1.208 (bru2p): Nr. 460 Vermerk des Ministerialdirektors v. Hagenow über eine Besprechung des Reichskanzlers mit Vertretern der SPD am 1. September 1931 [17 Uhr]

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[1642] Nr. 460
Vermerk des Ministerialdirektors v. Hagenow über eine Besprechung des Reichskanzlers mit Vertretern der SPD am 1. September 1931 [17 Uhr]

R 43 I /2373 , S. 709–721

Am Dienstag, dem 1. September, nachmittags, empfing der Herr Reichskanzler in Gegenwart der Reichsminister Dietrich und Stegerwald die Abgeordneten Hilferding und Hertz. Außerdem waren zugegen der Unterzeichnete sowie Ministerialrat Beisiegel vom Reichsarbeitsministerium.

I. Von den Vertretern der Sozialdemokratie wurde zunächst das vom Reichsminister der Finanzen herausgegebene Schreiben wegen der Gemeindearbeiter besprochen1. Es kam zum Ausdruck, daß dieses Schreiben nicht den Vereinbarungen entspreche, die seinerzeit getroffen seien2. Man habe seinerzeit vereinbart, daß über die gegenwärtigen Kürzungen hinaus den Gemeindearbeitern nur die weiteren Kürzungen auferlegt werden sollten, die die Reichs- und Staatsarbeiter im November d. J. erfahren würden. Aus dem Schreiben könne man aber entnehmen, daß noch darüber hinaus gekürzt werden solle.

1

Es handelt sich hier wahrscheinlich um die 1. Änderung der Durchführungsbestimmungen zur 2. GehaltskürzungsVO (Kap. I, 2. Teil der 2. NotVO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 5.6.31) vom 31.8.31. Danach sollten die in der NotVO Gehaltskürzung nur dann eintreten, wenn sie größere Ersparnisse brachte als die seit dem 31.12.30 eingetretene landesgesetzliche, tarifliche, statuarische oder verwaltungsmäßige Kürzung der laufenden Bezüge (Reichsbesoldungsblatt 1931, S. 99).

2

Vgl. Dok. Nr. 454, P. 5,

Der Reichsarbeitsminister bemerkte hierzu, daß ihm der Inhalt des Schreibens auch nicht mit den Vereinbarungen übereinzustimmen scheine. Mindestens lasse das Schreiben Zweifel aufkommen. Es sei seinerzeit vereinbart worden, daß weitere Kürzungen als die erwähnten in der Zeit bis zum 31. März 1932 nicht erfolgen sollten. Daneben sollte aber geprüft werden die Frage der Einstufung der Gemeindearbeiter sowie die Frage der mit den Reichs- und Staatsarbeitern vergleichbaren Gruppen. Was ist vergleichbar? Diese Frage sollte bis Ende März klargestellt werden.

Der Reichsminister der Finanzen erwiderte, daß er das herausgegebene Schreiben auch nicht anders auffasse wie der Reichsarbeitsminister und die Vertreter der Sozialdemokratischen Partei. Er verlange nur, daß die Verhandlungen über die Frage der Vergleichbarkeit bis Ende März abgeschlossen seien. Bis dahin sollten neben den jetzt vorgenommenen Kürzungen nur noch die Kürzungen eintreten, die auf Grund der mit den Reichs- und Staatsarbeitern getroffenen Regelung im November erforderlich würden.

Auf Grund dieser Basis wurde erneut festgestellt, daß zwischen der Auffassung der Regierung und der der Vertreter der Sozialdemokratischen Partei kein Mißverständnis besteht.

