2.255 (mu21p): Nr. 255 Der Reichsminister der Finanzen an das Auswärtige Amt. 18. Juli 1929

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Nr. 255
Der Reichsminister der Finanzen an das Auswärtige Amt. 18. Juli 1929

R 43 I /54 , Bl. 155-157 Umdruck

Betrifft: Freigabe deutschen Vermögens in Belgien.

In der Anlage übersende ich ergebenst die für Deutschland bestimmte Urschrift des am 13. Juli 1929 in meinem Hause unterzeichneten deutsch-belgischen Abkommens über die deutschen Güter, Rechte und Interessen in Belgien nebst zugehörigem Zeichnungsprotokoll1.

1

Hier nicht aufgenommen; den Text siehe in RGBl. 1930 II, S. 541  ff.

Da anzunehmen ist, daß die anderen alliierten Staaten, mit denen auf Grund des Young-Plans Verhandlungen über die Freigabe des noch unliquidierten deutschen Vermögens eingeleitet werden müssen, sich kaum zu weiteren Entgegenkommen[831] bereitfinden werden, als die Belgier, haben die Bestimmungen des Abkommens eine über den Wert des unliquidierten deutschen Vermögens in Belgien weit hinausgehende Bedeutung. Aus diesem Grunde ist auch hier von Anfang an großer Wert darauf gelegt worden, die Bestimmungen des Abkommens so günstig wie möglich zu gestalten, insbesondere in dem Sinne, daß sie als Präjudiz bei der Auslegung zweifelhafter Stellen des Young-Plans zu unseren Gunsten wirken können.

Das letztere Ziel ist in weitgehendem Umfang erreicht worden.

1. Zunächst ist durch die Fassung des Art. 1 des Abkommens anerkannt worden, daß nach der Empfehlung der Sachverständigen als Stichtag für die Einstellung der Liquidation und die Freigabe des noch unliquidierten Vermögens bereits der 7. Juni 1929, der Tag der Unterzeichnung des Sachverständigenplans zu gelten hat. Allerdings mußte auf Wunsch der Belgier konzediert werden, daß gewisse von ihnen in der Zeit vom 7. bis 22. Juni 1929 noch liquidierte Gegenstände von der Freigabe ausgenommen wurden; die dahingehende Bestimmung ist aber unter ausdrücklicher Bezeichnung als Ausnahmevorschrift, aus dem Abkommen selbst herausgenommen und an unauffälliger Stelle in einem besonderen Zeichnungsprotokoll niedergelegt worden2.

2

Siehe RGBl. 1930 II, S. 545 .

2. Sodann ist es gelungen, den Begriff der „liquiden“ Güter, Rechte und Interessen, die nach der Empfehlung der Sachverständigen von der Freigabe ausgenommen werden sollen, stark zu beschränken. Während die Belgier zu Beginn der Verhandlungen als liquide sämtliche Forderungen bezeichneten, über deren Grund und Höhe kein Streit besteht, ist es schließlich gelungen, den Begriff auf die sequestrierten Barguthaben im Sinne des § 11 der Anlage zu Art. 298 des Versailler Vertrags – d. h. auf sequestrierte Geldforderungen, die aus Anlagen herrühren (Bankguthaben, Sparkassenguthaben), – zu beschränken. Da diese Guthaben fast durchgängig bereits von den Liquidatoren der alliierten Staaten eingezogen sein werden und damit auch schon als liquidiert im Sinne des Versailler Vertrags gelten müssen, so dürfte die Ausnahme der liquiden Vermögensgegenstände von der Freigabe nach dem Abkommen kaum noch eine praktische Bedeutung haben.

