2.119.1 (wir1p): [Erweiterung der Koalition]

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[Erweiterung der Koalition1]

1

Siehe Dok. Nr. 115, Anm. 7.

Abg. Keil führt aus, daß dem Zusammenbruch der Mark eine Teuerungskatastrophe folgen werde; die Finanzprobleme würden dadurch für die Sozialdemokratie noch schwieriger. Sie könne auf keinen Fall auf ein wirksames Opfer der leistungsfähigen Schichten verzichten, wenn sie gleichzeitig für große Belastungen der breiten Masse, wie durch die Umsatzsteuer und die Kohlensteuer, eintreten solle. Das angebotene Opfer der Industrie2 sei noch nicht klar. Auch er sei dafür, diese Aktion mit allen Mitteln zu fördern. Soweit aber ein Ausfall bei der Industrieaktion eintrete, müßte eine Erfassung der Sachwerte dafür eintreten. Er denke hier an einen Anteil des Reichs an dem Grundkapital der Industrie von beispielsweise 25% des Börsenwertes. Zu einem entsprechenden Betrage müßten die übrigen Handels- und Gewerbebetriebe herangezogen werden. Die Landwirtschaft könne durch eine Grundsteuer zum Opfer herangezogen werden, deren Grundlage die Veranlagung zum Wehrbeitrag bilden könne. Für die Anrechnung solcher Leistungen auf künftige dauernde Steuern könne die Sozialdemokratie nicht eintreten, weil sonst kein Opfer vorläge.

2

Siehe Dok. Nr. 115, Anm. 1.

Der Reichskanzler betont, daß die kommenden Steuern3 unter keinen Umständen die Veranlagung zur Einkommenssteuer verzögern dürften. Der Abg. Keil habe an eine Verknüpfung der Industrie-Kreditaktion mit einer Erfassung der Sachwerte gedacht. Hiervon rate er dringend ab; denn, wenn man dies gesetzlich festlege, so würde die Kreditaktion scheitern. Man könne statt dessen vielleicht an eine nochmalige Erhebung des Notopfers von den Erwerbsgesellschaften denken, worauf dann eventuell Vorleistungen in Gold angerechnet werden könnten.

3

Siehe Dok. Nr. 82, Anm. 1.

Abg. Keil: Er schätze ebenso wie der Reichskanzler die politische und finanzielle Wirkung der Industrieaktion sehr hoch ein; sie solle auch durch die Erfassung der Sachwerte nicht beeinträchtigt werden. Wenn der Kanzler aus diesem Grunde die Erfassung der Sachwerte zurückstelle, und die Sozialdemokratie genötigt sei, das gleiche zu tun, dann bliebe ihr nur übrig, in gleicher Weise die Verbrauchssteuern zurückzustellen. Als eine vordringliche Maßnahme müsse er noch die Verschärfung der Börsensteuer verzeichnen.

[331] Abg. Herm. Müller: Die Wichtigkeit der Industrieaktion sei von den sozialdemokratischen Mitgliedern des Interfraktionellen Ausschusses in ihrer Fraktion stark betont worden. Er sei auch der Ansicht, daß die Industrieaktion nicht gestört werden dürfe. Für zweckmäßig halte er, den Erfolg der Industrieaktion abzuwarten und erst dann an die Regierungsumbildung zu gehen. Die Majorität seiner Partei sei nicht gewillt, die Verbrauchssteuern anzunehmen, bevor Klarheit über die Industrieaktion und die Besitzsteuerprojekte herrsche.

Abg. Dr. Hugo: Die Kreditaktion der Industrie müsse eine Angelegenheit der Wirtschaft bleiben, sie sei für eine innerpolitische Debatte ungeeignet. Er könne versichern, daß die Industrie den Plan ernsthaft durchführen wolle. Die Erfassung der Sachwerte, von der der Abgeordnete Keil gesprochen habe, könne eine Ultima ratio nur für den Fall sein, daß man zu einem außenpolitischen Accord in der ganzen Reparationsfrage käme. Mit einer Verschärfung der Börsensteuer und ihrer Erfassung unmittelbar an der Börse sei seine Partei einverstanden.

Abg. Dr. Petersen stimmt dieser letzten Auffassung für seine Partei zu. Auch er sei der Ansicht, daß wir auf die Dauer um einen Eingriff in die Substanz nicht herumkämen, aber mit dem Abg. Dr. Hugo meine er, daß dies erst dann geschehen könne, wenn wir damit über das ganze Reparationsproblem hinwegkämen. Einen Eingriff in die Substanz im jetzigen Moment mache seine Partei nicht mit. Käme aus diesem Grunde eine Einigung über das Steuerprogramm nicht zustande, so müsse die Regierung auseinander gehen.

Staatssekretär Hirsch: Er sei von seinem Minister beauftragt, die Ausführungen des Abg. Keil zu unterstützen. Von seinem persönlichen Standpunkt müsse er bemerken, daß er eine Zurückstellung der Verbrauchssteuern für außerordentlich gefährlich halte. Vielleicht sei es möglich, zwischen dem Standpunkt des Kanzlers und dem des Abg. Keil einen Mittelweg etwa in der Richtung zu finden, daß die Parteien sich verpflichten, für den Fall, daß durch die Kreditaktion eine bestimmte Summe bis zu einem bestimmten Termin nicht aufgebracht werde, eine ergänzende Vorlage zur Sachwerterfassung zu machen. Die Landwirtschaft müsse seines Erachtens gesondert herangeholt werden, vielleicht durch eine Grundsteuer in mäßigen Grenzen. Diese könne durch eine Vorauszahlung auf 10–15 Jahre komprimiert werden.

Der Reichskanzler ist der Ansicht, daß das Grundsteuerproblem nur gemeinsam mit dem Steuerprogramm von Reich, Ländern und Gemeinden angefaßt werden könne.

Abg. Spahn: Er bedaure, daß man heute nicht weitergekommen sei. Er halte eine Erweiterung der Koalition in den nächsten Tagen für nötig.

Abg. Dr. Petersen ist der gleichen Ansicht. Es wird beschlossen, die Beratung am 21. Oktober nachmittags 6 Uhr im Reichstag4 fortzusetzen.

4

Protokoll in R 43 I nicht ermittelt.

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