2.51.1 (vsc1p): [Beschwerden des Reichs-Landbundes über die Agrarpolitik der Reichsregierung.]

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 16). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Kabinett von Schleicher Kurt von Schleicher Bild 102-14090Franz Bracht Bild 183-2007-1009-501Friedrich Syrup Bild 146-1986-031-11Bild 183-H27728

Extras:

 

Text

RTF

[Beschwerden des Reichs-Landbundes über die Agrarpolitik der Reichsregierung.]

Der Herr Reichspräsident eröffnet die Sitzung und teilt mit, daß der Reichs-Landbund sich an ihn gewandt habe, um ihm die ernste Lage der Landwirtschaft und die Notwendigkeit sofortiger Hilfsmaßnahmen vorzutragen. Auf Anregung des Reichs-Landbundes habe er die Herren zusammen gebeten, um in ruhiger, offener Aussprache zu einer Verständigung darüber zu gelangen, welche Sofort-Maßnahmen im Interesse unserer schwer leidenden Landwirtschaft ergriffen werden müßten. Der Herr Reichspräsident bat alsdann die Herren vom Reichs-Landbund, ihre Beschwerden vorzutragen.

Graf Kalckreuth: Wir haben heute früh dem Herrn Reichspräsidenten Bericht erstattet über die katastrophale Lage der Landwirtschaft2, hauptsächlich in den Gebieten, in denen Veredelungswirtschaft getrieben wird; insbesondere in Schleswig-Holstein ist die Situation so, daß die Landwirte unmittelbar vor der Hungersnot stehen. Sie haben nichts mehr zu verkaufen, müssen Geld borgen, um Brot und andere Lebensmittel für die Familie zu beschaffen. Wir sehen keine Möglichkeit, die Ordnung aufrecht zu erhalten, wenn nicht sofort etwas geschieht. Wenn es so weiter geht, wird der Landwirt zur Selbsthilfe schreiten und sich außerhalb der Staatsordnung stellen. Es ist uns unmöglich,[209] der systematischen Hetze der Kommunisten entgegenzutreten3 und die Landwirte bei der Ruhe zu erhalten, wenn wir nicht nachweisen können, daß die Reichsregierung mit sofortigen Maßnahmen einzugreifen bereit ist. Wir bitten vor allem, daß die Regierung, um ihren guten Willen zu zeigen, den sofortigen Vollstreckungsschutz erneuert, und zwar auf ¼ oder ½ Jahr4.

2

Siehe dazu Dok. Nr. 50.

3

Realer Hintergrund dieser zweckbestimmt übertriebenen Äußerungen war der relativ hohe Stimmenzuwachs, den die KPD in stark ländlich strukturierten Wahlkreisen bei den beiden RT-Wahlen des Jahres 1932 erringen konnte (Einzelheiten s. bei Alfred Milatz in: Erich Matthias und Rudolf Morsey (Hrsg.): Das Ende der Parteien 1933. S. 778). Wenn er auch den Stimmenzuwachs in stark industriellen Wahlkreisen nicht erreichte, so sah sich die Parteileitung im Oktober 1932 doch veranlaßt, Grundsätze für eine verstärkte Agitation auf dem Lande mit dem Ziel zu entwickeln, neben den Land- und Forstarbeitern der großagrarisch strukturierten ostdt. Gebiete auch die Kleinbauern Nordwest-, Mittel- und Südwestdeutschlands für ein „solidarisches Bündnis mit dem Proletariat“ zu gewinnen. Im Januar 1933 warnten der Reichslandbund und die Vereinigung der Dt. Bauernvereine ihre Mitgliedsverbände vor der Arbeit eines kommunistischen „Reichsbauernkomitees“, das im Dezember 1932 in Rundschreiben an die Ortsbürgermeister um Auskünfte über die Arbeitslosigkeit, Pfändungen und Zwangsversteigerungen auf dem Lande gebeten hatte.

4

Zum Gesamtzusammenhang s. Dok. Nr. 47.