II. Sodann wurde die Frage der Erwerbslosenfürsorge besprochen.

Der Reichsarbeitsminister führte aus, daß der Abgeordnete Aufhäuser die Forderungen der Sozialdemokratischen Partei zur Überprüfung übergeben[1643] habe3. Er habe in seinem Ressort diese Prüfung vornehmen lassen und leider feststellen müssen, daß bei Durchführung dieser Forderungen ein Ausfall von 350 Millionen RM eintreten würde. Es werde außerordentlich schwierig sein, die Notverordnung vom Juni 1931 auf dem Gebiet der Arbeitslosenfürsorge zu ändern4. Jede Änderung, auch wenn sie noch so klein sei, werde zur Folge haben, daß die Rechtsparteien ihre alte Forderung erheben würden, die Dreiheit in der Arbeitslosenversicherung zu beseitigen, nämlich die Arbeitslosenversicherung, die Krisenfürsorge und die Wohlfahrtsfürsorge zu einer Erwerbslosenfürsorge zu vereinigen. Er habe gegen eine solche Vereinheitlichung die größten Bedenken, weil er sehe, daß sie keine Ersparnisse bringen werde. Man könne sich höchstens überlegen, ob eine Vereinigung der Krisenfürsorge und der Wohlfahrtsfürsorge in Erwägung gezogen werden könne. Aber auch das müsse einer sehr sorgfältigen Prüfung überlassen werden. Die Arbeitslosenfürsorge werde in dem kommenden Winter erheblich mehr Kosten verursachen, auch wenn man nur mit 7 Millionen und nicht, wie es einzelne tun, mit 8 Millionen Arbeitslosen rechne. Er sei durchaus bereit, auf dem Gebiet der Kriegsbeschädigtenfürsorge die bestehenden Härten zu beseitigen5. Aber er halte es für unmöglich, an der Arbeitslosenversicherung eine Änderung eintreten zu lassen.

3

Vgl. die Anlage zu diesem Dok.

4

Vgl. den 3. Teil der 2. NotVO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 5.6.31 (RGBl. I, S. 293 ).

5

S. 2. NotVO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 5.6.31, 2. Teil, Kapitel IV (RGBl. I, S. 284 ). Vgl. auch Dok. Nr. 464.

In diesem Zusammenhange kam der Reichsarbeitsminister auf die Vorschläge des Städtetages hinsichtlich der Arbeitslosenfürsorge zu sprechen und legte dar, daß der Städtetag auch eine Bedürftigkeitsprüfung allgemein einführen wolle6.

6

Vgl. Dok. Nr. 441, Anm. 2.

Der Abgeordnete HilferdingHilferding führte aus, daß es für die Sozialdemokratie entscheidend sein werde, die Arbeitslosenversicherung aufrechtzuerhalten. Es werde für seine Partei untragbar sein, die zur Zeit bestehende Dreiheit zu beseitigen. Es hätte unbedingt zur Folge, daß der Gedanke der Versicherung verloren gehe. Eine Zusammenfassung der Krisenfürsorge und der Wohlfahrtsfürsorge werde seine Partei voraussichtlich nicht ablehnen. Sie werde aber daran festhalten, daß eine Milderung der Härten der Notverordnung im finanziellen Rahmen erfolgen müsse. Damals habe sich ja auch die Reichsregierung mit einem Betrag von 100 Millionen einverstanden erklärt7. Im übrigen sei es für ihn von Bedeutung, zu erfahren, welche Sanierungspläne die Reichsregierung für die kommende Zeit habe.

7

S. Dok. Nr. 451.

Der Reichskanzler erwiderte hierzu, daß es ihm nicht möglich sei, zu dem kommenden Sanierungsplan heute schon etwas zu sagen. Erst heute abend habe er die erste Besprechung mit den Herren Reichsfinanzminister und Reichsarbeitsminister[1644] und Herrn Staatssekretär Trendelenburg über die einschlägigen Fragen8.

8

Eine Aufzeichnung über diese Besprechung, die laut Nachlaß Pünder Nr. 43, Bl. 68 von 21 Uhr bis 0.30 Uhr stattgefunden hatte, konnte nicht ermittelt werden.