3. Durch die Bestimmung des Art. 11 des Abkommens, in dem vereinbart ist, daß alsbald nach dem Inkrafttreten des Sachverständigenplans „gemäß der in Teil 9 dieses Plans enthaltenen Empfehlung“ neue Verhandlungen zum Zwecke der endgültigen Regelung der weiteren sich aus dem Abschnitt IV des Teils X ergebenden Fragen stattfinden sollen, ist anerkannt worden, daß die im Teil 9 Abs. 4 des Young-Plans am Schluß von den Sachverständigen empfohlenen „arrangements“ über die noch ausstehenden Fragen wegen des deutschen Eigentums sich nicht allein, wie dies von englischer Seite behauptet wird, auf die Verhandlungen über die Freigabe des noch unliquidierten Eigentums beziehen, sondern auch die Behandlung der Erlöse des liquidierten Vermögens zum Gegenstand haben müssen3.

3

Vgl. dazu das endgültige Abkommen vom 16.1.30 zur „Regelung der Fragen aus den Abschnitten III bis VII des Teils X des Vertrages von Versailles“ in RGBl. 1930 II, S. 546  ff.

[832] Auch im übrigen ist es gelungen, im Laufe der Verhandlungen eine günstige Regelung zu erzielen. Das mit Hartnäckigkeit vorgebrachte Verlangen der Belgier, daß das Vermögen deutscher und wegen deutscher Kontrolle zwangsliquidierter belgischer Gesellschaften von der Freigabe ausgenommen werden sollte, konnte zum Scheitern gebracht werden. Ebenso ließ sich nach langen Verhandlungen durchsetzen, daß denjenigen Deutschen, die ihre eigenen Vermögensgegenstände von der belgischen Regierung zurückgekauft hatten, der bis zum 7. Juni 1929 noch nicht gezahlte Teil des Kaufpreises erlassen wird (Art. 6). Sodann ist es gelungen, den von den Belgiern verlangten Verzicht auf jedes etwa noch bestehende Recht der deutschen Beteiligten, Ansprüche gegen den belgischen Staat oder die Sequester wegen Mängel bei der Verwaltung oder Liquidierung des deutschen Vermögens zu erheben, zu vermeiden; statt dessen ist lediglich am Schlusse des Art. 3 eine Befreiung der belgischen Regierung von der Haftung für Irrtümer bei der Freigabe aufgenommen worden, die etwa durch irrige Auskünfte deutscher Behörden entstanden sein könnten. Bemerkenswert ist ferner, daß die belgische Regierung auf jede Zurückhaltung der freizugebenden Gegenstände für die Kosten und Honorare der Zwangsverwaltung oder der Liquidation verzichtet hat (Art. 4). Bei der Frage der Haftung für die im Zusammenhange mit dem liquidierten und freizugebenden Vermögen entstandenen Schulden ließen sich günstigere Bestimmungen als im Art. 5 niedergelegt, nicht erreichen; diese Bestimmungen bringen jedoch für die deutschen Berechtigten keine Verschlechterung der geltenden Rechtslage und halten damit die Möglichkeit der Austragung aller noch bestehenden Streitfragen offen4.

4

Die Schulden waren von demjenigen zu übernehmen, „dem die Freigabe zugute kommt“, wenn er nicht auf die Freigabe verzichten wollte.

Die Prüfung der Frage, ob, insbesondere im Hinblick auf die Bestimmungen des Art. 5, das Abkommen gemäß Art. 45 Abs. 3 der Reichsverfassung dem Reichstag zur Genehmigung vorzulegen ist, darf ich mir vorbehalten.

Mit Rücksicht auf die Interessen der Beteiligten, insbesondere auf die noch schwebenden Prozesse, erscheint es mir erforderlich, den Inhalt des Abkommens baldigst der Öffentlichkeit mitzuteilen. Den Entwurf einer Pressenotiz werde ich dem Auswärtigen Amt zur Erklärung des Einverständnisses zugehen lassen.

Abschrift dieses Schreibens habe ich den anderen Herren Reichsministern und dem Büro des Herrn Reichspräsidenten zugehen lassen.

In Vertretung

Popitz

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