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Die Kabinette Marx III und IVDas Kabinett Marx IV Bild 146-2004-0143Chamberlain, Vandervelde, Briand und Stresemann Bild 102-08491Stresemann an den Völkerbund Bild 102-03141Groener und Geßler Bild 102-05351

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Text

RTF

[Anlage]

I. Die Notwendigkeit eines Handelsvertrages mit Polen.

a) Vor dem Kriege stand Rußland unter den Absatzländern Deutschlands an dritter Stelle hinter Großbritannien und Österreich-Ungarn. Es nahm 1913[715] nach der deutschen amtlichen Statistik Waren im Werte von 880,2 Millionen M gleich 8,7 v.H. der deutschen Gesamtausfuhr auf. Nach der russischen amtlichen Statistik führte Rußland 1913 Waren im Werte von 1409 Millionen M gleich 47½ v.H. der russischen Gesamteinfuhr aus Deutschland ein. Die Einfuhr betraf Waren aller Art. Ein ziffernmäßig nicht zu bestimmender, aber erheblicher Teil entfiel auf Kongreß-Polen. Das polnische Zollgebiet muß hiernach bei normaler Entwicklung auch jetzt ein bedeutender Abnehmer deutscher Waren sein, zumal der polnische Staat die heute noch mit Deutschland verflochtenen Gebiete Posen/Pommerellen und Ostoberschlesien sowie das als früherer Teil Österreichs wirtschaftlich eng mit Deutschland verbundene Galizien umfaßt und das polnische Zollgebiet die Freie Stadt Danzig einschließt. Die jetzige Lage Rußlands erhöht die Bedeutung des polnischen Zollgebiets für den deutschen Osthandel.

b) Die Nachkriegsstatistik bestätigt die Bedeutung des polnischen Zollgebietes als deutsches Absatzgebiet. Da Ostoberschlesien am 15. Juni 1922 unter die polnische Oberhoheit gekommen ist, läßt erst die Statistik von 1923 ab eine Beurteilung zu.

Nach der deutschen amtlichen Statistik hat die Ausfuhr nach dem polnischen Zollgebiet in Millionen Reichsmark nach Gegenwartswerten und in Vomhundertsätzen der deutschen Gesamtausfuhr betragen:

1. Halbj.

ganzes Jahr

1923

v.H.

1924

v.H.

1925

v.H.

1925

v.H.

1926

v.H.

1. Halbj. 1923

1. Halbj. 1923 in %

1. Halbj. 1924

1. Halbj. 1924 in %

1. Halbj. 1925

1. Halbj. 1925 in %

ganzes Jahr 1925

ganzes Jahr 1925 in %

ganzes Jahr 1926

ganzes Jahr 1926 in %

Polen

322,7

5,3

303,5

4,6

230,6

5,6

331,4

3,8

191,7

2,0

Danzig

75,5

1,2

96,1

1,5

47,1

1,1

90,7

1,0

69,3

0,7

Insgesamt

398,2

6,5

399,6

6,1

277,7

6,7

422,1

4,8

261,0

2,7

Ausfuhr nach dem polnischen Zollgebiet in Millionen Reichsmark

Hiernach stand das polnische Zollgebiet als Abnehmer Deutschlands in den Jahren 1923 und 1924 an vierter Stelle hinter den Niederlanden, Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Nordamerika und im 1. Halbjahr 1925 sogar an dritter Stelle hinter den Niederlanden und Großbritannien vor den Vereinigten Staaten von Nordamerika.

Dabei war die Handelsbilanz gegenüber dem polnischen Zollgebiet nur in verhältnismäßig geringem Umfange passiv. Bei diesen 4 Staaten war sie nur gegenüber den Niederlanden aktiv. Gegenüber den Vereinigten Staaten war sie im Jahre 1923 mit 697, im Jahre 1924 mit 1216, im 1. Halbjahr 1925 mit 1296 Millionen RM, gegenüber Großbritannien im Jahre 1923 mit 458, im Jahre 1924 mit 215, im 1. Halbjahr 1925 mit 103 Millionen RM passiv. Dagegen war sie gegenüber dem polnischen Zollgebiet im Jahre 1923 mit 93, im Jahre 1924 mit 61 und im 1. Halbjahr 1925 nur mit 13 Millionen RM passiv. Da mit dem 15. Juni 1925 die Kontingente für Ostoberschlesien wegfielen2, wäre bei nor-[716] maler Entwicklung die Handelsbilanz mit dem polnischen Zollgebiet vom 2. Halbjahr 1925 an aktiv geworden, zumal nach der polnischen amtlichen Statistik die Handelsbilanz schon im 1. Halbjahr 1925 für Deutschland mit 30,1 Millionen Zloty aktiv war.

2

Mit dem 15.6.25 war die Verpflichtung Deutschlands zur zollfreien Abnahme von Warenkontingenten aus Ostoberschlesien gemäß Art. 244 des dt.-poln. Abkommens über Oberschlesien vom 15.2.22 erloschen (RGBl. II, S. 237 ).

Seit dem Wirtschaftskampf mit Deutschland3 hat Polen die Einfuhr systematisch gedrosselt. Die Einfuhr des polnischen Zollgebiets aus Deutschland ist von 399,6 Millionen RM im Jahre 1924 und 277,7 Millionen RM im 1. Halbjahr 1925 auf 144,5 Millionen RM im 2. Halbjahr 1925 und 261 Millionen RM im Jahre 1926 zurückgegangen. Bei einer Einfuhr aus dem polnischen Zollgebiet in Höhe von 305,1 Millionen RM war die Handelsbilanz im Jahre 1926 mit 44,1 Millionen RM (gegenüber 34,7 Millionen RM im ganzen Jahre 1925) für Deutschland passiv. Eine Passivität in Höhe von 91 Millionen RM ergibt sich nur dann, wenn man die Handelsbilanz zwischen Deutschland und Polen ohne Berücksichtigung von Danzig errechnet. Da Danzig aber in das polnische Zollgebiet eingeschlossen und Vermittler für einen großen Teil des deutsch-polnischen Güteraustauschs ist, muß der Handelsverkehr mit Danzig eingerechnet werden. Dann ergibt sich nur eine Passivität von 44,1 Millionen RM. Diese Passivität in der Zeit des Wirtschaftskampfes kann aber nicht der Ausgangspunkt für die Beurteilung der zukünftigen Aussichten des deutschen Handels mit dem polnischen Zollgebiet sein. Wie oben ausgeführt, hatte der Handelsverkehr bei seiner normalen Entwicklung bis zum Juli 1925 die Tendenz zur Aktivität und stand unmittelbar vor einem Überschuß zu Gunsten Deutschlands. Sind die Handelsbeziehungen zum polnischen Zollgebiet geregelt, so ist – von etwaigen Schwankungen in der Übergangszeit abgesehen – anzunehmen, daß die Bilanz zu Gunsten Deutschlands aktiv oder in nur verhältnismäßig geringem Umfang passiv wird. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß Deutschland aus dem polnischen Zollgebiet im großen Umfange Waren bezieht, die für seine Wirtschaft dringend erforderlich oder erwünscht sind. Es seien hiervon z. B. Rundholz, Schnittholz, Flachs, Mineralöle, Blei, Zink erwähnt.

