2.4 (str2p): Nr. 4 General von Seeckt an Generalstaatskommissar von Kahr. 2. November 1923

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[1211] Nr. 4
General von Seeckt an Generalstaatskommissar von Kahr. 2. November 19231

1

Das Datum ist mit Blaustift hinzugefügt.

BA-MA: NL von Seeckt 108, Bl. 3–5 eigenhändiger Entwurf2

2

In der Ausfertigung weggefallene Stellen in spitzen Klammern. Über der Anrede steht von der Hand Hasses: „Klammern fortgelassen Abge. 5. 11.“ – Eine Durchschrift des Schreibens datiert vom 5. 11. (BA-MA: NL von Seeckt  108, Bl. 6–7). Abdruck des Entwurfs bei O. E. Schüddekopf, Heer und Republik, S. 186 ff.; C. Guske, Das politische Denken, S. 237 ff.

S. v. Herr v. K.

Die Lage des Reiches macht in dieser Stunde jedes Bedenken und jede Rücksicht schweigen. Ich3 darf mich daher ohne beide heute an Sie wenden und nehme Bezug auf eine Unterredung zwischen uns, welche Sie die Güte hatten herbeizuführen. Ich hatte die Überzeugung weitgehenden Einverständnisses in vielen und grundlegenden Fragen mitgenommen neben einer Meinungsverschiedenheit über Wege und Zeitmaß. Ich darf diese heute übergehen, da mir daran liegt, das m. E. noch4 bestehende Gemeinsame in unseren Anschauungen und Zielen zu betonen. <(Ich habe zwar die Befürchtung5, daß Sie über mein Wollen und vielleicht mehr noch über mein Können ein ungünstiges Urteil gewonnen haben, das eine Zusammenarbeit ausschloß.) [!] Trotzdem halte ich es für meine Pflicht6, Ihnen meine Auffassung darzulegen auch auf die Gefahr hin, von Ihnen mißverstanden zu werden oder umsonst gesprochen zu haben.> Als ich das letzte Mal Sie zu sprechen die Ehre hatte7, war das Kabinett Wirth am Ruder, das Ihnen mit seinem soz.dem. Einschlag als zu bekämpfen galt; ich sah sein Abwirtschaften voraus und glaubte dies abwarten zu können. Nachdem der Wechsel eingetreten und8 das Kabinett Cuno ohne soz.dem. Beteiligung gebildet war, glaubte ich eine bessere Übereinstimmung zwischen Reichs- und bayer. Politik feststellen zu können9. Bei weitgehender persönlicher Sympathie für den mir lange und gut bekannten Kanzler habe ich auf seine innerpolitische Führung nur insoweit Einfluß genommen, als ich mich seiner Unterstützung in allen Fragen der Wehrmacht und Rüstung nicht ohne Erfolg versicherte. Es ist in dieser Zeit auf diesem Gebiet mehr geschehen, als ich hier darlegen kann10. <(Doch ich zweifle nicht, daß das Geschehen Ihre[1212] Billigung finden würde).> Das Ende des Kabinetts Cuno habe ich persönlich bedauert11; es fiel an eigener Schwäche! Dem Kanzler Stresemann gegenüber habe ich mich bemüht die militärischen und militär.politischen Notwendigkeiten zu vertreten und in den Rüstungsfragen keinen Stillstand eintreten zu lassen. Wenn ich auch hierbei Verständnis und Unterstützung gefunden habe, so vermochte das Kabinett Str. mit seinen soz.dem. Mitgliedern – ebensowenig übrigens wie das Kabinett C. ohne diese – sich gegen die meinen milit. Wünschen entgegenlaufenden Bestrebungen der preußischen Regierung sich durchzusetzen. Die fast restlos unter soz.dem. Leitung stehende preußische Regierung habe ich stets für gefährlicher für die politische Entwicklung des Reiches gehalten als die Reichsregierung selbst. <Auf die wirtschaftlichen Fragen habe ich niemals Einfluß gehabt oder gesucht, ebenso wenig auf die Ruhrfrage, außer in dieser bei den die militärische Seite unmittelbar berührenden Einzelheiten. Ob ich die Politik der Reichsregierung billigte oder nicht, kam also soweit nicht in Frage, als ich mich nicht für berufen erachtete, meiner Meinung öffentlich Ausdruck zu geben. Trotzdem verkenne ich nicht, daß ich und damit die Reichswehr nach außen hin als stärkste Stütze einer Regierung angesehen werden mußte, mit der ich innerlich in wichtigen Fragen nicht übereinstimmte. Der Grund hierfür lag darin, daß die Reichswehr die einzige zuverlässige Stütze der Reichsautorität war.