1.114.1 (wir2p): Reparation. – Kohlenfrage.

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Reparation. – Kohlenfrage.1

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Auf die dt. Note an die Repko vom 12.7.1922, mit der die dt. Reg. um ein neues Moratorium nachgesucht hatte (siehe Dok. Nr. 314 Anm. 5), stand eine endgültige Antwort noch aus. Die Londoner Konferenz der Alliierten vom 7.8.1922, an der Lloyd George, Poincaré, Schanzer, Theunis und Hayashi teilgenommen und über ein Moratorium für Deutschland beraten hatten, war am 14.8.22 ergebnislos abgebrochen worden (zum Verlauf der Verhandlungen siehe Übersetzung der Quellen und Urkunden aus Europe Nouvelle, 5. Jg. Nr. 33 vom 19.8.1922, S. 1046 ff. in R 43 I /30 , Bl. 182-188). Die Entscheidung über das Moratoriumsgesuch war damit an die Repko zurückgefallen, die zunächst Bradbury und Mauclère vom 18. 8. bis 25. 8. zu Verhandlungen nach Berlin entsandte. – Schon auf der Konferenz von London hatte Poincaré versucht, den Gedanken, die Gewährung eines Moratoriums von einem Zugriff auf ‚produktive Pfänder‘ (Staatsforsten und -gruben) abhängig zu machen, durchzusetzen versucht; die Delegierten der Repko sollten sich über die Haltung der dt. Reg. zu einer Politik der produktiven Pfänder informieren (siehe Bergmann, Reparationen, S. 178 ff.).

Der Reichskanzler In seiner gestrigen Unterhaltung mit Bradbury und Mauclère hätten diese mehrfach erwähnt, daß es für Poincaré leicht sei, „manquements volontaires“ festzustellen, insbesondere bei den Kohlenlieferungen. Er bitte um Auskunft, ob bei der Kohle eine solche Feststellung erfolgt sei.

Staatssekretär von Simson: Dies sei nur in Spa geschehen2.

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Siehe RT-Drucks. Nr. 187 , S. 17 f. und S. 67, Bd. 363.

Der Reichskanzler Die Herren der Reparationskommission hätten besonders von dem Feinkoks gesprochen. Der Herr Reichskohlenkommissar möchte ihm bis heute nachmittag eine übersichtliche Aufstellung über die Lage der Kohlenlieferungen geben3.

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Das Begleitschreiben des RKom. für die Kohlenverteilung vom 23.8.22 zu den ihm „aufgetragenen Notizen über die Kokskohlenlieferungen und die Pfänder“ trägt den handschriftlichen Vermerk Kempners „Anlage hat der Herr Reichskanzler entnommen“. (R 43 I /30 , Bl. 174). Anlagen in R 43 I nicht ermittelt.

Reichsminister Dr. Hermes: Er habe gestern zwei Stunden mit Bradbury und Mauclère verhandelt. Hierbei habe Bergmann den Gedanken in die Erörterung geworfen, evtl. ein Pfand für das Minus an Kohle- und Holzlieferungen zu geben4. Er, Hermes, habe sich überrascht gestellt und alle Vorbehalte gemacht.[1041] Die Gegenseite hätte sich hierzu mit großer Reserve geäußert. Bradbury habe darauf hingewiesen, daß Poincaré dauernde Garantien haben wolle. Er habe es darauf für unmöglich erklärt, ein Moratorium von 4 Monaten gleichzeitig mit einer so weitgehenden Frage wie dauernde Garantien zu diskutieren, und den Herren anheimgestellt, sich den Bergmannschen Gedanken zu überlegen.