Wir brauchen ferner eine Hilfsaktion, um die Preise zu sanieren. Wir haben Vorschläge eingereicht, die sich decken mit denen des Landwirtschaftsrats. Wir wollen Klarheit darüber haben, ob das Kabinett bereit ist, den Weg des Schutzes der Binnenwirtschaft zu gehen, oder ob es beabsichtigt, den Weg der Exportförderung, auch auf Kosten des Binnenmarktes, zu beschreiten. Der Herr Reichskanzler hat uns Zusagen in unserem Sinne gegeben, aber es ist noch nichts geschehen, auf das wir im Lande vor unseren Leuten hinweisen können. Unter dem Herrn Reichskanzler von Papen hatten wir eine klare Zusage hinsichtlich der Kontingentierungen erhalten. Die Kontingentierungspolitik ist bekanntlich inzwischen fallen gelassen worden. Wir sehen auch ein, daß die Kontingentierungen durch Zollschutz zu ersetzen sind, aber wir haben die Befürchtung, daß in der Durchführung des Zollschutzes ähnliche Wege gegangen werden wie bei den Kontingentierungen. Wir wünschen zu wissen, ob das Kabinett entschlossen ist, die Zölle für landwirtschaftliche Produkte, soweit sie durch den Ablauf der Handelsverträge frei werden, so hoch festzusetzen, daß ein wirklicher Schutz für die Landwirtschaft gegeben ist. Würden wir hierüber beruhigende Erklärungen bekommen können, so würde es uns sehr viel leichter werden, auch in den landwirtschaftlichen Kreisen Beruhigung herbeizuführen und die Landwirte zu vertrösten.

Herr Tönnsen unterstreicht die Ausführungen des Grafen Kalckreuth. Unsere Leute könnten nicht mehr die eigene Butter essen, sondern müssen sie verkaufen, um etwas Geld zu bekommen. Zurzeit werden im Kreise Tondern 300 Zwangsversteigerungen durchgeführt, im Kreise Ditmarschen ist die Situation ähnlich. Wir können die Ruhe in der Bauernschaft nicht mehr aufrechterhalten. Die Bauern sind seelisch zermürbt und werden durch die kommunistische Hetze aufgebracht. Es werden Terrorakte, schlimmer als im Jahre 1928, vorgenommen, die die Staatsautorität untergraben werden. Tag für Tag kommt der Gerichtsvollzieher zu den Bauern. Die Verzweiflung ist so groß, daß es in nächster Zeit zu einem gewaltigen Ausbruch kommen muß. Wir haben die[210] Aufgabe, die Grenzmark gegen Dänemark zu verteidigen. Dabei müssen wir es täglich erleben, daß der bäuerliche Besitzer seine Scholle verlassen muß. Es handelt sich jetzt nicht mehr allein um die Preisfrage, sondern darum, daß der Bauer überhaupt auf der Scholle bleiben kann. Ich sehe keinen anderen Ausweg, als die Einführung eines sofortigen, in den nächsten Tagen in Kraft tretenden Vollstreckungsschutzes. In Oldenburg und in Hannover liegen die Dinge ebenso.

Herr Lind: Auch ich muß sagen, daß bei der jetzigen Entwicklung der Kleinbauer restlos der kommunistischen Hetze verfällt. Die dänische Einfuhr zerschlägt uns die ganze Wirtschaft. Unser sonst lebendiger und tüchtiger Menschenschlag im Rhein-Main-Gau (Hessen) geht national verloren und diese Entwicklung bedeutet eine ernste Gefährdung der Staatssicherheit.

Herr Bethge: Ich möchte anknüpfen an die Botschaft des Herrn Reichspräsidenten vom März 1930: „Es sind Kräfte am Werk gewesen, die diesen Willen des Reichsoberhaupts immer wieder zerschlagen haben“5. Der Reichs-Landbund hat das Verdienst, in der Bauernschaft durch Bildung nationaler Zellen einen Geist hervorgebracht zu haben. Jetzt werden Zellen gebildet mit der Auffassung: „Wir sollen die von unseren Vorvätern ererbten Schollen verlassen. Das tun wir nicht, wir wehren uns dagegen bis aufs letzte.“ Die Bauernfamilien und die Junkerfamilien bilden einen nationalen Kern der deutschen Bevölkerung. Es bedeutet eine ernste Gefahr für unser Staatswesen, wenn sie preisgegeben werden.

