1.231.1 (bru2p): Entwurf der 3. Notverordnung zur Sanierung von Wirtschaft und Finanzen.

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Entwurf der 3. Notverordnung zur Sanierung von Wirtschaft und Finanzen.

Der Reichskanzler erklärte, daß die Reichsregierung im jetzigen Augenblick noch kein umfassendes Programm verabschieden könne. Niemand könne sagen, wie sich die Dinge in den nächsten vier Wochen unter der Einwirkung der Ereignisse in England entwickeln würden1. Die durch das Absinken des englischen Pfundes eintretende Veränderung der Gesamtverhältnisse müsse binnen kurzem Gegenstand einer besonderen Aussprache sein2. Für eine solche Aussprache sei es heute noch zu früh, da man noch gar nicht absehen könne, ob nicht etwa England3 oder gar Amerika in die durch das Absinken des englischen Pfundes ausgelöste Bewegung mit hereingezogen werde4.

1

Die Brit. Reg. hatte am 20.9.31 die Goldwährung außer Kraft gesetzt und die Börse geschlossen (WTB Nr. 1979 und 1980 vom 21.9.31, R 43 I /61 , Bl. 227–228, vgl. auch Schultheß 1931, S. 342); nach den Berichten des dt. Geschäftsträgers in London, Graf Bernstorff, hatte die englische Öffentlichkeit diese Entscheidung ruhig aufgenommen (Durchschriften von Aufzeichnungen des MinDir. Dieckhoff vom 21.9.31 in R 43 I /61 , Bl. 224–226).

2

Vgl. Dok. Nr. 502.

3

Vermutlich ein Übertragungsfehler; gemeint ist vielleicht Frankreich.

4

Während vor der englischen Währungskrise das Pfund an der Berliner Devisenbörse mit 20 RM notiert worden war, wurde der Mitteilkurs für das Pfund am 24.9.31 auf 16,70 RM festgesetzt (DAZ Nr. 439–440 vom 25.9.31).

Ferner müsse das Kabinett sich auch alsbald mit der Frage der Tariflöhne im Ruhrbergbau befassen5. Die Tarife seien bekanntlich zum 1. Oktober gekündigt; ebenso laufe das Arbeitszeitabkommen zum 1. Oktober ab. Ein tarifloser Zustand nach dem 1. 10. könne von der Regierung unmöglich geduldet werden. Da der Reichstag Mitte Oktober zusammenkomme, würden als Folgewirkung einer Erregung an der Ruhr vom Reichstag her Einflüsse auf die Regierung wirksam werden, die die Regierung zum Eingreifen zwingen werde. Wenn die Regierung aber jetzt eine 6%ige Lohnsenkung durchdrücken wolle, so werde dies wahrscheinlich angesichts der Entwicklung in England keine Lösung der Schwierigkeiten der nächsten Zeit bedeuten. Das Kabinett müsse das im Augenblick zu verabschiedende Programm im wesentlichen auf die finanziellen[1724] Dinge abstellen. Das Etatjahr 1931 müsse bis zum 1. Juli verlängert werden. Ferner sei es nötig, die Kürzungsmaßnahmen vom 1. November ab eintreten zu lassen. Für ein Inkrafttreten der entsprechenden Bestimmungen zum 1. Oktober sei es zu spät. Für die Beratung des Programms stehe nämlich nur der heutige Tag und ein Teil des 25. September zur Verfügung6. Sonnabend, den 26. 9., seien andere Dinge zu beraten im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Franzosenbesuch7. Sonntag, der 27., und Montag, der 28., sei durch den Franzosenbesuch gänzlich ausgefüllt. Die Weiterberatung des Winterprogramms könne daher erst Dienstag, den 29., erfolgen8. Er halte diese Verzögerung nicht für besonders erheblich, da man sich im Lande im Augenblick doch wohl nur für die Entwicklung der Verhältnisse in England interessiere und von der Sorge um die einzige Frage beherrscht sei, ob man die Reichsmark der Entwicklung des Pfundes nachfolgen lassen wolle oder nicht.