3

Siehe Anm. 10 zu Dok. Nr. 223.

Für Deutschland, das – wenigstens jetzt noch – im allgemeinen über seine alten Beziehungen zum polnischen Zollgebiet verfügt, wird die Regelung der Handelsbeziehungen eine Steigerung seiner Ausfuhr dorthin zur Folge haben. Der Abschluß eines Handelsvertrages mit Deutschland wird die polnische Wirtschaft neu beleben. Deutschland wird daher mit einer Steigerung der Ausfuhr zunächst in Höhe des Unterschiedes gegen früher rechnen können. Dieser Unterschied beträgt für das Jahr 1926 gegenüber dem Jahre 1925 161,1 Millionen RM, obwohl im zweiten Halbjahr 1925 die Einfuhr durch die Maßnahmen des Wirtschaftskampfes gedrosselt war. Darüber hinaus läßt sich aber die Ausfuhr nach dem polnischen Zollgebiet erheblich steigern, ohne daß ein genauer Betrag zu errechnen wäre. Das östliche Nachbarland Deutschlands mit der langen gemeinsamen Grenze ist in seinem jetzigen Bestande mit rd. 390 000 qkm (gegenüber 470 000 qkm Deutschlands) und 29½ Millionen Einwohnern (gegenüber 63½ Millionen Deutschlands), davon 64,3 v.H. landwirtschaftlicher Bevölkerung, einer der größten europäischen Staaten und einer starken Entwicklung fähig.[717] Es ist vor dem Wirtschaftskampf der drittgrößte Abnehmer Deutschlands gewesen und Mittelpunkt des Osthandels geworden. Es kann der Mittler nach Rußland und Asien werden. Es ist von jeher das natürliche Hinterland für Schlesien und den ganzen deutschen Osten gewesen und wird es immer sein. Das polnische Zollgebiet umfaßt viele Millionen deutscher Stammesgenossen in Posen/Pommerellen, Ostoberschlesien und Danzig, die vom Wirtschaftskampf besonders hart betroffen, zum Teil in ihrer Existenz bedroht sind und die sich danach sehnen, in noch engere Beziehung zu ihrem Vaterlande zu treten. Es gilt jetzt, den Schlüssel für dieses gewaltige Wirtschaftsgebiet im Osten wiederzufinden, den deutschen Wirtschaftskreisen, vor allem im Osten, die nach dem Absatz in das polnische Zollgebiet hungern, diesen für sie entscheidenden Markt wieder zu eröffnen und die Deutschen im polnischen Zollgebiet wirtschaftlich und kulturell noch enger mit ihrem Vaterlande zu verflechten. In Zahlen läßt sich dieser Gewinn nicht ausdrücken. Daß der deutschen Ausfuhr mit dem polnischen Markt große Aussichten eröffnet werden und daß vor allem der deutsche Osten dadurch gekräftigt wird, ist sicher. Je mehr andere Länder sich gegenüber der Vorkriegszeit industrialisiert haben, so daß die deutsche Ausfuhr dorthin hinter dem früheren Umfange zurückbleiben muß, gewinnt der Osten und damit vor allem das polnische Zollgebiet an Bedeutung für die deutsche Ausfuhr, da dieses Gebiet jedenfalls noch für lange Zeit auf die Einfuhr von Fertigerzeugnissen aller Art angewiesen ist und diesen Bedarf in erster Linie aus Deutschland bezieht. Es sei z. B. nur die Elektrifizierung des Landes erwähnt. Deutschland erwarten im polnischen Zollgebiet große Aufgaben, wenn es sich nicht selbst ausschaltet.

c) Die polnische Politik der Einfuhrdrosselung schädigt nicht alle Länder gleichmäßig, sondern vor allem Deutschland.

Die Einfuhr Polens hat sich wie folgt entwickelt (in Millionen Zloty):

Gesamteinfuhr

davon Einfuhr

Deutschland

Einfuhr aus Deutschland in v.H. der Gesamteinfuhr

1923

1116,5

487,0

43,6

1. Halbjahr 1924

712,9

235,6

2. Halbjahr 1924

765,7

270,7

ganzes Jahr 1924

1478,6

506,3

34,5

1. Halbjahr 1925

1048,2

356,7

34,1

2. Halbjahr 1925

554,6

159,0

24,8

ganzes Jahr 1925

1602,8

515,7

31,0

1. Halbjahr 1926

352,0

74,9

21,3

2. Halbjahr 1926

544,2

136,7

ganzes Jahr 1926

896,2

211,6

23,6

Die Einfuhr Polens aus Deutschland (in Millionen Zloty)

[718] Es ist hiernach zurückgegangen:

die polnische Gesamteinfuhr:

die Einfuhr aus Deutschland

1926 gegen 1924:

um 40 v.H.

um 56 v.H.

1926 gegenüber 1925:

um 44 v.H.

um 57,5 v.H.

1. Halbjahr 1926 gegenüber 1. Halbjahr 1925:

um 66⅔ v.H.

um 78,8 v.H.

Der Rückgang der Einfuhr Polens aus Deutschland (in Millionen Zloty)

Allerdings ist dabei der Wert der Waren nicht berücksichtigt, die über Zwischenländer Eingang in Polen gefunden haben. Dieser Wert kann aber das Bild nicht wesentlich verändern.

Die Auffassung, daß im Jahre 1926 die polnische Gesamteinfuhr gegenüber dem Jahre 1925 um 44 v.H., die Einfuhr aus Deutschland dagegen nur um 42 v.H. gesunken sei, hält demnach gegenüber den tatsächlichen Ziffern nicht stand.

Im einzelnen zeigt die Abnahme der Ausfuhr Deutschlands nach dem polnischen Zollgebiet folgendes Bild:

Als Absatzmarkt für die deutsche Maschinenindustrie ist das polnische Zollgebiet von der ersten Stelle (nach dem Ausfuhrwert) im Jahre 1924 an die vierte Stelle im Jahre 1925 und die vierzehnte Stelle im Jahre 1926 getreten.

