1.10 (feh1p): Der Rücktritt des Kabinetts

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Der Rücktritt des Kabinetts

Die Entwicklung der Reparationsfrage spielte im Gesamtverlauf des Kabinetts Fehrenbach die zentrale Rolle. Der jeweilige Stand der Entwicklung wirkte auf das Kabinett zurück und bestimmte seine Stellung in innen- wie außenpolitischer Hinsicht. Die relative Nähe oder Ferne der noch ausstehenden Reparationsregelung bedingte Stärke und Schwäche des Kabinetts und machte einen wesentlichen Teil auch seiner Selbsteinschätzung und Selbstauffassung aus. In diesem Sinne wurde das Reparationsproblem zur eigentlichen Schicksalsfrage dieses Kabinetts.

So war schließlich auch der Rücktritt des Kabinetts Fehrenbach eng mit der Reparationsfrage verknüpft. Nachdem die Londoner Konferenz ergebnislos abgebrochen worden war, war Ende März versucht worden, zwischen der deutschen und der alliierten Seite zu vermitteln. So hatte sich der Vatikan zunächst bemüht, die USA in die Verhandlungen miteinzuschalten, doch war dieser Versuch durch eine Indiskretion von deutscher Seite gescheitert309. Daraufhin hatte sich die Reichsregierung entschlossen, selbst die USA um die Mitwirkung bei der Lösung der Reparationsfrage zu ersuchen, doch war auch dieser Versuch fehlgeschlagen. Die USA schienen nicht bereit, sich in der Zentralfrage des Friedensvertrages in irgendeiner Weise binden zu wollen. Die amerikanische Regierung gab lediglich zu verstehen, daß sie bei der Vorlage neuer deutscher Reparationsvorschläge diese an die Alliierten weiterleiten wolle310. Bereits wenige Tage später beschloß die Reichsregierung entsprechende Vorschläge und ließ sie unmittelbar darauf den USA zugehen311.

309

Siehe dazu Dok. Nr. 220.

310

Dok. Nr. 238, Anm. 2.

311

Dok. Nr. 239; 240.

Auch dieser Versuch der deutschen Seite blieb jedoch ohne Erfolg. Am 2. Mai teilte die amerikanische Regierung mit, daß die deutschen Reparationsvorschläge nach ihrer Ansicht keine für die Alliierten geeignete Verhandlungsgrundlage darstellten. Sie forderte die Reichsregierung vielmehr auf, sich nun direkt an die alliierten Regierungen zu wenden und „klare, bestimmte und angemessene“ eigene Vorschläge zu machen312.

312

Dok. Nr. 243, Anm. 1.

Das Kabinett Fehrenbach geriet durch die Ablehnung des Vermittlungsgesuches in eine schwere Krise. Bereits vorher war es zu Spannungen innerhalb der Koalition gekommen, als sich die DVP Ende April außerstande erklärte,[LXIX] Simons’ Außenpolitik länger zu tragen, und auf eine Ablösung des Reichskanzlers und des Reichsaußenministers drängte313. Nach der amerikanischen Absage Anfang Mai war das Selbstvertrauen des Kabinetts nun vollends zerstört. Die Initiative schwand dahin, der politische Führungswille fehlte und zurück blieb ein ratloses Kabinett, das zu einer gemeinsamen Beschlußfassung nicht mehr fähig schien.

313

H. A. Turner, Stresemann and the Politics of the Weimar Republic, Princeton 1963, S. 84 f.

Endgültig entschieden wurde das Schicksal des Kabinetts Fehrenbach jedoch durch das Londoner Ultimatum. Bereits Ende April/Anfang Mai waren Gerüchte von einem solchen bevorstehenden Ultimatum der Alliierten an die Öffentlichkeit gedrungen. Einzelheiten waren zwar noch nicht bekannt, doch schien festzustehen, daß Deutschland vor die Wahl gestellt werden sollte, entweder neue Bedingungen zu unterschreiben und für ihre Durchführung Garantien zu leisten oder aber neue Sanktionen hinzunehmen314. Schon am Nachmittag des 3. Mai wurde daher unter Kabinettsmitgliedern die Ansicht geäußert, daß das Kabinett zurücktreten müsse. Fraglich war nur, ob der Rücktritt vor oder nach dem Ultimatum zu erfolgen habe315. Auf der wenig später stattfindenden Kabinettssitzung des gleichen Tages wurde der Rücktritt des Kabinetts dann auch im Kabinettsplenum behandelt, doch wurde eine Entscheidung darüber noch nicht gefällt. Man beschloß vielmehr, einen eventuellen Rücktritt von einer Besprechung des Reichskanzlers mit den Parteiführern abhängig zu machen316.

