2.3 (str2p): Nr. 3 Entwurf einer Regierungserklärung des Generals von Seeckt. [September 1923]

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Nr. 3
Entwurf einer Regierungserklärung des Generals von Seeckt. [September 1923]1

1

Vgl. zum folgenden die Anmerkungen zu Anhang Nr. 2; s. dazu auch H. Meier-Welcker, Seeckt, S. 392, C. Guske, Das politische Denken des Generals von Seeckts, S. 259.

BA-MA: NL von Seeckt 139, Bl. 9–15 eigenhändig

Das Kabinett ist seinem Wesen nach eine Regierung des Ausnahmezustandes und des Übergangs.

Die besondere Lage des Reiches nach Innen und Außen erfordert besondere Mittel; es muß ein Übergang gefunden werden zur Gesundung aus unerträglicher Erkrankung. Diese Lage bestimmt, aber begrenzt auch die Ziele.

Das Kabinett hat die Aufgabe: Die Einheit des Reiches und den Bestand des Reiches nach Außen und Innen zu erhalten und zu festigen. Zu diesem Zweck wird es bestrebt sein, alle vorhandenen und zur Mitarbeit fähigen und bereiten Kräfte des Volkes zu gemeinsamer Arbeit zusammenzufassen. Versuchen,[1207] diese Einheit des Reiches von Außen oder Innen zu erschüttern, wird es mit allen ihm zu Gebote stehenden und sich bietenden Mitteln begegnen. Die Wiederherstellung und Stärkung der vollen Souveränität des Reiches, die Wiederherstellung und Stärkung der Staatsgewalt muß die Grundlage der Politik der Regierung sein.

Ist dieses Ziel erreicht und ist zugleich die Grundlage für eine gesunde wirtschaftliche und nationale Entwicklung gelegt, dann kann und wird diese Regierung auf ihre besonderen Vollmachten und Ausnahmemittel verzichten. Dann wird es Aufgabe einer neuen Regierung sein, auf dem Weg der Gesetzgebung dauernde, geordnete und entwicklungsfähige Verhältnisse zu schaffen. Die Regierung sieht ihre erste Aufgabe daher nicht in dem Erlaß von Gesetzen mit dauernder Wirkung, sie wird jetzt nicht Fragen der Verfassung aufwerfen und zu lösen suchen. Dazu ist heute nicht die Stunde. Sie wird aber mit allen Mitteln sich dafür einsetzen, daß von den vorhandenen Kräften nichts verlorengeht, daß Mißbrauch und Zerstörung Einhalt geboten und eine Gesundung verbreitet wird.

Das kann sie nicht, wenn sie sich auf Unterdrückung und Abweisung feindlicher Bestrebungen beschränkt. Sie muß zu starken Maßnahmen greifen, wie sie die Stunde fordert.

Außenpolitik.

Die Regierung verneint nicht den Vers. Vertrag und verleugnet nicht die vom Reich gegebene Unterschrift, wenn sie sie auch als erzwungen ansieht. Als in äußerster Not erzwungen betrachtet sie im besonderen die Anerkenntnis der Schuld am Krieg und die Schuld im Krieg. Sie wird alles versuchen, um die Welt von der Falschheit der Anschuldigung zu überzeugen.

Die Regierung ist somit gewillt, die dem Reich auferlegten Bedingungen des Vers. Friedens zu erfüllen. Sie stellt aber fest, daß dieser Wille an der Gefahr des nationalen Selbstmordes seine Grenze findet. Im besonderen ist die Reg. nicht und unter keinem Druck und keiner Bedingung bereit, ihre Zustimmung und ihre Unterschrift zu Forderungen zu erteilen, welche über die Grenzen des Vers. Vertrages hinausgehen.

Die Besetzung des Ruhr-Gebietes hält die Reg. völkerrechtlich und nach den Bestimmungen des Vers. Vertrages für ungesetzlich und erklärt […]2.

2

Verweis auf ein anderes Schriftstück mit der Kennziffer 1 dazu die Notiz: „nicht mehr zutreffend“.

Die Reg. erklärt ferner, daß sie grundsätzlich bereit ist, zur Regelung der Reparationsfrage mit Frankreich die Minderheitsbeteiligung der franz. Industrie an den westdeutschen Werken sowie die staatliche Minderheitsbeteiligung Frankreichs an den deutschen Eisenbahnen zu erörtern.