Bei den Waren, deren Ausfuhrwert nach dem polnischen Zollgebiet über 1 Million RM betrug, ist die Ausfuhr z. B. wie folgt zurückgegangen (in Millionen RM):

[Es folgt eine längere statistische Tabelle mit den Ausfuhrwerten für 1924, 1925 und 1926.]

Dagegen hat das polnische Zollgebiet seine Einfuhr aus anderen Ländern nicht unerheblich gesteigert. So ist z. B. der Anteil an der polnischen Gesamteinfuhr gestiegen:

von 1925:

auf 1926:

Vereinigte Staaten v. Nordamerika

13,7 v.H.

17,4 v.H.

Großbritannien

7,9 v.H.

10,4 v.H.

Frankreich

5,9 v.H.

7,4 v.H.

Italien

4,1 v.H.

4,7 v.H.

Niederlande

2,1 v.H.

4,5 v.H.

Schweiz

1,5 v.H.

2,2 v.H.,

Die Einfuhr Polens aus anderen Ländern (in Millionen Zloty)

während die Einfuhr aus Deutschland von 43,6 v.H. im Jahre 1923, 34,5 v.H. im Jahre 1924 und 31,0 v.H. im Jahre 1925 auf 23,6 v.H. im Jahre 1926 zurückgegangen ist.

[719] d) Diese Entwicklung führt zu einer dauernden Einbuße Deutschlands, wenn der jetzige Zustand länger anhält. Der polnische Abnehmer wird immer mehr mit anderen als den deutschen Waren vertraut; er merkt, daß er nicht auf seine deutschen Lieferanten angewiesen ist, findet anderswo vielleicht ihm mehr zusagende Ware und günstigere Lieferungs- und Kreditbedingungen. Jedenfalls ist es schon jetzt nicht mehr sicher, daß die polnischen Abnehmer sich ohne weiteres wieder in altem Umfange deutschen Waren zuwenden werden. So zwingt z. B. der Bezug von Maschinen, elektrischen Einrichtungen, Radiogegenständen aus anderen Ländern dazu, auch die Ersatzteile dauernd von dort zu beziehen. Soweit der Bezug aus anderen Ländern eine Folge der Gewährung von Anleihen ist, kann Deutschland, das immer der Bankier Polens war und auch jetzt noch sein natürlicher Kreditgeber ist, nur bedauern, durch den Gang der Ereignisse aus dieser Rolle gedrängt worden zu sein. Es wird versuchen müssen, sich möglichst bald wieder in die Entwicklung einzuschalten.

Von einer Fortdauer des Wirtschaftskampfes kann Deutschland günstigere Aussichten nicht erhoffen. Die an der Ausfuhr nach dem polnischen Zollgebiet interessierten deutschen Kreise sind durch die lange Dauer des Wirtschaftskampfes so sehr betroffen, daß die Stimmen gegen seine Fortsetzung immer zahlreicher und dringender werden und sich auch in der Öffentlichkeit immer stärker bemerkbar machen. Es sei hier insbesondere auf die Kundgebungen der Breslauer Kreise verwiesen, die sich bei der verzweifelten Stimmung in Schlesien trotz der klar zutage liegenden verhandlungstaktisch nachteiligen Folgen nicht zurückhalten ließen. Abschrift eines Leitartikel „Krieg oder Friede?“ aus Nr. 48 der „Ostdeutschen Wirtschaftszeitung“, des amtlichen Organs der Industrie- und Handelskammer Breslau, Görlitz, Hirschberg, Liegnitz und Sagan, ist als Anlage 1 beigefügt4. Wenn darauf verwiesen wird, daß die deutsche Gesamteinfuhr trotz des Wirtschaftskampfes mit Polen gestiegen sei, so ist doch zuzugeben, daß der Osten, der auf den Absatz nach Polen eingestellt ist, wegen des Wirtschaftskampfes an der Steigerung der Ausfuhr nicht, wie es sonst möglich gewesen wäre, teilnehmen konnte. Auch der Reichsverband der Deutschen Industrie und der Deutsche Industrie- und Handelstag setzen sich mit Nachdruck für den Abschluß eines Vertrages ein. In der Sitzung des Arbeitsausschusses der Handelspolitischen Kommission am 9. Februar 1927 hat der Reichsverband die als Anlage 2 beigefügte Entschließung gefaßt5.

4

R 43 I /1106 , Bl. 257–260; nicht abgedruckt.

5

Die Entschließung lautet: „Der Arbeitsausschuß stellt fest, daß die Nachrichten über einen drohenden Abbruch der deutsch-polnischen Handelsvertragsverhandlungen lebhafte Beunruhigung bei allen am Handelsverkehr mit Polen interessierten Industrien ausgelöst haben. Die Industrie hat volles Verständnis dafür, daß die Reichsregierung gegen die rechtswidrige Ausweisung deutscher Staatsangehöriger aus Polen schärfste Verwahrung einlegt [vgl. Dok. Nr. 182, P. 4]. Sie glaubt aber, daß die Maßnahmen der polnischen Regierung nicht allein ausschlaggebend für die Weiterführung der Handelsvertragsverhandlungen sein dürfen. Die Industrie bittet deshalb die Reichsregierung, auch weiterhin den Versuch zu machen, in den Handelsvertragsverhandlungen mit Polen zu einem tragbaren Ergebnis zu kommen.“ (R 43 I /1106 , Bl. 260).

Auf der polnischen Seite wird der Ausfall des deutschen Absatzmarktes im allgemeinen schwer empfunden. Gleichwohl wird sich dort ein dringendes Bedürfnis nach Abschluß eines Vertrages in naher Zukunft nicht mehr als bisher[720] zeigen, zumal Deutschland im eigenen Interesse die Einfuhr vieler Waren, z. B. großer Mengen Holz, zulassen muß und der innere Markt in Polen erstarkt ist.

Nicht zuletzt erheischen die deutschen kulturellen Belange eine Regelung der Beziehungen. Auch in dieser Hinsicht kann die zunehmende Entfremdung nicht ohne nachteiligen Einfluß bleiben. Der Deutsche in Polen und Danzig wird gezwungen, sich von Deutschland abzuwenden, Beziehungen zu anderen Ländern anzuknüpfen oder wider Willen mit polnischen Firmen in Verbindung zu treten. Die deutschen Einfuhrverbote schädigen in großem Umfange gerade die deutschen Stammesgenossen, die Absatz für ihre Erzeugnisse nur auf dem deutschen Markt finden können. Normale wirtschaftliche Beziehungen zum polnischen Zollgebiet und der ungehinderte Aufenthalt Deutscher, sei es auch nur deutscher Kaufleute in Polen, werden die deutschen Stammesgenossen in ihrer wirtschaftlichen Lage stärken, sie in engere Verbindung mit ihrem Vaterland bringen und die kulturellen Beziehungen vertiefen.

