2.28.6 (cun1p): 7) Reparation.

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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Text

RTF

7) Reparation.

Der Herr Reichskanzler unterrichtete die Herren Kabinettsmitglieder über die in der Reparationsfrage in den letzten Tagen unternommenen Schritte (Verhandlungen mit den Sachverständigen4 usw.). Er behielt sich vor, nach Konkretisierung[92] entsprechender Vorschläge diese im Kabinett nach Weihnachten zur Diskussion zu stellen. Auch machte er Mitteilung über stattgehabte bzw. noch beabsichtigte Besprechungen in dieser Frage mit den Parteiführern5 und den Gewerkschaften6, ferner über die vorgestern mit dem Präsidium des Reichsverbandes der Industrie getroffene Fühlungnahme, die im Interesse eines einigen Vorgehens notwendig gewesen sei7. In Frankreich sei anscheinend eine Wendung in der Reparationsfrage eingetreten, die zwar günstig scheine, es aber nicht sei. Die letzte Rede Poincarés im Senat mache seines Erachtens eine Erwiderung erforderlich8. Er wolle daher morgen in Hamburg vor dem[93] ‚Ehrbaren Kaufmann‘ sprechen und die Reparationsfrage vom wirtschaftlichen und finanziellen Standpunkt – nicht vom politischen – behandeln9.

Das Kabinett erklärte sich hiermit einverstanden.

Fußnoten

4

Am 13. und 16.12.22 hatten Sachverständigenbesprechungen im RFMin. stattgefunden (s. Dok. Nr. 24). Eine weitere Sachverständigenbesprechung fand am 21. 12. statt, worüber in R 43 I aber keine Unterlagen zu ermitteln waren. Dagegen findet sich in den Akten des RFMin. eine Aufzeichnung „Ergebnis der Sachverständigenbesprechung vom 21.12.22 (Mehrheitsvotum)“. Sie lautet:

„1. Die deutsche Wirtschaft befindet sich unter den zur Zeit gegebenen Bedingungen in fortschreitendem Verfall und ist infolgedessen zu irgendwelchen Leistungen bei Fortdauer der heutigen Zustände überhaupt nicht imstande.

2. Um diesen Verfall aufzuhalten und das Wirtschaftsinstrument wieder zu einem produktiven Körper mit Überschüssen zu machen, ist aus wirtschaftlichen und psychologischen Gründen die wirtschaftliche und politische Freiheit Deutschlands erforderlich. Diese wirtschaftliche und politische Freiheit ist nur zu erlangen nach Abgeltung aller wirtschaftlichen und finanziellen Belastungen aus dem Vertrage von Versailles. [Punkt 3 fehlt]

4. Diese Abgeltung kann nur erfolgen, u. E. auch mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Gläubigerstaaten, durch Zahlung einer bestimmten Summe (15 Milliarden).

5. Diese Summe ist begrenzt durch das Maximum einer Verzinsung (5%) und Amortisationsquote (1%), die Deutschland aufbringen kann und deren Höhe 900 Mio. GM jährlich nicht überschreiten soll.

6. Soll der Zweck erfüllt werden, so muß diese bestimmte Summe baldigst aufgebracht werden.

7. Die Aufbringung kann nur durch Aufnahme internationaler Anleihen erfolgen.

8. Für diese Anleihe wird die erste Hypothek auf die deutschen Eisenbahnen in erster Linie in Betracht kommen.

9. Welche Sicherheiten für diese Anleihe zu geben sein werden und für die Produktivität des Eisenbahnbetriebes seitens der deutschen Wirtschaft gegeben werden können, wäre Sache der Verhandlungen mit den Darlehnsgebern.

10. Ebenso wäre die Umgestaltung der internationalen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zum Gegenstand von Verhandlungen zu machen, ohne deren grundlegende Änderungen eine Produktivität nicht erreichbar ist. Endlich wäre die Frage der Aufbringung der Mittel für die Verzinsung und Amortisierung der Anleihe und die Stabilisierung der Mark zu erörtern.“ (R 2  /2912  und 2900 ). Dieses Mehrheitsvotum stimmt in wesentlichen Punkten überein mit einer Aufzeichnung „Zehn Punkte Stinnes“ (R 2 /1900 , gefunden in R 2 /2900 , Bl. 60 f.). Die Punkte 1 und 2 entsprechen beinahe wörtlich den Punkten 7 und 8 von Stinnes. Die Punkte 4 und 6, 5, 9, 10 finden ihre inhaltliche Entsprechung bei Stinnes in den Punkten 4, 5, 6, 9. Der einzige abweichende Punkt im Stinnes-Programm, der im Mehrheitsvotum völlig unberücksichtigt bleibt, ist Punkt 10: „Die aufeinander angewiesenen Industrien Frankreichs und Deutschlands (Kohle, Eisen- und Stahl-Verfeinerung in Deutschland, Eisenerz, Roheisen und Halbzeugprodukte in Frankreich) treten zwecks langfristigen Ausgleichs ihrer Interessen alsbald zusammen mit dem Endziel höchstmöglicher Produktivität für beide Teile.“ (R 2 /1900 , gefunden in R 2 /2900 , Bl. 60 f.).

