1.72.1 (bru2p): Vorbereitung des Besuchs des Reichskanzlers und Reichsministers des Auswärtigen in Chequers.

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Vorbereitung des Besuchs des Reichskanzlers und Reichsministers des Auswärtigen in Chequers.

Vor Beginn der Beratungen teilte der Reichskanzler mit, daß der Herr Reichspräsident sich soeben auf seinen Vortrag hin mit den Richtlinien der Notverordnung einverstanden erklärt habe. Der Herr Reichspräsident habe gebeten, den Herren des Reichskabinetts, ihren Mitarbeitern und insbesondere auch dem Herrn Reichsbankpräsidenten seinen Dank für die geleistete Arbeit auszusprechen.

Sodann ging der Reichskanzler auf die bevorstehende Reise nach Chequers ein. Er meinte, daß die Reise in der Presse zu groß aufgemacht werde und daß man etwas abbremsen müsse. In England wünsche man den deutschen Besuch wegen der Abrüstungsfrage. Die deutsche Delegation müsse demgegenüber die Reparationsfrage in den Vordergrund schieben. Vereinbarungen würden in Chequers sicherlich nicht zustande kommen.

Der Reichsminister der Finanzen führte zur Reparationsfrage sodann etwa folgendes aus: Wenn England sagen sollte: Wir sehen, daß es Euch so schlecht geht, daß es nicht mehr weitergeht, aber wendet Euch doch an Amerika, dann würden wir die Rolle Englands übernehmen. Wir müssen uns hüten, dafür zu sorgen, daß wir gegenüber Amerika als Schuldner erscheinen. Diese Gefahr müssen wir vermeiden. Wir dürfen nicht auf die Rechte aus dem Young-Plan verzichten. Wir müssen sie uns restlos vorbehalten. Wir dürfen auf unser Recht, die Transferierung aufzuschieben, nicht verzichten, sonst ist die Schlacht für uns verloren. Wir dürfen den Engländern in Chequers auch keine Vorschläge machen; vielmehr müssen wir den Engländern sagen, wo wir stehen. Wir können politisch nicht weiter, auch wirtschaftlich nicht, auch finanziell nicht; ebensowenig die Länder und Gemeinden. Wir können zugeben, daß wir grobe Fehler gemacht haben, aber nicht nur wir allein, sondern auch die anderen Mächte. Wir konterkarieren fortgesetzt die Weltwirtschaft, indem wir die Tribute zahlen; denn diese Zahlungen erfolgen ohne Gegenleistung. Wir sind in einer Zwangslage und müssen daher handeln. Wir dürfen aber in Chequers nicht sagen, was wir tun werden. Nach Chequers müssen wir auch den Franzosen erklären, daß wir handeln werden und müssen alsdann auch tatsächlich zu Schritten kommen. Wir tun einen Schritt, der einer Kriegserklärung gleichkommt.

[1179] Der Reichsminister der Finanzen übergab dem Reichskanzler sodann eine kurze Aufzeichnung über seine Auffassung von der Lage1.

1

Der RFM legte in drei Papieren Vorschläge zur Behandlung der Revisionsforderung bei den Beratungen in Chequers vor. Nach seiner Meinung zielte die brit. Politik darauf ab, Dtld die Aufrollung der Reparationsfrage nicht nur gegenüber den Gläubigern Dtlds, sondern auch gegenüber den USA zuzuschieben. Dies müsse dadurch verhindert werden, daß sich die RReg. das Recht vorbehalte, das Transfermoratorium zu erklären. Man müsse den Engländern klar Dtlds wirtschaftliche und finanzielle Lage auseinandersetzen: Dtld falle auf dem Weltmarkt als Käufer aus, weil es, statt kaufen zu können, Tribute zahlen müsse; deshalb sei es in einer Zwangslage und müsse handeln. Der RFM hielt es aber für gefährlich zu sagen, welche Möglichkeit des Haager Abkommens die RReg. anwenden werde. Des weiteren schlug der RFM vor, nach dem Besuch in Chequers den Zahlungsaufschub nach den Bestimmungen des Youngplans zu erklären und die BIZ um die Einberufung des Beratenden Sonderausschusses zu bitten (R 43 I /1450 , S. 101–108). Der RFM hatte gegenüber StS Schäffer geäußert, „bei Chequers [dürfe] eine Sache nicht herauskommen, nämlich ein Verzicht auf das Recht zur Erklärung des Moratoriums. Das würde seinen Austritt (aus dem Kabinett) bedeuten. Dagegen würde er mit einer dreijährigen Atempause einverstanden sein“ (Tagebuch Schäffer, 3.6.31, IfZ, ED 93, Bd. 11, Bl. 182).

