2.24 (sch1p): Nr. 21 Presseerklärung des Reichsministerpräsidenten. 22. März 1919

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RTF

Nr. 21
Presseerklärung des Reichsministerpräsidenten. 22. März 19191

R 43 I /1 , Bl. 92-95 Entwurf2

[Betrifft: Deutsche Friedensdelegation]

Meine Herren,

 

die Friedensdelegation soll sich nach unsern Beschlüssen aus drei Kategorien zusammensetzen: erstens aus den Führern der Delegation, die sich nach dem Ort der Friedensverhandlungen begibt und deren Namen bereits bekanntgegeben wurden. Es sind dies die Herren3: Minister des Auswärtigen, Graf Brockdorff-Rantzau, Minister Dr. David, Minister Giesberts, Gesandter Dr. Adolf Müller, Professor Dr. Schücking und an Stelle von Herrn Max Warburg, der darum bat, seine Dienste in der zweiten Kategorie dem Reich zur Verfügung stellen zu dürfen, dessen Teilhaber Dr. Melchior, der sich ja schon in den wirtschaftlichen Verhandlungen der Waffenstillstandskommission ausgezeichnet bewährt hat.

Es ist bereits gesagt worden, daß diese 6 Herren nach keinerlei parteipolitischen Gesichtspunkten ausgesucht worden sind. Man wollte erstens Vertreter[93] des neuen Deutschlands, so, wie es die Regierung sieht und beurteilt, und zweitens vor allem 6 Männer, die über Spezialkenntnisse und Ressorttüchtigkeit hinaus politische und wirtschaftliche Fragen weitblickend zu beurteilen vermögen.

Ähnlich waren die Erwägungen, nach welchen die Zusammensetzung der zweiten Kategorie der Herren erfolgte, welche die 6 Führer begleiten sollten. Die Liste ist Ihnen bereits übergeben worden4. Sie sehen, daß sie vor allem die besten Namen aus den verschiedensten Wirtschaftsgebieten enthält, ohne dabei eine, doch nicht zu erreichende Vollständigkeit anzustreben, weder nach den einzelnen Wirtschaftszweigen, noch nach der Seite, daß jeder wertvolle Mann aufgeführt wird.

Meine Herren, schon die Zahl legt gewisse Beschränkungen auf; wir konnten nicht über eine gewisse enge Grenze hinausgehen. Wir hatten aber auch nicht die Absicht, etwa jede Industrie durch einen Gutachter am Ort der Verhandlung vertreten zu lassen. Alle Herren, die in einer der drei Kategorien tätig sein sollen, haben in wochenlangen Besprechungen jede Frage und jede mögliche Forderung erörtert, so daß die Ansichten jedes Industrie- oder Handelszweiges grundlegend festgestellt sind.

Die Herren dieser zweiten Kategorie, also der eigentlichen Delegation, sind vielmehr als allgemeine Kenner unserer Lage ausgesucht worden, als Kenner des gesamten Wirtschaftslebens, natürlich auch als hervorragende Vertreter ihres Spezialfachs. Sie sollen den 6 Führern als ein Gremium zur Seite stehen, das alle Fragen von hoher Warte mitzuberaten in der Lage ist, und zu diesem Zweck sind, neben Vertretern von Handel und Industrie, auch Vertreter des deutschen Geisteslebens aufgenommen.

Ich darf besonders auch auf die weibliche Delegierte5 verweisen, deren Pflicht es sein wird, das Deutschland des Frauen-Wahlrechts in der Behandlung sozialpolitischer Fragen zu vertreten, für welche auch die drei Arbeiter- und Gewerkschaftsbeamten6 bestimmt sind.

Neben den Herren dieser Liste wird die Delegation von einem Stab von Behördenvertretern begleitet sein, welche die Arbeit der einzelnen Ministerien am Friedensvertrag zu erledigen haben.

Eine dritte Kategorie7 schließlich stellt der sehr weite Kreis von Vertretern sämtlicher Zweige von Handel, Industrie und Wirtschaft dar, in dem nun kein irgendwie wichtiger Teil des Wirtschaftslebens fehlt. Diese Herren werden in Berlin versammelt sein, um jederzeit für die Beantwortung jeder Frage bereitzustehen. Hier ist keine zahlenmäßige Beschränkung, dieser Kreis ergänzt sich nach Bedarf und eigenem Ermessen, die einzelnen in ihm vertretenen Persönlichkeiten können bei der großen Zahl nicht genannt werden.

