1.86.1 (vpa2p): 1. Politische Lage.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 12). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett von Papen Band 2Das Kabinett von Papen Bild 183-R1230-505Wahllokal in Berlin Bild 102-03497AGöring, Esser und Rauch B 145 Bild-P046294Ausnahmezustand in Berlin während des „Preußenschlages“.Bild 102-13679

Extras:

 

Text

RTF

1. Politische Lage.

Der Reichskanzler teilte mit, daß er am Sonntag, dem 13. November 1932, eine mehr unformelle Aussprache mit dem Prälaten Kaas über die politische Lage gehabt habe1. Am selben Tage habe er mit Geheimrat Hugenberg gesprochen2.[957] Am 16. November habe er Besprechungen mit dem Abgeordneten Dingeldey, dem Prälaten Kaas, dem Abgeordneten Joos und mit Staatsrat Schäffer gehabt3.

1

Aufzeichnungen hierüber nicht bei den Akten der Rkei. Nach Morsey (Der Untergang des politischen Katholizismus, S. 74) forderte Kaas den Kanzler bei dieser „geheim gehaltenen Unterredung“ zum „Rücktritt auf, um den Weg für eine ‚große Sammelaktion‘ freizumachen“.

2

Hierzu nichts ermittelt.

3

Zu diesen Besprechungen s. Dok. Nr. 211213.

Das Ergebnis der Besprechungen könne er folgendermaßen zusammenfassen: Die Deutschnationale-, die Deutsche- und die Bayerische Volkspartei seien mit dem Ziele der Bildung einer nationalen Konzentration einverstanden.

Staatsrat Schäffer habe erklärt, daß die Bayerische Volkspartei nicht an einen Erfolg der jetzigen Regierung in ihren Bemühungen um Herbeiführung einer nationalen Konzentration glaube. Die Bayerische Volkspartei habe sich jedoch ausdrücklich mit seinem Verbleiben als Reichskanzler einverstanden erklärt. Staatsrat Schäffer habe im übrigen erklärt, daß er vom Parteivorstande der Bayerischen Volkspartei ermächtigt worden sei, in Bayern sowohl mit den Nationalsozialisten wie mit den Sozialdemokraten wegen einer Regierungsbildung zu verhandeln. Er wolle mit der Partei zu einem Abschluß kommen, die die günstigsten Bedingungen stelle.

Das Zentrum sei anderer Auffassung. Es wünsche eine anders zusammengesetzte Regierung mit einem anderen Reichskanzler. Wenn der künftige Kanzler nationalsozialistisch sein sollte, dann wünsche das Zentrum eine Wiederherstellung des Dualismus Reich–Preußen. Das Zentrum habe aber auch ausdrücklich die Herstellung einer nationalen Konzentration gewünscht.

Die Sozialdemokratische Partei habe seine Einladung zu einer Besprechung abgelehnt4.

4

Vgl. Anm 2 zu Dok. Nr. 211.

Wie den Herren vielleicht bereits bekannt sei, habe er, der Reichskanzler, Hitler bereits schriftlich zu einer Besprechung eingeladen5. Hitler habe hierauf schriftlich geantwortet. Der Reichskanzler verlas sodann die Antwort Hitlers6. Er kam zu dem Ergebnis, daß gemäß dieser Antwort eine Unterstützung der außen- und innenpolitischen Ziele des Reichskabinetts durch die Nationalsozialisten nicht in Betracht komme. Nach seiner Überzeugung sei die Lage ganz klar: Die Herbeiführung der nationalen Konzentration unter seiner Kanzlerschaft sei nicht möglich. Jetzt müsse nach seiner Auffassung der Herr Reichspräsident Entschlüsse fassen. Der Herr Reichspräsident habe an ihn die Bitte gerichtet, vor seiner Aussprache mit ihm noch keine endgültigen Beschlüsse zu fassen. Die Aussprache sei für heute nachmittag (17. 11.) 5 Uhr vorgesehen7.

5

Vgl. Anm 2 zu Dok. Nr. 214.

6

Vgl. Dok. Nr. 214.

7

Vgl. unten Anm 12.

Nach seiner Auffassung dürfe das Reichskabinett nicht den Eindruck erwecken, als ob es an der Macht klebe. Mißlinge ein Versuch des Herrn Reichspräsidenten, eine nationale Konzentration herbeizuführen, dann müsse das Reichskabinett zu neuer Arbeit gern bereit sein. Zur Zeit sei es jedoch geboten, dem Herrn Reichspräsidenten die Demission des gesamten Kabinetts anzubieten8.