5

S. Dok. Nr. 481.

6

S. Dok. Nr. 485, Dok. Nr. 486 und Dok. Nr. 487.

7

S. Dok. Nr. 488.

8

S. Dok. Nr. 493.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg führte aus, daß er die Dinge in der großen Linie genau so beurteile wie der Reichskanzler. Welchen Weg die Entwicklung in England nehme, könne man im Augenblick noch gar nicht absehen. Notwendig sei es, daß die Reichsregierung bei der Verabschiedung ihres Winterprogramms in irgendeiner Form erkennen lasse, daß sie die von ihr je nach dem Verlauf der Entwicklung zu treffenden Maßnahmen erkennen lasse, daß sie bereit sei, den Kampf aufzunehmen, wenn die Entwicklung der Dinge in England einen solchen Kampf nötig machen sollte. Das Ansehen der Regierung hänge davon ab, daß sie erkennen lasse, ob und in welcher Weise sie auf die elementaren Ereignisse in England reagiere. Er denke sich die im Augenblick zu treffenden Maßnahmen der Regierung etwa derart, daß sie bis zum 1. November alle Tarifverträge in unveränderter Form aufrechterhalte und daß sie darüber hinaus Vorsorge treffe, daß nach dem 1. November alle Tarifverträge neu geregelt werden können. In der Zwischenzeit müsse die Regierung einen Ausschuß einsetzen, der die durch die Entwicklung der Dinge notwendig werdenden Maßnahmen vorbereite. Wenn England das Pfund weiter absinken lasse, werde dies für die deutschen Verhältnisse einen Umsturz aller Preise bedeuten. Einer derartigen Erkenntnis würden sich weder die Unternehmer, noch die Gewerkschaften entziehen können.

Der Reichskanzler erwiderte, daß er mit Staatssekretär Trendelenburg gleicher Meinung sei. Die Reichsregierung werde ein besonderes Gremium zusammenberufen müssen zur Erörterung der Lage. Erst dann werde die Reichsregierung ihre Maßnahmen treffen können. Die Reichsregierung stehe vor kritischen Entscheidungen, die vielleicht durch die Entschlüsse anderer Stellen im Auslande noch beschleunigt werden würden. Er glaube aber nicht, daß man schon vor dem 13. 10., dem Tage des Zusammentritts des Reichstags, werde sagen können, welchen Weg die Entwicklung in Deutschland nehmen müsse.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg schlug vor, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch den Herrn Reichspräsidenten empfangen zu lassen, um ihnen[1725] zu sagen, daß die zukünftige Entwicklung der Dinge nur gemeinschaftlich gemeistert werden könne. Er glaube auch, daß insbesondere die Gewerkschaften, wenn man sie vor die Verantwortung stelle, positiv eingestellt sein würden. Die Reichsregierung müsse sich nach Möglichkeit staatlicher Eingriffe enthalten. Man müsse nur sagen, daß man entschlossen sei, überhaupt zu handeln; nicht nötig sei, daß man schon jetzt sage, wie man handeln wolle.

Der Reichskanzler stellte sodann die Frage, ob es notwendig sei, alle Tarife schon jetzt bis zum 1. 11. zwangsweise zu verlängern und für die Zeit nach dem 1. 11. eine Neuregelung in Aussicht zu nehmen.

Staatssekretär TrendelenburgTrendelenburg meinte, daß ein zwangsweiser Eingriff in die laufenden Tarifverträge ungünstig auf das Verantwortungsgefühl der Arbeitnehmerseite wirken werde.

Der Reichskanzler erwiderte, daß er die Tarifverhältnisse unmöglich bis zum 1. 11. offenhalten könne.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erklärte, daß es unmöglich sei, sich schon heute darüber klar zu werden, welche Auswirkungen die Entwicklung des englischen Pfundes haben werde. Die Reichsregierung werde sich im Verlauf der Entwicklung darüber schlüssig werden müssen, ob sie Deflation oder Inflation betreiben wolle. Diese Entscheidung müsse allerdings bald fallen.

Staatssekretär Dr. von BülowBülow führte aus, daß die Maßnahmen, die die Reichsregierung ergreifen werde, für das Ausland von großer Bedeutung sein würden. Das Interesse des Auslandes sei in erster Linie darauf gerichtet, ob Deutschland sich selbst helfen werde. Das Ausland wolle erkennen, ob Deutschland der Entwicklung der Dinge in England Rechnung trage. Es wolle nicht nur wissen, ob Deutschland sich selbst helfe, sondern darüber hinaus auch erkennen können, ob die Reichsregierung auch auf die Weiterentwicklung der Dinge vorbereitet sei.