5

Zitatnachweis unklar; möglicherweise handelt es sich um eine Bezugnahme auf Hindenburgs öffentliche Erklärung vom 13.3.1930 anläßlich der Unterzeichnung der Youngplan-Gesetze, deren Gedankengang an den zit. Satz erinnert (vgl. Schultheß 1930, S. 74 f.).

Herr Strüwy, Ostpreußen, weist darauf hin, daß 6/7 der ostpreußischen Landwirtschaft sich im Zusammenbruch befinden. Die Bauern bilden Schicksalsgemeinschaften, die sich gegen jede Vollstreckung auflehnen. Es ist kürzlich vorgekommen, daß ein Bauer mit Handschellen gefesselt zum Gericht geführt wurde zwecks Leistung des Offenbarungseides. So kann man einen freien Bauern nicht behandeln. Ich bitte dringend, zunächst auf 3 Monate, jede Zwangsvollstreckung auszusetzen. Das ist eine Maßnahme, die kein Geld kostet und die unbedingt erforderlich ist.

Der Herr Reichspräsident: Meine Herren vom Reichs-Landbund! Ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen. Ich habe nun Ihre Auffassung über die Lage gehört. Ich muß aber die Reichsregierung dagegen in Schutz nehmen, daß bisher nichts für die Landwirtschaft geschehen sei. Es ist sehr viel geschehen. Wir müssen uns in aller Ruhe und Freundschaft darüber auseinandersetzen, was nun weiter notwendig ist. Ich darf nun die Herren von der Reichsregierung bitten, Ihre Auffassung vorzutragen.

Der Herr Reichskanzler: Ich habe mit den Herren vom Reichs-Landbund wiederholte Besprechungen gehabt6 über die zum Schutz der Landwirtschaft erforderlichen Maßnahmen. Auf Grund dieser Besprechungen und der Beratung[211] des Kabinetts habe ich noch vor Weihnachten dem Herrn Reichspräsidenten die Verordnung über den Butterbeimischungszwang zur Margarine, wie er von der Landwirtschaft erbeten war, vorgelegt7. Ich will die Proteste übergehen, die die Verordnung hervorgerufen hat8. Ich habe weiter mit dem Grafen Kalckreuth Besprechungen gehabt8a und ihn gefragt, was nach seiner Auffassung noch geschehen muß, um die Lage der Landwirtschaft zu verbessern. Er hat mir 3 Maßregeln vorgeschlagen:

6

Aufzeichnungen über diese Besprechungen sind in den Akten der Rkei nicht aufzufinden. Vgl. jedoch Dok. Nr. 47, insbesondere Anm. 1.

7

Vgl. Dok. Nr. 33, P. 2.

8

Materialien dazu in: R 43 I /1992 , passim; vgl. auch Dok. Nr. 33, Anm. 7.

8a

Dies geschah am 6.1.1933 (Horckenbach, 1933, S. 15).

1.)

die Durchführung des Butterbeimischungszwangs,

2.)

die Festsetzung autonomer Zölle da, wo Handelsverträge ablaufen,

3.)

den Vollstreckungsschutz.

Ich habe die zuständigen Herren Reichsminister dann zu mir gebeten und folgendes veranlaßt:

1.)

Ich habe Herrn von Braun freie Hand gegeben, alles zu tun, um den Butterbeimischungszwang durchzusetzen, insbesondere betont, daß er keinerlei Schutzmaßnahmen für die Margarinefabriken zu treffen braucht9.

2.)

Was die autonomen Zölle anlangt, so ist der Handelsvertrag mit Holland am 1. Januar abgelaufen10. Wir haben vereinbart, daß für alle landwirtschaftlichen Artikel autonome Zölle festzusetzen sind, und zwar zunächst auf kurze Frist. Wir haben Wert darauf gelegt, daß diese Zölle reichlich hoch festgesetzt werden; das kann ich hier erklären. Wir werden auch bei den Verhandlungen mit Holland nicht nachgeben. Wir werden selbstverständlich jeden Weg suchen, um mit Holland trotzdem zu Vereinbarungen zu gelangen, aber die hohen Zölle werden wir beibehalten. Wenn wir gleich von vornherein mit hoch festgesetzten Zöllen in die Verhandlungen hineingehen, ist unsere Ausgangsposition weit günstiger, als wenn wir erst im Laufe der Verhandlungen unsere Ziffern bekanntgeben. Beide beteiligten Herren, sowohl Herr Reichsminister Warmbold als auch Herr Reichsminister Freiherr von Braun, haben dies empfohlen11.

