2.213.1 (ma31p): 1. Deutsch-französische Handelsvertragsverhandlungen.

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1. Deutsch-französische Handelsvertragsverhandlungen1.

1

Die ersten beiden Tagesordnungspunkte dieses Kabinettsprotokolls sind auch abgedr. in: ADAP, Serie B, Bd. IV, Dok. Nr. 38.

Ministerialdirektor Posse trug den Stand der Handelsvertragsverhandlungen mit Frankreich vor2.

2

Vgl. die Ausführungen Posses in der vorangegangenen Chefbesprechung (Dok. Nr. 212).

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft sprach sich grundsätzlich dagegen aus, daß Vorteile für industrielle Ausfuhr nach einzelnen Ländern durch Konzessionen in landwirtschaftlichen Einfuhrwaren erkauft würden, zumal soweit die Handelsbilanz mit den Vertragsgegnern für Deutschland passiv sei. Die Frage, inwieweit der Inlandsmarkt durch Schutz der landwirtschaftlichen Erzeugung gestärkt werden solle, müsse grundsätzlich entschieden werden.

Wegen dieser grundsätzlichen Bedenken könne sich die Landwirtschaft mit den vorgesehenen Einfuhrerleichterungen für Wein nur abfinden, wenn ihr bei den Abmachungen durch eine Erhöhung des Mehlzolles von 11 M auf 11,50 M gezeigt würde, daß auch ihre Interessen Berücksichtigung finden.

Im übrigen müsse das Kabinett an seinem Beschluß vom 9. März3 unbedingt festhalten, nach dem es sich an die geltenden Weinzollsätze auch für die späteren Verhandlungen mit den anderen Weinausfuhrländern, insbesondere mit Spanien, gebunden habe.

3

Siehe Dok. Nr. 196, P. 1.

Zur grundsätzlichen Frage der Benachteiligung der Landwirtschaft in Handelsvertragsverhandlungen wies der Reichsarbeitsminister darauf hin, daß durch die begrenzte Einfuhr französischen Weines für den deutschen Weinbau kaum Schwierigkeiten entständen. Die Lage der Winzer habe sich durch die verschiedenen energischen Stützungsmaßnahmen der Reichsregierung stark gebessert. Der Mehlzoll solle erhöht werden.

Ministerialdirektor Posse erklärte zur Mehlzollfrage, daß es möglich sein werde, bei den Franzosen einen Satz von 11,50 M durchzusetzen, wenn ihnen dafür ein Kontingent von 30 000 t Zement zum Vorzugszoll zugebilligt würde. Dann würde sich Frankreich auch mit einem Zoll für Saarmehl von 7,70 M und mit dem Wegfall des Übergangszolls von 14 M für gewisse Mehlsorten einverstanden[664] erklären. Die deutsche Gesamterzeugung von Zement betrage 6 Millionen Tonnen. Die Zementpreise lägen nach amtlichen Berechnungen 80%, nach den Berechnungen der Industrie 22% über dem Friedenspreis.

Über die Auslegung des Kabinettsbeschlusses vom 9. März wegen der Bindung an die Weinzölle bei späteren Handelsvertragsverhandlungen kam es zu einer längeren Auseinandersetzung zwischen dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft einerseits und den Vertretern des Auswärtigen Amtes, dem Reichswirtschaftsminister und dem Reichsarbeitsminister andererseits.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft vertrat den Standpunkt, daß sich das Kabinett auch wegen der Dessertweinzölle an die Sätze des italienischen Vertrages4 für alle Zukunft fest gebunden habe, während Ministerialdirektor Ritter darauf hinwies, daß Dessertwein nicht erwähnt worden sei. Es sei außerordentlich bedenklich, sich besonders für die spanischen Verhandlungen jetzt bereits festzulegen. Dessertwein werde in diesen Verhandlungen, die voraussichtlich im Sommer stattfinden würden, eine entscheidende Rolle spielen. Könne für diese Ware nicht wenigstens in gewissen Grenzen nachgegeben werden, so wäre unter Umständen ein Vertragsschluß mit Spanien unmöglich.

4

Dt.-ital. Handelsvertrag vom 31.10.25 (RGBl. II, S. 1020 ).

Der Reichswirtschaftsminister erklärte, daß er eine Festlegung auf den italienischen Rotweinsatz auch für Dessertwein nicht beabsichtigt habe.

Der Reichsarbeitsminister teilte die schweren Bedenken gegen eine Festlegung des Kabinetts. Die Beschlüsse würden nicht geheim bleiben und könnten innerpolitisch wie außenpolitisch ungünstige Folgen haben.

Auch der Herr Reichskanzler hielt es für dringend geboten, gegenwärtig von bindenden Entschließungen für andere Handelsvertragsverhandlungen abzusehen.

Nach eingehender Aussprache faßte das Kabinett einstimmig folgende Entschließungen:

1) Der Erweiterung der geltenden Handelsvertragsvereinbarungen mit Frankreich durch Zugeständnis eines Kontingents von insgesamt 70 000 dz Wein gegen die nach dem gegenwärtigen Stand der Handelsvertragsverhandlungen vorgesehenen Zugeständnisse für deutsche Ausfuhrwaren wird zugestimmt unter der Voraussetzung, daß Frankreich sich mit einem Mehlzoll von 11,50 M und mit der Streichung des Zollsatzes von 14 M für besondere Mehlsorten einverstanden erklärt. Frankreich kann als Gegenkonzession ein Kontingent für elsässischen Zement zugestanden werden, das höchstens 30 000 t betragen darf5.

5

Am 31.3.27 wurde das „Zusatzabkommen zu dem vorläufigen Handelsabkommen und den wirtschaftlichen Vereinbarungen zwischen Deutschland und Frankreich“ in Paris unterzeichnet. Text: RGBl. 1927 II, S. 105 .

2) Das Reichsministerium beabsichtigt, auch bei den Verhandlungen mit anderen Weinausfuhrländern an den Zollsätzen des deutsch-italienischen Handelsvertrages festzuhalten.

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