Der Reichskanzler zog daraus die Schlußfolgerung, daß das Finanzprogramm baldigst verabschiedet werden müsse und daß Maßnahmen ergriffen werden müßten, die erkennen lassen, daß die Reichsregierung über die finanziellen Maßnahmen hinaus bereit ist, sich mit der kommenden Entwicklung der Dinge auseinanderzusetzen.

Der Reichsminister des Innern empfahl, schon jetzt bei der Devisenbewirtschaftung in besonderem Maße auf die letzten Ereignisse in England Rücksicht zu nehmen. Er meinte, daß der Maßstab für die Hergabe von Devisen verschärft werden müsse.

Der Reichskanzler erwiderte, daß er es für durchaus vertretbar halte, Devisen für weitere Kohleneinfuhr nicht mehr bereitzustellen.

Der Reichsarbeitsminister führte aus, daß in dem schwebenden Tarifkonflikt im Ruhrbergbau baldigst eine Entscheidung getroffen werden müsse, und zwar noch vor Sonntag, den 27.9.1931. Die Belegschaft des Ruhrgebiets habe für den 27. Versammlungen vorbereitet. Die Belegschaft werde in diesen Versammlungen, wenn bis dahin eine Entscheidung im Lohnkonflikt nicht gefallen sei, zweifellos die siebenstündige Arbeitszeit beschließen. Ein derartiger Beschluß[1726] werde dann kaum noch rückgängig gemacht werden können. Wenn die Arbeitgeberseite sich bereit erkläre, die jetzigen Tarife bis zum 1. 11. zu verlängern, werde man über die gegenwärtige Situation ohne weiteres hinwegkommen. Allerdings müßten die Arbeitgeber sich weiterhin verpflichten, die Verlängerung der Tarife nicht dadurch zu beeinträchtigen, daß sie ostentativ im Oktober Entlassungen in großem Stile vornähmen. Er halte eine sofortige Entscheidung in der Sache für unaufschiebbar. Wenn es heute nicht zur Einigung komme, müsse am Sonnabend, dem 27., ein Schiedsspruch gefällt werden, der gegebenenfalls im Wege einer Notverordnung, ähnlich wie dies in der Notverordnung vom 9. Januar geschehen sei9, für verbindlich erklärt werden müßte.

9

Vgl. Dok. Nr. 216, Anm. 3.

Reichsminister TreviranusTreviranus erklärte, daß die Stimmung im Lande dahin gehe, daß das englische Pfund den Goldstandard nicht wieder erreichen werde und daß infolgedessen die Dinge in Deutschland nicht so bleiben könnten, wie sie jetzt seien. Wenn die Reichsregierung daher dazu übergehen sollte, den jetzigen Zustand der Dinge durch eine zwangsweise Verlängerung der Tarife um einen Monat zu verlängern, so werde man dies draußen nicht verstehen. Man werde nicht begreifen, daß man auf eine so lange Frist die Dinge unverändert lassen wolle. Man wünsche draußen schon heute zu sehen, wie die Maßnahmen aussehen, die man einzuleiten haben werde. Mit der Einsetzung von Kommissionen werde man keine Wirkung erzielen. Man müsse die Herbeiführung einer zentralen Arbeitsgemeinschaft einleiten10.

10

Zentrale Arbeitsgemeinschaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Vgl. dazu Dok. Nr. 45, Anm. 21.

Der Reichskanzler erwiderte, daß man eine zentrale Arbeitsgemeinschaft jetzt nicht zustande bringen könne. Ein solcher Versuch werde Schiffbruch leiden, und die Reichsregierung werde diesen Versuch mit einem Prestigeverlust bezahlen. Kein Mensch könne heute sagen, wie die Lage nach 14 Tagen aussehen werde, da man nicht übersehen könne, welchen Weg der Kurs des Pfundes gehen werde. Wenn man schon jetzt sich dazu entschließe – was ein Teil der Bevölkerung verlange –, die Reichsmark an den Kurs des Pfundes anzugleichen, so werde man sicherlich über die BIZ mit anderen Fronten in Konflikt geraten11. Zudem wisse man heute noch gar nicht, wie die Dinge in England in Wirklichkeit stehen. In England selbst sei man sich über die Entwicklung der Dinge nicht einig. Insbesondere fehle es nicht einmal im englischen Kabinett an Stimmen, die den Goldstandard des Pfundes wieder herstellen wollen. Angesichts der Situation komme es nur darauf an, die Nerven zu behalten und die Entwicklung der Dinge ruhig abzuwarten. Die Nervenprobe für die Reichsregierung bestehe darin, die Entschlüsse, die notwendig würden, im richtigen Augenblick zu treffen. Dafür, daß Entschlüsse gefaßt würden und daß diese Entschlüsse im richtigen Augenblick gefaßt würden, liege die Verantwortung[1727] auf ihm, und er sei entschlossen, diese Verantwortung vor sich und vor der Geschichte zu tragen.

