2.198 (cun1p): Nr. 198 Der Reichskanzler an den Badischen Staatspräsidenten. 19. Juni 1923

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 7). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

Extras:

 

Text

RTF

[593] Nr. 198
Der Reichskanzler an den Badischen Staatspräsidenten. 19. Juni 1923

R 43 I /213 , Bl. 268 f. Ausfertigung1

[Betrifft: Sabotageakte im besetzten Baden]

Sehr geehrter Herr Staatspräsident!

Den Ausführungen Ihres gefälligen Schreibens vom 15. Juni2 liegen drei Vorfälle zugrunde:

1. Die sieben württembergischen Eisenbahner, die am 7. Juni festgenommen wurden, hatten in der Tat gewisse Aufträge, zwar nicht unmittelbar dienstlicher Art von der Generalbetriebsleitung West in Elberfeld, immerhin aber von einem amtlichen Vertrauensmann.

2. Die am 13. Juni verhafteten vier Leute, die Sie bezeichnen als den Reichswehrleutnant Weber, einen Kaufmann aus Mannheim und zwei Studierende aus Karlsruhe und München, hatten keine amtlichen Aufträge. Weber ist nicht Reichswehrleutnant. Er mag vormals Leutnant des Beurlaubtenstandes oder der Landwehr gewesen sein. Er hatte allerdings im Januar von einem Offizier des Reichswehrministeriums einen Ausweis erhalten.

3. Auch von den vier Studierenden aus Karlsruhe, die nach der in der Nacht vom 13. zum 14. Juni erfolgten Sprengung bei Windschläg festgenommen wurden, sind mir Beziehungen mit der Reichswehr oder mit anderen Organen des Reichs nicht bekannt geworden3.

Zur grundsätzlichen Frage darf ich bemerken: Störungs- und Zerstörungsunternehmungen an Bahnstrecken, die von den Franzosen unter Rechtsbruch besetzt sind und betrieben werden, sind bis zu einem gewissen Grade notwendige Begleiterscheinungen des passiven Widerstandes. Sie fließen aus der Stimmung der Eisenbahner, die ihrer Berufstätigkeit vom Feinde beraubt und wegen ihrer Weigerung, seinem Gewaltgebot zu dienen, von Haus und Heimat vertrieben sind. Darum ist es verständlich, daß auch die Spitzengewerkschaften[594] im Abwehrausschuß in Elberfeld wie in Berlin gewisse Akte der Störung als notwendige Begleiterscheinungen begriffen und billigten. Daß die Reichsbahnbehörde einen gewissen Einfluß auf diese nun einmal unvermeidbaren Dinge zu nehmen suchte, um Sinnlosigkeiten zu verhüten, ergab sich aus den Verhältnissen. Die Reichsregierung ist selbstverständlich über Einzelheiten nicht unterrichtet und will das auch nicht sein. Ihre Tätigkeit erstreckt sich vor allem dahin, sinnlose Akte, wie sie im Wegschießen einzelner Posten usw. liegen würden, zu verhindern.

Irgendwelche Absicht, solche Störungen bis zu einem Maße zu steigern, daß daraus eine Kriegsgefahr entstünde, bestand und besteht selbstverständlich bei keiner irgendwie verantwortlichen Stelle. Insbesondere liegen sie auch dem Reichswehrministerium und den militärischen Kommandostellen völlig fern. Es ist nicht richtig, daß die Reichswehr es zu militärischen Aktionen zu bringen wünschte. Gegen eine solche Annahme habe ich vielmehr den bestimmtesten Einspruch zu erheben, und zwar nicht nur, soweit es sich um den Reichswehrminister oder den Chef der Heeresleitung handelt, sondern auch für alle irgendwie maßgeblichen Kommandostellen im ganzen Reich4. In der Reichswehr ist man sich völlig klar darüber, was höchstens in vereinzelten Kreisen Rechtsradikalster verkannt wird, daß ein Krieg jetzt oder in nächster Zukunft das schwerste Unglück wäre, das Deutschland treffen könne. Es wäre auch ganz unrichtig, die Reichswehr mit innenpolitischen Umwälzungsbestrebungen in Zusammenhang zu bringen. Ich habe vielmehr allen Grund zu der bestimmten Überzeugung, daß die Führer der Reichswehr und mit ihnen die gesamten Truppen unbedingt zum Staate stehen, so wie er heute ist, und jeden Angriff auf ihn abwehren werden.

