2.101 (sch1p): Nr. 95 Besprechung mit den rheinischen Abgeordneten. 31. Mai 1919, 17 Uhr

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Nr. 95
Besprechung mit den rheinischen Abgeordneten. 31. Mai 1919, 17 Uhr

R 43 I /1837 , S. 231-2371

1

Eine Anwesenheitsliste liegt nicht vor, ebensowenig eine Angabe über die Person des Protokollführers. Allerdings findet sich in R 43 I /1837 , S. 181-187 ein Verzeichnis der einzuladenden Abgeordneten der NatVers, das 28 MSPD-, 38 Zentrums-, 11 DDP-, 3 DNVP-, 6 DVP- und 2 USPD-Abgeordnete sowie einen Fraktionslosen umfaßt.

Ministerpräsident Scheidemann begrüßt die so zahlreich Erschienen und weist auf den Zweck der Besprechung hin. Er führt aus, daß entgegen den Pressenachrichten der Reichsregierung von den Verhandlungen der rheinischen Parlamentarier mit dem französischen Hauptmann Rostan und dem General Mangin2 vorher nichts bekannt gewesen sei3.

2

Siehe Dok. Nr. 88, P. 4; Hptm. Rostan war frz. Zensuroffizier in Aachen und hatte am 15.5.1919 eine Unterredung mit Dr. Froberger, in der er erklärte, „daß Frankreich eine baldige Erklärung der Republik Rheinland aus der Bevölkerung heraus wünsche. England und die Vereinigten Staaten hätten den Franzosen freie Hand gelassen infolge der Ausführungen des Friedensvertrages. […] Im Falle, daß die rheinische Republik nicht errichtet würde, beabsichtigen die Franzosen, an der Ostgrenze des besetzten Gebietes eine Zollgrenze zu schaffen und damit das Rheinland in das frz. Wirtschaftsgebiet einzuschließen. […]“ Der Bericht Frobergers über diese Besprechung wurde von dem dt. Brückenkopfoffizier in Köln, Hptm. Schwink, am 15.5.1919 aufgezeichnet und der Friedensdelegation in Versailles, der Wako in Spa, der OHL, dem RegPräs. Köln und dem Kölner OB übermittelt (R 43 I /1837 , S. 93-95).

3

Die Kölnische Volkszeitung, deren außenpolitischer Redakteur Froberger war, hatte in Nr. 405 am 25.5.1919 erklärt, „daß die genannten Herren sowohl vor ihrer Besprechung mit dem frz. General die RReg. von ihrem Schritte in Kenntnis gesetzt haben, als auch nachher der Berliner Regierung und unserer Friedensdelegation in Versailles genauen Bericht über die Verhandlungen in Mainz erstattet haben.“

Unterstaatssekretär Albert belegt das näher an Hand der Akten.

Abgeordneter Falk verliest die Berichte des Brückenkopfoffiziers über die Verhandlungen im Rheinland mit den französischen Offizieren betr. die Errichtung einer westdeutschen Republik4 und schildert die Lage und die Stimmung im Rheinlande. Die Bevölkerung halte jetzt noch an der Zugehörigkeit zum deutschen Reiche fest, es sei aber nicht zu leugnen, daß ein großer Teil auf eine Loslösung von Preußen hinstrebe. Wenn bei einem ungünstigen Frieden eine langdauernde Besetzung erfolgen würde, so dürfe man sich keiner Täuschung[408] hingeben, daß das Rheinland für Deutschland verloren sei. Er stellt fest, daß der Kölner Oberbürgermeister Adenauer mit dem Vorgehen der rheinischen Herren in Mainz nichts zu tun gehabt hat.

4

Siehe Anm. 2 sowie Dok. Nr. 88, P. 4.

Abgeordneter Busch unterstreicht die Nichtbeteiligung des Oberbürgermeisters Adenauer. Adenauer sei Preußen und dem Reich gegenüber vollkommen korrekt verfahren. Die „Neuorientierung“, vor allem die Besetzung der Beamtenstellen durch Rheinländer, müsse schnellere Fortschritte machen.

Reichsminister Bell widerspricht namens der Reichsregierung der Behauptung, daß die Reichsregierung nicht genügend Interesse für die Rheinlande gezeigt habe. Die ungeheuren Geldopfer in den deutschen Gegenvorschlägen5 seien gerade mit Rücksicht auf die Erhaltung der Rheinlande bei Deutschland angeboten. Als Abgeordneter und Mitglied der Zentrumspartei weist er darauf hin, daß seine Partei den Lostrennungsbestrebungen durchaus fernstehe. Als Rheinländer hebt er hervor, daß die Rheinländer allerdings im preußischen Staatsverbande nicht die Berücksichtigung gefunden hätten, die sie beanspruchen könnten, sie ständen aber tre[u] zum Reiche. Ein rheinischer Pufferstaat könne weder leben noch sterben.

