2.70.1 (mu11p): [Reparationsdenkschrift.]

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RTF

[Reparationsdenkschrift.]

Unterstaatssekretär Schroeder trug die in früheren Besprechungen erörterte gesamte Frage nochmals kurz vor1.

1

S. dazu Dok. Nr. 19 und 66.

Reichskanzler Müller teilt mit, daß die Einladung nach Spa zum 25. Mai eingegangen sei2.

2

Am 26. 4. hatte im Auftrag der Konferenz von San Remo deren Vorsitzender, der italienische MinPräs. Nitti, eine Note an den RK gerichtet, in der er die Forderung Deutschlands, statt eines 100 000 Mann Heeres ein 200 000 Mann Heer zugebilligt zu erhalten, behandelte und Deutschland Verfehlungen in der Erfüllung des Friedensvertrags vorwarf: „L’Allemagne n’a rempli ses engagements ni pour la déstruction, du material de guerre, ni pour la réduction des effectifs ni pour la fourniture de charbon ni pour les réparations ni pour les frais des armées d’occupation; elle n’a donné ni satisfactions ni excuses pour les attentats dont ont été victimes à plusieurs reprises les membres des Missions alliées; elle n’a pris encore aucune mesure pour déterminer, comme cela avait été prévu par le protocole du Traité, ses obligations du chef des réparations ou en vue de faire des propositions pour fixer le montant total qu’elle devrait payer de ce chef, malgré le caractère urgent que présente un réglement ce genre dans l’intérêt de toutes les parties en cause; elle ne parait même avoir examiné comment elle pourrait faire face à ses obligations quand elles viendront à échéance.“ Im weiteren Verlauf der Note waren zwar die für die deutsche Regierung bestehenden Schwierigkeiten anerkannt, aber eine weitere Übertretung des Friedensvertrags mit Sanktionen bedroht worden. „En même temps les Alliés estiment que les questions soulevées par les infractions du Traite de Paix et par les mesures nécessaires pour enassurer l’exécution, seront plus ausément résolues par de échanges de vues entre les chefs de Gouvernements que par des notes. Ils décident donc d’inviter les chefs du Gouvernement Allemand à une conférence directe avec les chefs des Gouvernements Alliées. Ils demandent que pour la réunion projetés les Gouvernement Allemand leur présente des explications et des propositions précises sur tous les sujets précités.“ (R 43 I /401 , Bl. 23 f.; s. auch Schultheß 1920 II, S. 366 f.). Mit Schreiben vom 27.4.20 hatte der ital. Geschäftsträger in Berlin, Botschafter de Martino, dem RK mitgeteilt: „Me référant à l’entretien que j’ai eu avec Votre Excellence ce matin, et conformément aux instructions reçues de M. Nitti, j’ai l’honneur de Vous faire part, au nom des Gouvernements Alliés, de l’invitation au Gouvernement Allemand d’intervenir à la Conférence qui aura lieu à Spa le 25 Mai prochain.“ (R 43 I /401 , Bl. 18).

Geschäftsträger Dr. Mayer: Die Denkschrift der Sachverständigen halte er für brauchbar. Seines Erachtens müsse man unter allen Umständen vermeiden, eine fixierte Summe anzubieten. Das Ziel müsse sein, im Anschluß an Spa Verhandlungen der Sachverständigenkommissionen herbeizuführen.

Der Wiederaufbau von Frankreich sei bisher nicht ernsthaft aufgenommen. Die Beschädigten verlangten daher jetzt eine Entschädigungssumme in Gold, die sich auf mindestens 200 Milliarden Francs belaufen würde. Dann würde die Gesamtschuld rund 400 Milliarden Francs betragen.

[169] Der Haß gegen England sei zur Zeit in Frankreich stärker als der gegen Deutschland, was sich auch in der Presse zeige3. Die Ansicht greife um sich, daß der Vertrag von Versailles falsch aufgebaut sei, nämlich auf deutscher Zahlung statt auf deutscher Arbeit. Vereinzelte Stimmen würden laut, die die Zusammenarbeit von Deutschland und Frankreich forderten, so ein Artikel in der „Revue de Paris“4. In industriellen Kreisen nähmen die Bestrebungen, die Industrien beider Länder zusammenzuführen, zu.

