2.122.1 (vpa1p): 1. Bericht des Reichskanzlers über die Besprechungen in Neudeck (Außerhalb der Tagesordnung).

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1. Bericht des Reichskanzlers über die Besprechungen in Neudeck (Außerhalb der Tagesordnung).

Bei der Beratung dieses Punktes waren lediglich die Herren Reichsminister, der Staatssekretär in der Reichskanzlei, der Staatssekretär im Büro des Reichspräsidenten, der Reichsbankpräsident, der Reichspressechef und der Protokollführer anwesend.

Der Reichskanzler erstattete einen kurzen Bericht über die Besprechungen, die er am Montag, dem 29. August, mit dem Herrn Reichspräsidenten in Neudeck gehabt hatte1. An dieser Besprechung haben teilgenommen: der Reichskanzler, der Reichsminister des Innern Freiherr von Gayl und der Reichswehrminister von Schleicher.

1

Die Besprechung in Neudeck hatte am 30. 8. stattgefunden. Über Verlauf und Ergebnis s. die Niederschrift Meissners (Dok. Nr. 120).

Zuvor sprach der Reichskanzler allen Kabinettsmitgliedern seinen herzlichsten Dank für die Mitarbeit an dem Zustandekommen des am Sonntag, dem 28. August, in Münster bekanntgegebenen Wirtschaftsprogramms der Reichsregierung2 aus. Er bemerkte ferner, daß er auch dem Herrn Reichsbankpräsidenten seinen besonderen Dank schon zum Ausdruck gebracht habe. Der Widerhall, den das Wirtschaftsprogramm in der Öffentlichkeit gefunden habe, sei gut. Er hoffe, daß die Reichsregierung auf dem im Programm vorgezeichneten Wege weiterkommen werde. Der Erfolg hänge ausschlaggebend nur von der tatkräftigen Weiterarbeit der Reichsregierung ab.

2

Vgl. Anm. 16 zu Dok. Nr. 117.

Der Herr Reichspräsident habe sich über die Grundzüge der wirtschaftlichen und finanziellen Maßnahmen eingehend unterrichten lassen und habe den Plan gutgeheißen. Der Herr Reichspräsident habe ihn ersucht, bei der Ausarbeitung der einzelnen Bestimmungen insbesondere darauf zu achten, daß die Lebenshaltung der deutschen Arbeiterschaft gesichert und daß der soziale Gedanke gewahrt bleibe. Dies sei auch in der amtlichen Verlautbarung über die Besprechung in Neudeck besonders hervorgehoben worden3.

3

Vgl. das am Schluß der Neudecker Besprechung beschlossene Kommuniqué (Dok. Nr. 120).

Die anschließende eingehende Besprechung der innerpolitischen Lage habe gleichfalls völlige Übereinstimmung zwischen dem Herrn Reichspräsidenten und der Reichsregierung ergeben. Der Herr Reichspräsident habe erklärt, fest[481] entschlossen zu sein, an der gegenwärtigen Reichsregierung festzuhalten. Er habe ihm, dem Reichskanzler, eine Blankovollmacht für die Auflösung des Reichstags übergeben. Von dieser Vollmacht werde natürlich nur nach Maßgabe der Entwicklung der Dinge Gebrauch gemacht werden4.

4

Zur Auflösung des RT s. Dok. Nr. 134, P. 1.

Am Vormittage des heutigen Tages habe er sodann den Oberbürgermeister Dr. Goerdeler empfangen. Dieser sei gerade von einer Besprechung mit dem früheren Reichskanzler Dr. Brüning zu ihm gekommen. Er habe erklärt, daß Hoffnung bestehe, die Nationalsozialisten zu bewegen, den Reichstag auf ein halbes Jahr zu vertagen, damit das gegenwärtige Kabinett eine faire Chance habe, das soeben verkündete Wirtschaftsprogramm durchzuführen. Offenbar entspreche dies auch der Absicht des Zentrums. Man sei in diesen Kreisen davon überzeugt, daß das Programm nur dann Erfolg haben könne, wenn die politische Atmosphäre bereinigt sei. Auf dem Gebiet der Politik müsse Ruhe herrschen. Darum sei es eine nationale Pflicht, der Reichsregierung die faire Chance zu geben. Herr Goerdeler habe beabsichtigt, anschließend an die Aussprache auch zu dem Führer der Deutschnationalen Fraktion, Herrn Hugenberg, zu gehen, um mit ihm in gleichem Sinne zu sprechen. Er, der Reichskanzler, habe Herrn Goerdeler geantwortet, daß auch die Reichsregierung der Meinung sei, daß politische Ruhe eintreten müsse. Die Reichsregierung selbst sehe der kommenden Entwicklung mit Festigkeit entgegen.

