1.65.1 (ma32p): [Steuerrahmengesetz, Besoldungsreform, Verhältnis des Reichs zu den Ländern.]

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[Steuerrahmengesetz, Besoldungsreform, Verhältnis des Reichs zu den Ländern.]

Der Reichskanzler eröffnete die Sitzung und teilte zunächst mit, daß die von verschiedenen Seiten gewünschte Erörterung der außenpolitischen Lage insofern in ihrem Umfange wohl etwas eingeschränkt werden müsse, als der Reichsminister des Auswärtigen im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand gebeten habe, von einem ausführlichen Referat absehen zu dürfen. Reichsminister Stresemann sei jedoch gern bereit, auf einzelne an ihn gerichtete Fragen zu antworten und stehe hierfür nachher zur Verfügung.

[947] Er, der Reichskanzler, wolle seinerseits gern einige Mitteilungen über die Geschäftslage des Reichsrats und des Reichstags machen. Bekanntlich seien die zuständigen Reichsratsausschüsse heute (3.10.27) vormittag zu einer Beratung des Reichsschulgesetzentwurfs zusammengetreten. Außerdem wolle der Reichsrat noch die Besoldungsreform und das Liquidationsschädengesetz beraten. Es sei der dringendste Wunsch der Reichsregierung, daß die Beratungen dieser 3 Gesetzentwürfe so beschleunigt würden, daß die Beratungen des Reichstags am 17. Oktober d. J. beginnen könnten.

Gegen diese Auffassung erhob sich kein Widerspruch von seiten der Ländervertreter oder von sonstiger Seite.

Auf Wunsch des Bayerischen Ministerpräsidenten wurde sodann über das Steuerrahmengesetz und über die Besoldungsreform gesprochen. Der Bayerische Ministerpräsident [Held] führte aus, daß das Reich nunmehr auch in die Gebiete eingreife, die bisher noch den Ländern zur Gesetzgebung überlassen gewesen seien. Das Steuerrahmengesetz2 sei kein Rahmengesetz, sondern es enthalte eine große Anzahl materieller, steuerlicher Vorschriften. Zum Erlaß dieser Vorschriften durch das Reich bestehe weder eine rechtliche Möglichkeit noch auch eine praktische Notwendigkeit. Durch das Gesetz würde ferner dem endgültigen Finanzausgleich vorgegriffen. Die wenn auch nicht beabsichtigte, so doch tatsächliche Folge des Gesetzes sei eine weitere Einbuße der Länder an Selbständigkeit. Ganz schematisch regle das Gesetz Dinge, die in den einzelnen Ländern außerordentlich verschieden lägen. Die in dem Gesetz behandelte Materie sei überhaupt noch nicht spruchreif. Es seien unbedingt noch Verhandlungen mit den Ländern nötig gewesen3.

Er stelle den formellen Antrag, den Entwurf des Steuerrahmengesetzes durch das Reich jetzt nicht weiter zu verfolgen. Wolle das Reich den Entwurf doch weiter verfolgen, müsse auch gleichzeitig eine endgültige Regelung des Finanzausgleichs in Angriff genommen werden.

Schwere Bedenken habe er auch gegen die vom Reich geplante Besoldungsreform4. Die Notwendigkeit der Reform, jedenfalls in der vorgesehenen Höhe, müsse als außerordentlich zweifelhaft erscheinen. Fraglos seien die Länder gezwungen, ihre Beamten ebenso zu besolden, wie das Reich seine Beamten besolde. Die Länder, jedenfalls Bayern, hätten nicht die Mittel für diese Höherbesoldung. Das Reich müsse daher die Mehrkosten der Besoldungsreform tragen, zum mindesten müsse das Reich seine Schulden begleichen, die es noch an Bayern habe. In diesem Zusammenhange müsse er betonen, daß endlich die Frage der Post- und Eisenbahnabfindung einer Regelung entgegengeführt werden müsse. Wenigstens müsse die Kapitalschuld festgestellt werden, damit der Zinsendienst des Reichs einsetzen könne.

Der Reichskanzler führte aus, daß besonders das Steuerrahmengesetz im engsten Zusammenhange mit der großen Grundfrage betrachtet werden müsse,[948] die im Laufe der letzten Zeit immer mehr in den Vordergrund trete, mit der Grundfrage der rechtlichen Gestaltung des Verhältnisses des Reichs zu den Ländern. Das Reich halte sich bei dem Steuerrahmengesetz durchaus im Rahmen der Verfassung. Wenn trotzdem sich aus diesem Gesetz und aus der Besoldungsreform schwere Unzuträglichkeiten ergäben, so tauche die Frage auf, ob die jetzige Struktur des Reiches in bezug auf das Verhältnis des Reichs zu den Ländern richtig sei. Er, der Reichskanzler, würde es sehr begrüßen, wenn über diese Hauptfrage einmal eine eingehende Besprechung stattfinden könnte. Diese Frage müsse in aller Ruhe einmal erörtert werden.