Wenn ich nun auf die Rolle zu sprechen komme, welche das Kabinett in diesem Gefüge der Delegationen zu spielen hat, so muß ich vorweg die Instruktionen[94] erwähnen, welche unsern Herren zur Verhandlung mitzugeben sein werden8.

Sie wissen: unsere Gegner liebäugeln mit dem Gedanken eines Diktatfriedens, wenn auch neulich sogar Franzosen vor Überspannung dieses Vorhabens gewarnt haben, die uns dazu verführen könnte, keine Delegation, sondern einen Ministerialbeamten zur Entgegennahme der Bedingungen nach Paris zu entsenden. Ich darf mit aller Entschiedenheit sagen:

Einen Diktatfrieden, der über das Wilson-Programm hinausgeht, kann keine Regierung und keine Delegation annehmen. Wir können aber derartige Übertreibungen des Siegerhochmuts vollkommen beiseite lassen. Offiziell haben unsere Gegner sich nicht darüber geäußert, wie sie sich die Gestaltung der Verhandlungen oder Nicht-Verhandlungen denken. Wir haben aber natürlich die Pflicht, uns unsererseits ein Bild zu machen und eine Richtlinie zu ziehen.

Wir sind also entschlossen, unserer Delegation am Verhandlungstisch so genaue Weisungen und auch Vollmachten mitzugeben, die sie in Stand setzen, zu verhandeln oder Gegenvorschläge zu machen, beides im Rahmen des Wilson-Programms. Was darüber hinausgeht, überschreitet auch die Kompetenz der Verhändler am Ort. Hier zu entscheiden, kann einzig und allein Aufgabe des gesamten Kabinetts sein. Alle Bedingungen also, die solchergestalt mit den Wilsonschen Punkten nicht in Einklang zu bringen sind, auf Grund derer wir und unsere Gegner den ersten Waffenstillstand ausdrücklich abschlossen, können von unserer Delegation nur zur Kenntnis genommen und nach Berlin weitergegeben werden. Hier wird das Kabinett zu entscheiden haben, und es wird seine Pflicht sein, so zu entscheiden, daß es sich und Deutschland nicht mitschuldig macht an einem Frieden, der, nach Wilsons Worten, „neue Elemente von Zwist und Gegnerschaft schafft oder alte derartige Elemente verewigt, die wahrscheinlich mit der Zeit den Frieden Europas und damit der Welt stören würden“9.

Ich darf ein Beispiel wählen: die Wilsonforderung nach Wiedergutmachung solcher Schäden, die durch uns feindlichen Landstrichen zugefügt worden sind10. Hier stehen wir auf dem Standpunkt, daß wir allerdings, z. B. in Nordfrankreich – Belgien scheidet aus, hier haben wir unsere Verpflichtung bereits des öftern anerkannt – das wiederherzustellen haben, was durch völkerrechtswidrige Maßnahmen zerstört worden ist. Nicht aber können wir Verpflichtungen anerkennen z. B. für die Wiederherstellung von Kathedralen, die nachweislich und unbestritten von den Gegnern vernichtet worden sind. Daß eine Weigerung, ungerechte Forderungen anzuerkennen, in noch viel höherem Maße in bezug auf das Saarrevier oder Danzig oder die Rheinlande oder sonstwelche reindeutsche Gebiete stattfinden wird, das, meine Herren, brauche ich als einstimmige Ansicht des Kabinetts kaum besonders zu betonen.

Hier endet nicht nur das Mandat unserer Delegation, sondern auch das jeder[95] Regierung. Hier hat das Volk und seine Vertretung zu entscheiden, und diese Entscheidung ist unzweifelhaft11.