5

In: Materialien betr. die Friedensverhandlungen, Teil III: Die dt. Gegenvorschläge zu den Friedensbedingungen der all. und ass. Mächte, Charlottenburg 1919, S. 63 ff.

Preuß. Minister Stegerwald weist ebenfalls die Vorwürfe gegen den Oberbürgermeister Adenauer zurück und erörtert die Frage der Zweckmäßigkeit der Entsendung eines Reichs- oder Staatskommissars in die Rheinlande; die Besetzungsbehörden würden ihn doch in seiner Tätigkeit lahmlegen.

Abgeordneter Trimborn wünscht, daß die Reichsregierung Verständnis dafür bekunde, daß dem Rheinlande eine ihrer historischen Bedeutung entsprechende Stellung eingeräumt wird. Er betont, daß die Rheinländer unbedingt loyal am deutschen Reiche festhalten wollten; dagegen sei der Wunsch einer Loslösung von Preußen in weiten Kreisen, namentlich auch auf dem Lande, verbreitet. Er halte es aber für dringend notwendig, daß die Erörterung dieser Frage in der Öffentlichkeit bis nach Friedensschluß zurückgestellt würde. Eine Stelle zur Vertretung der Interessen der Rheinländer könne nur im unbesetzten Gebiet errichtet werden, da sie im besetzten Gebiet keine Bewegungsfreiheit haben würde. In den Friedensverhandlungen müßten die erforderlichen Garantien dafür geschaffen werden, daß der Staatskommissar auch in dem besetzten Gebiete tätig sein könne6.

6

Siehe Dok. Nr. 102, P. 12.

Abg. Runge spricht sich gegen jede Abtrennung der Rheinlande von Preußen aus und erklärt, daß der Generalstreik der Arbeiter in Köln7 spontan ausgebrochen sei, was beweise, eine wie starke Stimmung gegen die Loslösungsbestrebungen unter der Arbeiterschaft, und zwar nicht bloß der sozialdemokratischen, in Köln bestehe.

7

Auf das Gerücht hin, in Köln solle eine rheinische Republik ausgerufen werden, traten die Arbeiter der meisten Kölner Betriebe am 28.5.1919 aus Protest in einen eintägigen Ausstand (Kölnische Volkszeitung, Nr. 413, 28.5.1919).

Abg. Pick: Die Bewegung im Rheinland ist in erster Linie aus einer tatsächlich vorhandenen Animosität in Preußen entstanden. Die Bevölkerung hoffe, von[409] der Schaffung einer selbständigen westdeutschen Republik innerhalb des Rahmens des deutschen Reiches die Vermeidung einer Annexion des Saargebietes. Wenn das Saargebiet jetzt in irgendeiner Weise von Deutschland getrennt wird, würde es für Deutschland endgültig verloren sein, da die Bevölkerung sich von Deutschland im Stich gelassen glauben würde.

Reichsminister Erzberger weist die Vorwürfe gegen die Regierung zurück, daß sie die Beschwerden des linksrheinischen Gebietes nicht genügend beachtet, und die Bedeutung der Bewegung nicht genügend erkannt habe.

Preuß. MinPräs. Hirsch schließt sich diesen Ausführungen an. Die Frage des Staatskommissars sei im Prinzip schon gelöst, nur die Personenfrage sei noch offen. Hierüber werde am Freitag in Düsseldorf verhandelt werden. Allerdings werde der Staatskommissar nicht im besetzten Gebiete, sonder[n] in Berlin seinen Sitz haben müssen.

Abg. Farwick dankt für die Erklärungen von der Regierungseite. Nach dem Falle der Dynastie bestehe keine innere Berechtigung mehr für die Zugehörigkeit der Rheinlande zu Preußen. „Wenn der Herzog fällt, muß der Mantel nach!“ Daran, daß der Kölner Generalstreik spontan entstanden se[i], glaube im Rheinland niemand.

Abg. Raschig schildert das Vorgehen der Franzosen in der Pfalz8 und betont, daß 99% der Pfälzer den Bestrebungen, die Pfalz vom deutschen Reiche zu trennen, fernstehen.

8

Siehe Dok. Nr. 75, P. 6.

Auf Antrag des Abgeordneten Tabor wird die allgemei[ne] Aussprache geschlossen. Es folgen persönliche Bemerkungen mehrerer Abgeordneter.

Reichsminister Dr. David verliest die anliegende Resolution sowie den gleichfalls anliegenden Abänderungsantrag des Abgeordneten Brauns9. An der Besprechung hierüber beteiligen sich die Abg. Brauns, Brentano, Haas, Lauscher, Moldenhauer, Obermeyer, Runge und Trimborn.