Besonders schwierig würde die Lage für Deutschland, falls sich die Verhältnisse in Polen, vor allem durch die Gewährung einer Auslandsanleihe, bessern sollten. Vor einer Einigung mit Deutschland würde Polen seine Einfuhrverbote nicht aufheben. Eine Lockerung der Einfuhrbeschränkungen würde dann ausschließlich den anderen Einfuhrländern mit den geschilderten nachteiligen Folgen für Deutschland zugute kommen. Für geringe polnische Zugeständnisse müßte dann Deutschland einen außerordentlich hohen Preis zahlen, um überhaupt nur zu einem Vertrage zu gelangen.

II. Die deutschen Forderungen für den Handelsvertrag.

1. Die Gewährung des Niederlassungsrechts.

Schon längere Zeit vor der Unterbrechung der Verhandlungen hat sich Deutschland auf die Forderung des Rechts der Niederlassung zu wirtschaftlichen Zwecken beschränkt. Es handelt sich jetzt – abgesehen von der allgemeinen Regelung der Einreise und der Ausweisung – im wesentlichen nur noch darum, daß die selbständigen Kaufleute und Gewerbetreibenden, die Handels- und Industrieangestellten jeder Art sowie die landwirtschaftlichen Angestellten und die Pächter landwirtschaftlicher Grundstücke das Niederlassungsrecht erhalten. Dieses Recht wird für Pächter allerdings nach der zu erwartenden Ablehnung nicht weiter gefordert werden müssen, da die Zulassung reichsdeutscher Pächter einen zu starken Wettbewerb mit dem deutschstämmigen Nachwuchs zur Folge haben würde. Sollte sich die Niederlassung nicht für alle Angestellten durchsetzen lassen, so könnte sich Deutschland schließlich mit einer Berücksichtigung derjenigen Angestelltengruppen, deren Betätigung in Polen wirtschaftlich für Deutschland notwendig ist, abfinden.

Auf die Gewährung des Niederlassungsrechts an die erwähnten Personengruppen lege auch ich entscheidendes Gewicht. Darüber hinaus ist aber diese Frage rein wirtschaftlich ohne Interesse. Trotz aller Bedenken gegen eine grundsätzliche Beschränkung des Niederlassungsrechts wird daher ein Vertrag mit Polen, selbst wenn er nur den erwähnten Gruppen das Niederlassungsrecht[721] bringen sollte, unter Berücksichtigung des besonderen Verhältnisses zwischen Deutschland und Polen nicht abgelehnt werden können. Ein Vertrag mit vollem Niederlassungsrecht läßt sich meines Erachtens in der nächsten Zukunft nicht erreichen. Für Deutschland muß übrigens nach meinem Dafürhalten nicht zuletzt die Erwägung mitsprechen, daß es durchaus im deutschen Interesse liegt, die Niederlassung von Polen in Deutschland, vor allem in den Grenzgebieten, möglichst zu beschränken.

2. Die Zollwünsche.

a) Durch einen reinen Meistbegünstigungsvertrag wäre Deutschland nicht gedient. Polen hat die anderen Staaten zugestandenen Zollermäßigungen im allgemeinen nur in Vomhundertsätzen des jeweils geltenden Zollsatzes vereinbart, so daß keine Bindung der Zollsätze besteht. Nur der Tschechoslowakei, aber auch ihr nur für wenige Waren, hat Polen feste Sätze zugestanden. Die den anderen Ländern gewährten Ermäßigungen betreffen zudem durchweg nur Waren, die für Deutschland von geringem Interesse sind. Ein reiner Meistbegünstigungsvertrag würde Polen daher – abgesehen von den auch nach einer Einigung bestehenden polnischen Einfuhrverboten gegen viele für Deutschland besonders wichtige Waren – jederzeit ermöglichen, seine Zollsätze, und zwar vor allem die für Deutschland wichtigen, auf völlig prohibitive Höhe zu bringen, so daß der Vertrag für Deutschland auf dem Papier bliebe. Selbst wenn daher Polen sich auf einen reinen Meistbegünstigungsvertrag einlassen sollte, wäre dieser für Deutschland nicht annehmbar, da er Deutschland keine Sicherheit, selbst gegen eine weitere Verschlechterung des jetzigen Zustandes, bieten, Polen dagegen nach Aufhebung der deutschen Einfuhrverbote ermöglichen würde, einen großen Teil seiner Waren zu günstigen Bedingungen in Deutschland abzusetzen. Deutschland wird daher, wenn ihm der Handelsvertrag mit Polen eine Förderung seiner Ausfuhr bringen soll, auf Einräumung von – mehr oder minder zahlreichen – Zollermäßigungen für seine wichtigsten Waren und Bindung von Zollsätzen bestehen müssen.

Übrigens ist mit Sicherheit anzunehmen, daß Polen den Abschluß eines reinen Meistbegünstigungsvertrages, der ihm für die Einfuhr von Vieh und Kohle nichts bietet, ablehnen wird, solange es ohne Handelsvertrag mit Deutschland auskommen kann. Polen hat, gerade unter Hinweis auf Vieh und Kohle, schon in den Verhandlungen Ende 1924 den deutschen Vorschlag abgelehnt, ein Provisorium mit beiderseitiger Meistbegünstigung zu schließen, und hat es im Juni 1925 unter Verzicht auf ein von deutscher Seite entworfenes Meistbegünstigungsprovisorium zum Wirtschaftskampf kommen lassen.

b) Die bisherigen polnischen Zugeständnisse auf die deutschen Zollwünsche sind im allgemeinen noch kein großer Gewinn für die deutsche Ausfuhr. Sie bedürfen einer Ergänzung durch weitere wichtigere Ermäßigungen, die Polen ganz offenbar nur aus taktischen Gründen bisher nicht angeboten hat. Erst wesentliche deutsche Angebote wie Vieh und Kohle werden Polen veranlassen, die wichtigsten deutschen Wünsche zu berücksichtigen, von denen Polen sich sagen muß, daß ohne sie Deutschland einen Vertrag nicht abschließen kann. Obwohl die deutsche Wunschliste im Laufe der Verhandlungen schon stark[722] verringert worden ist, bin ich im Hinblick auf die verhandlungstaktische Lage gleichwohl bereit, die Wünsche nochmals einer Nachprüfung zu unterziehen und mich dabei auf die vordringlichen Wünsche zu beschränken.

