2.65.1 (vsc1p): [Vorgehen gegen den Reichstag.]

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[Vorgehen gegen den Reichstag.]

Am Montag, dem 23. Januar, vormittags 11.30 Uhr, empfing der Herr Reichspräsident auf Wunsch den Reichskanzler von Schleicher3. Der Reichskanzler berichtete dem Herrn Reichspräsidenten über die politische Lage; der Reichstag werde voraussichtlich am 31. ds. Mts. zusammentreten. Die Reichsregierung müsse von diesem Reichstag ein Mißtrauensvotum und Aufhebung der Notverordnung4 erwarten. Er schlage deshalb vor, den Reichstag aufzulösen. Da aber eine Neuwahl des Reichstags die Lage nicht verändern würde, somit ein Notzustand[285] des Staates geschaffen würde, bliebe wohl nicht anderes übrig, als die Neuwahl auf einige Monate hinauszuschieben.5

3

Es ist aufgrund der unzureichenden Quellenlage zweifelhaft, ob RK v. Schleicher in Kenntnis der vertraulichen Gespräche in der Villa Ribbentrop beim RPräs. um eine Unterredung nachgesucht hat (so Karl Dietrich Bracher: Die Auflösung der Weimarer Republik. S. 620). Näher liegt die Annahme, daß Schleichers Vortrag von dem Zwang terminiert war, in der ursprünglich für den 24. 1. angesetzten RT-Sitzung mit einem Mißtrauensvotum des Plenums konfrontiert zu werden (vgl. dazu auch Dok. Nr. 64, insbesondere Anm. 5).

4

Bezug unklar. – Gemeint könnte die SammelnotVO über Wirtschaft und Finanzen vom 23.12.1932 sein, die u. a. neue Bestimmungen über Kreditschöpfungsmöglichkeiten enthielt (vgl. Dok. Nr. 33, P. 11); viel umstrittener war allerdings die NotVO zur Förderung der Verwendung inländischer tierischer Fette und inländischer Futtermittel vom 23.12.1932 (Einzelheiten dazu s. Dok. Nr. 33, P. 2).

5

Das RKab. hatte sich auf Vorschlag des RK auf dieses Vorgehen in einer eigens zur Beschlußfassung darüber einberufenen Ministerbesprechung am 16.1.1933 geeinigt (Dok. Nr. 56).

Der Herr Reichspräsident erwiderte hierauf, daß er sich die Frage einer Auflösung des Reichstags noch überlegen wolle, dagegen die Hinausschiebung der Wahl über den in der Verfassung vorgesehenen Termin zurzeit nicht verantworten könne. Ein solcher Schritt würde ihm von allen Seiten als Verfassungsbruch ausgelegt werden6; ehe man sich zu einem solchen Schritt entschließt, müsse durch Befragen der Parteiführer festgestellt werden, daß diese den Staatsnotstand anerkennen und den Vorwurf eines Verfassungsbruches nicht erheben würden.

6

Zur verfassungsrechtlichen Diskussion und Kritik der öffentlich erörterten Staatsnotstandspläne s. in diesem Bd. die Dok. Nr. 60, 68, 70 und 73.

Reichskanzler von Schleicher behielt sich vor, auf die Frage später noch einmal zurückzukommen. Er erwarte heute keine Entscheidung hierüber.7

7

Es ist zweifelhaft, ob zu diesem Zeitpunkt von Seiten des RK oder des RPräs. noch ernsthaft beabsichtigt war, von maßgeblichen Parteienvertretern eine Indemnitätszusage zu erlangen und dadurch einer denkbaren Anklage vor dem StGH wegen Verfassungsbruchs aus dem Wege zu gehen. – RK v. Schleicher läßt durch die Reichspressestelle erklären, „daß er sich die Theorie des ‚Staatlichen Notstandes‘ nicht zu eigen gemacht habe und daß die Reichsregierung bestrebt sein werde, alles zu tun, um die Verfassung aufrechtzuerhalten“ (Dt. Reichs- und Pr. Staatsanzeiger vom 25.1.1933).

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