Der Preußische Ministerpräsident [Braun] führte aus, daß Preußen der Tendenz des Steuerrahmengesetzes zustimme. Seine Stellungnahme zu den einzelnen Vorschriften dieses Gesetzentwurfes müsse sich Preußen vorbehalten.

Die durch die Besoldungsreform entstehenden Unkosten machten auch Preußen schwere Sorgen. Auf die Dauer werde Preußen nicht in der Lage sein, diese Mehrkosten zu tragen.

Die grundsätzliche Frage des Verhältnisses des Reichs zu den Ländern müsse auch nach seiner Auffassung einmal eingehend erörtert werden. Das Hauptübel erblicke er darin, daß die Weimarer Verfassung auf halbem Wege stehen geblieben sei.

Auch der Bürgermeister von Hamburg [Petersen] betonte eindringlich die Notwendigkeit einer gründlichen Erörterung des genannten Problems. Fast alle innenpolitischen Fragen der letzten Zeit seien nur Ausstrahlungen des großen Problems, wie das Verhältnis des Reichs zu den Ländern nach der Reichsverfassung aufzufassen oder vielleicht neu zu gestalten sei. Die vom Herrn Reichskanzler angeregte Sondertagung werde am besten durch gründliche Referate und Korreferate eingeleitet werden.

Der Hessische Staatspräsident [Ulrich] vertrat gleichfalls die Auffassung, daß das erwähnte Hauptproblem baldigst erörtert werden müsse.

Der Staatspräsident von Württemberg [Bazille] führte aus, daß Württemberg, auch nach der Auffassung der großen Mehrheit seines Landtags, unbedingt selbständig bleiben wolle. Die Beispiele der Schweiz und der Vereinigten Staaten von Nordamerika lehrten, daß eine staatsrechtliche Struktur durchaus möglich sei, die den einzelnen Ländern große Selbständigkeit lasse.

Auch Württemberg bitte dringend, das Steuerrahmengesetz zurückzustellen.

Die durch die Besoldungsordnung entstehenden Mehrkosten könne Württemberg nicht tragen. Es sei eine Zusicherung des Reichs zum mindesten dahingehend nötig, daß das Reich den Ländern die entstehenden Mehrkosten vom nächsten Jahre an ersetze.

Auch die Frage der Errichtung der Landesarbeitsämter bereite ihm Sorge. Nach den bestehenden Absichten solle die Pfalz, Baden und Württemberg zu einem Landesarbeitsamtsbezirk zusammengefaßt werden. Württemberg, Bayern und Baden seien hiergegen5. Wenn auch die Reichsregierung nicht unmittelbaren Einfluß auf die Abgrenzung der Bezirke habe, so begünstige sie doch durch ihr Verhalten die geplante Bezirksfestsetzung.

[949] Staatssekretär Dr. Geib erwiderte, daß das Reich keinen Einfluß auf die Festsetzung der Grenzen der Arbeitsämter habe, weil die neue Reichsanstalt hierin selbständig sei.

Der Reichsminister der Finanzen wies darauf hin, daß das Steuerrahmengesetz in dem letzten Gesetz über die Verlängerung des Finanzausgleichs verlangt werde6. Es beruhe also auf einem Beschluß des Reichstags, der ausgeführt werden müsse. Über Einzelheiten wolle er gern verhandeln. Zu diesen Verhandlungen sei auch noch genügend Gelegenheit geboten.

Was die neue Besoldungsordnung angehe, so habe er die Länder rechtzeitig durch Referenten des Reichsfinanzministeriums unterrichtet; Stellung genommen habe nach dem Besuch der Referenten bei den einzelnen Ländern nur Preußen. Die Notwendigkeit der Erhöhung könne nach seiner Ansicht nicht bezweifelt werden. Wenn jetzt eine Erhöhung der Gehälter im größeren Ausmaße erfolge, so werde bei der Beamtenschaft sicherlich für mehrere Jahre eine Beruhigung eintreten. Diese Beruhigung sei aber für die Reichsregierung unbedingt erforderlich, damit sie vor allem die wichtige Reparationsfrage ungestört behandeln könne. Bei einem großen Teil dieser Maßnahmen müsse die Reichsregierung unbedingt auf das Reparationsproblem Rücksicht nehmen.