Die Regierung hofft, daß bei unsern östlichen Grenznachbarn sich mehr und mehr die Erkenntnis Bahn bricht, daß ihrer eigenen Entwicklung auf Entgegenkommen laufende Beziehungen zum Reich förderlich sind. Damit hängt zusammen,[1208] daß den deutschen Stammesgenossen jenseits der Grenzen angetane Kränkungen und Verfolgungen als eigene im Reich empfunden werden3.

3

Dieser Satz dürfte sich insbesondere auf die deutsch-polnischen Verhältnisse beziehen wie auch auf die Beziehungen zu Litauen.

Der Ausbau der wirtschaftlichen Annäherung an Rußland wird der d. Regierung weiter am Herzen liegen, da sie überzeugt ist, daß die Verhältnisse beide Mächte aufeinander angewiesen haben und gegenseitige Hilfeleistung auf wirtschaftlichem Gebiet beider Interessen entspricht. Dabei muß und kann die durchaus verschiedene Form der Regierung in beiden Staaten kein Hindernis bilden, da das Reich ebensowenig daran denkt, sich in die russischen Verhältnisse einzumischen, wie es jede äußere Einwirkung auf seine innere Gestaltung, von welcher Seite sie auch kommen möge, abzuweisen und zu verhindern entschlossen ist.

Von den beiden großen angelsächsischen Mächten erhofft das Reich zunehmendes Verständnis für seine Lage, aber auch für gebrachte und gebotene Opfer. Beweisen von Sympatie [!] und Hilfsbereitschaft von neutraler Seite, von Schweden, Holland, Spanien und der Schweiz, wird Deutschland Dankbarkeit beweisen.

In ernster und schwerer Stunde ist ein Soldat an die Spitze der Regierung berufen und als Soldat im Dienst des Reiches bin ich dem Ruf gefolgt. Ich verkenne nicht, daß böswillige Auffassung im Ausland aus dieser Tatsache die Einleitung militärischer Abenteuer folgern könnte. Ich stelle demgegenüber fest, daß niemand besser als der Soldat die Kräfteverhältnisse der ringsum uns bewaffneten Welt feststellen und mit unseren eigenen Kräften in Vergleich bringen kann, niemand tiefer als er die Verantwortung fühlt, die das Wort Krieg auferlegt. Deutschlands Kräfte, seine militärischen und seine wirtschaftlichen liegen der Welt offen; keines Wortes bedarf es, um darzulegen, daß sie zur Verfolgung eigener Machtpolitik, zu angriffsweiser Störung des Feindes nicht ausreichen, selbst wenn eine deutsche Regierung sich zu solchen Unternehmen bereit fände. Eins aber lasse sich die Welt gesagt sein, daß zur Notwehr, zum letzten Kampf um nationales Sein oder Nichtsein sich stets eine deutsche Hand und ein deutsches Schwert finden wird.

Inneres.

Die Einheit des Reiches als Grundlage jeder weiteren Entwicklung muß dadurch sichergestellt werden, daß in den lebenswichtigen Fragen die Reichsregierung führt und daß über diese Fragen weitgehende Übereinstimmung zwischen ihr und den Ländern herrscht. Wenn diese herbeizuführen Aufgabe der Reichsregierung ist, so bedarf es hierzu seitens der Länder des Entgegenkommens, z. T. auch des Opfers von Sonderwünschen.

Wir werden gut tun, zur Stunde Wünsche, die auf Änderung der bestehenden Verfassung gehen, zurückzustellen bis zu ruhigerer Stunde. Dagegen nimmt die Regierung Anlaß zu erklären, daß sie die Erhaltung des Reiches auf föderalistischer Grundlage, im Sinne des großen Reichsgründers als ihre vornehmste[1209] Aufgabe ansieht und die Weiterentwicklung dieses Gedankens anstreben wird.

Ob sich zu diesem Zweck eine Änderung der Verfassung als notwendig herausstellt, mag späterer Erwägung und Beschlußfassung vorbehalten werden. Wenn ich eingangs die Aufrechterhaltung der Staatsautorität als notwendig bezeichnete, so liegt darin die Unterdrückung aller Bestrebungen, welche auf einen Staatsstreich abzielen. Nur eine ordnungsmäßige Weiterentwicklung unserer inneren Verhältnisse kann zur Besserung führen.