11

Der Youngplan hatte Dtld zur Aufrechterhaltung der Goldwährung verpflichtet: s. RGBl. 1930 II, S. 115  und § 22 des BankGes. vom 30.8.24 (RGBl. II, S. 241 ).

Der Reichsarbeitsminister machte sodann nähere Ausführungen über den Stand des Tarif- und Arbeitszeitkonflikts im Ruhrbergbau12. Er führte aus, daß von der Unternehmerseite zum 1. 10. eine Lohnsenkung von 12% gefordert werde. Der Schlichter habe erklärt, daß eine schematische Erfüllung dieses Wunsches unmöglich sei wegen der großen Zahl der Feierschichten, die in vielen Betrieben eingeführt seien. Schon heute habe das System der Feierschichten dazu geführt, daß ein Teil der Belegschaften bei 32stündiger Arbeitszeit mit den Löhnen unter die Sätze der Wohlfahrtserwerbslosenfürsorge heruntergesunken sei. Dies sei insbesondere in Rheinhausen der Fall. Die Arbeitnehmerseite habe auf die Forderung der Arbeitgeber in der Weise reagiert, daß sie das Arbeitszeitabkommen zum 1. 10. gekündigt habe. Infolgedessen trete bei tariflosem Zustand nach dem 1. 10. auf Grund des Manteltarifvertrages die siebenstündige Arbeitszeit ein. Das bedeute praktisch für die Arbeit unter Tage eine Arbeitszeit von 5½> Stunden. Infolgedessen gebe es jetzt zwei Wege: Entweder trete am 1. 10. ein tarifloser Zustand ein. Davor werde jedoch von allen Behörden des Bezirks gewarnt. Die Unternehmer würden alsdann die Löhne um 12% senken, die Arbeiter würden nur sieben Stunden arbeiten. Die Kommunisten würden den Kampf organisieren. Es sei unmöglich, der alsdann entstehenden Unruhen mit den schwachen Polizeikräften Herr zu werden. Oder der Schlichter erkenne auf eine 10%ige Lohnsenkung, belasse es aber bei der siebenstündigen Arbeitszeit. Ein derartiger Spruch werde für die Unternehmer unerträglich sein, da bei 5½ Stunden Arbeitszeit unter Tage eine Rentabilität des Bergbaus nicht zu erzielen sei, zumal nach dem Kurssturz des englischen Pfundes. Er sehe daher einstweilen nur den Ausweg, daß der Reichskanzler versuche, mit den Unternehmern, die gegenwärtig in Berlin anwesend seien, zu verhandeln, um sie zu bewegen, den gegenwärtigen Zustand der Dinge bis zum 1. 11. zu verlängern, und zwar ohne weitere Arbeiterentlassungen größeren Stiles. Wenn dieser Versuch fehlschlage, dann sehe er nur noch die Möglichkeit, den gegenwärtigen Zustand der Dinge durch eine neue Notverordnung, die inhaltlich mit der abgelaufenen Notverordnung vom 9. 1. übereinzustimmen hätte, zwangsweise zu verlängern.

12

S. dazu auch Dok. Nr. 481.

Der Reichskanzler erklärte sich bereit, die Unternehmer zu empfangen, obschon er überzeugt sei, daß er sich bei ihnen einen Korb holen werde.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg führte aus, daß die Verlängerung des gegenwärtigen Zustandes allein nicht genügen werde. Es müsse klare Sicherheit dafür geschaffen werden, daß am 1. 11. über die Rückwirkungen der Entwicklung in England gesprochen werde. Daher müsse man schon jetzt erkennen lassen, daß zwar alle Tarifverträge bis zum 1. 11. weiterlaufen sollen, daß aber am 1. 11. nicht nur über die Löhne im Bergbau, sondern über die Gesamtheit des Lohnniveaus verhandelt werde. Man dürfe die Verhältnisse im Kohlenbergbau nicht isoliert behandeln.

