1.39.1 (ma32p): Deutsch-französische Handelsvertragsverhandlungen.

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Die Kabinette Marx III und IVDas Kabinett Marx IV Bild 146-2004-0143Chamberlain, Vandervelde, Briand und Stresemann Bild 102-08491Stresemann an den Völkerbund Bild 102-03141Groener und Geßler Bild 102-05351

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Deutsch-französische Handelsvertragsverhandlungen.

Vizekanzler Hergt eröffnete und leitete die Sitzung.

Ministerialdirektor Ritter berichtete über den augenblicklichen Stand der Delegationsverhandlungen in Paris2. Er führte aus, daß die Delegationen sich auf einem weiten Gebiet geeinigt hätten, und daß jetzt die Möglichkeit bestehe, zu einem umfassenden abschließenden Vertrag zu kommen, wenn man sich auch über den verhältnismäßig kleinen Rest noch nicht zu Ende verhandelter Punkte verständigen wolle. Um zum Abschluß zu kommen, müsse allerdings schnell gehandelt werden, denn der französische Handelsminister3 werde am 8. August eine von langer Hand festgelegte mehrwöchige Reise nach Nordamerika antreten, und wenn daher bis zu diesem Zeitpunkt die Delegationen nicht einig geworden seien, werde man nicht wissen, unter welchen Umständen die Verhandlungen nach Wochen wieder aufgenommen werden könnten.

2

Siehe dazu: ADAP, a.a.O., Dok. Nr. 85.

3

Bokanowski.

Der Vertrag, der jetzt geschlossen werden könne, sei für ein Jahr fest gedacht. Anschließend solle er mit mindestens dreimonatiger, nach Möglichkeit aber sechsmonatiger Frist beiderseits kündbar sein. Es sei jedoch durchaus[878] möglich, daß bei dem umfassenden Charakter des Vertrags sein Bestand für eine Reihe von Jahren gesichert sei, so daß der Vertrag praktisch einem definitiven Handelsvertrag gleichkäme. Jedenfalls werde durch ihn die französische Zolltarifnovelle gegenstandslos.

Die Zolltariffragen seien im Vertragsentwurf im allgemeinen annehmbar gelöst. Unbefriedigend sei der Stand der Verhandlungen einstweilen noch auf dem Gebiet der bergisch-märkischen Industrie, der Spielwarenindustrie und der Elektrotechnik. Hier müßten noch weitere Verbesserungen durchgesetzt werden. Ferner sei auch ein Teil der Diskriminierungen auf Liste C aufrechterhalten. Mit diesen Resten könne man sich jedoch abfinden. <Auf Liste B seien noch Warenkategorien verblieben, bezüglich deren Deutschland die auch für die Hauptkonkurrenzländer Deutschlands geltenden Zwischensatzzölle für sich gelten lassen müsse.>4 Für einen Teil der Waren auf Liste A hätten nur Kontingente erreicht werden können. Schließlich sei ein allerdings nur geringer Teil von Waren übrig geblieben, die in den Vertrag nicht mitaufgenommen worden seien. Es handele sich hierbei aber um Waren, an denen Deutschland nur ein sehr geringes Interesse habe. Auf der anderen Seite habe Deutschland eine Reihe französischer Wünsche unerfüllt gelassen. Die Hauptfrage, die das Kabinett jetzt zu entscheiden habe, sei die, ob auf das Weinkontingent verzichtet werden könne. Bejahendenfalls werde die Deutsche Delegation es durchsetzen können, daß alle noch verbliebenen Diskriminierungen zum 1. März 1928 ohne weiteres in Wegfall kämen.

4

Der letzte Satz wurde auf Wunsch des AA gemäß Verfügung vom 13. 8. aus dem Protokoll gestrichen; siehe R 43 I /1120 , Bl. 141.

Reichsminister Schiele erklärte demgegenüber, daß die von ihm vertretenen, am Weinhandel interessierten Kreise sich ja bereits früher grundsätzlich mit der Preisgabe des Weinkontingents einverstanden erklärt hätten, wenn für dieses Opfer ein die Gesamtheit der deutschen Interessen befriedigender definitiver Handelsvertrag mit Frankreich eingehandelt werden könne. Ein Handelsvertrag, der erst nach einem Jahr mit drei- bis sechsmonatiger Frist gekündigt werden könne, also eine Mindestlauffrist von 15 bis 18 Monaten habe, könne wohl einem definitiven Handelsvertrag gleichgeachtet werden. Die Frage, ob das im Vertrag Erreichte die in erster Linie interessierte deutsche Industrie befriedige, müsse von der Industrie selbst beurteilt und verantwortet werden. Wenn daher die Industrie, wie es den Anschein habe, bereit sei, sich mit dem Erreichten abzufinden, so sehe er die für den Wegfall des Weinkontingents gesetzte Bedingung als erfüllt an.

Eine längere Aussprache entspann sich sodann noch über die Frage der Beseitigung der noch immer bestehenden Diskrimination Deutschlands in den französischen Kolonien.

Ministerialdirektor Ritter führte aus, daß es der Deutschen Delegation nach den bisherigen Erfahrungen wohl kaum möglich sein werde, auf diesem Gebiet ein Zugeständnis des in der Sache aufs hartnäckigste widerstrebenden französischen Kolonialministeriums zu erreichen.

[879] Er hielt es daher für mehr empfehlenswert, der Deutschen Delegation zu diesem Fragenkomplex keine anderen Weisungen zu geben wie diejenigen, die ihr auf Grund des Kabinettsbeschlusses zur Sache vom 12. Juli bereits erteilt sind5. Wenn die Delegationsverhandlungen sich über diesen Gegenstand festfahren sollten, so tue man gut, die weitere Beratung auf den diplomatischen Weg zu verschieben.

5

Siehe Dok. Nr. 273, P. 1, dort auch Anm. 2.

Reichsminister Dr. Stresemann erklärte sich bereit, derartige diplomatische Verhandlungen einzuleiten. Sie müßten selbstverständlich vor dem Zustandekommen des Handelsvertrags abgeschlossen werden.

Das Kabinett beschloß darauf, die Deutsche Delegation zum Abschluß mit der Gegenseite zu ermächtigen. Diese Ermächtigung soll jedoch an 3 Voraussetzungen geknüpft sein, nämlich

1.

Wegfall aller Diskriminierungen vom 1. März 1928 ab;

2.

Dauer des Vertrags mindestens ein Jahr mit daran anschließender Kündigungsfrist von mindestens 3, nach Möglichkeit aber 6 Monaten, also Mindestdauer des Vertrags 15, möglichst aber 18 Monate;

3.

Es müssen noch ernsthafte Verbesserungen erreicht werden auf den bisher nicht befriedigenden Gebieten. Als solche Gebiete werden in erster Linie genannt: die bergisch-märkische Industrie, die Spielwarenindustrie und die Elektrotechnik.

Bezüglich der Frage der Diskriminierungen Deutschlands in den französischen Kolonien verbleibt es für die Delegation bei den Weisungen des Kabinettsbeschlusses vom 12. Juli 19276. Diese Frage soll aus den Delegationsverhandlungen ausscheiden und auf den diplomatischen Weg geleitet werden, sofern die Delegationen sich nicht einigen.

6

Siehe Dok. Nr. 273, P. 1.

Dem Kabinett soll vor dem endgültigen Abschluß mit der Gegenseite Gelegenheit gegeben werden, zu dem Ergebnis der diplomatischen Verhandlungen Stellung zu nehmen7.

7

Zum Fortgang siehe Dok. Nr. 282.

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