3

Demgegenüber heißt es im Schlußabsatz der alliierten Note vom 26. 4. (s. o. Anm. 2): „Mais l’Allemagne doit comprendre que l’union des Alliés pour l’exécution du Traite est aussi étraite qu’elle l’a été pour la guerre et que le seul mayen de reprendres sa place dans le monde est d’exécuter loyalement les engagements qu’elle a souscrits.“

4

Vom RWiMin. wurde der Rkei am 11.5.20 der von Mayer genannte Aufsatz übersandt mit einer dt. Übersetzung (im Anschreiben ist als Erscheinungsdatum der 15. 4. genannt, auf der Abschrift des Aufsatzes der 25. 4.): „La restauration des régions libérées et le paiement par l’Allemagne.“ In diesem Aufsatz wird u. a. darauf hingewiesen, daß Deutschland nicht in der Lage sei, seine Reparationszahlungen ohne fremde Hilfe zu erfüllen. Da Deutschland aber produziere, müsse sich Frankreich diese Produktion zunutze machen und zwar unabhängig von den anderen Alliierten. Frankreich müsse u. U. auch Deutschland Kredite gewähren, damit dieses in der Lage sei, für den frz. Wiederaufbau zu arbeiten, bis es seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen könne. Schließlich heißt es: „Der Vertrag von Versailles sollte dazu dienen, um mit Deutschland in Verhandlungen einzutreten auf einem für Frankreich erwünschtem Gebiet. Aus dem Vertrag müssen die für Frankreich wichtigen Argumente herausgearbeitet werden. Ohne irgendetwas von den bestehenden Rechten aus dem Friedensvertrag aufzugeben, sollte zwischen Deutschland und Frankreich eine wirtschaftliche Arbeitsgemeinschaft (das Wort stammt von gestern) geschaffen werden, bei welcher die beiderseitigen Hilfskräfte, ohne sich zu schaden oder entgegenzuarbeiten, sich zusammenschließen müßten, um hierdurch die Produktionskraft zur Wiederherstellung der befreiten Gebiete zu erhöhen“ (R 43 I /401 , Bl. 47, 49-112). Am 12. 6. teilte StS Müller mit, der anonym erschienene Aufsatz stamme „nach zuverlässiger Nachricht“ vom Vorsitzenden der von den Alliierten „für die Durchführung des Restitutionsverfahrens eingesetzten Kommission in Wiesbaden“, Lefévre (R 43 I /401 , Bl. 252).

In Frankreich sei wenig von einer Fixierung der Endsumme die Rede, da die Franzosen immer noch glaubten, Deutschland müsse den ganzen Aufbau bezahlen.

Wenn unsere wirtschaftliche Kurve hoch gehe, dann halte er es für möglich, jährlich 1–2 Milliarden zu zahlen, dies dürfe man aber niemals aussprechen. In der ganzen Entschädigungsfrage müsse man schrittweise vorgehen. Die Zivilregierung sei vernünftigen Erwägungen schon zugänglich, habe aber gegen den Widerstand der Militärpartei und der Rechtspartei zu kämpfen, ebenso gegen Poincaré.

Die industriellen Kreise wünschten eine baldige Verständigung mit Deutschland, sie seien aber zur Zeit im Parlament einflußlos. Das Ergebnis von Spa würde dürftig sein, im Herbst oder im nächsten Frühjahr könne man vielleicht dem Gedanken einer Revision nähertreten.

Unterstaatssekretär von [!] Bergmann schließt sich den Ausführungen des Geschäftsträgers Dr. Mayer an5. Die Aussprache in Spa würde sich hauptsächlich auf politischem und militärischem Gebiet bewegen, die Entschädigungsfrage müsse jedoch gleichfalls zur Erörterung kommen. Ein Angebot, wie die Franzosen es erwarteten, könnten wir nicht machen, den Ausführungen[170] Wiedfeldts, die er für besser halte als die Denkschrift, sei beizutreten6. Er warne dringend davor, Versprechungen von irgendwelchen Voraussetzungen abhängig zu machen, die den Friedensvertrag erschütterten.