5
 

Eine Besprechung mit den Parteiführern hatte stattgefunden am 16.12.22, 15 h. Neben Cuno, Hermes, v. Rosenberg, Becker und Bergmann waren als Vertreter der Parteien anwesend: Stresemann, Zapf, Westarp, Löbe, Breitscheid, Wels, Müller-Franken, Dittmann, Koch, Erkelenz, Petersen, Spahn, Marx, v. Guérard, Emminger, Lang. Eine Aktennotiz Kempners über diese Besprechung vermerkt in aller Kürze: „Herr Bergmann berichtete über seine Londoner Eindrücke. Der RK machte allen Anwesenden die Wahrung strengster Vertraulichkeit zur Pflicht.“ Etwas eingehender berichtet das handschriftliche, z. T. unleserliche Protokoll Kempners: „Bergmann berichtet über London. Delacroix in Paris hält Plan für sehr gut. In London verlesen. Poincaré sofort: unannehmbar! Mussolini dem angeschlossen. Genaues hierüber nicht bekannt. [… unleserlich] Ablehnung nur dem Scheine nach, sieht Italien mehr dafür. [… unleserlich] Gute Eindrücke. Also: Taktisch Erfolg überall, nur nicht bei Franzosen. Wiederaufnahme des Vorschlags ist möglich.“ Im folgenden einigen sich die Parteiführer darauf, daß der Auswärtige Ausschuß einstweilen nicht einberufen werden soll (R 43 I /33 , Bl. 210-212). Über weitere Besprechungen mit den Parteiführern fehlen Unterlagen. Nach Pressemeldungen fanden am 22. 12. vormittags informatorische Besprechungen des RAM, des RFM und des RWiM mit Parteiführern, gesondert nach Parteien, statt.

6

Die Besprechung mit den Gewerkschaften findet am 28.12.22 statt (Dok. Nr. 31).

7

Über die Fühlungnahme der RReg. mit dem Präsidium des RdI am 20. 12. waren Angaben in R 43 I nicht zu ermitteln.

8

Poincaré hatte in der Senatssitzung vom 21.12.22 laut WTB-Meldung u. a. erklärt, „Deutschland beharre bei seinem Fehler. Seine Magnaten der Großindustrie hätten sich auf Kosten des deutschen Volkes bereichert. Die Inflation sei in beträchtlichem Maße gestiegen und die wirtschaftliche und finanzielle Mißwirtschaft könne in Deutschland die beklagenswerteste Katastrophe nach sich ziehen. Deutschland habe vor allem zu niedrigen Preisen exportieren wollen und habe sich systematisch ruiniert, um der Reparationszahlung zu entgehen. […] Deutschland führe seine Verpflichtungen nicht aus, und der Zahlungsplan vom Mai 1921 sei zum toten Buchstaben geworden. […] Die Vergangenheit müsse mißtrauisch machen. Man müsse Deutschland einer effektiven Kontrolle unterwerfen. […] Deutschland habe Domanialgüter, auf die nach Artikel 248 des Friedensvertrages die Alliierten ein Privileg ersten Ranges besäßen. Dieses Privileg sei für ihn (Poincaré) eine konkrete Realität. Er werde von den Alliierten verlangen, mit Frankreich diese Pfänder zu nehmen oder Frankreich sie für gemeinsames Konto nehmen zu lassen.“ (R 43 I /33 , Bl.  321).

Die RReg. reagiert auf diese Rede Poincarés, indem sie am 23.12.22 durch WTB verbreiten läßt: „Keine der alliierten Mächte kann Reparationsansprüche für sich allein gegen Deutschland erheben; sie haben sich vielmehr zu diesem Zweck an die Repko zu wenden. Ebensowenig wie aber die einzelne Macht unmittelbar Reparationsansprüche erheben kann, kann sie für sich allein auch Zwangsmaßnahmen zur Durchführung dieser Ansprüche ergreifen.“ (Schultheß 1922, S. 152).

9

Der RK hält seine Rede in Hamburg am 31.12.22 (abgedruckt als Dok. Nr. 33).

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