier von dem Grundsatz abgegangen werden solle, daß im Provisorium nicht über Wein gesprochen werden dürfe7. Frankreich möchte für die beiden stärksten Weineinfuhrmonate April und Mai ein großes Kontingent erhalten. Es sei sehr zweifelhaft, ob man für eine solche Konzession ausreichenden Ausgleich erlangen könne. Dieser müsse dann, um nicht immer die Landwirtschaft in erster Linie bezahlen zu lassen, auf dem Gebiet von Gemüse und[612] Obst liegen. Jetzt schon über ein Kontingent für den Fall der Verhandlungsbereitschaft zu beschließen, sei dem Ernährungsministerium nicht möglich.

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In einer Eingabe an das REMin. vom 22.2.27 hatte der Dt. Weinbau-Verband dringend darum gebeten, bei Verhandlungen mit Frankreich über ein Handelsprovisorium keinerlei Zugeständnisse auf dem Gebiet der Weinzölle zu machen. Erst in einem endgültigen Handelsvertrag dürfe die Meistbegünstigung für Wein gewährt werden, sofern Frankreich für die dt. Industrieerzeugnisse ebenfalls volle Meistbegünstigung einräume (R 43 I /1120 , Bl. 23–25).

Staatssekretär Trendelenburg erläutert die durch die bevorstehende Weltwirtschaftskonferenz geschaffene taktische Lage, die es wahrscheinlich erscheinen lasse, daß Frankreich, wenn man jetzt den Weg der Verhandlungen eröffne, ernstliche Verhandlungsbereitschaft zeigen werde.

Ministerialrat Ernst vom Preußischen Landwirtschaftsministerium teilte die Zustimmung Preußens zu dem von der Delegation beabsichtigten Verfahren mit. Preußen trete dafür ein, daß das Weinkontingent nicht zu gering bemessen werde, damit die deutsche Delegation möglichst weitgehende Gegenforderungen durchdrücken könne.

Der Reichswirtschaftsminister riet dringend, die Verhandlungen jetzt nicht zum Scheitern kommen zu lassen. Die handelspolitische Situation sei für Deutschland durch das Ende der französischen Inflation günstiger geworden. Man könne auch deshalb über den Wein verhandeln, weil angesichts der Kürze der vor der Weltwirtschaftskonferenz noch zur Verfügung stehenden Zeit voraussichtlich die Verhandlungen über Provisorium und Definitivum nicht mehr völlig zu trennen sein würden. Er sei damit einverstanden, daß die geltenden Weinzollsätze (32,– M für Rotwein, 45,– M für Weißwein)8 auch bei Handelsvertragsverhandlungen mit anderen Ländern keinesfalls ermäßigt würden.

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Siehe Anm. 6.

Der Reichsminister der Justiz erklärte, er würde die bindende Festlegung des Kabinetts, daß über die spanischen Weinzollsätze nicht heruntergegangen werden dürfe, als ein so wichtiges Novum einschätzen, daß er unter Voraussetzung einer solchen Festlegung den Verhandlungen über Wein auch im Provisorium doch glaube zustimmen zu müssen.

Der Reichsminister der Finanzen bat, eine endgültige Zustimmung zu weiteren Vereinbarungen erst dann zu geben, wenn man die französischen Zugeständnisse habe prüfen können. Eine Blankovollmacht könne man nicht geben. Als Kontingent für 2 Monate schlug er 50 000 dz vor.

Der Reichswirtschaftsminister bat, das Kontingent lieber auf 60 000 dz zu erhöhen.

Der Reichskanzler stellte fest, daß die Mehrheit des Kabinetts sich grundsätzlich damit einverstanden erkläre, daß die Deutsche Delegation in Paris auch über die deutschen Weinzölle in Verhandlungen trete. Die Höhe eines zu gewährenden Kontingents solle am nächsten Tage im Handelspolitischen Ausschuß festgesetzt werden, wobei das Kabinett von der Höchstmenge von 60 000 dz ausging9.

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Der letzte Halbsatz ist auf Wunsch des REM Schiele nachträglich in das Protokoll eingefügt (vgl. R 43 I /1120 , Bl. 36–37). – Zum Ergebnis der Sitzung des Handelspolitischen Ausschusses am 10. 3. siehe: ADAP, Serie B, Bd. IV, Dok. Nr. 229, Anm. 7.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft wies erneut darauf hin, daß gleichzeitig hiermit das Kabinett der Delegation die Weisung gebe, in den Verhandlungen mit Frankreich keinesfalls unter die Sätze von 32 bzw. 45 M herabzugehen, und daß auch den anderen Weineinfuhrländern, insbesondere Spanien gegenüber diese Sätze das äußerste Zugeständnis bleiben sollten.[613] Der Reichskanzler stellte dahingehende Übereinstimmung des Kabinetts fest10.

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Der letzte Satz ist auf Wunsch des REM nachträglich in das Protokoll eingefügt (R 43 I /1120 , Bl. 36–37). – Zum weiteren Verlauf der Handelsvertragsverhandlungen mit Frankreich siehe Dok. Nr. 212.

[…]

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