3. Außer den Forderungen des Niederlassungsrechtes und eines Tarifvertrages hat Deutschland noch zahlreiche wichtige Wünsche für den Handelsvertrag, bei denen das deutsche Interesse nach einer Regelung das polnische weit übersteigt oder die überhaupt nur auf deutscher Seite bestehen. Die Regelung des See- und Binnenschiffahrtsrechtes liegt ganz überwiegend im deutschen Interesse. Die Aufhebung der Beschränkung der Durchfuhr nach Rußland nach dem Rigaer Vertrag, die Regelung des Wettbewerbs Danzigs mit den deutschen Ostseehäfen, das Auswanderungswesen, die Änderung des Zollverfahrens (Manipulationsgebühren, Ursprungszeugnisse, Nationalisierung usw.) sind ausschließlich deutsche Wünsche. Auch in diesen Fällen ist mit einem Entgegenkommen Polens nur zu rechnen, wenn die wichtigsten Ausfuhrwünsche Polens Berücksichtigung finden.

III. Die polnischen Hauptwünsche.

1. Eine Steigerung der Ausfuhr nach Polen kann Deutschland nach allem nur erreichen, wenn es selbst polnische Waren einführt; wie weit es hierbei gehen will, steht in seinem Belieben, da es für Polen das Hauptausfuhrland und sein natürlicher Abnehmer ist.

Eine wesentliche Steigerung der Einfuhr polnischer Fertigwaren kommt aber nicht in Betracht. Die polnischen Fertigwaren sind – von Ausnahmen, insbesondere ostoberschlesischen Erzeugnissen, abgesehen – teurer und von geringerer Beschaffenheit als die deutschen. Der Absatzmarkt für die polnischen Fertigwaren ist im wesentlichen der nahe und ferne Osten, der Balkan und Südamerika. Dabei geht der Anteil der Fertigwaren, insbesondere der Metall-, Web- und Holzwaren, an der polnischen Gesamtausfuhr ständig zurück; er ist von 21,2 v.H. im Jahre 1925 auf 12,4 v.H. im Jahre 1926 gefallen. Polen ist nach wie vor überwiegend ein Agrar- und Rohstoffland. Der Anteil der landwirtschaftlichen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung beträgt, wie bereits erwähnt 64,3 v.H., an der Ostgrenze Polens sogar 73 v.H. und nur in einigen wenigen Industriebezirken unter 50 v.H. Polens Entwicklung liegt hiernach in einer Intensivierung der Landwirtschaft und einem Ausbau der Rohstoffindustrien. Es muß daher im Vertrage mit seinem wichtigsten Abnehmer vorzugsweise den Absatz der Erzeugnisse der Landwirtschaft und der Rohstoffindustrien zu sichern suchen. Deutschland kann hiernach eine Steigerung seiner Ausfuhr nach dem polnischen Zollgebiet nur erreichen, wenn es Polen die Einfuhr von Erzeugnissen der Landwirtschaft und der Rohstoffindustrien ermöglicht.

2. Die Getreidezölle.

Der frühere Beschluß der Reichsregierung6, bei Getreide die Sätze des[723] Bülow-Tarifs nicht zu unterschreiten, muß auch nach meiner Auffassung bestehen bleiben. Eine weitere Ermäßigung der Sätze gegenüber Polen kommt danach nicht in Frage.

6

Gemeint ist anscheinend der Beschluß der RReg. in der Kabinettssitzung vom 15.10.26 (Dok. Nr. 90, P. 1), in der die wirtschaftlichen Konzessionen festgelegt wurden, die Polen in den Handelsvertragsverhandlungen angeboten werden sollten.

3. Die Holzzölle.

Deutschland hat in der letzten Zeit große, die Einfuhr in den vergangenen Jahren weit übersteigende Mengen Holz aus Polen bezogen. Wenn diese Mengen wegen des Wirtschaftskampfes zu einem erheblichen Teil in Gestalt von Rundholz eingeführt worden sind, so ist doch kein Zweifel, daß das polnische Schnittholz nach Aufhebung des Einfuhrverbots ungehinderten Eingang in Deutschland findet. Der Wirtschaftskampf hat gezeigt, in welch großem Umfange Deutschland auf das polnische Rund- und Schnittholz angewiesen ist. Der Zoll fällt daher weniger dem polnischen Ausfuhrhändler als dem deutschen Käufer zur Last. Die Gelegenheit, bei der kleinen Zolltarifnovelle7 die Holzzölle im Hinblick auf die Verhandlungen mit Polen zu erhöhen, ist leider nicht ausgenutzt worden. Wenn Polen die von der Reichsregierung früher beschlossene Regelung der Holzzölle angeboten wird8, sollte eine Einigung mit Polen in dieser Frage möglich sein.

7

„Gesetz über Zolländerungen“ vom 17.8.25 (RGBl. I, S. 261 ).

8

In der Kabinettssitzung vom 11.6.26 war beschlossen worden, in den Handelsvertragsverhandlungen mit Polen eine Herabsetzung der Zollsätze für beschlagenes Holz von 0,50 auf 0,30 RM, für Schnittholz von 1 RM auf 0,90 RM und für Eisenbahnschwellen von 0,40 auf 0,30 DM je dz zuzugestehen; dies unter der Voraussetzung, daß der Satz für Rundholz von 0,12 auf 0,15 RM je dz erhöht würde (Materialien hierzu in R 43 I /1106 , Bl. 100–105, 109).

4. Das Kohlenkontingent.

Das deutsche Angebot für Kohle ist Polen bisher lediglich um deswillen nicht mitgeteilt worden, weil nach Mitteilung des für Polen wichtigsten Angebots für Vieh die Verhandlungslage nicht gestattete, auch noch das zweite große Zugeständnis aus der Hand zu geben. Daß in der Kohlenfrage Polen ein weitgehendes Entgegenkommen bewiesen werden muß, war von vornherein klar. Ich bin bereit, in diesem Punkt bis an die äußerste Grenze dessen zu gehen, was irgend vertreten werden kann. Unter Berücksichtigung aller Umstände bin ich – nicht ohne sehr schwere Bedenken im Hinblick auf die rückgängige Konjunktur im deutschen Kohlenbergbau und vor allem die Notlage des niederschlesischen und sächsischen Reviers – bereit, über die von mir früher als tragbar erklärten 175 000 t hinauszugehen und dem von der Reichsregierung der Delegation an die Hand gegebenen Angebot von 200 000 t zuzustimmen9. Hierbei gehe ich davon aus, daß die der Delegation bekannten Bedingungen, insbesondere eine Bindung in der Preisfrage, durchgesetzt werden. Bei der verhandlungstaktischen Lage und bei dem Wert, den Polen auf die Regelung der Viehfrage legt, halte ich es aber für ausgeschlossen, mit dem Zugeständnis in der Kohlenfrage ohne Entgegenkommen in der Viehfrage einen für Deutschland befriedigenden Handelsvertrag zu erreichen. Der Druck, den Polen dann in der Kohlenfrage ausüben würde, müßte die Verhandlungen zum[724] Scheitern bringen. Das Angebot in der Kohlenfrage hat daher – außer der selbstverständlichen Voraussetzung eines im übrigen annehmbaren Handelsvertrags – zur Grundlage, daß in der Viehfrage mit Polen eine Einigung erreicht wird. Ich verweise hierbei darauf, daß gerade der Herr Generalsachverständige der Landwirtschaft wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, Zugeständnisse auf dem Gebiet der Landwirtschaft seien nur tragbar, wenn etwas Großes erreicht werde, und daß er darunter auch verstanden hat, daß Schlesien nicht zu stark durch die polnische Kohle bedrängt werde.