Ferner habe er gehört, daß das Zentrum sich durch einen Beschluß dahin festgelegt habe, daß die preußische Zentrumsfraktion sich mit den Nationalsozialisten nur unter der Voraussetzung einigen dürfe, daß gleichzeitig auch im Reich klare Verhältnisse geschaffen würden. Daher sei die Reichsregierung auch in der Preußenfrage zunächst vor Überraschungen sicher.

Aus allen diesen Mitteilungen über die taktischen Pläne der Fraktionen spreche die offenbare Angst der Parteien vor einer Auflösung des Reichstags. Man befürchte offenbar, daß bei Neuwahlen diejenigen Parteien, die sich in der jetzigen Zeit als Verteidiger des Parlamentarismus aufwerfen, schlecht abschneiden würden. Das ernste Bestreben der Reichsregierung müsse daher darauf gerichtet sein, die Regierung nach unten besonders zu verankern5. Darüber,[482] wie dies am zweckmäßigsten geschehe, hoffe er in naher Zukunft eine besondere Aussprache im Reichskabinett herbeiführen zu können6.

5

Steht offenbar im Zusammenhang mit Erwägungen zur Schaffung einer „größeren Gefolgschaft“ bzw. einer „Präsidialpartei“. Vgl. Dok. Nr. 104, P. 1 und Dok. Nr. 120. Derartige Initiativen waren seit Juni 1932 auch von verschiedenen Persönlichkeiten des Geistes- und Wirtschaftslebens angeregt worden. Hierüber zahlreiche Korrespondenzen in NL Solf  90 (einige Schriftwechsel außerdem in NL Hugenberg 38 und 39), in denen u. a. die „Neuformierung des Bürgertums“, die Gründung einer „Nationalen Mittelpartei“ sowie eines „Deutschen Nationalvereins“ (Ziel: Zusammenfassung aller bürgerlichen Kräfte) breit erörtert wird. – Skeptisch gegenüber solchen Vorstellungen äußerte sich u. a. Ewald Hecker, Duzfreund des Reichskanzlers, der mit Schreiben an Papen vom 9.9.32 den Gedanken einer „Präsidialpartei“ als „schädlich“ bezeichnete und statt dessen vorschlug: „Das Kabinett auf der Reichsliste und Regierungsblockwahlen mit Vertrauensmännern der Regierung an der Spitze der Provinzen. Machtvolle, ständische Organisationen aller Art (auch zahlenmäßig starke, auf Handwerk, Landwirtschaft und auf landsmannschaftlichen Grundlagen beruhende) würden hier in Niedersachsen vielleicht die Hälfte aller Wähler auf eine solche Liste vereinigen können. In anderen Teilen des Reiches liegt es ähnlich.“ Ein Alternativvorschlag Heckers lautete: Man sollte „für die Neuwahlen nach der jetzt bevorstehenden Auflösung des Reichstages von Seiten der Regierung die Parole ausgeben: ‚Jeder, der der Regierung in Durchführung ihres Programmes Zeit für ihre nationale Rettungsaktion lassen will, bleibe der Wahl fern, überlasse den Stimmzettel der selbstsüchtigen, Selbstzweck gewordenen Parteienwirtschaft.‘ Diese Parole wäre außerordentlich zugkräftig, denn jeder, der das Wort ‚Neuwahl‘ in einer Zeitungsüberschrift nur liest, empfindet es schon jetzt als Brechmittel.“ Bei einem solchen Vorgehen „würde höchstens noch die Hälfte des jetzigen parteiabhängigen Reichstages gewählt werden. Dieser lächerliche, aus zentrifugalen Kräften zusammengesetzte Reichstags-Torso wäre dem Gespött der ganzen Welt ausgesetzt, die Regierung in ausgezeichneter Position.“ (Abschrift in NL Solf  90, Bl. 91–92).

6

Hierzu vgl. Dok. Nr. 141, P. 1.