Bei der Reichsregierung wird nicht verkannt, daß Zerstörungsakte an der Reichsbahn nach den brutalsten Methoden der Franzosen zu schweren Bedrückungen der Bevölkerung führen und daß daher der ganze Einfluß der Behörden[595] entfaltet werden muß, alle sinnlosen und im ganzen genommen den deutschen Interessen schädlichen Akte zu hemmen. Es wird deshalb auch geschehen, was geschehen kann, um im badischen Lande solche Zerstörungsakte hintanzuhalten; hierin weiß ich mich eins mit Ihnen, wie ich das in unserer Aussprache bei meinem durch Ihre Freundlichkeit so schön verlaufenen Besuche in Karlsruhe feststellen konnte5.

Weiter ist die Reichsregierung bemüht, wilde Organisationen grundsätzlich fernzuhalten. Aber ich möchte dabei doch ein Wort dafür einlegen, die zu solchen Taten Bereiten nicht in Bausch und Bogen als gewissenlose, eigennützige Quertreiber zu betrachten, die unter allen Umständen moralisch zu verurteilen wären. Das würde der Gerechtigkeit nicht entsprechen, denn es ist nur zu leicht zu verstehen, daß in einem Volke, das so gepeinigt wird wie das deutsche, aus natürlichem Groll und Ingrimm Dinge entstehen, wie sie auch der Geschichte anderer Völker in Zeiten der Unterdrückung und Rechtlosigkeit nicht fremd sind. Und weiter erscheint es mir notwendig, daß aus außenpolitischen Gründen die Erörterung über solche Dinge mit äußerster Zurückhaltung und Diskretion geführt wird, sowohl bei der Polizei wie bei den Gerichten wie auch bei den politischen Regierungsstellen und Körperschaften6. Jedenfalls bitte ich versichert zu sein, daß die Reichsregierung, ihrer schweren außen- und innenpolitischen Verantwortung bewußt, sorglich alle Erfordernisse weiterhin abwägen wird. Was Baden anlangt, bin ich erfreut, daß Ihre und meine Gesichtspunkte sich örtlich im Ergebnis treffen und hiernach Baden weitere Belastung aus solchen Handlungen, soweit die Reichsregierung zu Einwirkungen in der Lage ist, nicht mehr zu befürchten haben wird7.

In ausgezeichneter Hochachtung bin ich Ihr sehr ergebener

Cuno

Fußnoten

1

Dieses Schreiben wurde nicht abgesandt. Am 26. 6. teilt Hamm dem bad. Gesandten Nieser mit, „daß der Herr RK Bedenken getragen hat und noch trägt, die Schreiben des Herrn StPräs. Remmele vom 15. 6. ds. Js. brieflich auf dem Postwege zu beantworten. Ich bin vielmehr beauftragt worden, dem Herrn StPräs. an einem der nächsten Tage die Antwort des Herrn RK zu überbringen.“ (R 43 I /725 , Bl. 21). Doch ist die Reise Hamms nach Karlsruhe anscheinend nicht zustande gekommen. Am 30. 6. übersendet MinR Wever dem in Berlin weilenden bad. Justizminister Trunk eine Abschrift des Schreibens und fügt hinzu: „Diesen Brief hatte der Herr Finanzminister Köhler neulich mitnehmen wollen; er lag auch bereit. Eine Aussprache mit dem Herrn RK wird sich nicht ermöglichen lassen. […] Der Herr StS bittet Sie, Herr Minister, mit Herrn Minister Brauns und Herrn Minister Heinze am Sonntag [31. 6.] Fühlung zu nehmen.“ (R 43 I /213 , Bl. 267). Neben der Ausfertigung finden sich in R 43 I /213 , Bl. 264-266 zwei Entwürfe des Schreibens, jeweils mit handschriftlichen Verbesserungen Hamms, der im 1. Entwurf auch zeichnen sollte.