[1728] Der Reichsarbeitsminister teilte mit, daß die Mehrzahl der Tarifverträge bis zum 1. 2. kommenden Jahres ablaufen werde. In fast allen Tarifverträgen sei eine Klausel enthalten, der zufolge sie mit einmonatlicher Frist gekündigt werden könnten. Von den 10 Millionen Arbeitern, die es in Deutschland überhaupt gebe, seien etwa 7 Millionen auf Grund von Tarifverträgen tätig, die mit einmonatlicher Frist gekündigt werden.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg erklärte, daß man nach seiner Überzeugung den kommenden Winter nur dann überwinden könne, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu freiwilligen Vereinbarungen über das Lohnniveau kämen. Freiwillige Vereinbarungen würden jedoch nur dann zustandekommen können, wenn man sich staatlicher Eingriffe grundsätzlich enthalte und deutlich erkennen lasse, daß mit einer staatlichen Verbindlichkeitserklärung von Tarifen nicht gerechnet werden könne.

Der Reichsarbeitsminister erwiderte, daß man die Waffe der Verbindlichkeitserklärung unmöglich ganz aufgeben könne. Er sei aber bereit, zu erklären, daß er von der Verbindlichkeitserklärung nur sehr vorsichtigen Gebrauch machen werde. Wenn er die Verbindlichkeitserklärung ganz aufhebe, werde dies den äußeren Widerstand der Gewerkschaften hervorrufen.

Der Reichskanzler erklärte sich nochmals bereit, die Unternehmer zu empfangen, selbst auf die Gefahr hin, daß er sich einen Korb von ihnen hole. Wenn die Verhandlungen scheitern sollten, sehe auch er keinen anderen Weg wie die die Verlängerung des gegenwärtigen Zustandes um einen Monat durch Notverordnung.

Die Aussprache mit den Unternehmern solle noch am heutigen Nachmittag erfolgen13. Über das Ergebnis soll dem Reichskabinett, das am Nachmittag zu einer weiteren Sitzung zusammentritt, berichtet werden14.

13

S. Dok. Nr. 484.

14

S. Dok. Nr. 485.

Das Kabinett trat sodann in die Erörterung der in die 3. Notverordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen aufzunehmenden Gegenstände ein.

Tabaksteuer.

Der Reichsminister der Finanzen trug den wesentlichen Inhalt der Vorlage vom 19.9.1931 […] vor15.

15

Der VOEntw. nebst Begründung befindet sich in R 43 I /2412 , Bl. 335–339. Der Entw. begünstigte steuerlich die fabrikmäßig hergestellte Zigarette zu Lasten der selbstgedrehten Zigarette und des Zigarillos.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erklärte, daß er sich mit dieser Vorlage vom Standpunkt seines Ressorts abfinden könne.

Der Reichskanzler stellte die Zustimmung des Reichskabinetts zur Vorlage fest, behielt sich aber vor, auf einzelne Spezialpunkte der Vorlage im späteren Verlauf der Beratungen zurückzukommen16.

16

Der Entw. wurde unverändert in die 3. NotVO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 6.10.31, 1. Teil, Kapitel I (RGBl. 1931 I, S. 538 ) übernommen.

[1729] Gehaltskürzung.

[Das Kabinett billigte mit einigen Änderungen die Gehaltskürzungsvorlage des Reichsfinanzministers17.]

17

Die Gehaltskürzungsvorschläge des RFM vom 11.9.31 (R 43 I /2373 , S. 777–781) wurde in die 3. NotVO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 6.10.31, 1. Teil, Kapitel 2, Nr. 2–5 (RGBl. I, S. 539 ) übernommen.

Besoldungsrechtliche Bestimmungen.

Der Reichsminister der Finanzen trug den wesentlichen Inhalt der Vorlage vom 5. 9. […] vor18. Er ersetzte die Anlage dieser Vorlage durch eine Neufassung, die in der Sitzung zur Verteilung gelangte19.

18

S. Dok. Nr. 467), Anm. 2.

19

Nicht ermittelt.