> Die Reichswehr zu einer solchen Stütze der Autorität[1213] des Reiches, nicht einer bestimmten Regierung, auszugestalten, das habe ich von Anfang an für meine Aufgabe gehalten und erblicke sie auch heute noch darin. Hierin liegt auch mein Festhalten an den verfassungsmäßigen Formen und Wegen, deren Aufgabe meiner Überzeugung nach große Gefahren birgt und die deshalb nur im Fall äußerster Not aufgegeben werden sollten. <Die Weimarer Verfassung ist für mich an sich kein noli me tangere; ich habe sie nicht mitgemacht und sie widerspricht in den grundlegenden Prinzipien meinem politischen Denken. Ich verstehe daher vollkommen, daß Sie ihr den Kampf angesagt haben, wie Sie mir Ihre Stellungnahme zu ihr schon bei unserer letzten Unterredung dargelegt hatten. Ich glaubte die Entwicklung zu einer Änderung der Verfassung herannahen zu sehen und glaubte sie auf einem Weg, der nicht unnötig durch den Bürgerkrieg führen müßte, mit herbeiführen zu helfen. Was meine Einstellung der internat. Soz. Dem. gegenüber anlangt, so muß ich eingestehen, daß ich an die Möglichkeit der Gewinnung eines Teils derselben zu nationaler Mitarbeit anfänglich geglaubt habe, daß ich aber von dieser Annahme seit langem – schon weit vor unserer Unterredung zurückgekommen war, soweit es die soz.dem. Partei, nicht die deutsche Arbeiterschaft als solche betrifft12. Mich gegenüber dem Vorwurf international marxistischer Gesinnung zu verteidigen, halte ich für unter meiner Würde13. Ich sehe klar, daß ein Zusammengehen mit der soz.dem. Partei ausgeschlossen ist, weil sie sich dem Gedanken der Wehrhaftmachung verschließt. Ein gleiches gilt für mich von allen Strömungen, die auch außerhalb der Sozialdemokratie pazifistisch und international eingestellt sind. (Wenn dieser Kampf gegen die Sozialdem. im außerbayerischen Deutschland nicht oder noch nicht mit der wünschenswerten Schärfe geführt worden ist, so liegt das an dem anders gearteten Kräfteverhältnis und vor allem an der Machtstellung der Soz.Dem. in Preußen, die ihr im wesentlichen von den bürgerlichen Parteien ohne Not bisher eingeräumt wurde.)> Mir könnten Sie und andere <doch> die Gerechtigkeit widerfahren lassen anzuerkennen, daß es mir gelungen ist, die Reichswehr von jeder soz.dem. oder ihr nahestehenden Beeinflussung fernzuhalten. Dabei ist allerdings mein Bestreben gewesen, die Reichswehr von jeder Parteipolitik loszulösen, was mit einer Erziehung zu nationalem Denken nichts zu tun hat. <Es ist weder meine Aufgabe noch meine Absicht, über die von Ihnen eingeschlagene Politik ein Urteil abzugeben. Wenn ich Ihnen überhaupt meine Auffassung dargelegt habe, so ist das nur geschehen, weil meine Person von verschiedenen Seiten in letzter Zeit mehr in den Vordergrund der politischen Entwicklung geschoben worden ist, als es meiner militärischen Stellung und meiner Neigung an sich entspricht. Da das aber nun einmal so ist, so glaubte ich, daß es von Nutzen sein könne, wenn ich Ihnen offen meine Stellung darlegte und vielleicht damit einen Gegensatz beseitige, der meines Erachtens nach in grundlegenden Fragen nur scheinbar, in anderen nur in der Form besteht. Ich habe es vermieden, auf politische Einzelfragen einzugehen, (um Ihre Zeit[1214] nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen, nicht weil ich die Dringlichkeit und Wichtigkeit dieser Fragen gering einschätzen.)> Sie werden, wenn auch mit Schwierigkeiten, zu lösen sein, sobald die Hauptbedingungen erfüllt sind. Diese sind nach meiner Überzeugung: Erhaltung der Reichseinheit, Wiedergewinnung der Wehrhaftigkeit, ehrenhafte Außenpolitik, Erhaltung der Staatsgewalt im Innern14.

