1.27.1 (ma32p): 1. Frage der Aussetzung des Strafverfahrens wegen Hochverrats gegen kommunistische Reichstagsabgeordnete.

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1. Frage der Aussetzung des Strafverfahrens wegen Hochverrats gegen kommunistische Reichstagsabgeordnete1.

Der Reichsminister der Justiz trug den Sachverhalt vor. Er führte u. a. aus, daß gegen die kommunistischen Reichstagsabgeordneten Stoecker, Koenen, Hoernle, Heckert, Remmele und Pfeiffer wegen Vorbereitung zum Hochverrat im Jahre 1923 ein Strafverfahren eingeleitet worden sei, als sie noch nicht Abgeordnete gewesen seien. Dieses Strafverfahren sei auf Verlangen des Reichstags bis zum Ablauf der diesjährigen Sommersitzungsperiode des Reichstags ausgesetzt worden2. Eine große Anzahl Angeklagter sei wegen kleinerer Delikte unterdessen verurteilt worden und verbüße zur Zeit die verhängte Strafe. Fast alle Verurteilten hätten sich darauf berufen, daß sie auf Weisung der genannten kommunistischen Reichstagsabgeordneten gehandelt hätten. Wenn nun gemäß dem kommunistischen Antrag Nr. 3550 das Strafverfahren[843] gegen die genannten kommunistischen Abgeordneten weiter ausgesetzt werde3, dann ergebe sich der Zustand, daß die Delinquenten, die sich Geringeres zuschulden kommen ließen, ihre Strafen verbüßten, während die schwereren Verbrecher frei ausgingen. Als Reichsminister der Justiz müsse er daher die Auffassung vertreten, daß das Strafverfahren nunmehr durchgeführt werden müsse.

Die praktischen Schwierigkeiten seien allerdings groß. Ohne einen Erlaß eines Vorführungs- bzw. eines Haftbefehls werde man praktisch kaum weiter kommen, da die Abgeordneten wegen ihrer Immunität nicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung gezwungen werden könnten. Deshalb werde der Oberreichsanwalt4 die Zustimmung des Reichstags zum Erlaß eines Vorführungs- bzw. eines Haftbefehls erbitten. Nach seiner Auffassung müßten daher die Regierungsparteien sowohl den genannten kommunistischen Antrag ablehnen, als auch dem Antrag des Oberreichsanwalts auf Zustimmung zum Erlaß eines Vorführungs- bzw. eines Haftbefehls stattgeben. In diesem Sinne müsse den Regierungsparteien Bescheid gesagt werden.

Der Reichsminister des Auswärtigen stimmte den Ausführungen des Reichsministers der Justiz zu und wies insbesondere darauf hin, daß in keinem anderen Lande der Welt der Begriff der Immunität dermaßen mißbraucht werde wie in Deutschland.

Der Reichskanzler bat zu erwägen, daß vielleicht durch die Durchführung eines Strafverfahrens die verschiedenen Richtungen in der kommunistischen Partei wieder einander nähergebracht werden könnten. Auch sei zu berücksichtigen, daß die Delikte, deretwegen nun das Strafverfahren durchgeführt werden solle, schon längere Zeit zurücklägen. Bei Würdigung aller Umstände müsse er jedoch der Auffassung des Reichsministers der Justiz zustimmen.

Nach längerer Aussprache stimmte das Reichskabinett der Auffassung des Reichsministers der Justiz zu. Die Regierungsparteien sollen von dieser Stellungnahme des Reichskabinetts unterrichtet werden5.

Fußnoten

1

Zur Vorgeschichte siehe Dok. Nr. 6, Anm. 6.

2

Gemäß einem Beschluß des RT vom 13.11.26 (RT-Bd. 391, S. 8110  f.).

3

Die KPD-Fraktion hatte am 5.7.27 beantragt, die Strafverfahren bis zum Ende der Legislaturperiode auszusetzen (RT-Bd. 416 , Drucks. 3550).

4

Werner.

5

Am 9.12.27 beschloß der RT auf Antrag der Regierungsparteien, die Immunität der kommunistischen Abgeordneten Stoecker, Koenen, Hoernle, Heckert, Remmele und Pfeiffer bei Beginn der Sommerferien bzw. bei Schluß des RT aufzuheben und von diesem Zeitpunkt ab auch die Verhaftung oder Vorführung der Abgeordneten zu genehmigen (RT-Bd. 420 , Drucks. Nr. 3740 ; RT-Bd. 394, S. 11899  ff.).

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