9

Siehe Dok. Nr. 90, P. 1.

5. Vieh und Fleisch.

a) Polen hat niemals einen Zweifel darüber gelassen, daß es auf Vergünstigungen für die Einfuhr von Vieh und Fleisch entscheidenden Wert lege und daß eine Regelung dieser Frage für Polen noch wichtiger als die Kohlenfrage sei. Es sei daran erinnert, daß Polen schon in den Vorverhandlungen Ende 1924 und gleich zu Beginn der Handelsvertragsverhandlungen den Abschluß eines Veterinärabkommens als Angelpunkt der Verhandlungen bezeichnet hat. Polen erhofft eine wesentliche Vergrößerung seiner Ausfuhr durch eine Intensivierung seiner Viehwirtschaft und sucht daher Vieh und Fleisch in der Nähe abzusetzen. Die Tschechoslowakei und Österreich lassen im allgemeinen die Einfuhr von lebendem Vieh aus Polen zu. Polen will nun auch vor allem Deutschland als Abnehmer gewinnen, da die gemeinsame Grenze einen schnellen Absatz ermöglicht. Ein Entgegenkommen auf diesem Gebiet ist daher meines Erachtens Voraussetzung sowohl für den Abschluß eines Vertrages überhaupt als für wesentliche polnische Zugeständnisse auf die deutschen Wünsche.

b) Darüber, daß Polen für Rindvieh und Rindfleisch aus veterinärpolizeilichen Gründen keine Zugeständnisse gemacht werden können, besteht Einigkeit. Mit Vergünstigungen nur bei Schweinen und Schweinefleisch wird sich Polen aber schließlich nur zufrieden geben, wenn hierbei das äußerste Entgegenkommen gezeigt wird.

c) Polen verlangt weniger eine Ermäßigung der Zollsätze – vielmehr ist es durchaus möglich, daß sich Polen hier mit einer geringen Ermäßigung oder der Meistbegünstigung abfindet – als die Sicherung dagegen, daß die veterinärpolizeilichen Einfuhrverbote als Vorwand zur Verhinderung wirtschaftlich unerwünschter Einfuhr dienen.

Diese Forderung halte ich insoweit für begründet, als diese Einfuhrverbote einen rein veterinärpolizeilichen Charakter haben. Wenn die Länder gegen die Einfuhr keine veterinärpolizeilichen Bedenken haben, wäre eine Beschränkung der Einfuhr eine ausschließlich wirtschaftliche Maßnahme. Eine Verwendung dieser nur der Seuchenpolizei dienenden Einfuhrverbote zu wirtschaftlichen Zwecken ist aber rechtlich nicht zulässig. Lassen sich die Einfuhrverbote für wirtschaftliche Zwecke nicht entbehren, so wären sie als wirtschaftliche Einfuhrverbote zu erlassen. Der wirtschaftliche Schutz muß aber heute durch die Zölle erreicht werden.

d) Es bleibt hiernach zu prüfen, inwieweit Gründe der Seuchenpolizei einer Einfuhr von Schweinen und Schweinefleisch aus Polen entgegenstehen.

In dieser Hinsicht ist festzustellen, daß jedenfalls das bisherige Angebot[725] an Polen10 keinen seuchenpolizeilichen Bedenken unterliegt. Das Angebot ist das Ergebnis eingehender Prüfung. Die Länder haben das Angebot vom seuchenpolizeilichen Standpunkt aus übereinstimmend für vertretbar erklärt. Auch mir scheinen seuchenpolizeiliche Bedenken nicht gerechtfertigt. Die Einfuhr von wöchentlich 1000 Schweinen nach dem westoberschlesischen Industriegebiet beruht auf dem Vorkriegszustand und ist seuchenpolizeilich unbedenklich. Bei der Einfuhr von Schweinen in besonders ausgewählte Wurstfabriken kommen die Schweine nicht in den Verkehr. Es findet eine Untersuchung an der Grenze und eine Nachprüfung in den Wurstfabriken statt. Seuchenpolizeiliche Einwendungen sind somit auch hier nicht begründet.

10

Siehe Dok. Nr. 90, P. 1.

e) Vom wirtschaftlichen Standpunkt ist das bisherige Angebot wie folgt zu beurteilen:

Der Schweinebestand in Deutschland hat die Vorkriegshöhe noch nicht wieder erreicht.

Es betrug für das jetzige Reichsgebiet ohne das Saargebiet:

Die ortsanwesende Bevölkerung

Der Schweinebestand:

am 1.12.1910

57,8 Millionen

1913:

22,5 Millionen

am 16.6.1925

62,6 Millionen

1.12.1926:

19,4 Millionen

Während 1913 ein Schwein auf 2½ Köpfe kam, entfällt jetzt ein Schwein auf 3¼ Köpfe. Die Vorkriegshöhe wäre erst erreicht, wenn der Schweinebestand sich auf 24,4 Millionen Stück erhöhen würde. Die Abschlachtungen der letzten Zeit werden eine solche Erhöhung in naher Zukunft kaum zulassen.

Daß ein Einfuhrbedarf besteht, ergibt sich aus folgenden Zahlen: Vom Januar bis Juni 1925 wurden an Schweinefleisch: frisch der statistischen Nummer 108 c 1 aus Polen 211 742 dz eingeführt. Dagegen ist eine Einfuhr aus Jugoslawien, Rumänien und Ungarn überhaupt nicht verzeichnet. Nach Ausbruch des Wirtschaftskampfes sind vor allem diese Länder an die Stelle Polens getreten; [es folgen statistische Angaben über die Schweinefleischeinfuhr aus Jugoslawien, Rumänien und Ungarn von 1925 bis März 1927.]

Hierzu kommt noch die Einfuhr an lebenden Schweinen (vgl. unten h.) Die Zulassung der Einfuhr von Schweinen aus Polen würde daher nur eine Verschiebung unter den Einfuhrländern bedeuten.