9

Die anliegende Resolution lautete: „Die am 31. Mai<in der Druckfassung: 1.Mai, Anm. der Online-Edition> in Berlin versammelten rheinischen, hessischen und pfälzischen Abgeordneten der deutschen Nationalversammlung und der preußischen Landesversammlung erklären einstimmig:

Eine Abänderung des staatlichen Zustandes der Rheinlande, Rheinhessens und der Pfalz vor Abschluß des Friedens ist unter allen Umständen zu verurteilen. Der Bestand des Reiches muß über allem stehen, und er wird gefährdet durch jede Lockerung seines Gefüges. Wer sich gutgläubig an solchen Plänen beteiligt, lädt schwere Verantwortung auf sich. Wer sie in Verbindung mit feindlichen Instanzen verfolgt, macht sich des Hochverrats schuldig. Wir Rheinländer, Rheinhessen und Pfälzer wollen für unsere engere Heimat jede Bewegungsfreiheit und Selbständigkeit, die mit der engen Zugehörigkeit zum Reich vereinbar ist. Die Reichsregierung teilt diesen Wunsch und wird ihn in Gemeinsamkeit mit uns verwirklichen.“ Der Abänderungsantrag Dr. Brauns(-Köln) (Zentrum) lautete folgendermaßen: „Zwecks Alinea zu fassen wie folgt:

Den bisherigen staatlichen Zustand der Rheinlande, Rheinhessens und der Pfalz innerhalb des deutschen Reiches (unabhängig von den amtlichen Friedensverhandlungen) und den Maßnahmen des Reiches abzuändern, ist unter allen Umständen zu verurteilen. Über allem muß der Bestand des Reiches stehen. Dieser wird gefährdet durch jede Lockerung des Reichsverbandes. Wer sich gutgläubig an solchen Plänen beteiligt, lädt schwere Verantwortung auf sich. Wer in Verbindung mit feindlichen Instanzen die Loslösung vom Reich betreibt, macht sich …“ (R 43 I /1837 , S. 239).

Reichsminister Dernburg stellt fest:

[410] 1. daß Einmütigkeit darüber herrscht, daß von einer Lostrennung der linksrheinischen Lande vom deutschen Reiche überhaupt nicht die Rede sein kann; ferner, daß alle Bestrebungen, welche auf eine Lostrennung von linksrheinischen Landen vom preußischen Staate gerichtet sind, von jetzt ab bis zu einem bestätigten Frieden zu schweigen haben.

2. daß Sachverständige aus dem Rheinlande und den anderen bedrohten Gebieten von der Delegation in Versailles gehört werden sollen10.

10

Den „Aufzeichnungen zu den Friedensverhandlungen von Versailles im Jahre 1919“ des Generalkommissars der dt. Friedensdelegation, MinDir. Simons, zufolge waren am 6.6.1919 aus Köln der RegPräs. v. Starck, OB Adenauer, der Bankier Louis Hagen sowie die Abgeordneten der NatVers Kaas (Zentrum) und Sollmann (MSPD) und der Abg. der pr. Landesversammlung Loenartz (Zentrum) in Versailles eingetroffen. „Die Herren brachten ihre Wünsche und Ansichten über die Zukunft der Rheinlande vor. Die Rheinländer waren sehr zufrieden über das Verständnis, das man ihnen entgegenbrachte. Die Frage einer Autonomie der Rheinlande (um eine Loslösung vom Reich handelte es sich bei diesen Herren nicht) wurde von allen Seiten erörtert; die Herren vom Zentrum und von der Sozialdemokratie legten ihre Ansichten dar. Graf Rantzau überzeugte die Herren, daß die Frage einer selbständigen Rheinprovinz vom Standpunkt des ganzen Reichs zu behandeln sei, daß im Augenblick in unserer schwierigen Lage eine Förderung einer Autonomiebewegung nicht zweckmäßig sei, da eine solche von unseren Feinden ihren Zertrümmerungsabsichten leicht nutzbar gemacht werden könne. Die Herren vom Rheinland behaupteten, Nachrichten zu haben, wonach die Feinde uns besser behandeln würden, wenn die Rheinlande sich von Preußen lostrennten und einen selbständigen Staat im Reiche bildeten. Diese Nachrichten wurden von der Delegation als ein Lockmittel der Entente zur Erleichterung ihrer Zersplitterungspläne angesehen. Den von den Rheinländern vorgebrachten Nachrichten, wonach Deutschland angeblich durch eine selbständige Rheinprovinz das Saarbecken hätte retten können, mußten der ganzen politischen Lage entsprechend und den erhaltenen Nachrichten zufolge als unglaubwürdig angesehen werden. Die rheinischen Herren verschlossen sich auch diesen Argumenten nicht. Die Rheinländer reisten am Abend des 6. 6. wieder nach Köln zurück. […]“ (PA, Nachl. Brockdorff-Rantzau , Az. 20).

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