314

Vorwärts Nr. 200 v. 29.4.1921; Nr. 201 v. 30.4.1921 und Nr. 204 v. 2.5.1921. Siehe dazu auch RT-Bd. 349, S. 3557 .

315

Dok. Nr. 243, Anm. 2.

316

Dok. Nr. 244.

Im Laufe des nächsten Tages, des 4. Mai, beschleunigte sich die Entwicklung. Auf einer Kabinettssitzung am Morgen dieses Tages erklärte Fehrenbach zwar noch, daß er einen Rücktritt des Kabinetts mit Rücksicht auf den am Vortag ausgebrochenen oberschlesischen Aufstand zu vermeiden wünsche, und erhielt – wenn auch widerstrebend – die Zustimmung der Parteiführer. Bereits am Nachmittag des gleichen Tages jedoch wurde das Rücktrittsproblem erneut akut, als das Kabinett sich mit der Möglichkeit eines neuen Reparationsangebots an die Alliierten befaßte. Während Simons, der darüber mit dem französischen und dem britischen Botschafter verhandelt hatte, ein neues Angebot für aussichtslos hielt, plädierten Wirth, Brauns und Hermes für ein solches. Der Reichskanzler wich einer Entscheidung jedoch aus und machte ein neues deutsches Reparationsangebot vom Votum der Parteiführer abhängig.

In der anschließenden Besprechung mit den Parteiführern spachen sich diese gegen ein neues Reparationsangebot aus. Fehrenbach, offenbar enttäuscht über das Scheitern des Kabinetts und der Querelen in der Koalition überdrüssig, brachte nun noch einmal die Frage des Rücktritts zur Sprache. Die Reaktion der Parteien war unterschiedlich. Während Kempkes und Rießer von der DVP sich entschieden für den sofortigen Rücktritt des Kabinetts aussprachen, hielt[LXX] Schiffer von der DDP den Rücktritt zwar für notwendig, erklärte den Zeitpunkt jedoch für unangebracht. Spahn vom Zentrum wollte dem Kabinett die Verantwortung selbst überlassen.

Die endgültige Entscheidung kam jetzt aus dem Kabinett selbst. Simons, vom Verhalten der Volkspartei schwer getroffen, erklärte daraufhin, daß er nicht länger bleiben könne. Fehrenbach schloß sich Simons an und erklärte nun ebenfalls seinen Rücktritt. Nach einer kurzen Pause, in der nun auch Reichsinnenminister Koch für eine Demission eintrat, beschloß das Kabinett einstimmig zurückzutreten. Unmittelbar darauf begab sich der Reichskanzler zum Reichspräsidenten und teilte diesem den Entschluß des Kabinetts mit. Der Bitte des Reichspräsidenten, die Geschäfte bis zur Bildung einer neuen Regierung weiterzuführen, stimmte das Kabinett zu317.

317

Dok. Nr. 245.

Art und Ablauf dieses Rücktritts waren in ihren Einzelheiten symptomatisch für den Gesamtverlauf des Kabinetts Fehrenbach. Innere Spannungen unter den Koalitionsparteien, die zumeist von der DVP ausgingen, hatten bereits mehrfach den weiteren Bestand des Kabinetts in Frage gestellt. Während es in früheren Situationen jedoch immer wieder gelungen war, die Gegensätze auszuräumen oder zu überdecken, entstand hier aus der Kombination von innen- und außenpolitischen Momenten eine Krise, der das Kabinett nicht mehr gewachsen war. Es setzte ein Vorgang der langsamen Auflösung ein, währenddessen die politische Aktivität zunehmend erlahmte und deutliche Führungsschwächen sichtbar wurden. Dem Reichskanzler selbst entglitt die Entwicklung, und auch das Kabinett zeigte sich nicht fähig, diese Krise aus sich selbst zu meistern. Es war bezeichnend für die Macht- und Führungsverhältnisse im Kabinett, daß nicht der Reichskanzler selbst den Rücktritt auslöste, sondern daß er sich dem Rücktrittsentschluß eines – allerdings hervorragenden – Kabinettsmitgliedes anschloß. Es war mangelnder Wille zum Überleben, der den weiteren Bestand des Kabinetts unmöglich machte. Ohne Begeisterung, mehr im Sinne einer Geschäftsführung, war das Kabinett angetreten, und nur zu bereitwillig ging es wieder.

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