5

Zu Bergmanns Ansichten s. Dok. Nr. 50.

6

Wiedfeldt hatte in einem Schreiben an UStS Müller seine Vorstellungen über die Reparationsdenkschrift skizziert: „An die Spitze würde ich den Satz stellen, daß Deutschland zurzeit wirtschaftlich und finanziell nahezu leistungsunfähig ist. Infolge der über militärische Sicherung hinaus mit wirtschaftlichen Schädigungen eingreifende Waffenstillstandsbedingungen (Abgabe von Eisenbahnmaterial, Heeresflotte [gemeint ist wohl: Handelsflotte], Verschleuderung von Heeresgut), infolge der wirtschaftlich schädigenden Eingriffe während des Waffenstillstandes (Schwierigkeiten beim Goldzoll, Loch im Westen), wie nach der Friedensunterzeichnung (Einmarsch in Frankfurt, Eingriffe in Oberschlesien, Eupen usw.) und endlich infolge der Friedensbedingungen (deren Wirkung früher in Weimar dargelegt sind) im Zusammenwirken mit der politischen und sozialen Umwälzung im Innern ist Deutschland zurzeit nicht in der Lage, seine eigene Bevölkerung zu beschäftigen und zu ernähren, geschweige denn für ausländische Volkswirtschaften noch wirtschaftliche und finanzielle Leistungen erarbeiten und abgeben zu können.“ Äußerer Glanz täuschte über die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse „bei flüchtigem Anblick“ hinweg. „In solcher Lage irgend bestimmte Ziffern zu nennen, die wir wirtschaftlich oder finanziell leisten können, wäre frevelhafter Leichtsinn. Wenn in Versailles im vorigen Jahre noch ein Angebot von 100 Milliarden gemacht werden konnte, so kann dies heute von gewissenhaften Männern, welche die wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten zu beurteilen wissen, nicht mehr aufrecht erhalten werden.“ Es werde an der Entente liegen, ob Deutschland wirtschaftlich und politisch zugrunde gerichtet werde durch mit dem Friedensvertrag begründete Eingriffe in die Wirtschaft oder ob Deutschlands Leistungsfähigkeit durch Sicherung der Arbeitsmöglichkeiten hergestellt werde (R 38 /108 ; Abschriften in R 43 I /403 , Bl. 3-8 und R 2 /2727 , Bl. 98-103).

Die Franzosen rechneten mit einer Entschädigung von 300 Milliarden Francs Gold. Daß eine derartige Summe nicht gezahlt werden könne, sei selbstverständlich. Da auf der anderen Seite ein niedrigeres Angebot sicherlich zurückgewiesen werden würde, müsse man sagen, daß wir ein festes Angebot nicht machen könnten. Die Leistungen, die der Friedensvertrag als Minimum vorsähe, würden zum Maximum werden. Die wirtschaftliche Lage müsse in der Denkschrift kurz und bündig dargelegt und das zugehörige Material bereitgestellt werden.

Reichskanzler Müller: In Spa würde die Erörterung der politischen Fragen im Vordergrund stehen, man müsse in der Frage der Entwaffnung das größte Entgegenkommen zeigen und die wirtschaftliche Lage rücksichtslos darlegen. Von Revision dürfte nicht gesprochen werden. Es sei fraglich, ob man ohne positive Vorschläge über eine Entschädigungssumme durchkomme. Der Vorschlag, Prozente vom Budget anzubieten, habe viel für sich.

Unterstaatssekretär von [!] Bergmann: Die anzubietende Summe müßte sich dann auf mindestens 1 Milliarde Goldmark belaufen, was die Hälfte unseres Budgets darstellte. Außerdem würde ein derartiger Vorschlag bei den Franzosen auf Mißtrauen stoßen. Wenn überhaupt ein positiver Vorschlag gemacht würde, dann könne nur eine feste Summe in Goldmark angeboten werden.

