2.14.1 (vsc1p): [Anlage.]

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 4). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Kabinett von Schleicher Kurt von Schleicher Bild 102-14090Franz Bracht Bild 183-2007-1009-501Friedrich Syrup Bild 146-1986-031-11Bild 183-H27728

Extras:

 

Text

RTF

[Anlage.]

Gesetz über die Reichsreform.

Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats verkündet wird, nachdem festgestellt ist, daß die Erfordernisse verfassungsändernder Gesetzgebung gewahrt sind.

Artikel I.

Reichsverwaltung wird, vorbehaltlich der Vorschrift des Artikels III:

1.

in Preußen die bisherige Staatsverwaltung;

2.

in den Ländern mit weniger als zwei Millionen Einwohnern5 die bisher staatliche Verwaltung

a)

der Polizei

b)

der Justiz

c)

der Gemeindeaufsicht

d)

der Gewerbeaufsicht

e)

der kirchlichen Angelegenheiten und der inneren Schulangelegenheiten einschließlich der Schulaufsicht.

[51] Artikel II.

(1) Die Gesetzgebung in den in Artikel I bezeichneten Reichsgebieten hat nur das Reich, soweit es sie nicht ausdrücklich den Ländern (Provinzen) überträgt (Artikel III).

(2) Das Reich regelt durch Reichsgesetz in diesen Gebieten insbesondere:

1.

die Verfassung der verbleibenden oder neu entstehenden Länder (Provinzen) unter einheitlichem Namen,

2.

die Grenzen der Länder (Provinzen); sie sind in der Weise zu ziehen, daß sie zweckmäßige Bezirke für die mittleren Verwaltungsbehörden des Reichs und die obersten Verwaltungsbehörden der Länder ergeben und daß Gebietseinschlüsse vermieden werden;

3.

die Aufsicht über die Länder (Provinzen) und Gemeinden,

4.

die Zuständigkeit der Reichs-, Länder- oder Gemeindebehörden zur Ausführung der Gesetze.

Artikel III.

Den Ländern (Provinzen) und Gemeinden sind alle Angelegenheiten zur selbständigen Regelung oder auftragsweise zu überlassen, bei denen nicht offenbar die Regelung durch das Reich wesentliche Vorteile für die Gesamtheit bietet.

Artikel IV.

In den außerpreußischen Ländern mit mehr als zwei Millionen Einwohnern erhält das Reich

1.

die Zuständigkeit zur Gesetzgebung (Artikel 7 der Reichsverfassung) über die Verwaltungsgerichtsbarkeit;

2.

die Zuständigkeit zur Grundsatzgesetzgebung (Artikel 10 der Reichsverfassung) über

a)

das allgemeine Verwaltungsrecht,

b)

den Verwaltungsaufbau der Länder und die Verfassung der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände), soweit zur Durchführung der Reichsaufgaben einheitliche Grundsätze erforderlich sind;

c)

das Prüfungswesen und die Anerkennung der Prüfungen.

Artikel V.

Die Landesregierungen werden auf Zeit und zwar, soweit nichts anderes bestimmt wird, für die Dauer des Landtags bestellt. Die Landesregierung muß zurücktreten, wenn ihr das Vertrauen mit zwei Drittel Mehrheit bei Anwesenheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Abgeordneten entzogen wird.

Artikel VI.

Bis zur endgültigen Regelung ist zur Ausführung der Artikel I–IV wie folgt zu verfahren:

[52] § 1.

Die bisherigen Landes- und Provinzialverfassungen gelten in den Ländern unter zwei Millionen Einwohnern und in den preußischen Provinzen bis zur Neuregelung nach Artikel II Abs. 2 fort. Die Landesminister heißen jedoch Landesdirektoren.

§ 2.

Die bisher auf die preußische Staatsregierung entfallenden Stimmen im Reichsrat werden bis zur endgültigen Regelung von einem Landesdirektorium geführt, das nach den Grundsätzen über die Bildung der preußischen Landesregierung von dem preußischen Landtag (oder: von den in Preußen gewählten Mitgliedern des Reichstags) bestellt wird.

§ 3.

Bis zur endgültigen Regelung müssen die Reichsminister, zu deren Geschäftsbereich die allgemeine Polizeiverwaltung, die Hoheitsaufsicht über die Gemeinden und die kirchlichen und Schulangelegenheiten gehören, auch dann zurücktreten, wenn der preußische Landtag (oder: im Reichstag die Mehrheit der aus den Gebieten des Artikels I entsandten Abgeordneten) ihnen das Vertrauen durch ausdrücklichen Beschluß entzieht.

Artikel VII.

Kein Beamter kann den Übergang in eine andere Verwaltung auf Grund dieses Gesetzes ablehnen. Dies gilt auch für Richter.

Artikel VIII.

(1) Die Reichsregierung hat den gesetzgebenden Körperschaften alsbald ein Gesetz vorzulegen, das den Wortlaut der Reichsverfassung entsprechend den Artikeln I–V dieses Gesetzes ändert.

(2) Bis zur endgültigen Regelung erläßt die Reichsregierung die erforderlichen Ausführungsvorschriften durch Verordnung. Soweit dabei Vermögensfragen geregelt werden, entscheidet der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich auf Antrag darüber, ob die finanziellen Interessen des Landes (der Provinz) unbillig beeinträchtigt werden.

Bemerkungen zu dem Entwurf6.

Es ist staatspolitisch richtig, an die Ergebnisse der Länderkonferenz von 1928 bis 1930 anzuknüpfen7. Der Entwurf muß sich auf diejenigen Bestimmungen[53] beschränken, die dort eine große Mehrheit erzielt haben, und Einzelfragen, für die eine breite Unterlage dieser Art noch nicht vorhanden ist, auf die weitere Gesetzgebung verschieben.