Der Reichsarbeitsminister führte sodann aus, daß er bei den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen Bedenken trage, sich für eine generelle Gehaltskürzung auszusprechen. Den gleichen Standpunkt vertrete auch Minister Severing. Man müsse diesmal einen anderen Weg gehen und vielleicht dazu kommen, die Besoldungsgrundsätze in mancher Hinsicht zu ändern. Auf diesem Gebiet sei man seinerzeit zu weit gegangen, diese Fehler müßten beseitigt werden. Entscheidend für den Winter werde zunächst auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung die Frage sein, ob man weitere Beitragserhöhungen vornehmen kann oder nicht. Wenn man von 7 Millionen Arbeitslosen ausgehe und vom 1. September ab das An- und Abfallen der Kurve berechne unter Zugrundelegung des Höhepunktes Mitte Januar, so werde man voraussichtlich an neuen Mitteln für die Arbeitslosenversicherung einen Betrag von 300–400 Millionen brauchen. Neben der Arbeitslosenfürsorge werde auch das Problem der Naturalverpflegung von großer Bedeutung sein. Man rechne insgesamt für die Arbeitslosenfürsorge mit einem Aufwand von 2 Milliarden. Von diesen zwei Milliarden werden etwa 500 Millionen für Miete Verwendung finden und 1200 Millionen für Lebensunterhalt. Er habe die in Betracht kommenden Stellen zu einer Besprechung über die Naturalverpflegung eingeladen. Diese Besprechung finde in den nächsten Tagen statt. Die Durchführung der Naturalverpflegung denke er sich in der Form, daß an die Unterstützungsbedürftigen Gutscheine ausgegeben würden. Selbstverständlich müßten mit den Konsumvereinen bindende Vereinbarungen getroffen werden. Er glaube, daß es auf diesem Wege möglich sein werde, einen Betrag von 100 Millionen einzusparen. Jedenfalls vertrete er den Standpunkt, daß in Deutschland kein Mensch zu hungern brauche. Es sei nur eine Frage der Organisation, wie man die Erwerbslosen vor Hunger schütze. Lebensmittel seien genug vorhanden, ebenso auch Kohlen.

Der Abgeordnete HertzHertz führte aus, daß er die Angst vor den Rechtsparteien nicht fürchte. Es sei höchstens zu erwarten, wie gewöhnlich ein Vorstoß des selbständigen Unternehmertums. Das sei aber nichts Neues. Jedenfalls könne die Sozialdemokratie nicht verzichten auf ihre Forderung: Beseitigung der Härten. Auch könne seine Partei nicht anerkennen, daß die veränderten Verhältnisse zu einem anderen Standpunkt führen müßten.

Der Reichsarbeitsminister legte sodann die von der Sozialdemokratie aufgestellten Wünsche dar, nämlich:

1.

Veränderung der Vorschriften der Sperrfrist (bei nachgewiesenem Arbeitsschein9,

2.

Beseitigung des freiwilligen Arbeitsdienstes10,

3.

Übergangszeit bei den Heimarbeitern11,

4.

[1645]Mietzinsfrage (Abführung der Miete an den Hauswirt unmittelbar durch die Arbeitsämter12),

5.

Rückerstattung der Krisenunterstützung13.

9

S. NotVO vom 5.6.31, 3. Teil, Kapitel I, Artikel 1, Nr. 7 (RGBl. 1931 I, S. 293 ).

10

S. NotVO vom 5.6.31, 3. Teil, Kapitel I, Artikel 1, Nr. 21 (RGBl. 1931 I, S. 295 ).

11

S. NotVO vom 5.6.31, 3. Teil, Kapitel I, Artikel 9, Absatz 2 (RGBl. 1931 I, S. 297 ).

12

S. NotVO vom 5.6.31, 3. Teil, Kapitel I, Artikel I, Nr. 28 (RGBl. 1931 I, S. 296 ).

13

S. NotVO vom 5.6.31, 3. Teil, Kapitel I, Artikel 1, Nr. 11 (RGBl. 1931 I, S. 293 ).

Zu 1) bemerkte er, daß eine Veränderung der Bestimmungen der Sperrfrist nicht möglich sei.

Zu 2): Die gänzliche Beseitigung des freiwilligen Arbeitsdienstes halte er für bedenklich. Allerdings glaube er auch, daß es nicht möglich sein werde, den Arbeitsdienst im Rahmen der Vorschläge des Herrn Ministers Treviranus aufzuziehen14. Die Frage des freiwilligen Arbeitsdienstes werde eine gewisse Rolle spielen bei dem primitiven Siedlungswesen sowie bei den Landsiedlungen. Man müsse erreichen, daß die Siedler in der Lage seien, einen Teil der Lebensmittel sich anbauen zu können.

14

Vgl. dazu Dok. Nr. 319, Anm. 12.

