2.187.2 (feh1p): 2. Entwurf einer Schlichtungsordnung.

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2. Entwurf einer Schlichtungsordnung1.

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Dieser Entw. einer Schlichtungsordnung war auf Grund von drei Referentenentw. vom März, Mai und Dezember 1920 ausgearbeitet worden. Außerdem hatten im September und Oktober 1920 Beratungen mit den Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie im Dezember 1920 Besprechungen mit den Vertretern der Länder stattgefunden, bei denen diese Gelegenheit gehabt hatten, ihre Vorstellungen über die zukünftige Schlichtungsordnung zu äußern.

Mit einem Anschreiben vom 29.1.1921 hatte der RArbM dem StSRkei den endgültigen Entw. einer Schlichtungsordnung übersandt und hatte gebeten, ihn der RReg. zur Beratung und Beschlußfassung vorzulegen. Beigegeben war dem Schreiben des RArbM eine Zusammenstellung über die Fragen, die bei den bisherigen Beratungen strittig geblieben waren (Der RArbM an den StSRkei am 29.1.1921, R 43 I /1365 , Bl. 3; Text des Entw. einer Schlichtungsordnung und Begründung, R 43 I /1365 , Bl. 4–104).

Der Reichsarbeitsminister erörterte die wichtigsten Punkte des Entwurfs2[503] und gab der Auffassung Ausdruck, daß man unmöglich Strafbestimmungen3 in dem Gesetz vorsehen dürfte. Nur ein Land – Australien – habe derartige Strafbestimmungen vorgesehen und damit ein absolutes Fiasko erzielt.

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Die Schlichtungsordnung sollte der Regelung von Gesamtstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes und der Privatwirtschaft dienen. Unter Gesamtstreitigkeiten verstand die Schlichtungsordnung Streitigkeiten über die Regelung von Arbeitsbedingungen oder die Verletzung wirtschaftlicher Interessen der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer (§ 1).

In dem Entw. wurde zwischen vereinbarten Schlichtungsstellen, ordentlichen Schlichtungsbehörden und Sonderschlichtungsbehörden unterschieden. Die vereinbarten Schlichtungsstellen waren in den Tarifverträgen festgelegt. Sie setzten sich aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammen (§§ 7 f.). Die ordentlichen Schlichtungsbehörden waren öffentliche Behörden. Bei ihnen unterschied der Entw. Einigungsämter, Landeseinigungsämter und das Reichseinigungsamt. Sie setzten sich zusammen aus einem oder mehreren unparteiischen Vorsitzenden und ständigen Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber (§§ 15 f.). Die Sonderschlichtungsbehörden galten für die Unternehmungen des Reiches und der Länder (§ 51).

Die Anrufung der zuständigen Schlichtungsstelle oder -behörde vor der Anwendung von Kampfmaßnahmen war in dem Entw. zwingend vorgeschrieben. Strafbestimmungen zur Sicherung dieser Vorschrift waren jedoch nicht festgesetzt (§ 55).

Die Kosten für die Einigungsämter und die Landeseinigungsämter sollten zu 2/3 das Reich und zu ⅓ das Land, das sie errichtete, übernehmen. Die Kosten für das Reichseinigungsamt sollte das Reich allein tragen (§ 49). Zweck des Schlichtungsverfahrens sollte nach dem Entw. die Herbeiführung einer gütlichen Einigung zwischen den streitenden Parteien sein (§ 54).

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Eine wesentliche Bestimmung aller Entw. der Schlichtungsordnung war, daß es zwingend vorgeschrieben war, die Schlichtungsstelle oder Schlichtungsbehörde anzurufen, bevor Maßnahmen des Arbeitskampfes ergriffen wurden. Während jedoch im 1. und 2. Referentenentw. vom März und Mai 1920 gewisse Strafbestimmungen vorgesehen gewesen waren, um die Befolgung dieser Vorschrift zu sichern (§§ 259 f. des 1. Referentenentw., R 43 I /2049 , Bl. 127 f.; §§ 255 f. des 2. Referentenentw., R 43 I /2050 , Bl. 238 f.), waren in dem KabEntw. die Strafbestimmungen weggefallen. In der Begründung des KabEntw. hieß es, man vertraue auf die Einsicht und die Verantwortlichkeit der Gewerkschaften und der Arbeitgebervereinigungen, daß sie den Weg der Schlichtung bei Arbeitsstreitigkeiten voll ausschöpfen würden (R 43 I /1365 , Bl. 81 f.).

Über die Einführung von Strafbestimmungen war es zwischen dem RArbM und dem RIM bereits vorher zu einem Schriftwechsel gekommen. Während der RIM nachdrücklich die Aufnahme von Strafbestimmungen gefordert hatte (R 43 I /2052 , Bl. 130–131), hatte der RArbM dies ebenso bestimmt abgelehnt (R 43 I /2052 , Bl. 142–143).

Der Reichsminister des Innern hielt es für möglich, von Strafbestimmungen abzusehen, wenn die gemeinnötigen Betriebe4 aus der Schlichtungsordnung ausgeschaltet und in einem besonderen Gesetz geregelt würden, in dem man dann auch Strafbestimmungen vorsehen könne. Wenn jetzt aber bereits für die gemeinnötigen Betriebe in der Schlichtungsordnung eine Regelung getroffen würde, so sei es unmöglich, in einem besonderen Gesetz Strafbestimmungen einzuführen. Wenn die Schlichtungsordnung auch auf die gemeinnötigen Betriebe angewandt würde, würde er ressortmäßig ein besonderes Gesetz, das vom Reichsministerium des Innern auszuarbeiten sei, nicht in Aussicht nehmen. Jedenfalls müsse der Interfraktionelle Ausschuß noch einmal hierüber unterrichtet werden.