Welche Menge das Angebot einzuführen gestattet, läßt sich ziffernmäßig auch nicht annähernd errechnen. Die Zahl von 5–600 000 Stück stellt lediglich die Aufnahmefähigkeit, also die Höchstgrenze dar. Ob eine solche Menge eingeführt werden kann, ist durchaus zweifelhaft. Die Aufnahmefähigkeit Deutschlands für Wurst ist begrenzt. Schon bei den jetzt hergestellten Mengen kämpfen die meisten Fleischwarenfabriken mit großen Schwierigkeiten, wie ja der bekannte Betrieb von Schmidthals in Rügenwalde zahlungsunfähig geworden[726] ist. Eine Ausdehnung der Herstellung über den jetzigen Umfang hinaus ist daher sehr unwahrscheinlich. Insbesondere erscheint das Bedenken, es könne ein Betrieb in amerikanischem Ausmaße eingerichtet werden, unbegründet. Für einen solchen Betrieb fehlt auf absehbare Zeit der Absatz in Deutschland. Sollte er zur Herstellung von Wurst zwecks Ausfuhr gegründet werden, so wäre dies nur zu begrüßen.

Da die Aufnahmefähigkeit Deutschlands für Wurst feststeht, wären Besorgnisse selbst dann nicht angebracht, wenn das gleiche Zugeständnis wie Polen anderen Ländern gemacht werden müßte. In diesem Falle würde sich im wesentlichen nur der Markt für Polen um die Einfuhr aus anderen Ländern verringern.

Da der Zoll in voraussichtlich nicht geringer Höhe bestehen bleiben wird, ist selbst in dem zugestandenen engen Rahmen eine volle Ausnutzung aller Einfuhrmöglichkeiten nicht zu befürchten.

Die Preise in Polen werden in den letzten Jahren und auch jetzt unter den deutschen liegen. Die Preise in früherer Zeit lassen sich aber wegen der damaligen Schwankungen des Zloty der Beurteilung nicht zu Grunde legen. Mit der Stabilisierung des Zloty müssen auch die polnischen Preise sich den Weltmarktpreisen annähern. Der Zoll von 16 M und die Fracht von über 3,50 M für den Zentner werden dann den Unterschied ausgleichen. Zudem wird die Abnahme von Schweinen durch Deutschland zu einer Erhöhung des polnischen Preises führen müssen.

Selbst wenn das polnische Schweinefleisch in Deutschland billiger als das deutsche wäre, ist nach dem bisherigen Angebot kein Einfluß auf die deutschen Fleischpreise zu erwarten. Ein solcher Einfluß wäre erst möglich, wenn der Inlandsbedarf gedeckt wäre, und auch dann nur bei der Einfuhr auf den Frischfleischmarkt, auf dem sich der Preis durch Versteigerungen bildet, nicht dagegen bei Ablenkung vom Frischfleischmarkt und Einfuhr in die Wurstfabriken, die den Preis für die Qualitätsware mehr oder minder willkürlich festsetzen, und nicht bei Einfuhr einer im Verhältnis zum Gesamtverbrauch so geringen Menge für einen beschränkten Zweck.

Der neuerdings eingetretene Preissturz ist nicht auf die Befürchtung polnischer Einfuhr, sondern ausschließlich auf das vermehrte Angebot zurückzuführen, das seinerseits auf den Abschlachtungen wegen der geringen Kartoffel- und Roggenernte beruht. Nach „Wirtschaft und Statistik“ Nr. 7, 1. Aprilheft 1927, S. 337 sind gegenüber dem März 1926 die Preise für Kartoffeln um mehr als das Doppelte, für Futtergerste um 37 v.H. und für Roggenkleie um 62 v.H. gestiegen. Z. B. ist der Preis für rote Kartoffeln von 2,85 M am 6. Oktober 1926 auf 3,65 M am 5. Januar 1927, 4,55 M am 2. März 1927 und jetzt auf über 5,30 M je Zentner gestiegen. Der Preis für märkischen Roggen ist von 215,50 M am 26. Oktober 1926 auf 235,60 M am 5. Januar 1927, 249,50 M am 2. März 1927 und jetzt auf über 275 M je Tonne gestiegen.

Aus den oben angegebenen Ziffern ergibt sich auch, daß die Senkung der Preise nicht auf eine vermehrte Einfuhr zurückzuführen ist. Vielmehr hat gerade die Senkung der Preise einen Rückgang der Einfuhr zur Folge gehabt.

[727] Die Unterlagen über die Höhe des polnischen Schweinebestandes sind nicht zuverlässig genug, um daraus bestimmte Schlüsse zu ziehen. Es ist indes nicht anzunehmen, daß die Polnische Delegation den Schweinebestand zu gering angegeben hat, da es in ihrem Interesse lag, ihn möglichst hoch darzustellen, um ein umso größeres Zugeständnis von Deutschland zu erreichen. […]

Sollte der Inlandsbedarf an Schweinen durch die deutsche Landwirtschaft gedeckt werden können oder gar ein Ausfuhrüberschuß entstehen, so wäre die Einfuhr völlig unbedenklich, da dann die deutschen Schweine für die Ausfuhr zur Verfügung ständen.

f) Hiernach sehe ich weder aus veterinärpolizeilichen noch aus wirtschaftlichen Gründen einen Anlaß, von dem bisherigen Angebot abzugehen. Gewiß legt es der deutschen Landwirtschaft schmerzliche Opfer auf. Es ist aber ebenso wie das Zugeständnis bei der Kohle unumgänglich nötig, wenn die mit dem Abschluß eines Vertrages für die deutsche Wirtschaft verbundenen großen Vorteile erreicht werden sollen. Ohne Zugeständnisse auf landwirtschaftlichem Gebiet ist ein Vertrag mit Polen undenkbar. […]

Die bevorstehenden Handelsvertragsverhandlungen mit anderen auf die Viehausfuhr angewiesenen Ländern, z. B. Litauen, Jugoslawien, würden überdies dazu zwingen, das Angebot ihnen zukommen zu lassen, ohne daß es für das in erster Linie interessierte Polen und die wichtigen deutschen Belange in Polen nutzbar gemacht werden könnte.

g) Äußerstenfalls wäre zu prüfen, ob verlangt werden soll, daß die Wurstfabriken, in die das Schweinefleisch eingeführt werden darf, westlich von Berlin liegen müssen. Wenn sich die Aufnahmefahigkeit nicht wesentlich verringert oder die Frachtkosten zu sehr erhöhen, würden dadurch Bedenken – die ich, wie ausgeführt, nicht teile – ausgeräumt werden können.