3.)

Vollstreckungsschutz. Ich sehe völlig ein, daß man den Bauer nicht von Haus und Hof jagen kann. Die Herbeiführung einer völligen Vereisung des Wirtschaftslebens durch einen generellen Vollstreckungsschutz ist aber auch nicht möglich. Wir kriegen dann wieder die Klagen aus den Reihen der Handwerker und anderer Wirtschaftsgruppen12. In der Frage des Vollstreckungsschutzes muß man den richtigen Weg finden und darf nicht Gutes und Schlechtes durcheinanderwerfen. Ich weiß sehr wohl, daß mit der Landwirtschaft Deutschland steht und fällt. Ich habe daher bei Antritt meines Amtes sofort veranlaßt, daß man sich zusammensetzt, um zu einer [212] Verständigung zu gelangen. Wenn man der Landwirtschaft grundlegend helfen will, so muß man aber ein ganzes Werk tun und nicht an Einzelheiten herumflicken.

9

Möglicherweise ist diese Angelegenheit in dem Gespräch des RK mit dem REM nach dessen Rücktrittsangebot vom 5.1.1933 behandelt worden (vgl. Dok. Nr. 45, insbesondere Anm. 10).

10

Einzelheiten s. Dok. Nr. 45, Anm. 11.

11

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 59, P. 2.

12

Entsprechende Protesttelegramme des Reichsverbandes des dt. Handwerks und des Verbandes der mitteldt. Industrie an den RK vom 13.1.1933 in: R 43 II /192 , Bl. 48–52.

Herr Reichsminister Freiherr von Braun: Was die Butterbeimischung anlangt, so habe ich sofort nach Erlaß der Margarineverordnung Fragebogen herausgeschickt an die Margarineindustrie. Diese hat sich sehr ablehnend geäußert. Ich kann demgegenüber erklären, daß eine Verordnung fertiggestellt ist, die eine bestimmte Höhe der Beimischung festsetzt. Ich muß aber darauf aufmerksam machen, daß Vorsicht geboten ist. Wenn die Margarine zu teuer wird und der kleine Mann sie nicht mehr kaufen kann, so schlägt die Maßnahme in das Gegenteil um und wir erhalten keine Konsumsteigerung für Butter, sondern einen Konsumrückgang. Die Ansichten über den Beimischungszwang sind übrigens sehr geteilt. Der frühere Landwirtschaftsminister Dr. Fehr hat sich beispielsweise dagegen ausgesprochen. Ich glaube, daß wir dazu gelangen könnten, die Fabrikation der Margarine zu begrenzen. Zusammenfassend kann ich sagen, daß der Beimischungszwang jedenfalls durchgeführt wird13.

13

Auf die zwiespältige Wirkung des Butterbeimischungszwangs hatte RM a.D. Hermes bereits unmittelbar nach dem entsprechenden Kabinettsbeschluß vom 21.12.1932, TOP 2 aufmerksam gemacht. In einem Schreiben an den RK vom 23.12.1932 hatte er darauf hingewiesen, daß der Margarineverbrauch seit 1913 stetig angestiegen sei, während der Butterverbrauch, von kleinen Schwankungen abgesehen, im wesentlichen konstant geblieben sei. Der Beimischungszwang könne daher nur dazu beitragen, „die klare Unterscheidung zwischen Butter und Margarine noch weiter zu verwischen, als es schon durch die Reklame der Margarineindustrie bisher geschehen ist, und dadurch dem Margarineverbrauch einen neuen Auftrieb zu geben“ (R 43 I /1992 , Bl. 29 f.). – Die vom REM angekündigten Durchführungsbestimmungen zu der umstrittenen VO werden dem Kab. v. Schleicher bis zum 30.1.1933 nicht mehr vorgelegt.

Was die Zölle anlangt, so liegt hier unsere Vorlage für den handelspolitischen Ausschuß vor mir. Auch ich kann Ihnen versichern, daß die Zölle nicht zu niedrig festgesetzt sind14.