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Gemeinnötige Betriebe im Sinne der Schlichtungsordnung waren Krankenhäuser, landwirtschaftliche Betriebe während der Erntezeit, Unternehmungen, die dem öffentlichen Verkehr dienten, sowie Betriebe, die die Bevölkerung mit Gas, Wasser und Elektrizität versorgten.

Um Arbeitskämpfe bei gemeinnötigen Betrieben zu erschweren, waren für diese gewisse Sonderregelungen getroffen worden. Doch bestanden auch hier keine Strafbestimmungen, um die Durchführung dieser Vorschriften zu sichern (§ 55).

Der Reichswirtschaftsminister machte den Vorschlag, die Angelegenheit am nächsten Tage im Wirtschaftlichen Ausschuß zu besprechen. Ihm wurde vom Reichsarbeitsminister erwidert, daß es sich in der Hauptsache um eine politische Frage handele5. Der Reichswirtschaftsminister entgegnete, daß der Gesetzentwurf[504] ohne Strafbestimmungen für die Deutsche Volkspartei nicht gut erträglich sei. Der Reichsverkehrsminister führte aus, daß der § 55 ohne Strafbestimmungen für die Eisenbahn nicht tragbar sei6. Der Reichsarbeitsminister wandte sich nochmals gegen die erneut von dem Reichswirtschaftsminister beantragte Vertagung, indem er auf die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit hinwies. Das Kabinett müsse endlich mit diesem längst in Aussicht gestellten Gesetz herauskommen. Der Reichswirtschaftsminister führte zur Begründung seines Vertagungsantrages aus, daß er erhebliche Bedenken gegen verschiedene Paragraphen des Entwurfs der Schlichtungsordnung hätte. Es sei s. E. in der augenblicklichen Situation nicht geboten, weiter zu verhandeln, und er bäte dringend, die Sache heute nicht zum Austrag zu bringen.

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Über die Zwangsvorschrift, vor Arbeitskämpfen die Schlichtungsstelle anzurufen, hatte es schon bei den Vorberatungen über die Schlichtungsordnung im Herbst 1920 zwischen den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern Meinungsverschiedenheiten gegeben. Während die Gewerkschaften die Zwangsanrufung höchstens als institutionelle Vorschrift ohne Strafbestimmung gelten lassen wollten, setzten sich die Arbeitgeber für die Strafbestimmungen ein (L. Preller, Sozialpolitik in der Weimarer Republik, Stuttgart 1949, S. 258). Eine weitere Verschärfung dieser Frage hatte der Berliner Elektrizitätsarbeiterstreik vom November 1920 gebracht (Zu den Einzelheiten des Streiks s. Schultheß 1920, I, S. 291 f.). Dieser Streik war durch eine NotVO des RPräs. auf Grund des Art. 48 der RV vom 10.11.1920 beendet worden, durch die ein Schiedsverfahren bei Streiks in lebenswichtigen Betrieben bindend vorgeschrieben wurde und in der für den Fall, daß diese Vorschrift nicht eingehalten wurde, Strafbestimmungen vorgesehen waren (RGBl. 1920, S. 1865 ).

In den folgenden Wochen stellten die Parteien im RT mehrere Anträge, in denen einerseits die Aufhebung der NotVO, andererseits deren Ersatz durch eine gesetzliche Regelung gefordert wurde. Die USPD-Linke und die SPD stellten den Antrag, die NotVO alsbald wieder aufzuheben (RT-Drucks. Nr. 906 und 967, Bd. 364 ), während die DNVP und die DDP in Verbindung mit der BVP, der DVP und dem Zentrum den Antrag stellten, die NotVO durch ein entsprechendes Gesetz zu ersetzen (RT-Drucks. Nr. 869 und 936, Bd. 364 ). Am 30.11.1920 war der Antrag der bürgerlichen Parteien im RT angenommen worden (RT-Bd. 346, S. 1365 ).

Es war zu erwarten, daß die sozialistischen Parteien einem GesEntw. mit Strafbestimmungen ihre Zustimmung nicht geben würden.

6

Der § 55 des KabEntw. enthielt die Zwangsvorschrift, vor der Anwendung von Arbeitskämpfen die Schlichtungsstelle oder -behörde anzurufen. Ferner enthielt der § 55 die erschwerenden Sonderbestimmungen über die gemeinnötigen Betriebe. Siehe o. Anm. 4.

Staatssekretär Albert wies darauf hin, daß die Frage der Schlichtungsordnung eine grundlegende Frage bei der Bildung des jetzigen Kabinetts gewesen sei, wo man darüber übereingekommen wäre, den Entwurf vorzulegen.

Nach weiterer Erörterung wurde beschlossen, die Angelegenheit zu vertagen und am Freitag erneut im Kabinett zu erörtern7.

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Abschließend wurde der Entw. einer Schlichtungsordnung in der Kabinettssitzung vom 17. 3. beraten. Die Streitfrage der Einfügung von Strafbestimmungen wurde auf dieser Sitzung dahin entschieden, daß die Einfügung allgemeiner Strafbestimmungen einstimmig abgelehnt wurde, die Einführung von Strafbestimmungen bei den gemeinnötigen Betrieben gegen 1 Stimme abgelehnt wurde, die Erschwerung der Arbeitskämpfe (s. o. Anm. 4) aber beibehalten wurde. Sodann wurde dem gesamten Entw. gegen eine Stimme zugestimmt. Siehe dazu Dok. Nr. 209, P. 2.

Zu dem späteren Entw. einer Schlichtungsordnung, wie er an den RT kam, s. RT-Drucks. Nr. 3760, Bd. 372 .

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