2.179.4 (mu21p): 4. Kassenlage.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 5). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Kabinett Müller II. Band 1 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

Extras:

 

Text

RTF

4. Kassenlage.

Der Reichsminister der Finanzen berichtete über die Kassenlage des Reichs entsprechend der anliegenden schriftlichen Aufzeichnung4. Er berichtete weiter, daß er wegen der Deckung des Spitzenbetrages von 170–180 Millionen für den Ultimobedarf der nächsten Monate mit einem Bankenkonsortium verhandelt habe5. Die Verhandlungen hätten sich schwierig und unerfreulich[579] gestaltet und seien noch nicht zum Abschluß gekommen. Die Banken selbst seien in Sorge wegen der Gefährdung ihrer eigenen Liquidität, zumal für den Fall des ergebnislosen Ausgangs der gegenwärtigen Pariser Sachverständigen-Verhandlungen. Im übrigen würden von den Banken, wenn auch nicht offiziell, wohl aber inoffiziell, unannehmbare Bedingungen gestellt. Die Banken wünschten eine Beseitigung der Kapitalertragsteuer, Beseitigung der Reichskredit-Gesellschaft und Veräußerung von Aktiven des Reichs, z. B. der im Besitz des Reichs befindlichen Aluminiumproduktion der Viag6. Er habe den Banken jedoch erklärt, daß er über politische Fragen nicht verhandele. Anzuerkennen sei, daß der Vizepräsident der Reichsbank, Dreyse, der an den Verhandlungen maßgeblich beteiligt sei, sich nach Kräften bemühe, dem Reich zu helfen. Dagegen seien seine am Vortage unternommenen Bemühungen bei Reichsbankpräsident Schacht durchaus negativ verlaufen. Das Bankenkonsortium habe nämlich großen Wert auf eine Liquiditätsgarantie der Reichsbank gelegt. Nach dieser Richtung habe sich Präsident Schacht durchaus ablehnend verhalten. Präsident Schacht habe seine Ablehnung damit begründet, daß er die Situation der Reichsbank so stark wie möglich halten müsse, insbesondere für den Fall, daß die Pariser Verhandlungen negativ verlaufen sollten.

4

Aus dieser vier Seiten langen Darstellung geht hervor, daß bereits Ende März ein Spitzenbedarf von 175 Mio RM bestanden hatte, der aber durch Anleihen gedeckt worden war. „Für April ergibt sich bei Gegenüberstellung der Einnahmen und Ausgaben ein Defizit von 30 Mio. Dieses trotz der hohen Steuereinnahmen eintretende Defizit beruht im wesentlichen darauf, daß unter den Ausgaben 60 Mio Restausgaben für Rechnung 1928 und 100 Mio Zahlungen an die Landesarbeitsämter sind. – Zurückzuzahlen waren im April: 175 Mio Gelder der Industrieobligationsbank und des Bankenkonsortiums, 20 Mio der Rentenbankkreditanstalt. Hierzu tritt der Fehlbetrag im April in Höhe von 30 Mio, so daß im ganzen ein Bedarf von 225 Mio vorhanden war. Hiervon werden rd. 50 Mio durch die volle Inanspruchnahme des Betriebskredits bei der Reichsbank und den 400 Mio Schatzwechselkredit gedeckt.“ Der Spitzenbedarf der ersten Maitage in Höhe von 180 Mio RM sollte durch Schatzanweisungen bei den Banken gedeckt werden. „Insgesamt werden […] für April bis Juni 440 Mio Spitzenbedarf benötigt, von denen 180 Mio durch Übernahme von Schatzanweisungen durch die Banken gedeckt werden sollen, 260 Mio noch ungedeckt sind“ (Anlage in R 43 I /1437 , Bl. 142-145).

5

Es handelte sich um die Gruppe der „D-Banken“ (Aufzeichnung Pünders vom 22. 4.; SPD: Nachlaß Müller  O III).

6

Die Reichs-Kredit-Gesellschaft AG war 1924 aus Resten des Schatzministeriums geschaffen worden und hatte die Aufgabe, die im Reichsbesitz befindlichen Unternehmungen zu überwachen. Sie war außerdem an mehreren Banken beteiligt. Ihr Kapital lag in den Händen der 1923 als Holdinggesellschaft für Industrieunternehmungen im Reichsbesitz gegründeten „Vereinigten Industrieunternehmungen AG“ (VIAG). Deren wesentlicher Besitz lag in der Elektrowirtschaft und in der Aluminium- und Eisenindustrie.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte weiter, daß er trotz aller Schwierigkeiten hoffe, mit den Banken über den Ultimobedarf einig zu werden7. Die Schwierigkeiten seien letzten Endes durch den ungeheueren und nicht vorhergesehenen Bedarf der Arbeitslosenversicherung entstanden8. Diesem Umstande müsse man der Öffentlichkeit gegenüber psychologisch in dem Sinne Rechnung tragen, daß man alsbald mit erkennbaren Reformmaßnahmen auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung hervortrete. Zur Behebung der finanziellen Schwierigkeiten denke er an die Liquidierung gewisser Aktiva des Reichs, insbesondere an die Aktivierung des Besitzes an Reichsbahnvorzugsaktien. Darüber, wie dies am besten zu geschehen habe, sei er jedoch noch nicht zu festen Entschlüssen gekommen. Wahrscheinlich werde er auf die Sparkassen zurückgreifen müssen, denen die Annahme von Anlagewerten des Reichs notfalls zur Pflicht gemacht werden müsse.

7

Dahinter ausgestrichen: „Sehr viel schwieriger werde möglicherweise der nächste Monat werden.“

8

Die Zahl der Arbeitslosen hatte 1929 zwei Monate über 2 Millionen gelegen mit einem Höchststand von 2,461 Millionen am 28. 2. Außerdem wurden 161 000 Arbeiter aus der Krisenfürsorge unterstützt und 3700 aus Mitteln der produktiven Arbeitslosenfürsorge (Bericht des Bankkommissars im Bericht des Reparationsagenten vom 1.7.29, S. 212).

Der Reichskanzler erklärte, daß er auf die Information des Reichskabinetts über die Kassenlage größtes Gewicht gelegt habe, denn es sei ein unmöglicher Zustand, der verhängnisvollen Entwicklung der Dinge tatenlos zuzusehen. Nach seiner Meinung sei es mit der Information des Kabinetts nicht genug. Auch den Parteiführern müsse die ernste Lage rückhaltlos vorgeführt werden, damit[580] auch der Reichstag rechtzeitig darauf eingestellt sei, wenn bei dem weiteren Verlauf der Entwicklung die Erschließung neuer Steuerquellen notwendig werden sollte. An diese Darlegung schloß sich eine allgemeine Aussprache an.

Das Kabinett beschloß, tunlichst alsbald eine eingehende Unterrichtung der Führer der hinter der Regierung stehenden Parteien herbeizuführen.

Extras (Fußzeile):