1.51.1 (wir2p): Pariser Verhandlungen.

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Pariser Verhandlungen.

Minister Dr. Hermes verliest das Telegramm des Staatssekretärs Bergmann, nach dem Abänderungen am Entwurf unserer Reparationsnote nicht möglich seien1.

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Wortlaut des Entwurfs der Reparationsnote siehe Dok. Nr. 278, Anm. 1; Wortlaut des Telegramms an Bergmann siehe Dok. Nr. 285, Anm. 6. Daraufhin drahtete Bergmann am 26.5.22 für Hermes aus Paris: „Delacroix bestätigte ausdrücklich, daß Reparationskommission jetzt eine definitive Entscheidung treffen würde. Auf dortiges Telegramm Nr. 435. Da ich Bradbury nicht erreichen konnte, wurde ich bei Delacroix vorstellig, daß noch dortiger Zusatz wegen höherer Gewalt in deutscher Erklärung aufgenommen werden soll. Er widerriet auf das Bestimmteste, damit vor die Reparationskommission zu gehen. Er sei auch persönlich scharf dagegen, da allgemeiner Eindruck dieses Zusatzes der sein würde, daß Deutschland sich eine Hintertür aus seinen Verpflichtungen offen halten wolle. Dies müsse Reparationskommission und Anleihekomitee schwer verstimmen und unheilvolle Wirkung haben. Im übrigen gelten die Ausnahmen der force majeure wie überall auch für die deutsche Verpflichtung. – Ich teile Ansicht von Delacroix und halte Bewilligung des Zusatzes für unmöglich. Ich verstehe übrigens dortiges Bedenken nicht, weil wir für die abzugebende Erklärung eine vollkommene Sicherung darin besitzen, daß die Verpflichtung geknüpft ist an die Voraussetzung 1. der ausreichenden Unterstützung durch äußere Anleihe, 2. der angemessenen Frist, innerhalb welcher die Anleihe kommen muß. – Bei der Auslegung der beiden Bedingungen haben wir mitzureden, und schließlich können wir jederzeit eine etwa angebotene Anleihe ablehnen, falls die deutschen Verhältnisse sich katastrophal entwickeln sollten. Die Anleihe würde dann eben zu spät, also nicht in angemessener Frist kommen. Weitere Schritte meinerseits würden schädlich und aussichtslos sein.“ (R 43 I /28 , Bl. 381).

Reichskanzler Er müsse feststellen, daß Ziel und Sinn unserer Instruktionen an Bergmann nicht ausgeführt worden seien. In dem Telegramm sei auch nicht angegeben, ob er weitere Versuche gemacht habe, Bradbury zu sprechen. Die Unterredung mit Delacroix hätte nicht zum Ziel führen können. Er bedauere diese Tatsache sehr.Vielleicht hätte Bergmann den Ernst der Situation nicht voll gewürdigt.

Was in Paris vorgegangen sei, sei nicht nur ein Voreinvernehmen, sondern ein Pakt; denn sonst sei die Stellungnahme Delacroix’ nicht verständlich, nach der jeder Zusatz zum Notenentwurf unmöglich sei. Er habe auch auf mögliche Verstimmungen im Anleihekomitee hingewiesen, also auch dies spreche dafür, daß eine weitere Fühlungsnahme erfolgt sei. Es scheine demnach, als sei das Kabinett nicht vollständig ins Bild gesetzt worden.

Er, der Kanzler, habe die so entstandene Lage des Kabinetts heute mit einzelnen Ministern und Parteiführern durchgesprochen. Dabei sei die einhellige Auffassung zutage getreten, daß eine politische Krise heute zur Katastrophe führen würde. Er, der Kanzler, könne die Verantwortung für diese Situation[840] rein persönlich nicht tragen; andererseits könne er es noch weniger verantworten, die Anleiheverhandlungen zu zerstören. Er werde im Auswärtigen Ausschuß seine Stellungnahme und seine Gründe darlegen. Die Stellung des Kabinetts nach außen müsse einheitlich sein, und zwar dahingehend, daß der Reichstag sich auf den Boden der Note stellen solle. Hiermit sei die im Kabinett entstandene Kontroverse erledigt; aber wir müßten aus der hierbei entstandenen Atmosphäre herauskommen, und es müsse klargestellt werden, wer die verfassungsrechtliche Verantwortung zu tragen habe. Hier müsse eine Linie gefunden werden. Es sei deshalb ein unbedingtes einheitliches Zusammenwirken bei den Pariser Verhandlungen jetzt erforderlich. Der Reichskanzler, das Auswärtige Amt und das Reichsfinanzministerium müßten eine gemeinsame Besprechung über die künftig einzuhaltende Politik abhalten.

Minister Dr. Hermes: Er sei vollständig einverstanden, daß die in Rede stehenden schwierigen Fragen im völligen Einvernehmen zwischen den drei vom Kanzler genannten Faktoren behandelt würden. Was das Finanzministerium anlange, so habe es auch bisher hieran nicht gefehlt. So habe er in Genua mit dem Minister Rathenau gesprochen und seine Auffassung eingehend dargelegt2. Da das Kabinett seiner Pariser Reise zugestimmte hatte3, so mußte in Paris über konkrete Dinge gesprochen werden. Er habe Besprechungen nur mit den einzelnen Mitgliedern der Reparationskommission gehabt und dem Kabinett volle Entschlußfreiheit gewahrt.

2

Vgl. dazu Vermerk Rathenaus vom 25.4.22 in Dok. Nr. 259 Anm. 8.

3

Siehe Dok. Nr. 269, P. 1.