Der Reichswehrminister erklärte zu dieser Vorlage, daß er sich von der Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit nicht habe überzeugen können und warnte eindringlich davor. Die Hemmung der Dienstaltersaufrückung werde von der Beamtenschaft als hart und unrecht empfunden. Die Maßnahme treffe nur einen Teil der Beamtenschaft und sei infolgedessen untragbar. Es sei unmöglich, einen Teil der Beamtenschaft herauszugreifen, einen anderen Teil aber zu schonen. Wenn schon die unabweisbare Notwendigkeit bestehe, in der Beamtenbesoldung Ersparnisse zu erzielen, müsse man den Weg einer allgemeinen Kürzung gehen. Ferner könne er auch nicht der Verkürzung des Diätendienstalters der Assessoren zustimmen. Er könne es nicht billigen, daß man gerade den jüngeren Teil der Beamtenschaft besonders hart treffe. Schließlich wandte er sich auch gegen eine Verschlechterung der Dienstaltersbestimmungen im § 4 des Entwurfs, die die Anstellung der Versorgungsanwärter noch weiter verschlechtern wird20. Dem § 621 bat er folgenden Absatz 2 anzufügen: „Tritt diese Verordnung außer Kraft, so gilt das frühere Besoldungsdienstalter.“ An diese allgemeinen Einwendungen gegen die Vorlage schloß er besondere Darlegungen über die Auswirkungen der Vorlage auf die Wehrmacht. Er kam zu dem Ergebnis, daß die Bestimmungen des § 1 der Vorlage22 für die Wehrmacht unannehmbar seien.

20

S. Dok. Nr. 467, Anm. 2.

21

§ 6 des VOEntw. in der Fassung vom 5.9.31 lautete: „Diese Verordnung tritt (Die Vorschriften dieses Kapitels treten), soweit nicht im einzelnen etwas anderes bestimmt ist, mit ihrer Verkündung in Kraft“ (R 43 I /2373 , S. 601).

22

Hemmung der Dienstaltersaufrüstung um zwei Jahre (R 43 I /2373 , S. 599).

Der Reichsminister des Innern führte aus, daß ähnliche Ausführungen, wie der Reichswehrminister für die Wehrmacht gemacht habe, auch für andere Ressorts gemacht werden könnten. Er meinte, daß der finanzielle Effekt der Vorschläge des Reichsministers der Finanzen mit den schweren Schädigungen der Beamtenschaft nicht in Einklang ständen und regte daher an, die Vorlage zurückzuziehen.

Der Vertreter des Reichspostministeriums, Staatssekretär SautterSautter, nahm Bezug auf seine den Reichsministerien zugegangenen schriftlichen Darlegungen[1730] vom 15.9.193123 […] und vom 23.9.193124 […]. Er schloß sich den allgemeinen Darlegungen des Reichswehrministers weitgehend an und erklärte auch seinerseits, daß er eine allgemeine Kürzung der Besoldung für erträglich halten würde, wie die nur einen Teil der Beamtenschaft treffenden Vorschläge der Vorlage. Eine besondere Rücksichtnahme auf das Vorgehen Preußens hielt er insofern für verfehlt, als die Besoldung in Preußen ohnehin in vielen Punkten abweichend vom Reich geregelt sei. Eine Ausnahmeregelung für die Wehrmacht glaubte er mit Rücksicht auf die Rückwirkungen einer solchen Ausnahmeregelung auf den übrigen Teil der Beamtenschaft widersprechen zu müssen.

23

Der RPM hatte in seinem Schreiben an den RFM vom 15.9.31 moniert, daß nach der pr. NotVO vom 12.9.31 zur Durchführung der VO des RPräs. vom 24.8.31 (Pr. Gesetzessammlung 1931, S. 179) die pr. Beamten in einigen Fällen besoldungsrechtlich immer noch besser gestellt seien als Reichsbeamte. Außerdem stehe dem Vernehmen nach zur Erwägung, die Wehrmachtsangehörigen von den durch die neue Vorlage eintretenden Verschlechterungen der Besoldungsverhältnisse ganz oder teilweise auszunehmen. „Nichts ist für die Stimmung im Personal schlimmer, als wenn Differenzierungen solcher Art stattfinden. Ich verkenne keineswegs die besonderen Verhältnisse bei der Reichswehr, darf aber darauf hinweisen, daß ähnliche Verhältnisse auch bei anderen Reichsverwaltungen vorliegen. Ich bitte auch, die treue Mitarbeit des Post- und Telegraphenpersonals im Dienste des Reichs nicht gering einzuschätzen, denn im Falle der Radikalisierung dieses Personals, in dessen Hand sich das öffentliche Nachrichtennetz befindet, könnten für das Reich schwere Nachteile eintreten.“ Aus diesen Gründen hatte sich der RPM außerstande gesehen, der Vorlage des RFM zuzustimmen (R 43 I /2373 , S. 953–955, Zitat S. 955).