Eine Änderung des Finanzausgleichs könne jetzt nicht in Frage kommen.

Der Staatspräsident von Baden [Trunk] führte aus, daß auch Baden durch die Besoldungsreform in schwere Sorge versetzt werde. Er begrüße die Erklärung des Reichsfinanzministers, daß er über das Steuerrahmengesetz zu Verhandlungen mit den Ländern bereit sei.

Er stelle den formellen Antrag, das Gesetz nicht weiterzuverfolgen. Auch nach seiner Auffassung müsse die grundsätzliche Frage des Verhältnisses des Reichs zu den Ländern baldigst eingehend erörtert werden.

Der Reichskanzler stellte Übereinstimmung darüber fest, daß eine grundsätzliche Erörterung des staatsrechtlichen Verhältnisses zwischen Reich und Ländern in einer Sondersitzung von Vertretern der Reichs- und der Länderregierungen in Aussicht genommen werde. Die Beratungen bei dieser Sondertagung sollten durch Referate und Korreferate eingeleitet werden.

Die Sitzung wurde sodann geschlossen7.

Fußnoten

2

Gemeint ist der Entwurf des Steuervereinheitlichungsgesetzes, der am 15.7.27 dem RR vorgelegt worden war; siehe Dok. Nr. 276, P. 3, dort auch Anm. 15.

3

Vgl. das Schreiben des Bayer. MinPräs. an den RK vom 9. 8.: Dok. Nr. 283.

4

Siehe Dok. Nr. 306, Anm. 2.

5

Siehe dazu Dok. Nr. 320.

6

Nach § 4a, Abs. 2 des Finanzausgleichsgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Übergangsregelung des Finanzausgleichs vom 9.4.27 (RGBl. I, S. 91 ) hatte die RReg. bis zum 1.10.27 den Entwurf eines Rahmengesetzes zur Regelung der Realsteuern vorzulegen. Auf Grund dieser Bestimmung war die Vorlage des Entwurfs des Steuervereinheitlichungsgesetzes an den RR erfolgt; vgl. oben Anm. 2.

7

Am 4.10.27 schrieb StS Pünder im Namen des RK an RIM v. Keudell: In der Aussprache am 3. 10. mit den Ministerpräsidenten der Länder (siehe oben) habe der RK mit Zustimmung aller Länderregierungen feststellen können, „daß die gerade in letzter Zeit sich häufenden sachlichen Schwierigkeiten zwischen Reich und Ländern es zu einer gebieterischen Notwendigkeit machen, baldigst an die Vorbereitung der Lösung dieses bedeutsamen Problems heranzugehen.“ Es sei vereinbart worden, das staatsrechtliche Verhältnis von Reich und Ländern möglichst bald in einer Sondersitzung von Vertretern der RReg. und der Länderregierungen zu erörtern und diese Sitzung durch Referate und Korreferate einzuleiten. Wenngleich es ungewiß sei, ob die in Aussicht genommene Sondertagung schon in den nächsten Monaten stattfinden könne, halte der RK es doch für erforderlich, „alle notwendig erscheinenden Vorbereitungsmaßnahmen ungesäumt in Angriff zu nehmen. Hierzu dürfte neben der Vorbereitung der eigenen Stellungnahme der zuständigen Reichsstellen in erster Linie die Auswahl der für die Referate und Korreferate in Aussicht zu nehmenden Persönlichkeiten gehören.“ Ohne den diesbezüglichen Vorschlägen des RIM vorgreifen zu wollen, möchte der RK seiner Auffassung vorläufig dahin Ausdruck geben, daß die Erstattung von Referaten zweckmäßigerweise dem Hamburger Bgm. Petersen und dem Thür. MinPräs. Leutheußer zu übertragen wäre, denen als Korreferenten der PrMinPräs. Braun und der Bayer. MinPräs. Held gegenübergestellt werden könnten. Sobald über die Wahl der Persönlichkeiten und die Fragestellung Klarheit herrsche, müßten die Referenten gebeten werden, an die schriftliche Fixierung ihrer Referate heranzugehen, damit diese rechtzeitig den Korreferenten zugeleitet werden könnten (StSRkei an RIM, 4.10.27, Abschrift an sämtliche RM, in R 43 I /1873 , Bl. 14–15). Siehe hierzu Dok. Nr. 353, P. 3.

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