2.17.4 (sch1p): IV. Stellung der Obersten Heeresleitung.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 9). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett ScheidemannReichsministerpraesident  Philipp Scheidemann Bild 146-1970-051-17Erste Kabinettssitzung der neuen deutschen Reichsregierung am 13.2.1919 in Weimar Bild 183-R08282Versailles: die deutschen Friedensunterhändler Bild 183-R11112Die Sozialisierung marschiert! Plak 002-005-026

Extras:

 

Text

RTF

IV. Stellung der Obersten Heeresleitung.

Ministerpräsident: Frage wird immer ernster. Können wir überhaupt die OHL noch aufrechterhalten.

Erzberger: Franzosen wollen Gefangene hauptsächlich nicht herausgeben, weil Hindenburg aus den „ausgeruhten“ Leuten neue Soldaten macht. Möglicherweise Vorwand wegen schlechten Gewissens. Zweitens hat Brief Hindenburgs an Min[ister]-Präs[ident] sehr schlechten Eindruck gemacht (im Ausland)10. „Alter Militarismus“. Drittens scharfe Entwaffnungsbedingungen zum Teil auf Fortbestand der OHL zurückzuführen. Hinter dem großen Apparat der OHL stecke eine deutsche Falle. Nächste Woche Wilson in Paris, ungeheuer wichtig. Hindenburg hat wiederholt Entlassung erbeten11. Nachfolge zu lösen (Reichswehrminister, Kriegsminister). Daher jetzt den Schritt tun.

10

Aus Anlaß einer Äußerung Scheidemanns in der NatVers über Ludendorff, den der RMinPräs. als Hasardeur bezeichnet hatte (NatVers Bd. 326, S. 46 ), übersandte ihm Hindenburg am 16.2.1919 ein Schreiben, in dem er Ludendorff gegen den Vorwurf Scheidemanns in Schutz nahm (Schultheß 1919, I, S. 71).

11

Das offizielle Rücktrittsgesuch Hindenburgs ging am 2.5.1919 bei dem RPräs. ein. Darin kündigte Hindenburg aus Anlaß der beginnenden Friedensverhandlungen in Versailles seinen Rücktritt für den Zeitpunkt nach Abschluß des Friedensvertrags an (Schultheß 1919, I, S. 200). Am 25.6.1919 trat Hindenburg zurück (Schultheß 1919, I, S. 266 f.). Mit dem Ausscheiden Hindenburgs wurde die OHL am 3.7.1919 aufgelöst (Schultheß 1919, I, S. 281 f.).

Die OHL treibt auch immer noch eigene Politik.

Reinhardt: Bald ja. Aber ob jetzt gleich zweifelhaft. So dumm ist kein franz. Generalstabsoffizier, daß die 400 000 Gefangenen in französischen Händen Deutschland wieder militärisch zu fürchten machen. Wir haben 6 000 000 entlassen! Die französischen Delegierten betrachten doch bisher gerade die deutsche OHL als Verhandlungsgegner. Wir brauchen nicht zu verheimlichen, daß wir gegen die Bolschewiki ernst machen. Allenfalls Demobilmachungsbefehl für OHL schon jetzt herausgeben, das ließe sich fabrizieren. OHL einzige Dienststelle, der die Bundeskontingente sich fügen müssen, deren Befehle in Bayern auch tatsächlich gewisse Anerkennung finden.

Min[ister-]Präsident: Brief Hindenburgs war wohl nicht so [?] gemeint, seine Umgebung sind aber zweifellos Leute, die mit so etwas noch politisch werben wollen. Ich kann Reinhardt nicht zustimmen. Auf die Fachmänner in Frankreich kommt es nicht an. Man geht mit dem Argument sehr geschickt pflügen. Das[54] müssen wir parieren. Man will in Frankreich die Stimmung aufrechterhalten, in Deutschland Zwietracht säen. Wir müssen die OHL auflösen, es läßt sich eine Form finden, da sie selbst längst den Abschied erbeten haben.

Reinhardt: Hindenburg hält durch sein Bekenntnis zur Demokratie die Leute viel bei der Stange, namentlich die jungen Offiziere, denen es materiell sehr schlecht geht. Sein Abgang hat also auch eine Kehrseite. Er könnte vielleicht Gegenerklärung abgeben.

Schiffer: Propaganda unter Parole „Sturz Hindenburgs“ wird schwere Folgen haben. Umgekehrt verspreche ich mir wenig von seinem Abgang; sein Bleiben ist doch nur ein Opfer.

Erzberger: Seit der Nationalversammlung verkehren Alliierte mit der neuen Regierung Deutschlands. Macht Hindenburgs beruht jetzt auf Reichswehrgesetz12. Da ist der Platz, für Offiziere zu sorgen: Eingliederung der Freiwl. Truppen in die Reichswehr13. Einzige Frage: Wollen wir es vor dem Präl[iminar-] Frieden machen oder hinterher gezwungen. Völkerrechtlich haben wir mit niemand Krieg. Es brauchte nicht gleich zu sein, etwa Ende des Monats.

12

Das Gesetz über die Bildung einer vorläufigen Reichswehr war am 6.3.1919 erlassen worden (RGBl. 1919, S. 295 ).

13

Dazu hieß es in der Ausführungsverordnung zum Gesetz über die vorläufige Reichswehr vom 5.3.1919 in § 8: „Der RWeM wird ermächtigt, zu bestimmen, welche von den bestehenden Freiwilligenverbänden, Volkswehren usw. in die Reichswehr aufzunehmen oder ihr anzugliedern sind […]“ (RGBl. 1919, S. 297 ). Tatsächlich wurde nur ein relativ niedriger Prozentsatz der Offiziere und Mannschaften der Freiwilligenverbände in die Reichswehr übernommen.