Staatssekretär Bergmann habe in Paris in aufopfernder und hingebender Weise Hervorragendes gewirkt. Es sei Bergmann nicht möglich gewesen, an Bradbury heranzukommen, er bitte daraus keine Folgerungen zu ziehen. Sicher habe er alles getan, um den gewünschten Zusatz in die Note zu bringen.

Mit aller Entschiedenheit müsse er sich gegen den Vorwurf verwahren, daß er mangelhaft berichtet habe4. Das Kabinett müsse sich jetzt einfach entscheiden, ob es der Note zustimme oder nicht.

4

Siehe Dok. Nr. 272, Dok. Nr. 273, Dok. Nr. 275, Dok. Nr. 276 und Dok. Nr. 283.

Minister Dr. Hermes verliest weiter das Telegramm Bergmanns vom 25. Mai 1922, nach dem der Rapallo-Vertrag die Anleiheverhandlungen erschwere5.

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In R 43 I nicht ermittelt; zur Stimmung im Anleihekomitee siehe auch Bergmann, Reparationen, S. 168 f.

Was die Erklärung des Reichskanzlers im Auswärtigen Ausschuß betreffe, so könne sie selbstverständlich nur rein sachlichen Inhalt haben. Wenn sie den Anschein einer Desavouierung seiner Person trüge, so sei er gezwungen, hieraus für seine Person die Konsequenzen zu ziehen.

Reichskanzler Er sei überzeugt, daß Bergmann und alle anderen gut gearbeitet hätten, aber auch der Beste könne der Kritik unterliegen. Das Telegramm Bergmanns vom 25. Mai beweise nichts gegen seine, des Kanzlers, Auffassung. Daß die Bankiers der Welt Gegner des Rapallo-Vertrages seien, sei natürlich. Es liege hier einfach eine neue französische Intrige vor.

Es liege ihm fern, den Minister Hermes im Ausschuß zu desavouieren, er[841] werde nur sagen, daß er seine schweren Bedenken gegen die Note zurückgestellt habe. Minister Hermes habe gestern seine Politik vertreten. Dies könne er heute fortsetzen, er mache ihm darin keinerlei Schwierigkeiten.

Minister Dr. Hermes: Staatssekretär Bergmann könne beauftragt werden, bei der Übergabe der Note nochmals mündlich zu unterstreichen, daß für den Fall der höheren Gewalt selbstverständlich Vorbehalte gemacht seien.

Minister Dr. Rathenau: Im Ausschuß könnten möglicherweise Wünsche auf Abänderung der Note laut werden. Er bäte, diesen nicht stattzugeben, man müsse hierin starr bleiben. Im Ausschuß dürfte man nicht in die Details gehen, sondern die Zügel zusammenraffen [sic] und nötigenfalls betonen, daß es sich um schwebende diplomatische Verhandlungen handele.

Wenn der Ausschuß die Reparationsfrage Montag im Plenum verhandeln wolle, so müsse man dies ablehnen. Ein Reichstag, der Vertrauen zum Kabinett habe, dürfe in die schwebenden Verhandlungen nicht eingreifen. Habe er dies Vertrauen nicht, dann solle er andere Männer wählen.

Reichskanzler Der Ausschuß kenne die Einzelheiten der Note. Der Ausgang der heutigen Debatte würde für die Regierung eine genügende Basis für Absendung der Note sein. Im Plenum müßte man, wie Minister Rathenau es vorgeschlagen habe, versuchen zu erklären, daß die Regierung zu schwebenden Verhandlungen keine Stellung nehmen könnte6.

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Am 29.5.1922 gibt der RK eine Erklärung zur Genuakonferenz ab, in der er ausdrücklich betont, zu den Parisverhandlungen nicht Stellung nehmen zu können (RT Bd. 355, S. 7673 ). In der Aussprache über diese Erklärung am 30.5.1922 spielt die vom 28.5.1922 datierte Note der dt. Reg. an die Repko trotzdem eine Rolle (RT Bd. 355, S. 7704  ff.).

Vizekanzler Bauer: Auch er sei dafür, auf die Tagesordnung des Plenums nur Genua zu setzen. Man könne aber die Opposition nicht verhindern, auch zur Reparation zu sprechen. Er stimme der Auffassung des Ministers Rathenau zu.

Minister Dr. Rathenau: Wenn die Regierungsparteien sich zur Reparationsfrage äußerten, so könne möglicherweise die Reparationskommission rückfragen, wie die Regierung sich zu diesen Äußerungen stelle. Dies sei gefährlich und müsse deshalb verhindert werden.

Minister Dr. Hermes: Man könne hierüber auch mit den Oppositionsparteien sprechen. Er persönlich sei bereit, mit der Volkspartei und der Deutschnationalen Volkspartei zu reden.

Der Reichskanzler ist hiermit einverstanden, hält es aber für besser, mit der Deutschnationalen Volkspartei nicht zu sprechen.

Der Reichskanzler bittet, daß die beteiligten Ressorts alle ihnen zugehenden Nachrichten mit größter Beschleunigung austauschten, denn es müsse alles vermieden werden, was Anlaß zu neuen Anständen geben könne. Er würde dies den Ressorts noch schriftlich mitteilen. Im übrigen hoffe er, daß es gelingen werde, Morgan und Kindersley nach Berlin zu bringen.

Minister Dr. Hermes erklärt noch, daß er der Note einen Plan für den neuen Etat beilegen werde, den er heute den Ressorts zuschicke7.

7

Die Note wird am 28.5.1922 übergeben (Wortlaut und Anlagen siehe RT-Drucks. Nr. 4484 , S. 9, Bd. 374).

Hierauf wird die Sitzung geschlossen.

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