Zu 3): Zur Mietzinsfrage sei der Vorschlag von der Braunskommission gemacht worden. Es gebe unter den Arbeitslosen einige, die zwar das Geld annehmen, aber nicht davon die Miete bezahlten. Wenn es sich hierbei auch nur um einen geringen Prozentsatz handele, so müsse doch dafür Sorge getragen werden, daß die Hausbesitzer zu ihrem Gelde kämen.

Jedenfalls wolle er betonen, daß es in der gegenwärtigen ernsten Finanzlage des Reichs nicht möglich sei, auf dem Gebiet der Arbeitslosenfürsorge-Gesetzgebung einen Schritt nach rückwärts zu tun. Es könne leicht die Gefahr eintreten, daß die Arbeitslosenversicherung in sich zusammenbreche.

Abgeordneter HertzHertz bemerkte dazu, daß er die Auffassung des Herrn Ministers nicht teilen könne. Die meisten Vorschläge der Sozialdemokratischen Partei würden sich finanziell überhaupt nicht auswirken. Er könne nicht einsehen, warum der Hausbesitz bevorzugt behandelt werden solle gegenüber anderen Gläubigern der Erwerbslosen, indem er seine Miete von den Arbeitsämtern bekäme. Auch die Rückerstattung der Krisenunterstützung wirke sich finanziell nicht sehr stark aus. Er bäte infolgedessen die Reichsregierung, noch einmal die Frage eingehend zu überlegen und zu einer die Partei befriedigenden Lösung zu kommen.

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, daß in der heutigen Zeit die geltend gemachten Forderungen der Sozialdemokratischen Partei nicht das Entscheidende seien. Die Hauptschwierigkeit läge bei den Gemeinden. Es sei einfach, die Frage zu stellen: wieviel Geld kann das Reich für die Gemeinden locker machen? Das Reichsfinanzministerium beschäftige sich schon dauernd mit der Frage, um zu einer günstigen Lösung zu kommen. Das Reich sei schon verschiedenen Gemeinden nicht nur in Preußen, sondern auch in Sachsen zur Hilfe gesprungen. Auch Hamburg und Bremen habe man in weitgehendem Maße berücksichtigt15. Es sei aber unbedingt notwendig, daß in ganz Deutschland bei allen Ländern und Gemeinden energische Sparmaßnahmen getroffen würden, ohne die es einfach zu einem Zusammenbruch komme. Zwei Dinge würden hierbei eine große Rolle spielen, nämlich

15

S. Dok. Nr. 400, P. 2.

[1646] a) die Bereinigung der schwebenden Schuld,

b) die Zurverfügungstellung von Geldbeträgen für die Wohlfahrtspflege.

Es müsse doch möglich sein, den gegenwärtigen ernsten finanziellen und wirtschaftlichen Zustand Deutschlands der Sozialdemokratischen Fraktion klarzumachen und sie auf diesem Wege von ihren Forderungen hinsichtlich der Änderung der Notverordnung abzubringen. Die Hauptaufgabe sei doch für uns alle, Maßnahmen zu treffen, um über den Winter hinwegzukommen.

Im Anschluß an diese Ausführungen gab Ministerialrat BeisiegelBeisiegel vom Reichsarbeitsministerium an Hand von Tabellen ein eingehendes Bild über die voraussichtlich eintretende Arbeitslosenentwicklung. Er führte unter anderem aus, daß das Hauptdefizit bei der Arbeitslosenversicherung liegen werde. Die Arbeitslosenversicherung werde den stärksten Teil der Arbeitslosenfürsorge zu tragen haben. Infolgedessen müssen ihr große Mittel zur Verfügung gestellt werden; andernfalls werde sie zusammenbrechen.

Der Reichsarbeitsminister erläuterte hierbei ergänzend, daß es nicht möglich sein werde, bei der Arbeitslosenversicherung wieder Zuschüsse aus Reichsmitteln einzuführen. Entweder müßten die Beiträge erhöht oder die Versicherungssätze gekürzt werden. Eine Entscheidung lasse sich aber in diesen Fragen erst treffen, wenn man ein klares Bild habe, was die Reichsregierung auf dem Gebiet der Gehaltspolitik zu tun gedenke. Hierbei werde auch die Frage der Gestaltung der Krisensteuer eine größere Rolle spielen.