Meine Herren, alle berufenen Faktoren: Nationalversammlung, Reichsregierung und unsere Delegation haben nur einen Wunsch und ein Ziel: einen dauerhaften Frieden herbeizuführen, der, wenn es nach uns geht, nicht nur die vorliegenden Streitpunkte ausgleicht, nicht nur neue Streitpunkte vermeidet, sondern hoffentlich auch die bisherige, auf Gewalt beruhende Austragung internationalen Streits unmöglich macht, indem er die Kampfmittel dazu abschafft. Abrüstung und Völkerbund: ohne die Verwirklichung dieser zwei Ideale können wir uns keine Zukunft der Völker denken.

Wir wollen uns nicht, wie uns Böswilligkeit vorwirft, hinter diese Ideale verstecken, um uns der Verantwortung zu entziehen. Wie wir Schuld und Mitschuld an diesem furchtbaren Krieg beurteilen, das ergibt sich schon aus einem: aus der Annahme des Wilson-Programms, das sich ja auf Schuld und Wiedergutmachung aufbaut. Wir werden uns keiner Verpflichtung entziehen, aber am allerwenigsten der, die Zukunft der Völker vor neuer Vergiftung zu bewahren.

Mit Frankreich begleichen wir eine jahrhundertelange Rechnung, ebenso wie wir mit Amerika, England und Belgien die Rechnung dieses Kriegs endgültig aus der Welt schaffen wollen. Dann aber muß politisch reine Bahn vor uns liegen, die wir uns durch keine Hinterhältigkeit, keine Mentalreservatio wieder verbauen dürfen. Daher nehmen wir zur Richtlinie der deutschen auswärtigen Politik keine Kontinental-Orientierung mit der Spitze gegen England und keine andere Orientierung mit der Spitze gegen einen andern unserer bisherigen Gegner, sondern den Völkerbund, in dem es solch veraltete Gleichgewichtsversuche nicht geben kann und darf, und in dem es ganz sicher nicht das geschlagene Deutschland sein darf, das sich dem Verdacht aussetzt, neue Spaltungen hervorzurufen.

Fußnoten

1

Als Datierung ist nur ein Präsentatum vermerkt.

2

Ob der RMinPräs. tatsächlich vor der Presse gesprochen hat, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Der Vorwärts, Nr. 149, veröffentlichte am 22.3.1919 einen Artikel über die dt. Vorbereitungen zur Friedenskonferenz, der die Namensliste A der Personen, die die Hauptdelegierten nach Paris begleiten sollten, enthielt, (vgl. Dok. Nr. 15, P. 7; Dok. Nr. 19, Anm. 37). Der Text lehnt sich im wesentlichen an den des vorliegenden Dokuments an. Offensichtlich ist der Text von Rauscher ausgearbeitet und für eine Pressekonferenz bestimmt; das geht aus handschriftlichen Notizen Scheidemanns auf der Rückseite des letzten Blatts hervor: „Rauscher – verklausuliert. Zeit so schwer, innen-außenpolitisch. Bedeutung der Presse – helfen Sie uns. Presse dauernd auf laufendem.“

3

Zu der Namensliste s. Dok. Nr. 10a, P. 7.

4

Siehe Anm. 2.

5

Die MSPD-Abg. in der NatVers Marie Juchacz.

6

Eduard Bernstein, Karl Legien, Adam Stegerwald.

7

Die sog. Liste B, s. Dok. Nr. 15, P. 7.

8

Siehe Dok. Nr. 49.

9

Wilson hatte am 11.2.1918 vor dem Kongreß eine Vier-Punkte-Erklärung abgegeben; das Zitat ist dem P. 4 entnommen (s. Waffenstillstand, I, S. 7).

10

In den Punkten 7 und 8 des Wilson’schen 14-Punkte-Programms vom 8.1.1918 (Waffenstillstand, I, S. 4 f.).

11

Die ursprünglich hier folgende Passage ist im Text von Scheidemann durchgestrichen: „Die RReg. wird in der NatVers anregen, daß sich ein Ausschuß für die Bearbeitung und Mitwirkung bei den Friedensverhandlungen bildet, wie sie ja beim letzten Waffenstillstandsabschluß spontan einen solchen Ausschuß gebildet, resp. herangezogen hat.“ Der Friedensausschuß der NatVers konstituierte sich auf der 38. Sitzung am 15.4.1919; seine erste Sitzung fand am selben Tag statt (NatVers Bd. 327, S. 1061 ).

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