14

Einzelheiten sowie zum Fortgang s. Dok. Nr. 59, P. 2, insbesondere Anm. 17.

Hinsichtlich des Vollstreckungsschutzes ist zu unterscheiden zwischen Mobilien und Immobilien. Die Tiere gehören zur Wirtschaft, sind also ein Teil der Immobilien, und können nicht gepfändet werden. Eine gewisse Pfändungsmöglichkeit für Mobilien muß aber belassen werden.

Herr Graf Kalckreuth fragt, ob die Verhandlungen mit Holland und Schweden stattfinden auf Grund des erhöhten Zolltarifs und ob an den autonomen Zöllen unbedingt festgehalten wird oder ob sie Gegenstand des Außenhandelns werden. Wenn das letztere der Fall ist, so besteht die Gefahr, daß von mehreren Ländern, die die Meistbegünstigung haben, der eine das herunterhandelt, was der andere nicht herunterhandeln konnte, und daß dann beiden Ländern gleichmäßig die wechselseitig ausgehandelten Vergünstigungen zugute kommen.

Herr Reichsminister Freiherr von Braun erklärt, daß die Hauptpositionen autonom bleiben.

Herr Lind empfiehlt, daß besonders auf den Zollschutz gegen die Einfuhr von Ölsaaten Rücksicht genommen wird und betont deren Wichtigkeit.

Herr Reichsminister Freiherr von Braun erklärt, daß eine Möglichkeit besteht, die Einfuhr von Ölsaaten zu verhindern. Auf die Einzelheiten kann aber[213] bei der Kompliziertheit des Gegenstandes im Rahmen dieser Besprechung nicht eingegangen werden.

Herr von Rohr betont, daß im Vordergrunde die Produkte Milch und Butter stehen. Gelingt es hier, gute Preise zu erzielen, so ist die Landwirtschaft gerettet. Es muß aber schneller gehandelt werden. Ein Beimischungszwang für 15 000 Tonnen Butter genügt auch nicht. Es muß viel mehr Butter aus dem Markt genommen werden. Es gibt eine Reihe Familien, die aus Sparsamkeit jetzt Margarine essen, obwohl sie sich Butter leisten könnten. Wenn die Margarine teuerer wird, so werden diese Familien ohne weiteres zum Butterkonsum übergehen. Für die ärmere Bevölkerung muß es möglich gemacht werden, durch Einführung von Marken oder auf anderem Wege – das ist eine rein technische Frage – billigere Margarine zur Verfügung zu stellen.

Herr Reichsminister Warmbold: Ich habe meine Zustimmung zu den bis jetzt getroffenen Maßnahmen, insbesondere zu dem Butterbeimischungszwang und zu der Einfuhrsperre für Papierholz gegeben, ebenso zu der Einführung der autonomen Zölle, soweit die Lage der Handelsverträge das erlaubt. Diese Mittel reichen aber an sich nicht aus. Letzten Endes ist die mangelnde Kaufkraft der breiten Massen die Ursache der Absatzschwierigkeit für alle Produkte. Der Rückgang der Löhne bewirkt das niedrige Preisniveau. Die gesamte in Deutschland ausgeworfene Lohnsumme muß wieder wachsen. Dann wird insgesamt die Wirtschaft und damit auch die Landwirtschaft wieder zu besserem Zustand gelangen.

Herr Tönnsen betont nochmals die Dringlichkeit des Vollstreckungsschutzes für Schleswig-Holstein.

Der Herr Reichskanzler erklärt, ein genereller Vollstreckungsschutz ist nicht möglich. Man muß zu Maßnahmen gelangen, die nicht das ganze Wirtschaftsleben zerstören in einem Augenblick, in dem sich eine Besserung anbahnt.

Herr von Sybel weist darauf hin, daß der von Herrn Reichsminister Freiherr von Braun ausgeführte Unterschied zwischen Immobilien und Mobilien von den Gerichtsvollziehern nicht eingehalten wird und daß die Gerichtsvollzieher in vielen Fällen das Vieh pfänden. Auch er betont, daß wir zunächst der Landwirtschaft einmal die Möglichkeit eines augenblicklichen Aufatmens geben müssen, wenn das auch eine rohe Maßnahme ist. Diese Maßnahme soll ja auch nur für ein Vierteljahr in Kraft treten. Die Zeit ist zu knapp, um die von dem Herrn Reichskanzler für erforderlich gehaltenen Verfeinerungen auszuarbeiten.