Der Reichskanzler bemerkte dazu, daß die Entscheidung zur Arbeitslosenversicherung von der Frage der Gestaltung der Krisensteuer abhänge. Auch werde in diesem Zusammenhange die Hauszinssteuerangelegenheit zu klären sein.

Der Abgeordnete HilferdingHilferding wies noch einmal auf die politische Seite hin und betonte, daß der Sozialdemokratischen Partei Entgegenkommen gezeigt werden müsse. In nächster Woche werde der Parteivorstand und die Fraktion zusammentreten16; bis dahin müsse Klarheit sein. Er befürchte die größten Widerstände, wenn nicht eine klare Entscheidung mitgeteilt werden könne.

16

Die SPD-Fraktion tagte am 8.9.31 (Vorwärts Nr. 406 vom 31.8.31); s. auch Ursachen und Folgen Bd. VIII, Nr. 1700.

Der Reichskanzler setzte auseinander, daß es bisher nicht möglich gewesen sei, zu einer abschließenden Regelung in all den gestreiften Fragen zu kommen. Er könne vor Anfang nächster Woche keine bindenden Erklärungen abgeben17. Im übrigen müsse auch noch das Preußische Kabinett zu den einzelnen Fragen Stellung nehmen. Infolgedessen rege er an, die Sitzungen der Partei zu verschieben.

17

Vgl. dazu Dok. Nr. 464.

Der Reichsminister der Finanzen entwickelte sodann seine Absichten auf dem Gebiet der Besoldung der Beamten. Preußen hoffe auf diesem Wege etwa 90–100 Millionen für die Staatsbeamten allein ersparen zu können.

Der Reichsarbeitsminister bemerkte hierzu, daß die Ersparnisse von 90 Millionen zu wenig seien im Vergleich zu den Ersparnissen, die bei den Gemeindearbeitern erzielt worden seien. Die Löhne der Gemeindearbeiter seien[1647] um etwa 16% gekürzt worden18. Erwäge man dies, dann müsse auch bei den Beamten schärfer vorgegangen werden.

18

Vgl. Dok. Nr. 454, P. 5.

Der Reichskanzler hob hervor, daß er sich mit den Vertretern der Sozialdemokratischen Partei in telephonische Verbindung setzen werde, um ihnen die Haltung der Regierung mitzuteilen, sobald sich übersehen lasse, nach welcher Richtung die Beschlüsse gehen werden. Er würde sie sodann über die Vorschläge auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung eingehend unterrichten.

Der Abgeordnete HertzHertz setzte noch einmal auseinander, daß es doch möglich sein müsse, die von der Partei vorgebrachten Wünsche auf Abänderung der Notverordnung vom Juni zu verwirklichen. Die angeregten Maßnahmen würden sich finanziell kaum auswirken.

Sodann gab der Reichsminister der Finanzen ein Bild über die Finanzlage und legte dar, daß ein öffentlicher Kredit so gut wie gar nicht mehr vorhanden sei. Infolgedessen sei es notwendig, daß das Reich alles aufbiete, die fällig werdenden schwebenden Schulden zu bezahlen. Im Laufe dieses Monats würden 64 Millionen Schatzwechsel fällig werden; diese müßten unbedingt bezahlt werden. Würde eine Zahlung ausbleiben, so würde das die größten Konsequenzen haben. Er könne nur immer wieder betonen, daß die Situation in Deutschland äußerst schwer sei, und man zur Zeit noch nicht wisse, wie man über den September hinwegkomme. Bei den gegenwärtigen Verhältnissen sei es auch nicht möglich, sich einen genauen Überblick über die Finanzlage zu verschaffen. Er könne nur erneut wieder betonen, daß er eine Rettung nur darin sehe, Arbeitsbeschaffung herbeizuführen. Ein anderes Mittel als Arbeit gebe es nicht. Der Grund des Defizits sei der Druck, der auf der Wirtschaft ruhe.

Der Reichskanzler stellte noch einmal fest, daß er den Vertretern der Sozialdemokratischen Partei Nachricht zukommen lassen werde, sobald er einen Überblick über die Vorschläge habe.