2

Abgedruckt als Dok. Nr. 189.

3

Der 1. Entwurf lautete demgegenüber: „3. Die vier Studierenden aus Karlsruhe, die nach der in der Nacht vom 13. zum 14. Juni erfolgten Sprengung bei Windschläg festgenommen wurden, stehen ebenfalls mit der Reichswehr oder mit anderen Organen des Reichs außer jeglicher Fühlung, so wie auch Hauptmann a. D. Damm in Heidelberg in keinerlei Beziehungen zu Organen der RReg. steht.“

4

Geßler selbst schreibt am 22. 6. an Remmele: „Ihr mir in Abschrift zugesandtes Schreiben vom 15.6.23 an den Herrn RK ist mir unverständlich. Die mir unterstellten Behörden führen pflichtgemäß die Aufträge der RReg. aus. Der von Ihnen erwähnte Leutnant Weber ist kein aktiver Offizier. Die Folgerungen über die Haltung der Reichswehr entbehren daher jeder Grundlage, und mir bleibt nur übrig, mein tiefstes Bedauern auszusprechen, daß die Badische Regierung der neuen Wehrmacht des Reiches so wenig Verständnis entgegenbringt und ohne jeden Grund die politische Zuverlässigkeit der Truppe angreift. Welche Verbitterung es auslöst, wenn fortwährend die beschworene Pflichterfüllung in Zweifel gezogen wird, ist leicht zu ermessen.“ (R 43 I /213 , Bl. 270). Demgegenüber weist Remmele den RWeM mit Schreiben vom 27. 6. darauf hin, daß er aufgrund der Angaben Webers und seiner Verbindungen zum Wehrkreiskommando V sehr wohl zu derartigen Folgerungen kommen mußte. „Die Untersuchung gegen die Sprengkolonnen ist übrigens nunmehr an dem Punkte angelangt, von welchem aus man die Zusammenhänge klar erkennt. Die dabei gewonnene Erkenntnis erfüllt mich mit Sorge; sie ruft in mir Gefühle starker Empörung wach. Wenn neben der offiziellen Reichspolitik noch eine inoffizielle Politik gemacht wird, wenn, mit anderen Worten ausgedrückt, die offiziellen Erklärungen der RReg. in so abstrakter Weise ad absurdum geführt werden, dann ist das eine böse Sache. Keine Landesregierung kann solch einer Entwicklung der deutschen Politik interessenlos zusehen. Wohin übrigens die sinnlosen Sabotageakte führen, das läßt sich mit jedem Tag deutlicher erkennen. Die rechtsorientierten und die vorwiegend nur militärpolitisch eingestellten Kreise des deutschen Volkes sehen denn auch in der Entwicklung des Begriffes über den passiven Widerstand den Anfang zu einer militärischen Auseinandersetzung. Wie das andrerseits bei den erwerbstätigen Ständen politisch wirken muß, das kann jedermann in seinem Wirkungskreise selbst feststellen.“ (R 43 I /213 , Bl. 350 f.).

5

Am 11. 6. hatte der RK Karlsruhe besucht.

6

In ähnlicher Weise hatte Hamm dem bad. Gesandten Nieser am 26. 6. geschrieben: „Nun höre ich, daß das Ergebnis der Voruntersuchung vom Staatsanwalt bereits dem Gericht übergeben wurde. Bei der außerordentlichen Wichtigkeit, die der vorsichtigsten und diskretesten Behandlung dieser Angelegenheit aus außen- und innerpolitischen Gründen zukommt, darf ich Euer Exzellenz ergebenst bitten, in geeigneter Form den Wunsch der RReg. zu übermitteln, daß vor der Rücksprache, die ich im Auftrage des Herrn RK beim Herrn StPräs. erbitten werde, keine Festlegung und keine Veränderung der Sachlage erfolgen möge.“ (R 43 I /725 , Bl. 21). Kurze Aufzeichnung des bad. Generalstaatsanwalts über seine Ermittlungen, datiert vom 3. 7., in R 43 I /214 , Bl. 11.