3

Vor dem Wort ist eine rote Klammer ausradiert worden.

4

Danach ausgestrichen: „heute“.

5

Von v. Seeckt korrigiert aus: „Überzeugung gewonnen“.

6

Darüber von der Hand Hasses, der wohl auch die Klammer gesetzt hat: „Es erscheint mir geboten“.

7

Diese Unterredung hatte im Herbst 1922 stattgefunden, s. H. Meier-Welcker, Seeckt, S. 334.

8

Von v. Seeckt korrigiert aus: „war“.

9

Zu den Beziehungen zwischen Cuno und dem bayer. Kabinett s. insbesondere das Schreiben des ehem. RK nach seiner Demission in Das Kabinett Cuno, Dok. Nr. 249.

10

Damit dürfte Seeckt wohl auf die Einstellung von Zeitfreiwilligen anspielen. In den Lieber-Aufzeichnungen wird im Abschnitt „Wehrmacht“ für das erste Vierteljahr 1923 ausgeführt: „Die Monate sind ausgefüllt mit Mob.-Vorbereitungen, wobei insbesondere die Frage der Materialbeschaffung eine große Rolle spielt. Aber auch personelle Einzelheiten werden erörtert, so 15. 1. die Zusammensetzung des Operationsstabes, die Stellenbesetzung, wobei man möglichst nur aktive Offiziere in den Führerstellen haben will. Die Kosten für die Aufrüstung gehen nach Hasses Berechnungen in die Goldmilliarden. Der Rüstungsstand ist derartig minimal, daß er nicht einmal zu einem Ost-Widerstand ausreichen wird. Stülpnagel hat eine Denkschrift ausgearbeitet über das Aufziehen einer kräftigeren Landesverteidigung. Seeckt hält jedoch das Entstehen eines Volkskrieges links des Rheines für aussichtslos. Bezüglich der Tschechei vertritt er den Standpunkt, daß diese besiegt werden müsse. Zum Schutz von Oberschlesien und zur Gewinnung der nordböhmischen Industrie. Seeckt denkt dabei an ein Zusammengehen mit Österreich und Ungarn. Er ist anscheinend sogar nicht abgeneigt, daß hierzu ein Krieg provoziert wird (2. 2.). 13. 2. findet in einer Villa in Grunewald in Seeckts Anwesenheit eine Besprechung mit Industriellen und der Reichsbank über Rüstungsfragen statt. Die Reichsbank will 300 Milliarden hergeben, in erster Linie zum Ankauf alter österreichischer Waffen in Italien mit Hilfe eines Bruders Mussolinis. 14. 2. trägt Seeckt die Rüstungspläne und seine russischen Absichten dem Reichspräsidenten vor, der zustimmt, ebenso zu Seeckts Absicht, sich im Falle feindlichen Angriffs zu wehren, so gut es eben geht. Es sind jedenfalls ab März in allen Wehrkreisen Mobilmachungsvorbereitungen im Gange, so daß Hasse vor zu vielen Reden von den Mob.Machungsfragen warnen muß. – Am 16. 3. sendet Seeckt an Cuno seine Ausarbeitung über das Notwehrrecht und fordert gewisse Vorbereitungen zur Notwehr in der Grenzverteidigung [Beleghinweis]. – Wegen der zu offen betriebenen Mobilmachungsvorbereitungen in Bayern rechnet Seeckt 23. 3. mit einer scharfen Feindnote [vgl. Anm. 30 zu Anhang Nr. 1]. Hasse sagt, Seeckt brüte über unsere Verteidigung gegen eine solche“ (BA-MA: NL von Rabenau  40, Bl. 5/6).

11

Für die Beziehungen zwischen Cuno und Seeckt ist das Schreiben kennzeichnend, das der ehem. RK an den Chef der Heeresleitung am 24.8.23 gerichtet hatte. Darin hatte Cuno ausgeführt, daß es ihm „eine ganz besondere Freude war, mit Ihnen zusammenarbeiten zu können, und wenn ich während meiner Amtszeit ein Weniges habe dazu beitragen können, Sie in Ihrer Arbeit zu unterstützen, so ist dies aus der aufrichtigen Anerkennung für die Reichswehr und dem Bewußtsein geschehen, daß nur ein Land nach außen auf Achtung Anspruch erheben kann, das in seinem Innern durch seine Wehrmacht gefestigt ist.“ Weiterhin hatte Cuno gebeten, daß die persönlichen Beziehungen aufrecht erhalten bleiben und beide auch zukünftig Freunde sein sollten. „Sollte ich in irgend einer Weise Ihnen in meinem jetzigen bescheidenen Wirkungskreis behilflich sein können, so werden Sie immer auf mich rechnen können“ (BA-MA: NL von Seeckt  179, Bl. 81/82).