Der Reichsbankpräsident machte über die Devisenlage folgende Angaben: Im vorigen Sommer besaßen wir 3,8 Milliarden Devisen, während der Krise gingen hiervon 1,3 Milliarden verloren. In allmählicher Bewegung ging die Summe wieder herauf auf 3 Milliarden. In den letzten Tagen wurden sodann erneut 100 Millionen verloren. Das Devisenpolster ist also jetzt nicht mehr so groß wie im letzten Sommer. Die Abzüge werden in geringem Maße weitergehen. Die Entwicklung vollzieht sich jetzt anders wie im Vorjahre, d. h. ohne Aufregung. Wir müssen befürchten, daß dieser Prozeß sich allmählich fortsetzt. Auch die Amerikaner ziehen langsam ihr Engagement zurück. Hinzu kommt vielleicht die Notwendigkeit einer Diskonterhöhung. Diese wird vielleicht als Zeichen von Unruhe gewertet werden. Devisenmäßig sind wir nicht besonders gut vorbereitet; darum empfehle er keinen brüsken Schritt.

Der Reichsminister des Innern stellte die Frage, ob man annehmen könne, daß die Bank von England uns gegenüber eine stützende Haltung einnehmen werde.

Der Reichsbankpräsident erwiderte, daß das Ergebnis von Chequers jedenfalls keine ernstere Devisenlage schaffen werde; vielleicht aber werde eine solche ernste Lage eintreten können, wenn wir nach Chequers zu gewissen Schritten kommen sollten. Was wir von der Bank von England überhaupt nur erwarten könnten, sei ein Reichsbankkredit. Ob man einen derartigen Kredit von langer Hand vorbereiten solle, oder ob man etwas derartiges überhaupt vorbereiten solle, sei fraglich. Nach seiner Meinung laufe man Gefahr, wenn man jetzt auf eine derartige Hilfe der Bank von England planmäßig ausgehe, Unruhe bezüglich unserer Pläne hervorzurufen. Vielleicht werde man uns sagen, daß für derartige Hilfsaktionen jetzt die BIZ da sei. Jedenfalls müsse man mit einer solchen Möglichkeit rechnen.

Staatssekretär SchäfferSchäffer äußerte sich dahin, daß man nach seinen Informationen in England nicht vermute, daß Deutschland den Transfer aufschieben wolle, vielmehr eher mit einem Revisionsbegehren rechne. Er halte es für unmöglich, daß die große Bank von England der BIZ die Verantwortung für Europa überlasse.

[1180] Hierzu bemerkte der Reichsbankpräsident daß die Bank von England dies wahrscheinlich doch tun werde, wenn es ihr passe.

Der Reichsminister des Innern fuhr fort, daß die Arbeiterpartei nicht die Entschiedenheit erkennen lasse, die man von ihr erwarten könnte. Er empfehle daher der Delegation, zum Ausdruck zu bringen, daß wir jetzt am Ende unserer Kräfte sind.

Der Reichskanzler antwortete, daß MacDonald von Budgetfragen kaum etwas verstehe. Auf ihn werde es vielleicht Eindruck machen, wenn man von unserem Lohnniveau spreche, das wir nicht aufrechterhalten könnten.