8

Den Entschluß, das Kabinett zur Gesamtdemission aufzufordern, scheint Papen nach einer Tagebuchnotiz des RFM unmittelbar vor dieser Ministerbesprechung bei einer Unterredung mit Schleicher gefaßt zu haben: „Papen hatte Vorbesprechung mit Schleicher und überraschte das Kabinett mit der Mitteilung, daß er unter den gegenwärtigen Umständen des Rücktritt des Kabinetts für die einzige Lösung hielte, um den ehrlichen Willen des Kabinetts zu einer nationalen Konzentration zu zeigen und dem Reichspräsidenten die Bahn freizumachen.“ (IfZ ZS/A-20, Bd. 4, Bl. 4, Eintragung vom 20.11.32).

[958] Der Reichswehrminister stimmte der Auffassung des Reichskanzlers zu. Nur durch das Anerbieten der Demission des gesamten Kabinetts könne man diese auch in nationalen Kreisen betriebene Brunnenvergiftung bekämpfen, wonach nur die jetzige Reichsregierung daran schuld sei, daß eine breite nationale Front nicht zustande komme.

Am unanständigsten sei zur Zeit das Zentrum mit diesem Vorwurf.

Wenn das Reichskabinett jetzt nicht zurücktrete, dann würden die Verhandlungen des Herrn Reichspräsidenten in der Öffentlichkeit als coup de théâtre bezeichnet werden. Er lege Wert darauf, daß diese seine Ansicht ausdrücklich protokollarisch festgelegt werde.

Sollte es nicht zu der ernsthaft anzustrebenden nationalen Konzentration kommen und sollte der Herr Reichspräsident dann auf die jetzige Regierung zurückgreifen, müsse in dem Auftrage des Herrn Reichspräsidenten klar zum Ausdruck kommen, daß die Reichsregierung äußerste Schritte tun dürfe.

Der Reichswirtschaftsminister führte aus, daß er bei der letzten politischen Aussprache9 mit Absicht nicht das Wort ergriffen habe, weil er die Dinge genau habe überlegen wollen. Nach genauester Überlegung sei er zum Ergebnis gekommen, daß er der Auffassung des Reichskanzlers und des Reichswehrministers zustimme. Nach seiner Auffassung hätten die Nationalsozialisten im Jahre 1930 klar vor die Verantwortung gestellt werden müssen. Dieser historische Zeitpunkt sei leider verpaßt worden.

9

Dok. Nr. 200.

Wenn die Nationalsozialisten weiter außerhalb der Regierung blieben, würden sich die innenpolitischen Gefahren steigern. Entweder müsse man die Nationalsozialisten zur Verantwortung ziehen oder es müsse klargestellt werden, daß die nationalsozialistische Partei nicht an der Verantwortung teilnehmen wolle. Für ihn sei die Frage entscheidend, was sich nach der Demission des Reichskabinetts weiter ereignen solle.

Reichsminister Dr. Bracht stimmte der Auffassung des Reichskanzlers und des Reichswehrministers zu. Er betonte, daß man sein Augenmerk auch auf den Preußischen Landtag richten müsse. Eine Notverordnung betreffend Streiks in lebenswichtigen Betrieben müsse baldigst verabschiedet werden10.

10

Hierzu vgl. Dok. Nr. 216, P. 2.

Auch nach der Demission müsse die jetzige Reichsregierung geschäftsführend weiterarbeiten und die lebenswichtigen Dinge regeln.

Der Reichsminister des Innern betonte, es sei notwendig, den Eindruck zu vermeiden, als ob die jetzige Reichsregierung an ihren Ämtern klebe und damit die Bildung einer nationalen Konzentration verhindere. Nach seiner Ansicht solle die Reichsregierung jedoch nicht sofort ihre Demission anbieten, sondern dem Herrn Reichspräsidenten erklären, sie sei bereit zu demissionieren, wenn eine andere Regierung als Ersatz dastehe.

[959] Der Reichskanzler führte aus, daß er hinsichtlich der Demission anderer Ansicht sei. Die Demission müsse dem Herrn Reichspräsidenten sofort angeboten werden, damit seine Besprechungen mit den Parteiführern auch von außen erkennbar als von größter Bedeutung erschienen.

Der Reichswehrminister führte aus, daß der Herr Reichspräsident nach seiner Auffassung die Demission der Regierung annehmen müsse. Erst wenn der Herr Reichspräsident die Demission des Kabinetts angenommen habe, könne man klar sehen. Dann habe der Herr Reichspräsident freie Hand.

