2.122.1 (wir1p): [Demission des Kabinetts].

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[Demission des Kabinetts].

Der Reichsminister des Auswärtigen erachtet die Situation erschwert durch die neue Rede Briands. (Sie wird verlesen [Anmerkung des Protokollanten: Zeitungsausschnitt beigefügt])1.

1

In der Anlage findet sich die folgende WTB-Meldung vom 22. Oktober 1921 (Nr. 1955): „Ministerpräsident Briand erklärte, die Frage sei, ob die Regierung alles getan habe, was möglich gewesen sei, und ob andere hätten mehr leisten können. In diesem Falle müsse die Kammer es der Regierung klar zum Ausdruck bringen. Alle Minister seien solidarisch, und in dem Augenblick, wo er sich anschicke, zu einer so ernsten Konferenz nach einem fernen Lande zu reisen, werde er nicht mit einem kleinen Vertrauensvotum, mit einer kleinen Mehrheit die Reise antreten. – Die Politik der Regierung sei eine Friedenspolitik […]. Als er die Regierung übernommen habe, habe man einen Friedensvertrag in Händen gehabt, gegen den er nichts sagen wolle, der aber einesteils Frankreich und die Alliierten solidarisch gemacht habe und andererseits Deutschland jedem Alliierten gegenübergestellt habe. Der Vertrag stelle eine Einigung gegenüber den Alliierten dar; bestehe sie nicht, dann gebe es auch keinen Vertrag. Wenn man sage, der Vertrag sei tot, dann erkläre man, daß das Einverständnis der Alliierten nicht vorhanden sei. Ohne dieses Einverständnis der Alliierten hätte man die Deutschen nicht zur Zahlung zwingen können. Die Regierung habe alles getan, um bei der Zahlungsfrist am 1. Mai die Einigkeit der Alliierten aufrechtzuerhalten, und zwar nach den Bestimmungen der Kammer. Aber die früheren Regierungen hätten die Kammer darauf aufmerksam gemacht, daß der Friedensvertrag nicht nur Vorteile für Frankreich enthalte, sondern auch Bestimmungen, die Frankreich nicht begünstigen. Vor dem 1. Mai habe man zur Einigkeit kommen müssen. Sie sei erzielt worden. – Ministerpräsident Briand erinnerte weiter daran, unter welchen Umständen er seinerzeit gesagt habe, man werde Deutschland die Hand an den Halskragen legen, wenn es nicht erfülle. Aber damals sei der Verfalltag, den der Friedensvertrag vorsah, noch nicht gewesen. Die Besetzung sei etwas Großes, aber Frankreich habe damals geglaubt, man müsse noch neue Sanktionen nehmen. Die französische Regierung habe in Ruhrort, Düsseldorf und Duisburg neue Pfänder nehmen wollen, damit Essen im Bereich der französischen Kanonen liege. Es sei eine sehr lange Debatte nötig gewesen, um mit den Alliierten zu einer Einigung zu gelangen. Vor dem Verfalltage vom 1. Mai habe Frankreich seinen Alliierten gesagt, wenn Deutschland sich nicht unterwerfe, dann werde Frankreich neuerlich eine entschiedene Geste machen, und zwar wirtschaftlicher und militärischer Art, so habe man die Jahresklasse 1919 mobilisiert. Es sei leicht, jetzt zu kritisieren, aber wenn man die Verantwortung trage, dann durchlebe man ernste Augenblicke. Einen Augenblick habe es den Anschein gehabt, daß alles zuende sei, sogar eine befreundete Intervention sei notwendig gewesen. – Briand geht alsdann dazu über, von den Ereignissen in Oberschlesien zu sprechen, die dicht an die Grenzen einer neuen Krisis geführt hätten. […] Er könne keine entmutigenden Worte aussprechen, denn Frankreich habe das Recht, Vertrauen zu sich selbst zu besitzen. Es gehe seiner Wiedererhebung entgegen und auch seiner Sicherheit. Briand entrüstet sich darüber, daß man behaupte, die Regierung habe nichts getan, um Deutschland zu entwaffnen. Die materielle und moralische Kraft Frankreichs berechtige zu allen Hoffnungen. Wie könne man behaupten, daß Deutschland bis an die Zähne bewaffnet sei, wenn es fast sämtliche Waffen ausgeliefert habe? Zweifellos bleibe Deutschland eine Nation von 70 Mio Menschen und eine ständige Gefahr. Es könne die zerstörten Kanonen wieder fabrizieren lassen. Gewiß, aber es sei ungerecht, der Regierung vorzuwerfen, daß sie noch nicht die Kanonen von morgen zerstört habe. Man könne von ihr verlangen, daß sie die Wachsamkeit und Kontrolle verlängere. (Stürmischer Beifall).“

