2.203.1 (wir1p): 1. Streiklage.

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1. Streiklage.

Der Herr Reichskanzler berichtet eingangs über die Besprechung mit den Führern der Spitzenverbände der Gewerkschaften vom heutigen Vormittag1. Er weist auf die zugesagte Beratung des Arbeitszeitgesetzes hin.

1

Siehe Dok. Nr. 199 Anm. 7.

Reichsminister der Finanzen Dr. Hermes spricht über die Verhandlungen im Reichsfinanzministerium. Er betont, daß er eine Zulassung von Vertretern der streikenden Reichsgewerkschaft abgelehnt habe. Die Tagung hätte zunächst mit der Beratung der Frage der Überteuerungszuschüsse beginnen sollen. Flügel und Aufhäuser vom Beamtenbund hätten daraufhin an erster Stelle die Frage der Erörterung der Grundgehälter verlangt. Die Versammlung hätte sich ihnen angeschlossen, und es sei zunächst darüber beraten worden. Am Ende der[549] Besprechung, die durchaus sachlich und ruhig verlaufen sei, sei die nachfolgende Erklärung gefaßt worden:

„In einer Besprechung mit den Spitzenverbänden am 6. Februar erklärte der Reichsminister der Finanzen zur Frage der Nachprüfung der Grundgehälter der Beamten, er habe schon in der Reichstagssitzung vom 21. Januar eine Erklärung abgeben lassen, wonach die Reichsregierung bereit sei, baldmöglichst in eine eingehende Aussprache über alle Besoldungsfragen einzutreten und alle in Betracht kommenden Probleme zu prüfen. Zu der Gesamtheit dieser Probleme, deren Erörterung damals in Aussicht gestellt worden sei, habe nach Auffassung der Reichsregierung von Anfang an selbstverständlich auch die Frage der Nachprüfung der Grundgehälter gehört. Auch der 23. Ausschuß des Reichstags für Beamtenangelegenheiten habe inzwischen in Aussicht genommen, bei Gelegenheit seiner Beratungen über die Frage der automatischen Anpassung der Gehälter und Löhne an die jeweilige Teuerung auch die Frage der Nachprüfung der Grundgehälter in den Kreis der Erörterung zu ziehen. Er (der Minister) sei bereit, alle Schritte zu tun, um die gegenwärtig der Beratung des Ausschusses unterliegenden Fragen, insbesondere die Nachprüfung der Grundgehälter, beschleunigt zu verhandeln.

Im Anschluß an diese Besprechung wurde die schon seit dem 25. Januar im 23. Ausschuß des Reichstags erörterte Frage der praktischen Durchführung der Gewährung von Wirtschaftsbeihilfen an Beamte und Angestellte in Anlehnung an die den Arbeitern zugestandenen Überteuerungszuschüsse mit den Spitzenorganisationen durchberaten. Diese Beratungen werden in den nächsten Tagen fortgesetzt werden.“

Der Herr Reichsfinanzminister berichtet fortfahrend, daß Herr Aufhäuser um Zugängigmachung der Erklärung an die Presse und Voranstellung einer Erklärung über das Arbeitszeitgesetz, wie sie der Herr Reichskanzler heute morgen zugesagt habe, gebeten habe. Er habe ferner gefragt, ob im Falle einer sofortigen Arbeitsaufnahme eine Maßregelung vermieden werden könne.

Der Herr Reichskanzler geht zunächst auf die Frage der Maßregelung ein. Er hält es nicht für zweckmäßig, die Frage jetzt überhaupt endgültig zu beantworten.

Reichsarbeitsminister Bauer ist der Auffassung, daß die Regierung über diese Frage erst entscheiden könne, wenn der Streik beendet sei.

Reichsverkehrsminister Groener berichtet über das Wesen des Disziplinarverfahrens und fordert restlose Durchführung der Bestimmungen des Disziplinargesetzes. Er weist insbesondere auf den Bruch des Beamteneides durch die Streikenden hin.

Reichsminister der Justiz Dr. Radbruch weist auf die Verordnung des Herrn Reichspräsidenten2 hin und erklärt, daß hier nur ein Amnestiegesetz Ausnahmen schaffen könne.

2

VO vom 1.2.22, siehe Dok. Nr. 198 Anm. 3; die VO sieht Gefängnis- und Geldstrafe vor für die nach der VO verbotene Einstellung oder Verweigerung der Arbeit, sowie für Sabotageakte.

[550] Reichskanzler Dr. Wirth hält es für zweckmäßig, den Beamten die Rechtslage klar zu machen.