Was die Lage in Preußen anlange, so habe er auf Umwegen erfahren, daß Kerrl und einige andere führende nationalsozialistische Landtagsabgeordnete in Preußen eine gewisse Regierungsbeteiligung wünschten. Sie würden wohl auch bereit sein, um dieses Ziel zu erreichen, gemeinsam mit dem Zentrum einen Ministerpräsidenten zu wählen. Hitler wolle jedoch den Dualismus Reich–Preußen für immer beseitigen. Er werde sich auch zweifellos mit dieser Auffassung durchsetzen.

Der Reichsminister des Innern führte aus, daß er seine anfänglich geäußerte Ansicht über die Demission des Reichskabinetts dann ändere, wenn, wie er jetzt gehört habe, die Reichsregierung auch als geschäftsführende Regierung ihre Befugnisse weiter voll ausüben solle. Unter dieser Voraussetzung sei er dann allerdings auch der Ansicht, daß die Reichsregierung sofort dem Herrn Reichspräsidenten ihre Demission anbieten solle

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, daß die Reichsregierung dem Herrn Reichspräsidenten die Demission nur anbieten dürfe, wenn sie davon überzeugt sei, daß die Demission auch angenommen werde. Darüber müsse man sich vorher vergewissern.

Unklar sei ihm, weshalb der Reichskanzler die S. P. D. zu Besprechungen eingeladen habe. Gerade wegen dieser Einladung könne man Zweifel in die Ernsthaftigkeit der Verhandlungen des Reichskanzlers mit den Parteien setzen.

Der Reichskanzler erwiderte, daß ihm in einem früheren Stadium die Außerachtlassung der S. P. D. besonders vom Zentrum zum Vorwurf gemacht worden sei. Er sei im übrigen davon ausgegangen, daß auch in der S. P. D. viele nationale Leute seien, so daß die Partei sehr wohl an Besprechungen über die Herbeiführung einer nationalen Konzentration zu beteiligen sei.

Reichsminister Dr. Popitz führte aus, daß die Reichsregierung nach Annahme ihrer Demission zwar geschäftsführend sei, aber trotzdem weiter handeln müsse. Es müsse möglichst noch heute eine Verordnung des Reichspräsidenten auf Grund des Art. 48 Abs. 2 ergehen, welche eine Reihe von Differenzpunkten zwischen der Preußischen Staatsregierung und der kommissarischen Regierung, u. a. Differenzen wegen der Raumfrage regele11. Wenn diese Verordnung nicht baldigst ergehe, würden die Bankiers, mit denen er ein Abkommen über die Umwandlung kurzfristiger Kredite in mittelfristige getroffen habe, ihre Zusage zurückziehen.

11

Zum diesbez. Erlaß Hindenburgs vom 18. 11. s. Dok. Nr. 220 (Anlage).

Staatssekretär Dr. Meissner führte aus, daß der Herr Reichspräsident die Bitte habe, das Reichskabinett möge vor der Unterredung des Herrn Reichspräsidenten[960] mit dem Herrn Reichskanzler keinen endgültigen Beschluß fassen. Einstweilen sei der Herr Reichspräsident noch der Auffassung, daß die jetzige Reichsregierung im Amt bleiben müsse. Der Herr Reichspräsident wünsche ein Präsidialkabinett, kein Parteienkabinett.

Der Reichsminister der Justiz betonte, daß die jetzigen Ereignisse sich ganz klar vor der Öffentlichkeit abspielen müßten. Die Öffentlichkeit müsse erleben, daß, wie er annehme, die Bildung einer nationalen Konzentration nicht möglich sei. Die Verhandlungen mit den Parteiführern müßten jetzt von dem Herrn Reichspräsidenten geführt werden.

Gegenstand der Verhandlungen des Herrn Reichspräsidenten müsse die Frage bilden, welche sachlichen Ziele die Parteien haben wollten, nicht welche Personen als Mitglieder des Reichskabinetts gewünscht würden.

Eine Beschränkung der Befugnisse einer geschäftsführenden Regierung kenne die Reichsverfassung nicht.

Der Reichskanzler faßte die Meinung des Reichskabinetts dahin zusammen, daß er dem Herrn Reichspräsidenten die Bereitschaft des Reichskabinetts mitteilen wolle, die Demission anzubieten, um die Bahn für die Verhandlungen des Herrn Reichspräsidenten mit den Parteiführern mit dem Ziel der Bildung einer nationalen Konzentration in einwandfreier Weise freizumachen12.

12

Das Demissionsangebot unterbreitete Papen dem RPräs. bei einer Unterredung am Nachmittag des 17. 11. Zum Ergebnis s. die Mitteilungen des RK in der Ministerbesprechung am 18. 11. (Dok. Nr. 216, P. 1).

Extras (Fußzeile):