Soweit die Einfuhr polnischer Schweine zu einer geringeren Abnahme ostpreußischer Schweine führt, müßte die Hauptverwaltung der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft durch Gewährung eines ermäßigten Tarifs die Wettbewerbsfähigkeit Ostpreußens wiederherstellen.

h) Daneben bleibt ernstlich zu prüfen, ob Polen nicht auch die Einfuhr lebender Schweine zugestanden werden kann. Was Rußland zugestanden ist, sollte sich auch Polen unter Anpassung an seine Lage gewähren lassen. […]

i) Auch in den übrigen Wünschen, vor allem bei der Durchfuhr, werden Zugeständnisse an Polen möglich sein, die einer Einigung auf diesem Gebiete zustatten kommen würden.

6. Der Kartoffelzoll.

a) Auch ich halte einen ausreichenden Zollschutz des Kartoffelbaues für erforderlich, bin aber nicht der Auffassung, daß eine Erhöhung des Kartoffelzolles gegenüber Polen notwendig wäre. Der Zoll von 0,50 RM, der nicht zuletzt im Hinblick auf Polen geschaffen worden ist, ist Polen gegenüber bisher nicht zur Anwendung gekommen, weil beim Inkrafttreten der neuen Zolltarifnovelle11 der Wirtschaftskampf mit Polen bereits bestand. Es liegen daher[728] keine praktischen Erfahrungen in der Richtung vor, daß der Zoll von –,50 RM nicht genügt.

11

Siehe Anm. 7.

b) Es besteht ein gewisser Einfuhrbedarf für Kartoffeln aus Posen/Pommerellen, vor allem für Sachsen. Im Jahre 1924 sind aus Westpolen 1 686 675 dz Kartoffeln eingeführt worden. Die Knappheit an Kartoffeln in Deutschland, jedenfalls für Betriebszwecke, ist zum Teil auf den Ausschluß der polnischen Kartoffeln zurückzuführen.

c) Was insbesondere Ostpreußen betrifft, so sucht es seinen Kartoffelabsatz schon wegen der hohen Fracht nicht in Mitteldeutschland im Wettbewerb insbesondere mit der pommerschen und schlesischen Kartoffel. […]

Ostpreußen kann übrigens die Kartoffeln verfüttern oder verarbeiten. Bei der Verarbeitung zu Sprit kann Polen einen Wettbewerb nicht bereiten; die Verarbeitung zu Flocken ist durch einen hohen Zoll geschützt.

d) Schon aus verhandlungstaktischen Gründen erscheint es mir nicht möglich, den Zoll zu erhöhen. Ich halte es nicht für vertretbar, im Laufe der Verhandlungen den Zoll für eine einzelne, den Vertragsgegner besonders interessierende Ware stark zu erhöhen. Es ist damit zu rechnen, daß Polen diese besondere Benachteiligung mit der Ablehnung weiterer Verhandlungen beantwortet oder seinerseits für besonders wichtige deutsche Ausfuhrwaren hohe Einfuhrzölle festsetzt. Jedenfalls ist gerade von deutscher Seite gegenüber Polen wiederholt darauf hingewiesen worden, daß eine besondere Benachteiligung des Vertragsgegners im Laufe der Verhandlungen unzulässig sei.

e) Äußerstenfalls wäre ich damit einverstanden, daß die Polen angebotene Ermäßigung des Satzes von –,50 RM auf –,40 RM zurückgenommen wird. Ich möchte annehmen, daß Polen sich schließlich mit dem Satz von –,50 RM abfinden wird. Unter Umständen wäre auch an die Vereinbarung einer Dumpingklausel zu denken.

IV.

Ich komme daher zu folgenden Schlußfolgerungen:

1. Ein Handelsvertrag mit dem polnischen Zollgebiet ist für Deutschland dringend notwendig.

2. Der Handelsvertrag ist für Deutschland annehmbar, selbst wenn er das Niederlassungsrecht nur den selbständigen Kaufleuten und Gewerbetreibenden und denjenigen Angestellten sichert, deren Betätigung in Polen für Deutschland wirtschaftlich notwendig ist. Die Erreichung dieser Rechte genügt zur Wiederaufnahme der Handelsvertragsverhandlungen.

3. Ein reiner Meistbegünstigungsvertrag trägt den deutschen Interessen nicht ausreichend Rechnung und würde auch von Polen abgelehnt werden. Für die wichtigsten deutschen Ausfuhrwaren sind Zollermäßigungen und Zollbindungen nötig.

4. Ein Handelsvertrag überhaupt, insbesondere aber mit dem Niederlassungsrecht, mit Zollermäßigungen und Zollbindungen, ist nur zu erreichen, wenn Deutschland bei der Einfuhr von Vieh und Kohle bis zur äußersten Grenze des Vertretbaren geht. Jedenfalls ist das bisherige Angebot für Vieh und das vorgesehene Angebot für Kohle aufrecht zu erhalten.

[729] 5. Das bisherige Angebot für Getreide und das in Aussicht genommene Angebot für Holz bleiben aufrecht erhalten.

6. Von einer Erhöhung des Zolles für Kartoffeln wird abgesehen12.

12

Für die Ministerbesprechung vom 11.5.27 (Dok. Nr. 231, Ministerbesprechung, P. 1) fertigte MinR Feßler am 10. 5. eine Aufzeichnung, die den Inhalt der Denkschrift des REM vom 19. 4. (Dok. Nr. 223) sowie der – oben abgedruckten – Gegendenkschrift des RWiM zusammenfassend referierte. Am Schluß seiner Aufzeichnung stellte Feßler fest: „Die Entscheidung der Fragen: 1) Aufrechterhaltung der bisherigen Angebote für die Einfuhr von a) Fleisch, b) Holz, c) Kohle, 2) Erhöhung des Kartoffelzolles von –,50 M auf 2,– M, 3) Beschränkung des Niederlassungsrechtes auf Deutsche, deren Tätigkeit für [die] deutsche Wirtschaft notwendig ist, wird von der grundsätzlichen Stellungnahme zu der Frage abhängen, ob den Interessen weltwirtschaftlicher Verknüpfung mit dem Auslande oder den Bestrebungen nach Stärkung des Binnenmarktes durch Hebung der Landwirtschaft der Vorzug gegeben werden soll.“ Das Votum Feßlers lautete: „Ermöglichung weiterer Verhandlungen mit Polen durch Anknüpfung an die bisherigen Vertragsangebote.“ Diesem Votum stimmte MinDir. Offermann zu, und auch StS Pünder erklärte sich damit einverstanden (R 43 I /1106 , Bl. 261–262).

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