Der Herr Reichskanzler führt aus, daß er heute eine Zusage wegen des Vollstreckungsschutzes unmöglich geben kann.

Der Herr Reichspräsident: Wir dürfen heute nicht auseinandergehen, ohne daß etwas Praktisches erreicht ist. Ich bitte, das ohne Empfindlichkeit aufzunehmen. Es ist meine Pflicht und mein Recht, darauf zu bestehen.

Der Herr Reichskanzler erklärt, daß die Frage des Vollstreckungsschutzes bereits morgen in kleinem Kreise unter Zuziehung der Herren Fachminister (Reichsjustiz- und Reichsfinanzminister) besprochen werden soll15.

15

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 57, P. 5.

[214] Herr von Sybel fragt, ob schon jetzt vertraulich Kenntnis gegeben werden kann von der Höhe der neuen Zollsätze.

Der Herr Reichskanzler warnt dringend vor dieser Bekanntgabe im eigenen Interesse der Landwirtschaft angesichts der zu erwartenden Agitation wirtschaftlich gegenteilig interessierter Kreise.

Es folgt noch eine kurze Aussprache über einzelne Positionen, Häute, Felle, Gemüse.

Der Herr Reichspräsident dankt den Herren für die Aussprache und spricht die Hoffnung aus, daß eine Annäherung und eine Verständigung erreicht ist, die im Interesse des Vaterlandes, für das wir alle arbeiten, dienen möge. Er ersucht um Bericht im Laufe des morgigen Tages über das Ergebnis der Besprechungen betreffend den Vollstreckungsschutz. Darauf schließt der Herr Reichspräsident die Sitzung.16

16

Kurz nach dieser Besprechung erhält die RReg. Kenntnis von einer Entschließung, die der Bundesvorstand des Reichslandbundes am Vormittag noch vor dem Empfang durch den RPräs. gefaßt und der Presse übergeben hatte. Darin hieß es u. a.: „Die Verelendung der deutschen Landwirtschaft, insbesondere der bäuerlichen Veredelungswirtschaft, hat unter Duldung der derzeitigen Regierung ein selbst unter einer rein marxistischen Regierung nicht für möglich gehaltenes Ausmaß angenommen. Die Ausplünderung der Landwirtschaft zugunsten der allmächtigen Geldbeutelinteressen der international eingestellten Exportindustrie und ihrer Trabanten dauert an. Seitens der Reichsregierung hört die Landwirtschaft im wesentlichen nur Rundfunkreden und inhaltlose Formulierungen, denen trotz längst vorhandener sachlicher Möglichkeiten entsprechende Taten nicht gefolgt sind. […] Durch das bisherige Versagen in den lebenswichtigen Fragen der Agrarpolitik werden auch die vom Herrn Reichskanzler aufgestellten Ziele der Arbeitsbeschaffung und Siedlung zu reinen Illusionen. Die bisherige Betätigung der Reichsregierung wird daher auch den wiederholten Aufträgen, die der Herr Reichspräsident erteilt hat, nicht gerecht.“ (Zitat nach dem zu den Akten genommenen Ausschnitt aus der „Deutschen Zeitung“ vom 12.1.1933 in: R 43 II /192 , Bl. 32). Der RK veranlaßt daraufhin noch am Abend des 11. 1. eine amtliche Verlautbarung, in der es u. a. heißt: „Nach der Sitzung wurde bekannt, daß der Vorstand des Reichslandbundes bereits vorher eine Entschließung gefaßt und der Presse übergeben hatte, die in demagogischer Form sachlich unbegründete Angriffe gegen die Reichsregierung enthielt. Die Entschließung ist weder dem Herrn Reichspräsidenten noch der Reichsregierung vor der Besprechung bekannt geworden. Wäre dies der Fall gewesen, so würde der Herr Reichspräsident von einem Empfang des Reichslandbundes abgesehen haben. Die Reichsregierung wird sich durch diese illoyale Handlungsweise des Vorstandes des Reichslandbundes davon nicht abbringen lassen, alles sachlich Mögliche für die Landwirtschaft zu tun. Sie sieht sich jedoch gezwungen, von jetzt an Verhandlungen mit Mitgliedern des Vorstandes des Reichslandbundes abzulehnen.“ (WTB-Meldung Nr. 68 vom 12.1.1933; R 43 I /1277 , Bl. 323). Da der Reichslandbund in der „Deutschen Zeitung“ verbreiten läßt, die Erklärung der RReg. sei insofern unwahr, als die Vorstandsentschließung dem RK bereits während des zweiten Empfangs beim RPräs. bekanntgegeben worden sei, betont StS Planck am 12.1.1933 in einer aufgrund presserechtlicher Vorschriften zu veröffentlichenden Richtigstellung: „Weder der Reichskanzler noch ein anderes Mitglied der Reichsregierung hat vor oder während der Besprechung mit dem Vorstand des Reichslandbundes von dem Wortlaut der Entschließung des Vorstandes Kenntnis erhalten.“ (R 43 II /192 , Bl. 30).