Der anliegende Entwurf ist auf dieser Grundlage zusammengestellt. Die Artikel I bis V entsprechen zum großen Teil, und zwar meist im Wortlaut, den Beschlüssen des Verfassungsausschusses der Länderkonferenz, die mit großen Mehrheiten, einschließlich der Staatspräsidenten Württembergs und Badens gefaßt worden sind. Bekanntlich betrug die Mehrheit in der Schlußbestimmung des Verfassungsausschusses 15 gegen 3 Stimmen, (Held, Schätzel, Eschenburg). Die Grundsätze des Artikels I erzielten in der Einzelabstimmung teilweise noch größere Mehrheiten, ebenso die des Artikels II Abs. 1. Der Grundsatz des Artikels III wurde einstimmig angenommen, ebenso der des Artikels V (allerdings als Kannvorschrift). Die Vorschriften des jetzigen Artikels IV wurden in der Einzelabstimmung nur mit einfacher Mehrheit angenommen, die Annahme von dem preußischen Vertreter aber zur Bedingung seiner Gesamtzustimmung gemacht.

Artikel II Absatz 2 enthält folgerichtige Ergänzungen, über die es im Verfassungsausschuß zum Teil nicht mehr zur Verhandlung gekommen ist, und Artikel VI die Übergangsvorschriften bis zum endgültigen Abschluß der Gesetzgebung.

Die Sonderwünsche Bayerns können natürlich in einem preußischen Entwurfe nicht berücksichtigt werden. Sie gehen in der Hauptsache auf Sicherung Bayerns vor künftigen weiteren Eingriffen in die Bayerische Verfassungsstellung aus und wurden im Verfassungsausschuß mit Mehrheit abgelehnt. Es muß Bayern überlassen bleiben, in dieser Hinsicht Anträge zu stellen8. Das gleiche gilt für entsprechende, weniger weitgehende Wünsche Sachsens, Württembergs[54] und Badens und für Vorschläge von Thüringen, Hessen, Hamburg usw. auf besondere Regelungen, die sich überdies im Rahmen des Artikels III erfüllen lassen.

Fußnoten

5

Das waren alle Länder außer Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden.

6

Mit geringfügigen Abweichungen abgedruckt bei Arnold Brecht: Mit der Kraft des Geistes, S. 97 f.; dort als „amtliche Bemerkungen der preußischen Regierung“ bezeichnet.

7

Die die ganze Geschichte der Weimarer Republik begleitenden Bemühungen um eine territoriale und funktionale Neuordnung des nach allgemeinem Empfinden in der WRV nur unvollkommen geregelten Verhältnisses zwischen Reich und Ländern waren 1928 in die Konstituierung einer von Vertretern des Reichs, der Länder und von Fachgelehrten beschickten Länderkonferenz eingemündet. Zur Klärung der angeschnittenen Fragen und zur Erarbeitung von Gutachten waren (Unter-)Ausschüsse eingesetzt worden, denen eine Fülle von Materialien vorgelegt wurden. Über die zusammengefaßten Entww. und Anträge stimmte der Verfassungsausschuß der Länderkonferenz in seiner letzten Sitzung am 21.6.1930 ab und leitete das Ergebnis der RReg. zu (Verfassungsausschuß der Länderkonferenz. Verhandlungen der Unterausschüsse vom 20. Juni 1930 und Beschlüsse des Unterausschusses über die Organisation der Länder und den Einfluß der Länder auf das Reich. Hrsg. v. RIMin., Berlin 1930; zum Gesamtzusammenhang vgl. diese Edition: Das Kabinett Müller II sowie Franz A. Medicus: Reichsreform und Länderkonferenz). Die Reg. Brüning nahm die Beschlüsse lediglich zur Kenntnis, ohne von sich aus die Lösung der anstehenden Fragen in Angriff zu nehmen. GesEntwürfe, die auf der Arbeit des Verfassungsausschusses basierten, legten daraufhin die MinDir. Brecht und Poetzsch-Heffter vor (Abdrucke in: Reich und Länder, Zeitschrift für die Entwicklung der Verfassung und Verwaltung in Deutschland, 4. Jg. (1930), S. 135 ff. und 224 ff.), während das RIMin. sich bis zum Sommer 1931 Zeit ließ, um auf neuer Grundlage einen eigenen, in zwei Teile zerfallenden GesEntw. zu erarbeiten (vgl. dazu Nachl. Brecht , Nr. 21 sowie Arnold Brecht: Mit der Kraft des Geistes, S. 80 f.und 410 ff.). Diese Entwürfe gelangten im Kab. Brüning nie zur Beratung. Über die Entstehung des vorliegenden GesEntw. teilt Brecht weiter mit, daß ihm 1932 die bisher ausgearbeiteten Gesetzesfassungen „zu lang“, bzw. „zu schwerfällig für politische Verhandlungen in der damaligen kritischen Situation“ erschienen; er habe deshalb den dem RK übersandten „ganz kurzen“ Entw. niedergeschrieben, der sich „streng an die Beschlüsse des Verfassungsausschusses anchloß“ (ebd., S. 94).

8

Die dem Verfassungsausschuß vorgelegten bayer. Anträge vom 16.6.1930 in: R 43 I /1882 , Bl. 203–219. Zu ihrer weitgehenden Wiederholung in den Verhandlungen mit den Regg. v. Papen und v. Schleicher s. diese Edition: Das Kabinett v. Papen sowie in diesem Bd. die Dok. Nr. 6 und 16.

Extras (Fußzeile):