Der Reichskanzler berichtete weiter, daß das neugewählte Präsidium des Reichstags dem Herrn Reichspräsidenten die Bitte übermittelt habe, das Präsidium baldigst zu empfangen7. Der Herr Reichspräsident habe geantwortet, daß er im Laufe der nächsten Woche nach Berlin zurückzukehren gedenke und das Präsidium daher bitte, von einer Fahrt nach Neudeck Abstand zu nehmen und den geplanten Besuch im Laufe der nächsten Woche abzustatten. Den Zeitpunkt für den Empfang werde er in Berlin angeben7a. Das Reichstagspräsidium habe sich bereits am Vormittag mit der Antwort des Herrn Reichspräsidenten beschäftigt und daraufhin eine Verlautbarung an die Presse gegeben. Darin heiße es, daß das Reichstagspräsidium aus der freundlichen Fassung der Antwort des Herrn Reichspräsidenten, die alle Möglichkeiten offen lasse, die Geneigtheit des Herrn Reichspräsidenten annehmen zu können glaube, vor weiteren Entschlüssen dem Präsidium die Möglichkeit zu geben, ihm über die neue Lage Vortrag halten zu dürfen. Der Herr Reichspräsident werde dem Präsidium darauf beim Empfang in der nächsten Woche voraussichtlich antworten, daß er eine derartige Berichterstattung nicht als Aufgabe des Präsidiums ansehe8.

7

Für ein diesbez. Telegramm an Hindenburg hatte Göring am 30. 8. die Zustimmung des RT-Plenums eingeholt und dazu im RT weiter ausgeführt: „In den letzten Tagen häufen sich in der Presse aller Richtungen die Nachrichten über eine beabsichtigte Ausschaltung des Reichstags. Der Reichstag soll angeblich über keine arbeitsfähige Mehrheit verfügen. Das deutsche Volk und das Ausland werden durch solche Nachrichten mehr und mehr beunruhigt.“ Als RTPräs. weise er „derartige unverantwortliche Gerüchte“ entschieden zurück. Er sei „fest davon überzeugt, daß der Herr Reichspräsident nur gemäß der von ihm an dieser Stelle beschworenen Verfassung verfahren“ werde (RT-Bd. 454, S. 10 ).

7a

Diesen Mitteilungen hatte der RPräs. in seinem Antwortschreiben an RTPräs. Göring vom 30. 8. (Text: Pressebericht Nr. 204 in R 43 I /1016 , Bl. 17) noch hinzugefügt: „Einstweilen spreche ich Ihnen und den Herren Vizepräsidenten auf diesem Wege meine guten Wünsche für Ihre Geschäftsführung aus.“

8

Zum Empfang des Präsidiums am 9. 9. s. Dok. Nr. 130.

Anschließend berichtete der Reichskanzler über seine Besprechung mit Oberbürgermeister Goerdeler zur Frage der Beendigung des Amtes des Reichskommissars für Preisüberwachung9. Herr Goerdeler sei bereit, sein Amt niederzulegen, habe aber gemeint, daß die Preisüberwachung noch eine Weile fortgesetzt werden müsse. Dies geschehe zweckmäßigerweise durch einen besonderen Beamten des Reichswirtschaftsministeriums. Daher empfehle es sich, daß der Reichswirtschaftsminister sich zur Sache mit Oberbürgermeister Dr. Goerdeler weiter unterhalte.

9

Zum Ausscheiden Goerdelers und zur Überleitung des Preiskommissariats in den Geschäftsbereich des RWiMin. (Dez. 1932) s. Anm. 31 zu Dok. Nr. 31.

Herrn Goerdeler komme es offenbar auch wesentlich darauf an, daß sein bisheriger Mitarbeiter im Reichskommissariat, Herr von Baltz, zur Fortsetzung seiner Tätigkeit in das Reichswirtschaftsministerium mit übernommen werde.

[483] Der Reichswirtschaftsminister erwiderte, daß er zu der Besprechung mit Herrn Dr. Goerdeler gern bereit sei und alles Weitere mit ihm regeln werde10.

10

Über eine solche Besprechung nichts ermittelt. Zur Angelegenheit RWiM Warmbold in einem an die Rkei übersandten Vermerk vom 13.12.32 u. a.: „Meines Erachtens bestehen keine Bedenken, den Rittmeister a. D. von Baltz bei dem Reichskommissariat für Preisüberwachung weiter zu beschäftigen. Seine Übernahme in eine planmäßige Stelle in meinem Ressort ist leider nicht möglich.“ (R 43 I /1163 , Bl. 224).

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