Min[ister-]Präs[ident]: Wir müssen uns mit Hindenburg vereinigen darüber.

Graf Rantzau: Bericht des Gesandten in Bern, daß Bestehenbleiben der OHL auch in uns wohlgesinnten Kreisen des Auslandes übel ausgelegt wird14.

14

In den Akten der Rkei und des AA nicht ermittelt.

Noske: Mit einiger Frist ist es technisch zu machen. Aber es muß eine sehr schonende Form gefunden werden. Schiffer hat nicht Unrecht. Offizierskreise verfolgen jetzt Politik sehr aufmerksam. Gewisser Wechsel im Kabinett würde zum Teil viele zum Austritt veranlassen. Sie setzen sich loyal für demokratische Errungenschaften ein. Die finanzielle Besserstellung der Offiziere ist sehr wichtig; ich hatte bisher keine Zeit. – Die Entente verlangt doch von uns eine Ostfront15? Zur Zeit von Libau bis Kattowitz. Also Gesamtleitung notwendig, etwa als „Oberkommando Ost“16. Wie steht es in Rußland? An Millionenheer glaube ich nicht. Lenin und Trotzki vollziehen Annäherung an alte Verhältnisse. Nachrichtendienst im Osten versagt offenbar. Ich fahre ohnedies morgen mit dem Kriegsminister nach Kolberg; da können wir mit Hindenburg Fühlung nehmen17.

15

Laut Art. XII des Waffenstillstandsvertrags vom 11.11.1919 durften die dt. Truppen im Osten erst dann hinter die dt. Grenzen zurückgezogen werden, wenn die Alliierten das verlangten (Waffenstillstand, I, S. 37 f.).

16

Das Oberkommando im Osten hatte die OHL inne, die zu diesem Zweck am 14.2.1919 nach Kolberg verlegt worden war. Daneben bestand die dem PrKriegsM unterstellte Zentrale Grenzschutz Ost, der die organisatorische Seite des Ostschutzes zugewiesen war, während die OHL die operative Leitung innehatte.

17

Noskes Besuch bei der OHL in Kolberg ist nur mit einer Quelle belegbar, die keine Rückschlüsse auf die Ergebnisse des Besuchs zuläßt. Unter dem 18.3.1919 notierte Groener in seinem Tagebuch: „Besuch von Noske, Maj. v. Stockhausen, Maj. v. Gilsa, Kriegsminister Reinhardt, Oberstlt. v. Pawels, Gen. v. Winterfeldt. Besprechungen über die militärische und politische Lage, zukünftige Heeresorganisation, Offizierskorps (Spaziergang, Besprechung mit Noske u. Reinhardt allein, 5 Uhr nachmittags Vortrag im Kasino, 4 Uhr nachmittags Besprechung mit Stockhausen)“ (BA-MA, Nachl. Groener , N 46/24).

[55] Reinhardt: Kommen uns schon näher. Ich hatte gedacht: mit dem Vorfrieden OHL auflösen. Sie: vor dem Vorfrieden.

Giesberts: Sehr unangenehm, wenn Auflösung deprimierend für Offiziere usw. werden würde. Denn energisches Vorgehen z. B. im Ruhrgebiet doch sehr wichtig im Innern gewesen. Eindruck im Innern fast wichtiger als nach außen.

Graf Rantzau: In 4–5 Tagen werde ich Bericht über Lage in Rußland vorlegen18. Allerdings ist unser Nachrichtendienst in Rußland mangelhaft.

18

Der Bericht des RAM in: PA, Wk adh. 2, Bd. 23.

Koeth: Erschreckend, daß junge Offiziere in großem Umfang zu Spartakisten übergehen. Ideale Motive. Andere geraten in Verzweiflung. Einige haben schon als Kofferträger Dienste getan. Fürsorge für Offiziere sehr ernste Frage.

Erzberger: Ganz recht, aber unabhängig von Hindenburgs Verbleib. Wollen zunächst Besprechung in Kolberg abwarten.

Ministerpräsident: Ganz freundschaftlich verhandeln.

Reinhardt: Technisch keine Schwierigkeiten. Übrigens wirkt Hindenburg auch als Person, als Roland, auf die Gegner.

Landsberg: Davon haben wir leider nichts gemerkt.

Reinhardt: Junger Offizier hat mit allem 229 M im Monat, also 7 M pro Tag; dafür Verpflegung, Kleidung, Unterbringung. Sie wollen mindestens die 5 M Freiwilligen-Zulage auch haben. Stabsoffiziere 14 M täglich bei Trennung von der Familie. Deputationen auf Deputationen kommen. Dann das Gefühl der Schmach. Lieber Franzosenknechte oder lieber Bolschewistenknechte? Das ist die Frage, die manchen zu den Spartakisten treibt. „Wir werden mit unseren Leuten Bolschewisten, wenn man uns das und das im Frieden zumutet.“ Lockerung der Disziplin auch bei den Offizieren.

Bell: Das alles hängt nicht von der OHL ab. Übrigens auch Akademiker vielfach in wirtschaftlicher Not und zum Teil Spartakisten. Es muß so gemacht werden, daß beiderseits ehrliches Einvernehmen.

Ministerpräsident: Erledigt.

Extras (Fußzeile):