Der Reichsbankpräsident bemerkte noch, daß die deutschen Herren bei der Ablehnung von Anleihegedanken nicht erkennen lassen möchten, daß dies auch eine Ablehnung der Gedankengänge Montagu Normans sei. Er glaube, daß die Anleiheidee Normans wiederkommen werde. Norman setze sich ja dafür ein, daß die BIZ an die Staaten Anleihen gebe. Die Realisierung des Gedankens, daß das Geld dahin fließen solle, wo Bedarf sei, sei ja an sich unpolitisch, vorausgesetzt, daß man keine politischen Bedingungen damit verquicke. Derartige Zusammenhänge seien bei Norman ausgeschlossen. Deshalb sei es verfehlt, sich gegnerisch zu Plänen zu stellen, die für uns als Erleichterung für die Reparationen gedacht seien.

Der Reichskanzler führte aus, daß er in Chequers die Waffe des Young-Planes nicht aus der Hand geben werde, und daß er in erster Linie unsere Lage schildern werde. Er glaube auch, daß man in England dafür Verständnis haben werde, soweit die Auswirkungen dieser Lage geeignet seien, auf England zurückzufallen.

Der Reichsminister des Auswärtigen fügte ergänzend hinzu, daß man sich allen englischen Versuchen gegenüber, uns mit kleinen Summen abzuspeisen, wehren müsse.

Er fuhr fort, daß zur Frage der Abrüstung die deutsche Forderung auf radikale Abrüstung gehen müsse. Deutschland dürfe nichts unterschreiben, wodurch wir in der Frage der Gleichberechtigung weiter diffamiert werden; insbesondere dürfe man auch wegen der Reparationen keinerlei Konzessionen in der Abrüstungsfrage machen, die die Gleichberechtigung verletzen.

Diesen Ausführungen des Reichsministers des Auswärtigen stimmte General von SchleicherSchleicher zu. Er meinte, der springende Punkt werde darin bestehen, daß man uns sagen könnte: „Warum wollt Ihr nicht die Herabsetzung der Ausgaben im Budget mitmachen, da Ihr ja doch kein Geld habt?“ Darauf müsse man antworten: „Wenn wir kein Geld für Rüstungen haben, so geht das niemand etwas an: wir wollen nur grundsätzlich die Parität haben.“

Der Reichskanzler sagte zusammenfassend zu diesem Punkt: Man werde in England erklären, daß die Lage bei uns so schwierig sei, daß ohne Befragung des Kabinetts eine Zusage nicht gemacht werden könne. Im übrigen müsse man Vertrauen zu den deutschen Erklärungen haben.

Die Aussprache wurde darauf geschlossen.

Anschließend machte Staatssekretär SchäfferSchäffer noch einige Mitteilungen über die Kassenlage im Juni. Die Monate April und Mai seien mit einigen gewagten[1181] Methoden überstanden. Für die Überwindung des Juni seien 230 bis 250 Millionen nötig. Dieser Betrag sei nicht reiner Ultimobedarf. Die ersten Beträge würden bereits am 19. Juni benötigt, und zwar in Höhe von 70 Millionen RM. Bis zum 19. Juni müsse die ganze Aktion daher durchgeführt werden. Wenn dann die Finanzierung gelungen sei, seien die nächsten Monate gesichert; er hoffe sogar bis zum 1. April 19322.

2

Das Dt. Reich schloß am 19.6.31 einen Kassenkredit von 250 Mio RM ab (Schultheß 1931, S. 144).

Der Reichsminister der Finanzen wünschte namens der Mitglieder des Reichskabinetts dem Reichskanzler und dem Reichsminister des Auswärtigen eine gute Erfüllung der Dinge3.

3

Zum Ergebnis der Beratungen in Chequers s. Dok. Nr. 329, P. 1.

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