Der Reichslandbund antwortet am 12. 1. mit einer weiteren Erklärung, in der alle bisherigen Beschuldigungen gegenüber der RReg. ausdrücklich aufrechterhalten und die Äußerung der RReg. abgetan wird „als ein Versuch, sich der Verantwortung, die die Reichsregierung gegenüber dem landwirtschaftlichen Berufsstande hat, zu entziehen, um im Dunkel der Regierungskonklaven ihren bisherigen verhängnisvollen wirtschaftspolitischen Weg fortzusetzen“. Der angekündigte Abbruch der Beziehungen sei lediglich ein Beweis dafür, „daß die Reichsregierung den Notruf des Landvolkes nicht hören will oder völlig die wahre Sachlage verkennt“ (Abschrift, von StS Meissner dem StSRkei am 17.1.1933 übersandt; R 43 II /192 , Bl. 105–108). Daneben versucht das Präsidium des Reichslandbundes in einem Schreiben vom 12.1.1933 gegenüber dem RPräs. einzulenken: „Das Präsidium bittet den Herrn Reichspräsidenten, die Versicherung entgegennehmen zu wollen, daß der Bundesvorstand des Reichslandbundes bei seinem Vorgehen lediglich von seinem Verantwortungsbewußtsein und Pflichtgefühl gegenüber den ohne eigene Schuld der Verzweiflung und Not preisgegebenen Berufsgenossen geleitet worden ist. Wenn die Vertreter des Bundesvorstandes nicht auf die zuvor gefaßte und veröffentlichte Entschließung des Bundesvorstandes ausdrücklich hingewiesen, sondern sich auf die Wiedergabe der darin zum Ausdruck gebrachten Gesamteinstellung beschränkt haben, so geschah dies ohne Nebenabsicht. Der von der Reichsregierung dem Bundesvorstand gemachte Vorwurf der Demagogie und Illoyalität muß als unbegründet zurückgewiesen und der von der Reichsregierung beschlossene Abbruch der Beziehungen als durch den tatsächlichen Hergang nicht begründet empfunden werden.“ (Abschrift, vom Büro des RPräs. dem StSRkei am 13.1.1933 übersandt; R 43 II /192 , Bl. 63 f.). In einem formellen Antwortschreiben an das Präsidium des Reichslandbundes vom 17.1.1933 drückt der RPräs. seine Hoffnung aus, „daß die heute von ihm vollzogene, die Verlängerung und Ausdehnung des Vollstreckungsschutzes enthaltende Verordnung zur Beruhigung der Landwirtschaft beitragen wird“ (Abschrift; R 43 II /192 , Bl. 109). – Weitere Materialien zum Konflikt zwischen der RReg. und dem Reichslandbund in: R 43 II /192  sowie unter Einbeziehung weiterer Erklärungen und Stellungnahmen in: Schultheß 1933, S. 11–14. Zum Fortgang s. Dok. Nr. 53 und 59, P. 2.

Dauer der Besprechung: 1½ Stunden.

Extras (Fußzeile):