[339] Reichskanzler berichtet über voraufgegangene Verhandlung des Interfraktionellen Ausschusses2. Die Frage der Demission sei abstimmungsreif. Er beantrage, die Demission zu beschließen; sie wäre mit einem Protest gegen die Entscheidung der Entente zu verbinden.

2

Siehe Dok. Nr. 118.

Minister Schiffer bespricht die Haltung der Sozialdemokratie. Wenn die formelle Möglichkeit der Verbreiterung nicht ausgenutzt werde, werde die materielle Einigung erschwert.

Dr. Gradnauer: Nach meinem Eindruck war Zentrum nicht so einheitlich. In Marx’ Schlußworten lag wesentliche Modifikation; Spahn habe es für möglich erklärt, daß der Reichspräsident von neuem Dr. Wirth mit Kabinettsbildung beauftrage. Durch Demission wird Sozialdemokratie in schwere Situation gebracht. Nach meiner Ansicht werden wir zwar dann über Verbreiterung der Koalition verhandeln, aber wenig Aussicht auf Ergebnis.

Reichskanzler Wird Protest eingelegt gegen Demission?

Dr. Gradnauer: Von uns ja.

Groener: Stehe dem Parteileben fern. Situation wohl zu beurteilen. Sehe mit großer Sorge nächsten 8–14 Tagen entgegen. Große Beunruhigung unter meinem Personal über Teuerung. In nächsten Tagen Krise zu erwarten. Hier hinein Kabinettsdemission fallen lassen, höchst unerwünscht. Erträglich, wenn neue Regierung innerhalb 3 Tagen gebildet. Welche Vorsorge haben Parteien dafür getroffen?

Giesberts: Bedenken Groeners sehr wichtig.

Bauer: Garantie für schnelle Regierungsbildung nicht gegeben. Unser Protest gilt nicht unserer Person, sondern der Sache. Der Fortgang Wirths wird die Arbeitermassen sehr beunruhigen.

Dr. Brauns: Bei der Mehrheit meiner Fraktion Überzeugung, daß Dr. Wirth Kabinettsbildung wieder übernehmen kann. Eventuell müßte ein Sozialdemokrat dies tun, so daß Kontinuität gesichert ist.

Dr. Wirth: Nach der Stellung zweier Parteien bleibt nur übrig, schleunigst zu handeln. Dabei teile ich die schweren Sorgen, aber die oberschlesische psychologische Frage ist auch nicht zu vernachlässigen.

Dr. Rosen: Es wäre am besten, bis zur Lösung der oberschlesischen Frage im Amt zu bleiben und inzwischen über die Verbreiterung zu verhandeln.

Reichskanzler Nachdem zwei Parteien Demission wünschen, nach demokratischen Grundsätzen Entscheidung notwendig. Reichskanzler stellt abschließend fest, daß eine Gruppe Protest gegen Demission erhoben und außerdem die Minister Groener, Rosen und Giesberts schwere Bedenken geltend gemacht haben3.

3

Demgegenüber erklärt Rosen in seinen Memoiren, die Demission sei einstimmig erfolgt (Rosen, Wanderleben, Bd. 3/4, S. 401). Noch am 22.10.1921 reichte der RK sein Demissionsschreiben ein (Dok. Nr. 120).

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