Gegenüber einer Anregung des Unterstaatssekretärs Albert führte Unterstaatssekretär von [!] Bergmann weiter aus: England, Amerika und Italien würden unsere Denkschrift sicherlich voll verstehen. Die Frage unserer Kreditfähigkeit habe mit der Frage der Entschädigung nichts zu tun. Wenn das Ausland sähe, daß es mit unserer Wirtschaft bergan ginge, so würde es zu Krediten geneigt sein.

[171] Unterstaatssekretär Hirsch legt an der Hand von Zahlen die gegenwärtige deutsche Wirtschaftslage dar und kommt zu dem Ergebnis, daß eine Besserung unverkennbar sei. Er teilt das Bedenken gegen eine Entschädigungssumme, die nach Prozenten unseres Budgets zu bemessen sei, und hat ebenso Bedenken, die Entschädigungssumme nach einem Prozentsatz der Ausfuhr zu bemessen.

Auf eine Frage des Reichsministers der Finanzen Dr. Wirth führt Geschäftsträger Dr. Mayer noch aus, daß in intellektuellen Kreisen durch den zu erwartenden Sturz der französischen Valuta eine verzweiflungsähnliche Stimmung entstehen werde7.

7

In einem Schreiben vom 29. 4. an UStS Müller meinte Hugo Stinnes, der jede deutsche Entschädigung an die Alliierten ablehnte: „Ich halte es auch für verfehlt, jetzt allzusehr auf die Festsetzung von Kriegsentschädigungen zu drängen, da ich der Meinung bin, daß taktisch dadurch unsere Lage verschlechtert wird, während beim Anhalten der jetzigen Zustände die unaufhaltsame Entwertung des Franken uns zu Gute kommen wird“ (R 38 /108 , gefunden in R 2 /2727 , Bl. 110).

Der Präsident Deschanel wolle einen Bruch mit den Alliierten unter allen Umständen vermeiden und würde auf deren Druck zu einem Entgegenkommen geneigt sein.

Unterstaatssekretär von [!] Bergmann warnt davor, in der Denkschrift die Ziffern für Ein- und Ausfuhr zu bringen, da sie verhältnismäßig günstiger seien als die französischen8.

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In der Denkschrift von Rosenbaum und Hasselmann war der Wert des dt. Imports für das Jahr 1918 mit rd. 7,4 Mrd. und für das Jahr 1919 mit rd. 19 Mrd. M angegeben worden; nach der gleichen Denkschrift hatte der Wert des dt. Exports im Jahr 1918 einen Wert von rd. 5 Mrd. und im Jahr 1919 von rd. 13,3 Mrd. M (R 2 /2727 , Bl. 3-24).

Nach weiteren Ausführungen des Professors Bonn und des Unterstaatssekretärs Schroeder stellt Reichskanzler Müller als Ergebnis der heutigen Besprechung fest, daß die Denkschrift bis zum 10. Mai fertiggestellt werden solle und daß sie keine positiven Vorschläge über die Höhe einer Entschädigungssumme enthalten solle9.

9

Am 2.5.20 erklärte RK Müller, die deutsche Regierung nehme die Einladung zur Konferenz in Spa an, und fügte hinzu: „Dans la conviction qu’il réussira à invalider les reproches d’avoir manqué à l’exécution de certaines conditions de paix, le Gouvernement Allemand se réserve jusqu’à la réunion projetée, d’entrer dans les questions soulevées. [Dazu die Randnotiz Kempners: Das ist wohl auch zur (?) Wahrung der Frist vom 10. 5.].“ Weder das Völkerrecht noch der Friedensvertrag würden den Alliierten das Recht zur weiteren Besetzung deutschen Territoriums geben. „Le Gouvernement allemand présentera à la conférence les explications et les propositions désirées, et, de son côté, fera tous ses efforts, pour qu’on arrive à un résultat satisfaisant à tous égards“ (R 43 I /401 , Bl. 27). Zum weiteren Fortgang s. Dok. Nr. 77, P. 1.

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