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Schon in einer Ressortbesprechung am 22.8.22, 10 Uhr im RFMin. unter Vorsitz von Hermes war der Gedanke der produktiven Pfänder aufgetaucht. In der genannten Besprechung hatte Hermes zunächst laut Protokoll ausgeführt: „In der gestrigen Besprechung, die zwischen ihm und Staatssekretär Bergmann einerseits und Bradbury und Mauclère andererseits stattgefunden habe, sei von der Gegenseite angedeutet worden, daß es drei mögliche Wege gäbe: 1. Verständigung über produktive Pfänder wie Forsten und Gruben, – 2. eine andere Garantie an Stelle von Forsten und Gruben, – 3. eine völlig andere Regelung, Zahlung in anderer Form. – Er, Hermes, habe erklärt, daß eine Verpfändung der Forsten und Gruben nicht in Frage komme. Bradbury habe dann den Gedanken hineingeworfen, eine Garantie für das Minus an Holz- und Kohlenlieferungen zu bieten. Er habe auf die Position Poincarés hingewiesen, der etwas Reales haben müsse. – Er sehe im ganzen die Lage als ernst an und bitte um die Ansichten der Herren. Seines Erachtens müsse unser Ziel sein, aus den Leistungen für dieses Jahr herauszukommen. […] Staatssekretär Bergmann: Evtl. könne man ein Pfand in Devisen anbieten. Dies sei noch immer besser als ein Pfand in Goldmark. Für das Manko in Holz und Kohle würden 50 Millionen Goldmark wohl reichen. Auch er sei der Ansicht, daß wir mit dem Gedanken der Forsten und Gruben unter keinen Umständen kommen dürften. Er fürchte aber, daß die Gegenseite dies tun werde. Letzten Endes könnten wir vielleicht anbieten, daß Deutschland die Erträgnisse in Papiermark zur Verfügung stellen wolle, die die fiskalischen Gruben und Forsten in den letzten 5 Monaten des Jahres brächten. Diese Papiermark könnten in Devisen umgewandelt werden. Aber dieser Vorschlag könne nur unsere allerletzte Zuflucht sein. – Minister Dr. Hermes: Auch dies müsse in den Verhandlungen zunächst ausscheiden. Als allerletzten Vorschlag könne man es dann später in Erwägung ziehen.“ (R 43 I /30 , Bl. 166 f.).

Der Reichskanzler Die Frage der Pfänder stände mit der innerpolitischen Lage in engstem Zusammenhang. Diese ließe die Bestellung von permanenten Pfändern nicht zu. Er habe den Herren der Reparationskommission eröffnet, er sei auf das äußerste überrascht, daß dies neue Moratorium von neuen Garantien begleitet sein solle. Bei den Verhandlungen mit dem Garantiekomitee habe ihm Lord D’Abernon wiederholt gesagt, daß das Ergebnis dieser Verhandlungen die abschließenden Kontrollmaßnahmen darstellten. Man sehe hierin wieder die doppelte Politik Englands, denn Bradbury befolge in der Reparationskommission eine andere.

Reichsminister Dr. Hermes: Er habe den Herren gestern auch gesagt, daß die Regierung den deutschen Parlamentariern mitgeteilt hätte, die aus den Verhandlungen mit dem Garantiekomitee hervorgehenden Kontrollbestimmungen seien die abschließenden Festlegungen der Kontrolle. Er sehe die Lage als ernst an und werde heute offen sagen, daß er eine andere Diskussionsmöglichkeit als den Bergmannschen Gedanken nicht sehe.

Der Reichskanzler ersucht um Mitteilung der Kohlenlage, damit festgestellt werden könnte, auf welchen Betrag etwa ein Pfand für sie sich belaufen müsse.

Nach längerer Erörterung über diese Frage wird festgestellt, daß man mit einer Forderung von 1,725 Millionen Tonnen rechnen müsse, von denen wir bis zum Ende des Jahres mit mehr als 1 Million im Rückstand bleiben würden.

Reichskohlenkommissar Stutz weist darauf hin, daß wir alles täten, um möglichst viel polnische Kohle zu bekommen.

Staatssekretär von Simson ist hierüber überrascht, da diese Mitteilung im Gegensatz dazu stände, was ihm mehrfach von anderer Seite gesagt worden sei. Es würde von gewissen Mächten sogar behauptet, daß wir die polnische Kohle boykottierten. Wir müßten deshalb wenigstens eine Geste in dieser Beziehung machen; vielleicht könnte der deutsche Gesandte in Warschau in der Frage vermehrter Kohlenlieferung an die Polnische Regierung herantreten.

[1042] Über die Zweckmäßigkeit dieses Vorschlags herrscht Einverständnis.

Es wird dann die Frage erörtert, wie hoch das Pfand sich im ganzen belaufen müsse, und welche Gesamtverpflichtungen wir für den Rest des Jahres hätten. […]

Staatssekretär Dr. Hirsch: Er sehe die Pfandfrage nicht sehr schwer an. Man könnte schlimmstenfalls das Reichsbankgold verpfänden und dafür Devisen bekommen. Das Pfand für Holz würde allerdings mit Sicherheit verfallen. Im ganzen gesprochen könne er den Bergmannschen Gedanken einer Pfandbestellung nicht ablehnen.

Staatssekretär Dr. Müller erhebt Bedenken gegen die Pfandbestellung, weil man hierdurch dazu käme, die Sachleistungen wieder durch Gold abzulösen. Dies sei ein verhängnisvoller Schritt.

Der Reichskanzler teilt diese Bedenken und hält es auch für verhängnisvoll, das Gold der Reichsbank zu verpfänden. Er bittet den Staatssekretär Dr. Müller, seine geäußerten Bedenken ihm schriftlich zuzusenden5.

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In R 43 I nicht ermittelt.

Hierauf wurde die Besprechung geschlossen.

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