24

In diesem Schreiben an den StSRkei hatte der RPM erneut auf die unterschiedlichen besoldungsrechtlichen Bestimmungen in Preußen und im Reich hingewiesen, und zugleich bemängelt, daß durch den VOEntw. des RFM allein die dienstjüngeren Beamten, die das Endgrundgehalt noch nicht erreicht hätten, betroffen wären. Eine weitere Beamtengruppe, die in besonderem Maße unter der neuen NotVO leiden würden, seien die Beamten, die in der Zeit vom 1.10.31 bis zum 30.9.33 wegen Erreichung der Altersgrenze in den Ruhestand treten und unter den jetzigen Bestimmungen noch vor ihrer Pensionierung in den Genuß einer Gehaltserhöhung kommen würden. Diese Beamten würden durch den Stillhaltezustand nicht nur vorübergehend, sondern für ihr ganzes Leben getroffen. Der RPM hatte in einem Zusatz zum § 1 die Herausnahme dieser Beamten aus der geplanten NotVO vorgeschlagen (R 43 I /2374 , S. 39–41).

Ministerialrat SölchSölch machte sodann nähere Ausführungen über die unterschiedliche Regelung der Besoldung in Preußen.

Der Reichsarbeitsminister pflichtete dem Reichswehrminister darin bei, daß eine Verärgerungspolitik in Besoldungsangelegenheiten gegenüber der Wehrmacht in der gegenwärtigen Zeit nicht verantwortet werden könne.

Sodann machte er Ausführungen allgemeiner Natur über die Gesamtlage und kam zu dem Ergebnis, daß die Reichsregierung sehr wahrscheinlich in nächster Zeit zwangsweise Deflationspolitik betreiben müsse. Daher werde die Reichsregierung wahrscheinlich schon im Laufe des Oktobers vor der Notwendigkeit stehen, auch in der Besoldungspolitik für die Beamtenschaft einen eingreifenden Schnitt zu machen. Aus diesem Grunde glaube er dringend widerraten zu müssen, die Beamtenschaft schon jetzt mit Maßnahmen, wie sie die Vorlage ins Auge fasse, unnötig zu verprellen.

Der Reichskanzler schloß sich im wesentlichen den Darlegungen des Reichsarbeitsministers an. Er wies darauf hin, daß die Vorlage des Reichsministers der Finanzen in einer Zeit entstanden sei, in der man von der Entwicklung[1731] der Dinge in England noch nichts geahnt habe. Er schlug die Zustimmung des Reichskabinetts vor, die Vorlage einstweilen nicht weiter zu beraten, vielmehr in Ressortbesprechungen prüfen zu lassen, ob zur Abdeckung des Reichshaushaltsplans nicht ein resoluter einmaliger Schnitt im Besoldungsaufwand notwendig sei. Die Ressortberatungen sollen jedoch erst dann stattfinden, wenn feststeht, mit welchem Fehlbetrag im Reichshaushaltsplan gerechnet werden muß.

Der Reichsminister der Finanzen bemerkte hierzu, daß er eine allgemeine Kürzung der Beamtenbesoldung nur dann mitmachen könne, wenn Kürzungen auf der ganzen Linie vorgenommen würden, und zwar nicht nur bei den Beamten, sondern auch bei den Arbeitern und bei den sonstigen Lohn- und Gehaltsempfängern. Zu einer Ausnahmeregelung gegen die Beamtenschaft sei er nicht bereit.

Der Reichsarbeitsminister stimmte dieser Auffassung des Reichsministers der Finanzen zu.

Die Fortsetzung der Beratungen wurde sodann auf den Nachmittag vertagt25.

25

S. Dok. Nr. 485.

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