2.64 (ma31p): Nr. 64 Staatssekretär Pünder an den Reichskanzler, z. Z. in Engelberg (Schweiz). 23. Juli 1926

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Nr. 64
Staatssekretär Pünder an den Reichskanzler, z. Z. in Engelberg (Schweiz). 23. Juli 1926

Nachlaß Pünder, Nr. 27, Bl. 75–83 Durchschrift1

1

Die Ausfertigung befindet sich im Stadtarchiv Köln, Nachl. Marx , Nr. 71; die letzte Seite der Ausfertigung fehlt.

[Erweiterung oder Beibehaltung der gegenwärtigen Regierungskoalition2.]

2

Dieses Schreiben Pünders diente der Information des von Berlin abwesenden Reichskanzlers über aktuelle Probleme der Innen- und Außenpolitik. Abgedruckt wird hier lediglich der Teil, der sich auf die Koalitionsfrage bezieht. Ausführliche Inhaltsangabe in: Stehkämper, Der Nachlaß des Reichskanzlers Wilhelm Marx, Teil I, S. 423–425.

Hochverehrter Herr Reichskanzler!

[…]

Der Herr Reichspräsident scheint aus Ihrem Vortrag, hochverehrter Herr Reichskanzler, am Mittwoch [21. 7.] vormittag3 den Schluß gezogen zu haben, daß Sie einer Erweiterung der gegenwärtigen Regierungsbasis im kommenden Herbst abgeneigt wären4. Herr Staatssekretär Meissner hat mir dies mitgeteilt, mit dem ich daraufhin vertraulich diese Frage einmal durchgesprochen habe. Ich habe ausgeführt, daß mir der Standpunkt des Herrn Reichskanzlers in dieser Frage, wie ich glaube, einigermaßen bekannt sei. Der Herr Reichskanzler halte an der alten Politik des Zentrums fest, das entsprechend seinem Namen sich als Mittelpartei fühle und entsprechend seinem Programm stets eine Politik der mittleren Linie führen würde. Das schließe selbstverständlich nicht aus, daß es je nach den politischen und taktischen Umständen erwünscht und notwendig sein könne, einen Anschluß nach links oder auch nach rechts zu suchen. Gerade bezüglich dieser letzteren Möglichkeiten sei m. W. aber der Herr Reichskanzler der Ansicht, daß infolge der intransigenten Haltung der Sozialdemokratie in der[145] Fürstenabfindungsfrage5 mit einer Großen Koalition im Herbst kaum zu rechnen sei. Ebenso sei aber aus ähnlichen und nicht zuletzt außenpolitischen Gründen auch eine Koalitionsbildung nach rechts für den Herbst sehr wenig wahrscheinlich. Lediglich auf Grund dieser praktischen Erwägungen, nicht aber auf Grund einer prinzipiellen inneren Abneigung halte der Herr Reichskanzler m. E. für wahrscheinlich, daß trotz allen guten Willens es auch im Herbst und wohl auch im kommenden Winter bei der gegenwärtigen Basis der Reichsregierung bleiben werde. Herr Meissner war über diese Ausführungen sehr befriedigt. Er persönlich ist, wie ich weiß, ein Anhänger der Großen Koalition, während der Herr Reichspräsident zwar auch gegen die Große Koalition keine grundsätzlichen Bedenken hat, aber an deren praktische Verwirklichung nicht glaubt und infolgedessen eine Regierung mit Anschluß nach rechts für den Herbst herbeisehnt. Alle solche Erörterungen sind natürlich einstweilen noch akademischer Art. Es wird aber sicher gut sein, wenn Sie, hochverehrter Herr Reichskanzler, nach Erledigung des beiderseitigen Urlaubs sich nochmals mit dem Herrn Reichspräsidenten über diese Frage aussprechen wollten6.

3

Eine Aufzeichnung hierüber war weder in den Akten der Rkei noch in den Nachlässen Marx und Pünder zu ermitteln.

4

„abgeneigt wären“ geändert aus „werden weniger abgeneigt sein“.

5

Vgl. Dok. Nr. 48.

6

In einem Schreiben vom 25.7.26 an RK Marx teilte StS Pünder u. a. mit, er habe sich gestern mit dem PrMinPräs. Braun und dem RTPräs. Löbe „sehr freimütig über die zukünftigen Entwickelungen der Reichsregierung ausgesprochen. Beide Herren (Braun und Löbe) haben zu Ihnen, hochverehrter Herr Reichskanzler, nach wie vor vollstes Vertrauen und sind auch davon durchdrungen, daß Sie am liebsten die Große Koalition bilden würden. Beide sind aber auch der Meinung, daß es im Herbst zu dieser Regierungserweiterung nicht kommt, daß vielmehr die bürgerliche Minderheitsregierung der Mitte noch über den Winter fortbestehen wird. Beide sind ferner der Meinung, die übrigens auch durchaus die meine ist, daß gerade infolge dieses Umstandes baldigst die getrübten Beziehungen zwischen Reich und Preußen bereinigt werden müßten. Wenn zwischen Reich und Preußen gute Beziehungen bestünden, ‚hätte man ja indirekt die Große Koalition‘. Ich [Pünder] habe stark betont, daß der Herr Reichskanzler auch auf Wiederherstellung guter Beziehungen zwischen Preußen und dem Reich allergrößten Wert lege.“ (Durchschrift im Nachl. Pünder , Nr. 27, Bl. 84–88; vgl. Stehkämper, Der Nachlaß des Reichskanzlers Wilhelm Marx, Teil I, S. 425 f.). Im Antwortschreiben des RK Marx an Pünder vom 27.7.26 heißt es: „Ihre Auffassung über die Frage der Reg[ierungs]Erweiterung im Herbst teile ich vollkommen. Das Minderheitskabinett wird weiter fortbestehen. Die Sozis wollen keinen Beitritt zur Reg[ierung], – das Zentrum hat eine Erweiterung nach rechts ausgeschlossen. – Einen Gefahrenpunkt bildet nur die Deutsche V[olks]P[artei]. Sie kann wieder, wie im Dezember 1924, eine Erweiterung nach rechts verlangen. Damit wäre eine schwierige Lage geschaffen.“ (Nachl. Pünder, Nr. 27, Bl. 89).

[…]

[gez. Pünder]

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