Der Schutz des Lebens und des persönlichen Eigentums bedarf dringend der Stärkung. Die Ausnahmebestimmungen geben der Regierung zur Zeit genügende Macht zur Unterdrückung von Zuwiderhandlungen und die Regierung kann nur warnen, sie nicht zu der schroffen Anwendung dieser Machtmittel zu zwingen. Über diese hinaus bedarf es aber einer beschleunigten und verschärften dauernden Rechtsprechung bei Eigentumsvergehen und Gewalttätigkeiten. Die tief gesunkene öffentliche Moral kann nur mit strengeren Strafen gehoben werden, als sie normale Zeiten notwendig erscheinen lassen.

Der unbefugte Aufenthalt von Ausländern im Reich und Ihre Einflußnahme auf unsere innerpolitische und wirtschaftliche Entwicklung hat eine Ausdehnung angenommen, welche gründliche [?] Änderung erfordert.

Wirtschaft.

Die entschlossene Abkehr von unpraktischen Theorien allein vermag Deutschland zu neuer wirtschaftlicher Entwicklung zu führen.

Kurze Leitsätze der einzuschlagenden Wirtschaftspolitik müssen hier genügen. Diese Politik fordert Opfer von allen, nicht nur materielle Opfer, sondern auch Verzicht auf Verbesserungspläne, deren Verwirklichung sich die Zeit und die Not entgegenstellen. Wir müssen versuchen, unsere Wirtschaftskraft auf das äußerste auszunutzen, um alle Kräfte nach ihrem Wert in die Arbeit zum Wohl des Ganzen einzustellen.

Das Privateigentum ist in seinem vollen Umfang – auch das an Produktionsmitteln – anzuerkennen. Dadurch werden alle utopischen Sozialisierungsbestrebungen ausgeschlossen.

Die Gemeinwesen sind aus allen Betrieben und Unternehmungen herauszuziehen, die ihrem Charakter nach nicht natürliche Monopole bilden.

Ein Aufsichtsrecht des Staates sichert dessen Einfluß auf die Ausnutzung der für das öffentliche Wohl wichtigen Produktion, ohne den Staat als solchen unmittelbar am Gewinn zu beteiligen.

Die Eisenbahnen und die Reichspost sind in Gesellschaftsform zu überführen, wobei eine Beteiligung des Privatkapitals nicht ausgeschlossen, aber in den Grenzen von Minderheitsbeteiligung zu halten ist. Aufhebung und Verbot aller Kartelle und Syndikate, welche eine Preisbildung bezwecken. Aufhebung und Verbot von Tarifverträgen.

Aufhebung des schablonenmäßigen achtstündigen Arbeitstages, der als Grundlage der Arbeitsleistung bestehen bleibt, aber nach Art der Arbeit nach oben und unten zu modifizieren ist. Bewertung der Leistung und nicht schematisch[1210] der Zeit. Errichtung berufsständiger Kammern mit Staatsaufsicht, denen weitgehender Einfluß auf den Produktionsgang, den Arbeitsmarkt, Betriebsführung, Steuerveranlagung der Berufsgenossen, Arbeiterschutz und Einfluß auf die Gesetzgebung durch Wahl zu einer Reichs-Ständekammer einzuräumen ist.

Eine Arbeitslosenunterstützung ist nur gegen Arbeitsleistung zu zahlen. Arbeitsgelegenheit ist durch Unternehmungen von öffentlichem Interesse zu schaffen.

Die Demobilmachungsbestimmungen sind fortschreitend so aufzuheben, daß die Betroffenen entweder vom öffentlichen Arbeitsmarkt aufgenommen oder bis dahin in den vorgenannten Arbeiten im öffentlichen Interesse untergebracht werden.

Jede Art von Zwangswirtschaft wird aufgehoben. Das Reich ist berechtigt, im öffentlichen Handel sich Ernährungsreserven zu verschaffen, welche im Fall öffentlicher Not oder zur Einflußnahme auf die Preisbildung eingesetzt werden können.

Begünstigung aller Bestrebungen, welche auf eine Hebung der heimischen Produktion, insbesondere der landwirtschaftlichen abzielen.

Völlige Freigabe der Ausfuhr und Beschränkung oder Aufhebung jeder nicht unbedingt notwendigen Einfuhr.

Finanzen und Steuern.

Durchgreifende Vereinfachung der Verwaltung im Reich und den Ländern. Trennung der staatlichen Aufgaben von Reich und Ländern zur Vermeidung von Doppelarbeit.

Einschränkung der Ministerien und Verminderung des Beamtenkörpers.

Abschaffung überflüssiger Behörden.

Die finanzielle Selbstverwaltung der Länder und Gemeinden ist wiederherzustellen und nach gleichmäßigen, vom Reich zu erlassenden Gesichtspunkten zu regeln.

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