7

Mit Schreiben vom 18. 6. informierte StS Hamm v. Haniel in München darüber, daß der bayer. Gesandte am 17. 6. den Wunsch der bayer. Reg. übermittelt hatte, mit Nachdruck auf die Freilassung der in Baden Verhafteten hinzuwirken. Im einzelnen erläutert Hamm: „Bei den versuchten Störungen in Baden handelte es sich um wilde Trupps, denen zumeist das Unterscheidungsvermögen darüber völlig abgeht, ob die Schädigung der französischen Interessen oder der deutschen überwiegt, die auch auf die örtliche stimmungspolitische Lage der Bevölkerung keine Rücksicht nehmen und häufig aus blindem Tätigkeitsdrang zu Akten kommen, die zwar moralisch nicht ohne weiteres verurteilt werden sollen, politisch aber häufig sinnlos und schädlich sind. Gleichwohl wird sich die RReg. bemühen, in Baden auf eine milde Beurteilung der Sachlage hinzuwirken und einer längeren Haftdauer, Gerichtsverhandlung usw. möglichst vorzubeugen. Ob dies gelingen wird, ist im Augenblick nicht zu sagen. […] Ich bitte, bei dieser Gelegenheit ferner zu bemerken, daß der Herr RVM nunmehr nach dem, was er aus der Pfalz gehört hat, zu der Auffassung gekommen ist, daß nach der Stimmungslage der dortigen Bevölkerung von Anschlägen auf Eisenbahnstrecken dort Umgang genommen werden soll und daß er in diesem Sinne Einfluß genommen hat. Im Anschluß hieran wird es wohl möglich sein, der Bayer. Reg. nahezulegen, daß wilde Sabotageakte und wilde Bandenbildungen zu großen außen-, aber auch innenpolitischen Gefahren für die Ruhrabwehr führen und daher mit allen Mitteln verständiger Einwirkung hintangehalten werden sollten.“ (R 43 I /224 , Bl. 14 f.). Am 24. 7. antwortet v. Haniel darauf „streng vertraulich“, daß er den Inhalt des Schreibens der bayer. Reg. mitgeteilt habe. „Über die Gründe, aus denen die hiesige Regierung an den Vorgängen in Baden besonderen Anteil nimmt, habe ich nichts Näheres in Erfahrung bringen können. Es scheint indessen mit ähnlichen Vorgängen in der Pfalz in Zusammenhang zu stehen. Auch bei meiner Unterredung wurde betont, daß die ‚wilden‘ Trupps, die in Baden die Störungen verursacht hätten, wohl kaum überzeugt seien, daß sie nicht im Sinne der Regierung gehandelt hätten. Es schienen vielmehr Zusammenhänge zwischen diesen Unternehmungen und Stellen der Reichswehr zu bestehen. Mit Befriedigung wurde davon Kenntnis genommen, daß in der Pfalz von Anschlägen auf Eisenbahnstrecken Umgang genommen werden solle. Denn die Bevölkerung der Pfalz fürchte, daß derartige Anschläge für sie nur neue Leiden und Bedrückungen zur Folge haben würden, die von den Erfolgen solcher Unternehmungen nicht aufgewogen würden. Auch die Bayer. Reg. sei der Auffassung, daß wilde Sabotageakte und Bandenbildungen mit allen Mitteln verhindert werden müßten.“ (R 43 I /224 , Bl. 113 und 2232, R 43 I /2232 , S. 611 f.). Zur Haltung der Bevölkerung im bes. Geb. vgl. Anm. 3 zu Dok. Nr. 195. Am 30. 6. protestiert auch der Hess. StPräs. Ulrich in einem Schreiben an die Rkei gegen Sabotageakte und schließt: „Es wird in weiten Kreisen des Volkes nicht verstanden, daß die RReg. nicht mit aller Deutlichkeit und in aller Form von den Taten der unverantwortlichen Elemente abrückt und damit den Ausstreuungen der Gegner, als ob offizielle Stellen mit den Sabotageakten in irgendeiner Verbindung stünden, der Boden entzogen wird.“ (R 43 I /214 , Bl. 20 f.).

Extras (Fußzeile):