12

S. hierzu H. Meier-Welcker, Seeckt, S. 305.

13

Danach von v. Seeckt ausgestrichen: „Es ist weder meine Aufgabe noch meine Absicht“.

14

Danach folgt von der Hand Hasses mit Bleistift der auch in die Ausfertigung aufgenommene Satz: „Bei alledem ist die Reichswehr berufen, eine entscheidene Rolle zu spielen.“

<In der Stunde, in der ich dies schreibe, ist die Soz.Dem. aus dem Kabinett Str. ausgeschieden und über die Neubildung wird verhandelt. Für das, was ich Ihnen sagen wollte, ist der Ausgang gleichgültig.) Ich halte das Kabinett Str. auch nach einer Umbildung nicht für lebensfähig. Diesem Mangel an Vertrauen habe ich dem Kanzler selbst und dem Reichspräsidenten gegenüber Ausdruck gegeben und ihnen gesagt, daß ich nicht auf die Dauer für die Haltung der Reichswehr unter einer Regierung einstehen könne, zu der sie kein Vertrauen habe. Mehr noch, ich sehe ohne Umschwung in der Reichsregierung den Bürgerkrieg mit Sicherheit voraus. Sein Ausgang ist ungewiß; sein Verlauf auf alle Fälle für uns vernichtend, wenn er nicht mit klarer Einheitsfront aller national Gesinnten geführt wird. Dann ist er mit Aussicht auf Erfolg zu führen. Eine Regierung Str. ohne überzeugte Unterstützung der Reichswehr und der hinter ihr stehenden Kräfte kann sich nicht halten, auch wenn heute noch einmal der Versuch dazu gemacht wird>15. Die Reichswehr darf nicht in die Lage gebracht werden, sich gegen Gesinnungsgenossen für eine ihr wesensfremde Regierung einzusetzen. Andererseits kann sie nicht dulden, daß <von unverantwortlicher und unberufener Seite> mit Gewalt eine Änderung herbeizuführen unternommen wird. Sie wird zerbrechen in diesem Kampf, wenn sie nach zwei Seiten die Staatsautorität verteidigen muß. Dann haben wir Frankreichs Spiel gespielt. Dann dem Moskauer16 Kommunismus die letzte Chance zum Erfolg geboten. Ich fürchte den Kommunismus nicht, auch nicht das drohend auf unseren Zusammenbruch harrende Polen – aber unsere Kräfte müssen zusammengehalten werde, die geistigen und die militärischen. <Ich darf hierbei auf die Zustände an der thüring. bayer. Grenze hinweisen. Hier müssen Unbedachtsamkeiten, die unberechenbare Folgen haben müssen, verhindert werden. Ich bitte Sie, Ihren ganzen Einfluß dafür einzusetzen. Wir werden in Thüringen militärisch Ordnung schaffen; die Befehle dafür sind gegeben. Ihre Ausführung kann durch Eingriff von unberufener Seite nur erschwert und gehindert werden.>17

15

Der folgende Satz beginnt nach der Korrektur Hasses: „Sie darf dabei nicht in die Lage gebracht werden“.

16

Im Entwurf mit Rotstift in Klammern gesetzt, aber auch in der Ausfertigung enthalten.

17

Die Klammern sind mit Rotstift gesetzt, der Text ist jedoch in der Ausfertigung enthalten.

Ich bitte Sie, v. Herr v. K., meine Worte als die eines Mannes aufzunehmen, dem alles daran liegt, das Vaterland aus dieser äußersten Gefahr zu retten[1215] und der deshalb jedes entgegenstehende Bedenken zurückgestellt hat. Eine Antwort Ihrerseits erwarte ich nicht18.

18

Eine Reaktion v. Kahrs auf dieses Schreiben wurde nicht ermittelt. Zur Absendung dieses Schreibens erst am 5.11.23 s. H. Meier-Welcker, Seeckt, S. 396 ff.

In aufrichtiger Verehrung

Ihr

Ihnen erg[ebener]

S[eeckt]

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