Min.Direktor Ritter betont, daß beim Disziplinarverfahren eine Amnestie gar nicht in Frage komme. Rechtlich könne allerdings im Verwaltungsverfahren angeordnet werden, daß das Disziplinarverfahren eingestellt wird.

Reichspostminister Giesberts weist darauf hin, daß es die Reichsregierung bisher überhaupt versäumt habe, die Frage, ob den Beamten ein Streikrecht zustehe oder nicht, genügend zu klären. Er halte es für zweckmäßig, den Beamten zu sagen, der Reichsverkehrsminister könne nicht anders handeln, als die Gesetze es vorschrieben. Er warnt vor jeder Schwäche und jedem Nachgeben. Eine klare Stellungnahme des Reichstags zu der Frage des Streikrechts der Beamten halte er für erwünscht.

Der Herr Reichskanzler hält es ebenfalls für zweckmäßig, eine Stellungnahme des Reichstages zu dieser Frage herbeizuführen3.

3

Auf eine Anfrage Rosenfelds, ob es richtig sei, daß das Streikrecht der Beamten zusammen mit einem Gesetz zum Schutz der Republik behandelt werden solle (RT-Drucks. Nr. 3788, Bd. 372 ), antwortet MinDir. Falck vom RIMin., daß Überlegungen bestünden, das Streikrecht im Gesetzentwurf über die Pflichten der Beamten zum Schutz der Republik zu regeln. Ein Vorentwurf dazu bestehe noch nicht (RT Bd. 353, S. 6574  A). In der endgültigen Fassung des Gesetzes (RGBl. 1922 I, S. 5907 ) ist das Streikrecht der Beamten nicht geregelt.

Reichsschatzminister Bauer warnt davor, die Frage dem Reichstag vorzulegen. Die Entscheidung im Disziplinarverfahren wird ja eine Klärung der Frage bringen, ob der Disziplinarhof ein Streikrecht der Beamten anerkennt oder nicht.

Reichsverkehrsminister Groener ist der gleichen Ansicht und warnt nochmals davor, irgend etwas verlauten zu lassen, das den Anschein erwecke, als wolle man Milde walten lassen.

Reichsminister des Auswärtigen Dr. Rathenau fragt, was die Regierung zu tun gedenke, wenn dieser Streik sich erheblich ausdehne und betont, daß ein scharfes Eingreifen der Technischen Nothilfe gewährleistet sein müsse. Er hält außerdem Maßnahmen vorbeugender Art – wie Überwachung radikaler Versammlungen – für zweckmäßig.

Reichsminister des Innern Dr. Köster berichtet über den Einsatz der Technischen Nothilfe.

Der Herr Reichskanzler spricht über die Verhandlungen, die heute nachmittag mit den Industriellen stattgefunden hätten4, die eine optimistische Auffassung der Streiklage hinsichtlich der Industriearbeiter ihrer Betriebe zum Ausdruck gebracht hätten.

4

Siehe Dok. Nr. 199 Anm. 8.

Reichsminister des Innern Dr. Köster kommt nochmals auf die Frage der Technischen Nothilfe zurück und hält einen sofortigen Einsatz der Technischen Nothilfe ohne Rücksicht auf etwa noch schwebende Verhandlungen mit den Streikenden im Interesse der Bevölkerung und der Nothilfe selbst für erforderlich.

Reichsminister des Auswärtigen Dr. Rathenau berührt nochmals die Frage,[551] ob der Streik in das politische Gebiet hinüber spiele und bemerkt hierbei, daß Radek in Berlin sei5.

5

Im Februar 1922 hielt Radek sich in Berlin auf zur Unterzeichnung eines Wirtschaftsvertrages mit den Firmen AEG, Friedrich Krupp AG Essen und Hugo Stinnes Mülheim a. d. Ruhr (PA, Pol. Abt. IV, Po 2 B, Bd 1).

Der Herr Reichskanzler mißt dieser Tatsache keine allzugroße Bedeutung bei.

Reichswirtschaftsminister Schmidt kommt nochmals auf die Erörterung über das Disziplinargesetz zurück und stellt der Erwägung anheim, ob nicht ein gewisses formales Entgegenkommen der Reichsregierung wünschenswert sei.

Reichsminister der Finanzen Dr. Hermes hält eine Stellungnahme zu der Frage der Maßregelung zunächst überhaupt nicht für angebracht.

Staatssekretär Dr. Müller trägt dem Verlangen der pflichttreuen Beamtenschaft auf Disziplinierung der Streikenden Rechnung.

Der Herr Reichskanzler hält es für zweckmäßig, erst die Wirkung der heutigen Besprechung abzuwarten und keine Stellung zur Frage der Maßregelung zu nehmen.

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