III. Im Anschluß hieran kamen die Vertreter der Soz. Dem. Partei, nachdem sich der Reichskanzler aus der Sitzung entfernt hatte19, auf die Branntweinfrage zu sprechen. Sie legten dar, daß eine Sanierung des Branntweinmonopols nur durch Abstoßen der Bestände und durch Einschränkung der Produktion zu erreichen sei. Es werde erforderlich sein, die Brennerei auf ein Jahr einzustellen. Die Kartoffeln, die bisher entsprechende Verwendung gefunden hätten, müßten eingesäuert werden. Man könne auch einen Teil der ärmeren Bevölkerung gratis übermitteln.

19

Der RK hatte im Beisein von RM Treviranus eine Besprechung mit dem DGB-Vorsitzenden Otte wegen des Verbots der Zeitschrift „Der Deutsche“, die den sowjetischen Außenkommissar Litwinow angegriffen hatte (Nachl. Pünder Nr. 43, Bl. 68). S. auch Brüning, Memoiren, S. 381.

Der Reichsminister der Finanzen nahm von dieser Haltung Kenntnis und sagte zu, die Frage der Sanierung des Branntweinmonopols mit seinen Herren zu besprechen.

Der Reichsminister a. D. Dr. HilferdingHilferding bemerkte, daß der Plan des Herrn Minister Schiele, das Brennrecht zu erhöhen, nicht zweckmäßig sei.

[1648] IV. Am Schluß der Aussprache kam man noch auf die Erntefinanzierung zu sprechen. Der Reichsminister a. D. Dr. Hilferding schnitt die Frage der Lombardierung der Lagerscheine nebst Zinsverbilligung durch das Reich, sowie die Beleihung der Lieferverträge an.

Zum letzten Punkte bemerkte der Reichsminister der Finanzen, daß es sich nicht um eine Lombardierung der Lagerscheine, sondern um eine Diskontierung der Wechsel, die auf Grund der Lieferungsverträge ausgegeben würden, handele20.

20

S. dazu Dok. Nr. 431, P. 2 und die NotVO zur Erleichterung der Erntebewegung vom 6.8.31 (RGBl. I, S. 433 ).

Abgeordneter HertzHertz brachte sodann noch seine Sorgen auf dem Gebiet der Brotpreisentwicklung zum Ausdruck. Es handele sich hier um ein ernstes Problem, das voraussichtlich in der nächsten Zeit, insbesondere aber im Winter, große Bedeutung erlangen werde. Der Brotpreis habe im Juni 3% über dem Höchstpreis und im Juli 2,6% über dem Höchstpreis gelegen21. In seiner Partei habe man zwei Vorschläge: entweder einen bestimmten Höchstpreis festzusetzen oder eine Brotpreiskontrollkommission einzusetzen. Er habe Bedenken gegen eine solche Kommission. Er halte es vielmehr für richtig, die Länderregierungen zu veranlassen, die Aufgaben, die die Brotpreiskontrollkommission ausführen solle, den Gemeindeverbänden zu übertragen. Ein neuer Apparat sei jedenfalls nicht nötig.

21

Am 31.8.31 hatte die Reichsforschungsstelle für landwirtschaftliches Marktwesen der Rkei eine Aufzeichnung über die letzte Brotpreiserhöhung von 0,47 auf 0,48 RM je 1250 g Brot in Berlin übersandt. Danach beruhten die Brotpreise überwiegend auf Vereinbarungen der Innungen und Verbände. Die Forschungsstelle hatte empfohlen, Preisüberwachungsausschüsse ehrenamtlicher Sachverständiger und Verbrauchervertreter zu schaffen (R 43 I /2548 , Bl. 255–259).

IV. Die Herren der Sozialdemokratischen Fraktion beabsichtigen dann noch die Frage der Kommunalfinanzen zu erörtern. Eine diesbezügliche eingehende Aussprache fand aber nicht statt.

Am Schluß der Sitzung übergab Ministerialrat Beisiegel mir noch die anliegende Aufzeichnung (zu den Vorschlägen Aufhäuser).

H[a]g[enow]

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